Buch 3, Kapitel III: „Karl IV. – Der Thronstreit“

 


Die Wahl Karls zum römisch-deutschen König fand vorläufig wenig Anhang im Reich. Kaiser Ludwig IV., von den avigonesischen Päpsten der Zeit herabwürdigend „der Bayer“ genannt, war noch am Leben und er genoss in Teilen des Reichs ungebrochene Anerkennung. Jenseits Böhmens hatte sich hauptsächlich entlang des Niederrheins eine Opposition gegen den gealterten Kaiser gebildet. Besonders hier hatte sich Ludwig durch sein partikulares Vorgehen bei der Neuvergabe des erledigten niederländischen Erbes seines verstorbenen Schwagers, Graf Wilhelm IV. von Holland, Neider und Oppositionelle unter den Regionalfürsten geschaffen. Trotz seiner, ganz auf Mehrung der eigenen Hausmacht ausgerichteten Vergabepolitik erledigter Reichslehen, war seine Regierung ansonsten auf Konsens mit den großen Dynastien im Reich ausgelegt. Er vermochte den Frieden weitgehend zu waren, wovon Handel und Gewerbe profitierten. Nutznießer waren in erster Linie die Städte, deren Aufschwung sich weiter fortsetzte. Sie waren es auch, die den Kaiser weiter stützten. Für Karl kam es also darauf an, unter seinem Regiment den Landfrieden ebenfalls nach Kräften zu fördern und zu wahren, um hiermit die Reichsstädte für sich zu gewinnen.

Grundsätzlich hatte die Wahl Karls IV. den Beigeschmack eines von außen, von reichsfremden Kräften gesteuerten Staatsstreichs. Von Papst Clemens VI. losgetreten, dessen Kirchenbann-Politik gegen den bisherigen Kaiser selbst unter Klerikern des Reichs kritisch bewertet wurde, kam es zum Wahlakt hinter mehr oder minder verschlossenen Türen. Die Berufung nur jener gegen den amtierenden Kaiser in Opposition stehenden Wahlfürsten, deren Stimme Karl sich sicher sein konnte, war anrüchig. Um nach erfolgter Wahl Vorgang und Ergebnis jenseits dieses kleinen Kreises antikaiserlicher Kurfürsten publik zu machen, um der Angelegenheit damit einen legalen Anstrich zu verleihen, ließ Karl gemäß üblichem Prozedere eine Anzahl großer Reichsstädte und Fürsten von seiner Wahl zum römisch-deutschen König schriftlich informieren, erhielt eben gerade von den Städten aus den bereits genannten Gründen kaum Resonanz. An Papst Clemens VI. in Avignon schickte Karl eine große Gesandtschaft, angeführt von Erzbischof Ernst von Prag, um seinem Freund, Gönner, Initiator der Wahl und faktischen Königsmacher die erfolgte Wahl offiziell anzuzeigen. In der Zwischenzeit, bis zum Erhalt einer Rücknachricht vom Heiligen Stuhl, schritt Karl als neuer König zur ersten Machtdemonstration. Er eilte mit einem Miilitäraufgebot dem Bischof von Lüttich zu Hilfe, der im Streit mit der Stadt Lüttich stand, doch war es schon zu spät. Die vom Bischof belagerten Städter hatten in einem wütenden Ausfall dessen Heer geschlagen und zerstreut. Karl musste unverrichteter Dinge wieder umkehren. Die von ihm so gedachte Demonstration königlicher Autorität verfehlte ihren Zweck völlig. Nach einem Zwischenstopp in Trier, bei Erzbischof Balduin, dem Großonkel, ging es weiter zum Vater, der sich fern Böhmens in den luxemburgischen Stammlanden aufhielt. Dort bereitete dieser sich, trotz zwischenzeitlich fast völliger Blindheit auf einen Feldzug an der Seite seines königlichen Freundes Philipp VI. von Frankreich vor. Es galt das unter der persönlichen Führung Eduards III. zwischen französisch Flandern und Paris plündernde englische Heer zu stellen und zu schlagen, wenigstens abzudrängen um so die Gefahr von der französischen Metropole abzuwenden.


Das Fanal bei Crécy

In der zweiten Augustwoche zogen Karl und Vater Johann an der Spitze eines Kontingents von rund 500 Panzerreitern zunächst nach Paris. Unter diesen waren zahlreiche böhmische Barone sowie Ritter aus der Grafschaft Luxemburg. Karl folgte nur widerwillig und gezwungenermaßen, wollte sich aber umgekehrt, so kurz nach seiner Wahl, einen betont kriegerischen Habitus aufbauen, um dem Kaiser, den Fürsten sowie den Städten des Reichs seine Entschlossenheit zu demonstrieren.

Sie vermuteten den französischen König noch in Paris anzutreffen, der zu dieser Zeit allerdings bereits bei seinen Truppen im Felde stand. Bei ihrer Ankunft war die Stadt in hellem Aufruhr, ein englischer Angriff wurde erwartet und die Abwehr mit provisorischen Mitteln hastig vorbereitet. Erste Gebäude der Vorstädte riss man schon nieder, was unter den Parisern großen Unmut hervorrief. Die Lage beruhigte sich, als Kundschafter die Nachricht vom Rückzug Eduards brachten und dass ihm das zahlenmäßig vielfach überlegene französische Heer dicht auf den Fersen war. Johann Sorge war jetzt die bevorstehende Schlacht zu versäumen und brach in aller Eile auf, um möglichst schnell zum Heer Philipps aufzuschließen. Er fand die französische Streitmacht unweit Paris. Eine Schlacht lag in der Luft und nach der Lage der Dinge musste sie blutig werden. Am 26. August 1346 stellten sich die schwer bedrängten englischen Truppen bei Crécy in der Picardie zur Abwehr auf. Ihre Lage war wirkte aussichtslos. Zahlenmäßig deutlich unterlegen, vor allem hinsichtlich schwerer Reiterei, war der Ausgang der Schlacht zugunsten der Franzosen nicht anzuzweifeln. Eduard III. verstand aus der Not eine Tugend zu machen und die eigenen Reihen äußerst effektiv aufzustellen, wobei er das Gelände zu seinem Vorteil nutzte. Die Franzosen, mit ihnen die Verbündeten sowie besoldete Hilfsvölker, zumeist Genuesen, waren aufgrund der drückenden Überlegenheit in zuversichtlicher, regelrecht euphorischer Stimmung und zeigten schon bei der Schlachtaufstellung Nachlässigkeiten. Ein Regenschauer kurz vor der Schlacht weichte den Untergrund auf, was die Reiterei im weiteren Verlauf erheblich behinderte. Noch schlimmer fiel ins Gewicht, dass die Armbrustsehnen der genuesischen Söldner aufgeweicht wurden, so dass deren Feuerreichweite erheblich gemindert wurde. Philipps Heerführer, Karl II. von Valois, setzte ohnehin ganz auf die schlagkräftige und zahlreiche Reiterei. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die berittene französische Ritterschaft, in stolzem Übermut, unter allen Umständen diesen vermeintlich leichten Sieg alleine erkämpfen wollte, weswegen Johanns böhmisch-deutsche Truppen erst im dritten und letzten Treffen gruppiert waren. Die Franzosen sahen anhand der gegnerischen Aufstellung, dass sie es nur mit Fußtruppen und abgesessener Reiterei zu tun bekamen und waren überzeugt, schon im ersten Angriffsschwung die gegnerischen Linien durchbrechen und un zersprengen zu können. Eine verhängnisvolle Fehlannahme, wie sich herausstellte. Die Ortsgegebenheiten ließen einen massierten Angriff auf breiter Linie nicht zu. Auf verhältnismäßig schmalem Streifen und tiefgestaffelt musste man vorstoßen, was für die englischen Langbogenschützen ein leichtes Ziel darstellte. Die zahlenmäßige französische Überlegenheit kam nicht zum Tragen. Der aufgeweichte Untergrund verlangsamte darüberhinaus die Attacke, wodurch die Angreifer nicht nur länger im Feuerbereich der Schützen blieben, auch ermüdeten viele der Pferde rasch, was die Geschwindigkeit weiter herabsetzte und dem Angriff jene Wucht nahm, der sonst jeden Feind einfach niedergeritten hätte.

Johann von Luxemburg,
König von Böhmen

Die englischen Langbogenschützen richteten ein beispielloses Gemetzel unter den schneidig herangaloppierenden Reitern an. Da wir in Buch 2 den Verlauf der Schlacht schon ausführlich schilderten, reduzieren wir uns nur noch auf das Ergebnis. Der französische König erlitt eine furchtbare Niederlage, fast wäre er in einem verzweifelt geführten letzten Angriffssversuch selbst gefallen. Mehr als zehntausend Tote Franzosen, darunter elf Herzöge, vier Bischöfe, 28 Grafen, über 80 Barone und rund 1.200 Ritter, bedeckten das Schlachtfeld. Nahezu jede französische Adelsfamilie verlor mindestens einen Angehörigen, darunter viele regierende Fürsten oder zukünftige Erben. Das gesamte feudale Herrschaftsgefüge Frankreichs geriet ins Wanken.

Karl entkam dem Blutbad nur durch den Einsatz seiner Leibwache, die ihn regelrecht vom Schlachtfeld retten musste. Die Chronisten sind sich hinsichtlich seines Schlachtbeitrags uneins. Es ist wahrscheinlich und im Grunde nicht anders denkbar, dass er am Angriff des böhmischen Reiterkontingents beteiligt war, im Gegensatz zum Vater aber sicher nicht in vorderster Reihe und im dichtesten Gedränge, das er nicht hätte überleben können. Ob er überhaupt in Kampfhandlungen verwickelt wurde, vermögen wir aus den teils völlig gegensinnigen Angaben nicht zu entscheiden. Wahrscheinlich trug er Verwundungen davon, da ihm nach Berichten das Pferd zusammengeschossen wurde. Zweifelsfrei und letztendlich glaubwürdig können wir es nicht beantworten. Fest stand, etwas mehr als einen Monat nach seiner Wahl zum römisch-deutschen König, wäre er beinahe ums Leben gekommen. Der offene Thronstreit mit Kaiser Ludwig IV. wäre hierdurch vorzeitig entschieden worden, noch vor es zum Ausbruch gekommen wäre.

Johann, der blinde König Böhmens, starb wie er es zu leben vorzog, mit dem Schwert in der Hand. In Böhmen war er nie beliebt, belegte er doch das Land zu oft mit schweren Abgaben und Anleihen, womit er seine vielen Feldzüge finanzierte. Umgekehrt blieb das Königreich während all seiner Regierungsjahre unbehelligt von äußeren Feinden. Niemand wagte einen Einfall ins böhmische Kernland, selbst nicht während der großen antiböhmischen Kaiserallianz des Vorjahrs. Prag erlebte unter seiner Regierung einen ersten wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung und wuchs stark. Er konnte beim Kaiser weitreichende Handelsprivilegien für die Prager Kaufleute erwirken. Das Gesicht der Stadt begann sich merklich zu wandeln. Die ersten gepflasterten Straßen wurden errichtet und die Zahl der gemauerten Häuser begann zu wachsen. Seine überaus erfolgreiche Heiratspolitik wurde zur Blaupause für den Sohn, der darin zu unerreichter Meisterschaft avancierte.


Krönung am falschen Ort

Nach der Niederlage und dem schockierenden Tod des Vaters, war die Lage für Karl gefährlich. Die nach Frankreich geführten böhmischen Truppen waren größtenteils getötet, gefangengenommen oder zerstreut, bis auf eine Handvoll Überlebende waren ihm kein unmittelbarer Schutz fernab von Böhmen geblieben. Vorerst setzte er sich nach Verdun ab, wo er einige Zeit verweilte, vielleicht um dort möglicherweise doch erlittene Wunden auszuheilen. Ende September reiste er weiter in die Grafschaft Luxemburg und zog sich auf die Burg Arlon zurück. Er rechnete mit einem Schlag des Kaisers, von dem er fest annahm, dass er seine momentane Schwäche ausnutzen würde. Kaiser Ludwig, der sich zu dieser Zeit in Frankfurt am Main aufhielt, also nicht weit ab, unterließ überraschenderweise jede Aktion gegen den gewählten aber bislang ungekrönten Gegenkönig. Es fällt schwer hierfür eine eindeutige Erklärung zu finden. Anscheinend konnte er die Gesamtsituation und die Anhängerschaft Karls nicht richtig einschätzen und wartete lieber weiter ab. Ludwig war, und nicht nur darin zeigten sich gewissen Ähnlichkeiten zu Karl, kein besonders kriegerischer Zeitgenosse. Er gab der Diplomatie, man könnte stellenweise auch sagen, der Intrige, den Vorzug vor dem Schwert. Mancher Chronist unterstellte ihm Feigheit, ein vielgehörter Vorwurf, der ihm schon direkt nach der Schlacht von Mühlberg gemacht wurde. Wir wollen uns kein Urteil erlauben, vielleicht nur soviel, es konnte nicht jeder ein Johann von Böhmen sein, mancher Herrscher war weniger todesmutig, dafür mehr Realpolitiker, um eine heutige Formulierung verwenden zu dürfen. Im Nachinein betrachtet war das ausbleibende Handeln eine grobe Nachlässigkeit des Ludwigs. Zu keinem Zeitpunkt war die Chance größer Karl zu besiegen, als in den Wochen nach der völligen Niederlage von Crécy, als dieser isoliert und weit entfernt von seinen böhmischen Hilfsquellen, inmitten kaiserlich gesinnter Gebiete weilte.

Auch der Oktober verging ohne dass Ludwig sich ernsthaft regte. Karl, nun davon überzeugt der Kaiser würde auch weiterhin passiv bleiben, wagte den nächsten Schritt. Der Großonkel, Erzbischof Balduin von Trier, organisierte die  Krönungszeremonie und lud hierzu die wohlgesonnenen Fürsten des Reichs, zu denen zu Beginn, wegen Karls einvernehmlichen Verhältnis zur römischen Kirche, besonders viele geistliche Fürsten gehörten. Die traditionelle Krönungsstätte in Aachen konnte für die Krönungsfeierlichkeiten nicht gewonnen werden, die Stadt hielt es mit dem Kaiser und verweigerte Karl jegliche Anerkennung. Es musste auf Bonn ausgewichen werden, wo sich am 4. November 1346 die Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier versammelten. Mit ihnen waren unter anderem die Bischöfe von Münster, Metz, Lüttich und Verdun anwesend.
Die Krönung wurde nach überliefertem Ritus vom Kölner Erzbischof vorgenommen, in dessen Kirchengebiet sowohl der traditionelle, wie auch der provisorische Krönungsort lag. Da sich die Reichskleinodien in den Händen des Kaisers befanden, musste auch hier auf ein Behelf zurückgegriffen werden. Den Gekrönten und dessen Anhänger störten die Defizite vordergründig scheinbar nicht, tatsächlich aber war ihnen natürlich klar, dass wesentliche, althergebrachte Formalitäten alles andere als erfüllt waren und dass Karls Legitimität schon deswegen höchst anfechtbar blieb. Das mittelalterliche Reich bezog seinen selbstverständlichen Herrschaftsanspruch über die restlichen Königreiche der Christenheit aus der sakralen Berücksichtigung zeremonieller Konventionen, hinter denen ein als heilig betrachteter Ritus steckte. Nicht nur die Insignien wie Krone, Zepter, Schwert etc. waren eine Grundbedingung, auch die Beachtung bestimmter Orte und Abläufe verlieh dem künftigen Monarchen des Heiligen Römischen Reichs seine gottgewollte, mit Königsheil gesegnete Autorität. Wie schon Karls Wahl, so konnte auch seine Krönung, wo noch größeres Augenmerk auf Symbolik gelegt wurde, die Zeitgenossen überzeugen. Dass neben den erwähnten Bischöfen, nur sehr wenig und keine der bedeutenden Reichsfürsten und Vertreter der freien Städte zugegen waren, muss als ein deutliches Zeichen mangelnder Akzeptanz im Reich gedeutet werden.

Direkt im Anschluss an den fast unwürdigen Krönungsakt, bestätigte Karl IV. den anwesenden Erzbischöfen und sonstigen Fürsten ihre Rechte und Freiheiten und belehnte sie nach altem Recht mit ihren Ländereien. Umgekehrt leisteten sie ihm die überlieferte Huldigungsformel.


Sitzkrieg zwischen Kaiser und Gegenkönig

Es war an der Zeit nach Böhmen zurückzukehren. Wie würde man ihn dort empfangen, nachdem der alte König, sein Vater, verstorben war? Berechtigten Grund zur Sorge musste Karl nicht haben, seine Popularität in Böhmen war immer schon sehr hoch, und doch blieb eine gewisse Restunsicherheit. Die größte Herausforderung bestand zunächst darin überhaupt unbeschadet nach Böhmen zu gelangen. Ludwig IV. lauerte im Raume um Frankfurt und versperrte ihm den direkten Weg. Fortlaufend beschattet, war Karl gezwungen einen Umweg über das Elsass und Schwaben zu nehmen, wo es ihm gelang die Verfolger abzuschütteln.  Von hier begab er sich nach Nürnberg, um von dort auf direktem Weg über Eger nach Prag zu gelangen, das er Anfang des Jahres 1347 glücklich erreichte. Das Volk empfing seinen König, seinen böhmischen König, mit aufrichtiger Freude und in zuversichtlicher Erwartung. Die ihm entgegengebrachte Zuneigung veranlasste Karl zu großherzigen Zugeständnissen gegenüber Adel, Klerus und Bürgerschaft.

Karl gewann schnell einen zufriedenstellenden Eindruck, in Böhmen standen die Dinge beim Besten. Die vielfältigen Maßnahmen während seiner wiederholten Statthalterschaft brachte nicht nur im Land Früchte hervor, es bescherte dem neuen König von Böhmen jenen hohen Vertrauensvorschuss, auf den er seine weitere Haus- wie Reichspolitik aufbauen konnte. Die Krone Böhmens war sicher, die Krone des Reichs galt es aber erst noch durchzusetzen. Im Bewusstsein das böhmische Königreich für den Augenblick in gut bestelltem Zustand zu wissen, verließ er schon nach etwas mehr als einer Woche das Land wieder.

Karl hatte die erlittene Schmach des Bruders in Zusammenhang mit Tirol nicht vergessen. Nicht ohne Eigennutz wollte er dem Bruder und damit dem Hause Luxemburg die strategisch wichtig gelegene Grafschaft zurückholen. Im Grunde konnte er Tirol aber nur durch einen Militärschlag brutal annektieren, denn rechtlich hatte nur Erbgräfin Margarete ein Recht auf Tirol, nicht ihr ehemaliger Ehemann, Johann Heinrich. Die resolute Fürstin warf  den verhassten Ehemann bekannterweise buchstäblich aus dem Land und verband sich durch die umstrittene Heirat mit des Kaisers ältestem Sohn, dem Markgrafen von Brandenburg, mit den Wittelsbachern. Wie Karl nach einer erfolgreichen Eroberung den Besitzstand Tirols an den Bruder übertragen wollte ist ungeklärt, doch soweit war man ohnehin längst nicht. Mit einem in Böhmen aufgestellten Heer konnte er nicht nach Tirol ziehen, keines der Anrainerterritorien hätte einen Durchmarsch zugelassen, am wenigsten natürlich die Wittelsbacher und auch nicht die Habsburger. Doch kam aus einer anderen Richtung eine Möglichkeit. Sein Gönner, Papst Clemens VI., hatte mit Mailand ein Bündnis geschlossen. Bislang war die lombardische Metropole tief mit den Luxemburgern verfeindet. Der Papst hatte mit Mailand ein Bündnis gegen den ihm gefährlich gewordenen römischen Emporkömmling Cola die Rienzo (1313 – 1353) geschmiedet. Für Karl hatte diese Verbindung den  nützlichen Nebeneffekt, dass er wegen seinem innigen Verhältnis zum Papst vom mächtigen Mailand vorerst nichts zu befürchten hatte. Er konnte nicht nur von der Lombardei aus operieren, sondern dort auch Streitkräfte anwerben um so gegen Tirol vorgehen von Süden kommend vorzugehen. Die Gelegenheit war ausgesprochen günstig, weswegen es Karl auch drängte, denn der Gemahl Margaretes, Ludwig der Brandenburger, befand sich mit seinen Truppen in Litauen und kämpfte an der Seite des Deutschen Ordens. Karl glaubte dadurch leichteres Spiel zu haben, ging aber trotzdem vorsichtig taktierend vor. Sein erstes Ziel führte ihn nach Wien, um dort Herzog Albrecht zu treffen, dann weiter nach Ungarn, wo er sich mit seinem Schwiegersohn, dem König von Ungarn absprach. Er hoffte mit beiden ein Bündnis schließen zu können, ja selbst nur ein Nichtangriffspakt hätte ihm völlig gereicht, doch gaben ihm beide eine Absage. Er reiste ergebnislos wieder nach Böhmen um seinen Zug nach Italien zu planen. Kaiser Ludwig seinerseits war erfolgreicher, er verabredete in Passau eine Dreierallianz mit Österreich und Ungarn wider den böhmischen König und Usurpator der römisch-deutschen Krone. Eine gefährliche Entwicklung die Karl zwang seine Tiroler Pläne für den Augenblick zurückstecken. Die Risiken und Unwägbarkeiten waren zu groß und die Gefahr einer gemeinsamem Intervention der drei verbündeten Mächte war zu ernst.

Im Rücken den erwähnten Bund, schrieb der Kaiser einen Brief an Karl um ihn zum Verzicht auf die Krone des Reichs zu bewegen. Das Schreiben lautete wie folgt: „Wir wundern uns sehr, ja Wir müssen über dein unbesonnenes Unternehmen laut in Gelächter ausbrechen, dass du nämlich die Würde, welche Wir bekleiden, wie ein Mensch ohne Füße und Augen, anzukleiden dich unterstandest. Achtest du etwa die kriegerischen Fürsten, und die unzählbare Menge des auserlesensten Kriegsvolkes, womit unser Hof umgeben ist, für nichts?  Wir ermahnen dich auf das Ernsthafteste, den begangenen Fehltritt zu verbessern, und Unsere kaiserliche Milde, Gnade und Vergebung, so lange es noch Zeit ist, anzuflehen, welche Wir, aus angeborener Güte, dir zu ertheilen geneigt sind. Wenn du aber in deiner abscheulichen Narrheit verharrest, so werden Wir aus dem Schlaf erwachen, und deine eingebildete Macht, wie ein irdenes Gefäß, zertrümmern, und wie die Sonnenstäubchen in Nichts verwandeln.“

Der Kaiser legte es auf einen bewusst provokanten Ton an, er wollte ihn aus der Reserve locken und hoffte Karl würde darauf anspringen und ihn vielleicht sogar militärisch in seinen bayrischen Kerngebieten angehen, was die beiden Verbündeten auf den Plan gerufen hätte. Hinsichtlich einer offensiven Vorgehensweise waren beide umgekehrt wenig geneigt gegen Karl vorzugehen. Er ließ sich aber nicht in eine Falle locken, sandte seinerseits einen ähnlich gehaltenen Brief als Antwort und wartete ab. Mittlerweile war Mitte Februar und Ludwig IV. hatte außer Drohungen und Provokationen noch keine unmittelbaren Maßnahmen gegen Karl unternommen, womit der Sitzkrieg weiter ging. Die fehlende konkrete Initiative des Kaisers, mal abgesehen vom schmieden großer Allianzen, bleibt schwer zu begreifen. Als plausible Erklärung kommt uns nur eine Begründung in den Sinn. Der Kaiser suchte mit zunehmender Verzweiflung die Aussöhnung mit der Kirche und die Lösung vom Bann. Es war ihm ziemlich bewusst, dass ein militärisch offensives Vorgehen gegen den päpstlichen Günstling sein Verhältnis zum Papst weiter zerrütten würde. Ludwig IV. gab sich augenscheinlich der illusorischen Annahme hin, es könnte für ihn noch eine Versöhnung mit dem Heiligen Stuhl geben.

Karl blieb in dieser, was den Thron betraf, für ihn ungewissen Zeit nicht untätig und nutzte die Zeit um überfällig gewordene Regentschaftstätigkeiten vorzunehmen. Eine für die weitere Entwicklung seiner Residenz von größter Bedeutung nahm er in Prag vor. Die Stadt war unter König Johann kontinuierlich gewachsen und hatte innerhalb seines historischen Stadtkerns die Grenzen des Wachstums erreicht. An diesem Aufschwung hatte Karl bereits einen gehörigen Anteil in den Jahren seiner wiederholten Statthalterschaft, während der Vater außer Landes tätig war. Mit der Gründung der Prager Neustadt legte Karl den formalen Grundstein zur weiteren Entwicklung Prags zu einer echten Metropole. Die Gründungsurkunde ist datiert auf den 1. April 1347 und zu Burg Pürglitz ausgestellt, wo Karl das Osterfest feierte.


Karl wütet in Tirol

Nach Ostern machte er sich nun doch von Böhmen aus auf den Weg nach Tirol. Die Bedrohung die von der unheilvollen Dreierallianz des Kaisers ausging, erwies sich bislang als ein zwar brüllender aber nach Taten zahnloser Löwe. Es war trotzdem angebracht vorsichtig vorzugehen und nicht offen zu reisen. In Begleitung von nur drei engvertrauten Personen gelangte er unerkannt, als Kaufmann verkleidet, nach Trient, während ihn die Gegner weiterhin in Böhmen vermuteten. In Trient regierte Karls alter mährischer Kanzler, Nikolaus von Brünn, der dort seit 1338 als Bischof residierte. Karl fand hier eine sichere Ausgangsbasis für weitere Aktionen, sowohl nach Norden wie nach Süden. Hier empfing er in den letzten Apriltagen Abordnungen des Papstes und des französischen Kronprinzen Johann, mit dem er das schon vorhandene Bündnis des bei Crécy gefallenen Vaters erneuerte.

Im Laufe des Mai schloss Karl die Aufstellung eines immerhin ansehnlichen Heeres ab und wandte sich damit als erste Maßnahme nach Südosten, gegen die Städte Feltre und Belluno, die er schon einmal dem Markgrafen von Skala weggenommen hatte und seinerzeit einem seiner Getreuen übergab, dann aber wieder verloren gingen. Beide Orte fielen rasch, worauf er nach Norden schwenkte, ins Innere Tirols und Meran einnahm sowie Bozen schrecklich verheeren ließ. Überhaupt hinterließen seine Truppen ein Bild der Verwüstung im Süden der Grafschaft. Sein nächster Schlag richtete sich gegen die Burg Tirol, wo Gräfin Margarete residierte. Sie war auf das Eintreffen seiner Truppen vorbereitet und hatte sich mit ausreichend Truppen und Lebensmittel mutig in der Burg verschanzt, statt nach Norden, nach Innsbruck oder gleich zum kaiserlichen Schwiegervater zu flüchten. Margarete von Tirol war von hartem Holz geschnitzt und eine eiserne Regentin des väterlichen Erbes, zumindest dem Teil, was vom gewaltigen Nachlass an sie gegangen war, nämlich die Grafschaft Tirol.
Karl begann mit der Belagerung, musste aber bald abbrechen, denn von Norden, durch das Inntal kommend, rückte der Kaiser mit eilig zusammengerufenen Truppen zum Entsatz heran. Karl trat ihm entgegen, schlug ihn in mehreren Kleingefechten und drängte ihn , ohne dass ein entscheidender Schlag gesetzt wurde, nordwärts wieder aus der Grafschaft. Mittlerweile war Juni und der aus dem Baltikum zurückgekehrte Ludwig von Brandenburg, des Kaisers ältester Sohn und Margaretes Ehemann, übernahm die Führung im Kampf gegen Karl. Es folgten eine Vielzahl von Scharmützeln, in denen mal die eine, mal die andere Seite Sieger blieb doch weiterhin konnte keiner der Kontrahenten eine Entscheidung ausfechten. Das Land litt weithin unter den Kriegshandlungen. Die Gegenden die von den  Truppen beider Seiten durchzogen wurden, erlebten schwere Plünderungen und Verwüstungen. Für Karl war die Situation langfristig die schlechtere. Der Bischof von Trient, Nikolaus von Brünn, war seine einzige sichere Basis, sonst war er weitestgehend von Böhmen abgeschnitten, wie auch von der Grafschaft Luxemburg, die als Erbe aus dem Nachlass des Vaters ohnehin an seinen Halbbruder Wenzel gegangen war und über deren Ressourcen er somit nicht verfügen konnte. In der prekärer werdenden Lage wusste er sich jetzt nicht mehr anders zu helfen, als einen Kurier nach Böhmen zu schicken, mit dem dingenden Auftrag ein Verstärkungsheer zu schicken. Seine dortige Administration ließ ihn nicht im Stich, folgte dem Ruf und rückte mit einer in größter Eile zusammengestellten Schar auf direktem Weg, durch Bayern ziehend, ihrem König entgegen. Noch in Niederbayern wurde das zu schwache und schlecht geführte Kontingent gestellt und abgedrängt, so dass sie wieder nach Böhmen zurückzogen, eine Spur der Verwüstung und Brandschatzung hinterlassend. Des Kaisers Verbündete in Wien und Ungarn rührten sich derweil nicht, Karl hatte sie völlig richtig eingeschätzt, weswegen er den Tiroler Feldzug überhaupt erst wagte. Sie beriefen sich darauf, dass der Kampf in und um Tirol eine familiäre Angelegenheit wäre, noch dazu zwischen des Kaisers Sohn und Karl und nicht gegen den Kaiser und das Reich selbst gerichtet.

Markgraf Ludwig von Brandenburg, Graf von Tirol, Herzog von Bayern, war von diesem böhmischen Einfall nach Bayern höchst alarmiert. Er rechnete damit, dass Karl mit seinen schwachen Restkräften, außer dass er weiter plündernd durch Tirol zog, nichts weiter anrichten konnte, weswegen er sich vom Feind löste und nach Bayern zog, um das Land gegen weitere, von ihm vermutete böhmische Einfälle zu decken.

Wenn Karl auch die Passivität Österreichs und Ungarns richtig vorhersah, so bewies er hinsichtlich seines Tiroler Abenteuers erheblich geringere Voraussicht Es wurde zunehmend zur Realität, dass Tirol vielleicht erobert, aufgrund der exponierten Lage aber dauerhaft nicht von ihm gehalten werden konnte, nicht so lange die Wittelsbacher und die Habsburger einträchtig miteinander verkehrten und in Oberitalien kein potenter Verbündeter existierte. Als schließlich noch Bischof Nikolaus von Brünn im gleichen Jahr starb, war der Moment der Wahrheit endgültig gekommen. Karl verpfändete die wenigen noch gehaltenen Orte, darunter die Städte Belluno und Feltre und zog sich, abermals einmal eine Schneise der Verwüstung hinterlassend, für immer aus Tirol zurück.

Bruder Johann-Heinrich sollte mit Mähren, seiner eigenen Markgrafschaft, entschädigt werden. Dies war gemäß der väterlichen Disposition ohnehin so vorgesehen gewesen, von Karl bislang aber nicht umgesetzt worden. In der Anweisung des väterlichen Testaments erkennen wir Karls hauptsächliches Motiv für seinen Tiroler Feldzug. Karl gefiel der Gedanke ganz und gar nicht, die reiche Markgrafschaft Mähren an den Bruder abtreten zu müssen, noch weniger, weil ja schon die Grafschaft Luxemburg, Stammland und namensgebende Region ihres ganzen Hauses, ihm nicht mehr zur Verfügung stand. Dem Bruder Tirol wiederzuverschaffen, wäre ihm aus so vielerlei Gründen angenehmer gewesen, denn es hätte ihm Mähren erhalten und gleichzeitig den Luxemburgern die wichtigen Alpenpässe verschafft, um vielleicht wieder, in näherer oder ferner Zukunft, in Oberitalien das Glück zu versuchen. Zu alledem wäre den Wittelsbacher Rivalen die strategisch wichtig gelegene Grafschaft entrissen worden. Allein, es war nicht zu bewerkstelligen.

Bis Bruder Johann-Heinrich schließlich, dem testamentarischen Wunsch des Vaters entsprechend, Mähren erhielt, sollten noch mehr als zwei Jahre vergehen. Die Markgrafschaft wurde in dieser Zeit noch um einige Gebiete beschnitten, die direkt unter die Krone Böhmens kamen und damit unter Karls Kontrolle.

Die Tiroler Episode, der Umgang mit dem leiblichen Bruder im Hinblick auf dessen mährisches Erbe, die Verzögerung der Übergabe, die zusätzliche Beschneidung dieser Markgrafschaft und damit Minderung des brüderlichen Erbes, die Missgunst hinsichtlich des Halbbruders, der die luxemburgischen Stammlande als Erbe erhalten und im Gegensatz zu Johann-Heinrich auch zügig in Besitz genommen hatte, bevor Karl auch hier hätte tätig werden können,  die ausgeprägte Neigung Dinge im Verborgenen zu tun, gleich ob Königswahl, ob Reisen durch oder entlang verfeindeter Gebiete, die große Vorsicht, fast Übervorsicht in dieser Angelegenheit aber auch das ausgeprägte Geschick in administrativen Dingen, nebst vielen anderen Aspekten, zeichnen das Bild eines vielschichtigen, mit allerlei Talenten bedachten Zeitgenossen, der auf politischer Ebene zur Erweiterung der eigenen Machtbasis sorgsam, zugleich skrupellos abwägt und entscheidet.


Krönung zum König von Böhmen

Ende August 1347 war Karl wieder in zurück in Böhmen und hielt sich in Prag auf. Er musste zuvor den langen Umweg über Aquilla nehmen, wo er sich einschiffte um nach Dalmatien überzusetzen um von dort aus den Landweg durch Ungarn in sein Königreich zu nehmen. Er hatte viel zu große Sorge irgendwie dem Kaiser bzw. dessen energischem Sohn in die Hände zu fallen, weswegen er nicht den kürzesten Weg  durch Bayern wagte, auch nicht durch Österreich.

Offiziell war er seit dem Tod des Vaters auf dem Schlachtfeld von Crécy König Böhmens und den damit verbunden Landschaften der Lausitz, Mährens und Schlesiens. Anlässlich eines noch vom damaligen König Johann einberufenen Landtags wurde die spätere Nachfolge geregelt und Karl von den versammelten Ständen zum designierten Nachfolger gewählt, so dass es nach Johanns Tod zu keiner Thronvakanz kam. Was jetzt noch blieb, war das offizielle Zeremoniell als symbolischen Ritus der Thronbesteigung zu zelebrieren. Bei der Krönungsfeier zum römisch-deutschen König fiel die Prachtentfaltung äußerst bescheiden aus. Die Situation um den allgemeinen Thronstreit mit dem Kaiser, die fehlenden Reichsinsignien, der falsche Ort in Bonn, der nicht dem traditionellen Krönungsort entsprach, ließ nur wenige Teilnehmer überhaupt erscheinen und allgemein keine aufwendige Feierlichkeit zu. In seinem eigenen Königreich wollte er die Besteigung des böhmischen Throns mit allen zu Gebote stehenden Mitteln gebührend begehen. Er ließ eine überaus prachtvolle Krone anfertigen, zusammen mit einem Zepter und einem Reichsapfel. Aufbewahrt sollten sie im Veitsdom werden, in einem eigens dazu besonders prunkvoll hergerichteten, dem böhmischen Nationalheiligen Wenzel geweihten Raum. Wenn auch die Arbeiten am Dom natürlich noch nicht abgeschlossen sein konnten, die umfangreichen Umbau- und Erweiterungsarbeiten wurden schließlich erst vor rund drei Jahren begonnen, war dieser Raum, ganz nach den Anweisungen Karls, zwischenzeitlich fertiggestellt worden.

Die Krönung wurde auf den 2. September 1347 festgestzt. Er ließ das Datum auch außerhalb Böhmens bekanntmachen, in der Hoffnung hieraus auch Kapital bezüglich der Akzeptanz seiner Wahl zum römisch-deutschen König zu schlagen. Tatsächlich fanden sich aber von den Großen des Reichs nur der Kurfürst von Sachsen, Herzog Rudolf und Sohn ein. Daneben die Bischöfe von Meißen und Lübeck, sowie einige reichsunmittelbare Grafen. Aus Frankreich war kein Vertreter der königlichen Familie gekommen und auch nicht vom ungarischen Hof, mit dem man, trotz der Verschwägerung, aufgrund der kaiserlichen Dreierallianz, in latentem Kriegszustand war. Nur die direkten Vasallen Karls kamen in großer Zahl. Der böhmische und mährische Hochadel und Klerus war komplett anwesend, ferner die von Böhmen abhängigen schlesischen Herzöge. Die Zeremonie war minutiös geplant und entsprach ganz den Neigungen Karls, der schon als Kind am französischen Hof, die dortige Prachentfaltung als Ideal eines königlichen Selbstverständnisses sah. Seine damalige Prägung hatte den allergrößten Einfluss auf spätere Bauprojekte, wie auch auf seinen allgemeinen Habitus als Monarch.

Wir wollen in groben Zügen die Geschehnisse des Vortags, und am Krönungstag dokumentieren.

Samstag 1. September 1346:

Eine Abordnung des böhmischen, mährischen und schlesischen Adels sowie der Kirchenfürsten des Landes, trat in einem symbolischen Akt vor den König und baten, gemäß Inhalt einer von Clemens VI. ausgestellten Bulle, sich zu ihrem König krönen zu lassen. Salbung und Krönung nicht wie die Vorgänger durch den Mainzer Erzbischof, sondern durch den Metropoliten von Prag vornehmen zu lassen. Zugegen waren auch Vertreter der sogenannten Vladiken, des böhmische Freibauernstands, den es im Gegensatz zum deutschsprachigen Reichsteil, noch in großer Anzahl gab. Sie waren berechtigt Waffen zu tragen, ein Privileg das im gesamten Reich Ausdruck des Freistandes war. Im Kriegsfall waren sie zur Heerfolge und Landesverteidigung verpflichtet, gleich dem freien Ritterstand und Hochadel. Über die gestellte Szenerie mag man sich heute wundern, sie als theatralisches Theater abtun, doch war es für das mittelalterliche Selbstverständnis eines auf Wahl beruhenden Königtums von großer Bedeutung. Symbolhandlungen wie diese waren ein fester Teil des Rituals und eine nach außen sichtbare Darstellung von Macht und Würde eines Monarchen.

Karl erließ einen Majestätsbrief, der die päpstlichen Anordnung nochmal von weltlicher Seite her verordnete. Darin wurde festgehalten, dass fortan nur der Erzbischof von Prag die Krönung vornahm und in welcher Weise dies zu geschehen habe. Als Ausdruck der Wichtigkeit, wurde die Urkunde mit einem goldenen Siegel, einer goldenen Bulle versehen, wie sie nur inhaltsschwere Schreiben erhielten.

Im Anschluss begab sich Karl auf die Prager Hochburg, den Wissehrad oder Wyschehrad (tsch. Vyšehrad), zur Andacht in die dortige Hofkirche. Hierauf wurde er wieder zurück in die Schlosskirche, das heißt in den Veitsdom gebracht, wo er der Vesper beiwohnte und abschließend in großem Zug vom Adel und Klerus zu den königlichen Zimmern geleitet wurde.

Sonntag 2. September 1347:

Am Morgen der Krönung begab sich Erzbischof Ernst von Prag, in Begleitung seiner beiden Suffraganbischöfe und weiterer Vertreter des Klerus, in das königliche Gemach. Der König lag in vollem Ornat auf dem Prachtbett. Um ihn postiert standen die höchsten böhmischen Beamten, der Landeskämmerer Jost von Rosenberg, der Landesrichter Andreas von Duba, der Landesmarschall Heinrich von Lippa, der Lehnsrichter Hinko von Waldstein und der Burggraf zu Prag HeinrichBerka von Duba.

Erzbischof Ernst trat an das Bett heran, hüllte den König in Weihrauch und besprengte ihn mit Weihwasser, bevor er ihn an den Armen emporhob und von je einem Bischof rechts und links zur Schlosskirche geleiten ließ. Voraus gingen die genannten Landesobristen, Krone, Zepter, Reichsapfel und Schwert tragend. Ihnen allen voran schritt der Landeskämmerer mit einem Stab in der Hand, um den Weg anzuzeigen. Es folgte eine Prozession des Hochadels, der sich dem Zug zur Kirche, unter dem Geläut aller Glocken Prags, anschloss. Im Dom wurden die königlichen Insignien auf dem Hochalter niedergelegt und Karl nahm auf einem vorbereiteten Thron platz, die höchsten Würdenträger aus Klerus und Adel rechts und links von ihm. Nach Gebeten und zwei kurzen Predigten, die erste an den Klerus, die zweite an den Adel gerichtet, trat der Erzbischof vor Karl und verlas die vorbereitete Eidesformel in Form einer zeremoniellen Befragung. Zum Abschluss drehte er sich zum versammelten Adel, Klerus und Volk und fragte, „Wollt ihr dem Fürsten Karl für euer Oberhaupt und euren König anerkennen und ihm Gehorsam leisten?“, worauf ein dreifaches, „Radi, radi, radi“, erscholl, „Gerne, gerne, gerne“. Es folgten Gebete der anwesenden Bischöfe und Gesang, woran sich in der Lithurgie das Hochamt anschloss, mit dem Verlesen der Epistel, Auszüge aus den Apostelbriefen. Zwei Äbte bereiteten derweil das Salböl vor und reichten es nach Abschluss der Lesung dem Erzbischof. Unter Salbung des königlichen Hauptes, der Arme und Schultern sprach er die vorgegebene Formel, „Ich salbe dich zum König mit dem heiligen Öle, im Namen, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“. Er segnete das königliche Gewand und zog es dem König an, salbte danach dessen Hände und legte ihm den Königsmantel um. Stets jeden Teil unterbrochen durch ein kurzes Gebet, gürtete er ihn mit dem Reichsschwert, steckte ihm einen Ring an den Finger und legte ihm das Zepter und den Reichsapfel in die gesalbten Hände. Zuletzt wurde die Krone gereicht und Erzbischof Ernst setzte sie dem König als zeremoniellen Höhepunkt auf das Haupt. Nach alledem wurde er vom Altar, wo er alle königlichen Insignien empfangen hatte, zurück zum Thron geführt. Hier gab er, königlich gewandet, gegürtet und gekrönt, das Gelöbnis an seine Untertanen ab: „Ich bekenne und verspreche, vor Gott und seinen Engeln, jetzt und in allen zukünftigen Zeiten, die Heilige Schrift, die Gerechtigkeit und den Frieden der heiligen Kirche Gottes und meiner Untertanen, nach Möglichkeit und Gewissen handzuhaben und auszuüben. Bei der Verwaltung des Königreiches meine Getreuen zu Rate zu ziehen, den Bischöfen und der heiligen Kirche alle gebührende Ehrerbietung zu zeigen und was den Kirchen von Königen und Kaisern gegeben wurde, zu erhalten. Ich gelobe auch, dass ich den Äbten, Herren, Rittern und Vladiken mit Achtung begegnen werde, so wie mir meine Getreuen anraten werden. Amen.“.

Karl war nunmehr ordentlich gewählter, gesalbter und gekrönter König Böhmens, Mährens, Schlesiens und der Lausitz.

Nach dem geschilderten Krönungsakt, war seine Frau Blanka Margarete an der Reihe. Auch sie wurde in gleicher Weise gesalbt, erhielt einen Ring, ein Zepter und bekam eine Krone aufs Haupt gesetzt. Nach Abschluss des Zeremoniells wurde sie von einer Äbtissin zum Thron geleitet und die Messe mit weiteren Lesungen aus der Schrift sowie symbolischen Opferleistungen des königlichen Paars fortgesetzt. Es folgte die Eucharistiefeier, abgeschlossen mit der Einnahme des symbolischen Leib Christi und seines Blutes, in Form von Brot und Wein.

Mit Beendigung der Messe begaben sich alle in die Prager Altstadt, die sogenannte große Stadt und stiegen im dortigen Rathaus ab. Auf dem öffentlichen Palast, vor der Sankt Gallus Kirche, war ein hölzernes, offenes Gebäude erbaut worden, wo das Herrscherpaar mit den Gästen zur Tafel saß. Die Ritterschaft bediente die Tafel zu Pferde, was ein Hinweis auf die Größe des Gebäudes gab. Ausklang nahm der Tag mit Turnieren und allerlei Spielen, Tanz und Zeitvertreib.

Karl zelebrierte seine Krönung völlig im Einklang mit seinen diesbezüglichen Ansprüchen. Dem versammelten Adel, Klerus und Volk führte es eindrucksvoll die Größe ihres Königs und des böhmischen Königreichs vor Augen. Die Kosten hierfür waren enorm und man darf nicht annehmen, dass Karl, der ja gerade erst von seinem endgültig missglückten Tirolfeldzug zurückgekehrt war, die Aufwände aus Ersparnissen bezahlt hätte, auch wenn durch die Verpfändung einiger verbliebener Tiroler Städte immerhin die gröbsten Kosten des Abenteuers gemildert wurden. Er lieh sich das notwendige Geld zur Feier selbstverständlich und musste entsprechend einiges verpfänden oder sogar ganz veräußern. Da Handel und Gewerbe in Böhmen im Aufschwung waren, die baulichen Maßnahmen in und um Prag fortwährend auch einen Zufluss von Geldern in die landesherrlichen Kassen brachten, war Karl für gewöhnlich in der Lage nach einiger Zeit die verpfändeten Güter oder Regale wieder einzulösen. Vielen fürstlichen Zeitgenossen gelang dies in Ermangelung ausreichender wirtschaftlicher Basis nicht in annähernd gleicher Weise.


Der Kaiser stirbt

Karl hielt sich nach der Krönung rund einen Monat in Prag auf und genoss die hohe Popularität beim böhmischen Volk. Vielleicht gelang es ihm für einige Zeit die Last der schwebenden Thronfrage im Heiligen Römischen Reich zur Seite zu schieben, doch schwerlich für lange. Im Laufe des Septembers ordnete er das Zusammenziehen eines Heeres in Taus (tschech: Domažlice) in bayrischer Grenznähe liegend, an. Er wollte die Initiative ergreifen und dem Kaiser zuvorkommen. Dieser sammelte seinerseits überall Verbündete gegen den anmaßenden Räuber des römisch-deutschen Throns. Bevor sich eine unüberwindbare Allianz gegen ihn verschworen hätte, wollte Karl einen heftigen Schlag ins Herz der kaiserlichen Kernlande wagen. Die Erfahrungen aus dem letzten, wenn auch kurzen Feldzug gegen Niederbayern, damals mit nur unzureichenden Kräften, als er selbst noch in Tirol stand, machten ihn zuversichtlich. Sehr wahrscheinlich konnte er durch einen kühn geführten Angriff die Verbündeten Ludwigs abschrecken, dessen bisherige Allianzpartner, Herzog Albrecht von Österreich und König Ludwig von Ungarn, noch keinerlei Anstalten machten ihm aktiv beizustehen. Bei einem erfolgreichen böhmischen Heerzug würden sie aller Voraussicht nach, aus Sorge um die eigenen Ländereien, in der Defensive bleiben, so Karls Annahme.

Am 13. Oktober traf Karl im Heerlager bei Taus ein. Er hatte seinen Bruder während seiner Abwesenheit zum Statthalter Böhmens bestellt und machte sich selbst auf einen längeren Krieg gefasst. Vor Ort angekommen, erwartete ihn die Nachricht, dass Ludwig IV. zwei Tage zuvor, am 11. Oktober 1347, während einer Bärenjagd einen Schlaganfall erlitt und noch an Ort und Stelle verstorben war. Welche Gedanken ihm darauf durch den Kopf gingen, ist nirgends festgehalten. Vielleicht erinnerte er sich an Auszüge des päpstlichen Bannbriefs wider den Kaiser, von vor einem Jahr, wo diesem in vielfältigen Flüchen von Clemens VI. der Tod herbeigewünscht wurde. Was immer er gedacht oder gefühlt haben mag, ob Genugtuung oder Erleichterung, der unerwartete Tod löste für den Augenblick die Thronfrage im Reich ohne Blutvergießen.

Karl war sich hinsichtlich des weiteren Vorgehens unschlüssig. Sollte er dennoch nach Bayern einmarschieren, um Ludwigs Söhnen, allen voran dem ältesten und gleichnamigen Sohn zu Leibe rücken? Er verblieb für einige Tage im Zustand des Abwägens. Die Entscheidung wurde ihm schlussendlich durch die eintretenden Umstände erleichtert. Unter den angeworbenen Truppen machte sich Unruhe breit, viele fürchteten der Krieg bliebe aus und somit die Aussicht auf Beutegut. Karl musste sich sorgen sie könnten bald auseinanderlaufen, ohne dass er einen effektiven Streich gegen Ludwig den Brandenburger geführt hätte und dann ohne Truppen dastehen. Aus dieser Situation heraus entschied er sich zum präventiven Schlag. Wider Erwarten traf er auf keinen Widerstand, worauf sich seine Kriegsknechte mit den wüstesten Plünderungen und Verheerungen einen fragwürdigen Namen machten. Er musste fürchten, dass sich im Reich herumspräche, er lässt ein sich nicht zur Wehr setzendes Fürstentum auf fürchterliche Weise heimsuchen, noch dazu, wo die Person, gegen die er ursprünglich zu Felde zog, nicht mehr lebte. Sein Ruf als Reichsoberhaupt würde beschädigt, noch bevor er überhaupt eine feste Stellung erlangte. Dem Treiben der marodierenden Söldner musste dringend ein Ende gesetzt werden. Seinen untergebenen Anführern gab er die Order, mit dem Großteil der Truppen zurück nach Böhmen zu ziehen und dort auf weitere Weisungen zu warten. Selbst zog er in relativ kleinem Kriegsgefolge erst nach Straubing und dann weiter in die Reichsstadt Regensburg, wo man ihn mit allen Ehren als den König und Oberhaupt des Reiches empfing. Es zeichnete sich der Anfang eines Paradigmenwechsels unter den Reichsstädten ab, jenen reichsunmittelbaren, nur dem Reichsoberhaupt unterstellten Inseln innerhalb der Ländereien der Territorialfürsten, Abteien oder Bistümer. Als Zentren von Handel und Handwerk waren die Reichsstädte wichtige Einnahmequelle für die königliche- bzw. kaiserliche Kasse, gleichzeitig starke Gegengewichte zu den immer autonomer agierenden Landesfürsten und damit ein wertvolles Balanceinstrument imperialer Innenpolitik.

Die Frage nach der tatsächlichen Haltung der Reichsstädte, zumal der großen und wichtigen, konnte am besten in Nürnberg beantwortet werden. Nürnberg war spätestens seit Beginn des vierzehnten Jahrhunderts zur einflussreichsten Reichsstadt im süddeutschen Reichsteil geworden. Karl zog von Regensburg nach Norden um sich dieser Stadt zu vergewissern.


Nürnberg und seine Burggrafen

Nürnberg stand lange im Schatten der einflussreicheren Stadt Fürth, gewann aber unter der Verwaltung der Burggrafen aus dem Hause Zollern, seit dem späten vierzehnten Jahrhundert Hohenzollern genannt, zunehmend an Bedeutung. Da das Haus Zollern, bzw. Hohenzollern für viele Generationen eng mit Nürnberg verbunden war und sie im Laufe der Zeit in Unter- und Oberfranken zu einflussreichen Territorialfürsten wurden, ist es angemessen hierzu noch einige ergänzende Anmerkungen zu machen.

Das burggräfliche Geschlecht der Hohenzollern stammt ursprünglich aus Schwaben, wo sie mit der gleichnamigen Burg ihren Stammsitz am nördlichen Ausläufer der schwäbischen Alb haben. Als frühe Parteigänger des ebenfalls schwäbischen Kaisergeschlechts der Staufer, blieben sie bezüglich kaiserlicher Dank- und Gunsterweisungen zwar hinter Häusern wie den Wittelsbachern oder dem jüngeren Zwei der Askanier, doch wurden ihnen nichtsdestotrotz im schwäbischen Raum eine Reihe von Privilegien zuteil. Da wir an dieser Stelle nicht die ganze Geschichte dieser Dynastie wiedergeben wollen, springen wir in das Jahr 1184. In diesem Jahr heiratete Friedrich III.,Graf von Zollern, mit Sophia von Raabs, die Erbtochter des Nürnberger Burggrafen Konrad II. von Raabs. Als Konrad 1191 ohne männlichen Erben starb, ging die Burggrafschaft an seinen Schwiegersohn Friedrich über, der nun als Friedrich I. von Nürnberg-Zollern, der erste Nürnberger Burggraf aus dem Geschlecht der Hohenzollern wurde. Mit dem Amt eines Burggrafen, was letztendlich nur eine Art hoher Reichsbeamter darstellte, waren gleichzeitig das Erbe einiger territorialer Erwerbungen im fränkischen Raum verbunden, wie auch in Niederösterreich, der ursprünglichen Heimat der Raabs. Als Graf von Zollern und Burggraf von Nürnberg waren nun weit auseinander liegende Gebiete zu verwalten. Nach dem Tod der Mutter, nahmen die beiden Brüder Konrad und Friedrich 1218 eine Teilung des Besitzes vor. Es entstanden die fränkische – und die schwäbische Linie, wobei der ältere Konrad sich das fränkische Gebiet vorbehielt und Friedrich die schwäbischen Stammlande zukamen. Beide Linien entwickelten sich fortan weitestgehend getrennt voneinander. Schon unter Konrads Administration erlangte Nürnberg große Autonomie, als Kaiser Friedrich II. im Großen Freiheitsbrief die Stadt reichsunmittelbar machte. Für die fränkischen Hohenzollern bedeutete es eine wesentliche Beschneidung der althergebrachten Verfügungsrechte in der Stadt, was gleichzeitig erhebliche finanzielle Auswirkungen hatte. Konrad grollte dem Kaiser dennoch nicht und blieb ein treuer Anhänger, auch in den schweren Zeiten, als der Kaiser im Kirchenbann lag und ihn sein ältester Sohn Heinrich im Reich bekriegte. Konrad gelang es in seinen Gebieten und damit auch zum besonderen Nutzen Nürnbergs, den Landfrieden zu bewahren, womit Handel und Gewerbe der Stadt aufblühten und das rivalisierende Fürth zwischenzeitlich an Einfluss längst überflügelt wurde. Für Burggraf Konrad sollte sich der zu Beginn schmerzlich einschneidende Nürnberger Freibrief im Nachhinein als eine heilsbringende Zäsur erweisen. Hierdurch konzentrierte er sich fast zwangsläufig vermehrt auf Territorialpolitik, statt auf das eigentliche Burggrafenamt. Durch käuflichen Erwerb, verbunden mit einer effektiven Spar- und Wirtschaftspolitik, vergrößerten sich die Anfangs noch bescheidenen Ländereien nach und nach. Eine wohlwollende Politik des Kaisers brachte darüber hinaus frühzeitig Privilegien an das Haus Hohenzollern, wie sie sonst meist nur bei den großen Reichsfürsten existierten, umgekehrt verschrieben sich Generationen von zollernschen Burggrafen den jeweiligen Häuptern des Reichs als treue Interessenverwalter einer imperialen Politik im fränkischen Raum. Die Treue zum jeweiligen Herrscherhaus, sparsame Haushaltung mit den eigenen Mitteln, stringente Erweiterung des eigenen Territoriums durch Zukäufe und ungewöhnliches Glück in der Hochzeitspolitik, förderte die Nürnberger Burggrafen weiter nach oben. Kein Burggrafengeschlecht in der gesamten mittelalterlichen Geschichte des Heiligen Römischen Reichs sollte sich solch eine Macht und Popularität erarbeiten.

Nürnberg, als freie Reichsstadt, profitierte von der maßvollen, den Landfrieden in der Gegend fördernden Politik der Burggrafen. Es erblühte kolossal und schloss zu den großen Reichsmetropolen Köln, Lübeck und Frankfurt auf. Einige Generationen akzeptierte das fortwährend selbstbewusster werdende Stadtpatriziat den noch verbliebenen Einfluss der Burggrafen auf das städtische Leben, bis es begann offen dagegen zu opponieren. Wir kommen darauf zu gegebener Zeit wieder zurück, und wenden uns jetzt wieder König Karl zu.

Karl IV. reiste also nach Nürnberg um die Huldigung dieser für den gesamten südostdeutschen Raum wichtigen Stadt einzuholen, als ein Signal und Beispiel für alle anderen freien Städte, nicht nur der Region, des ganze Reichs. Vor den Toren angelangt, fand er sie verschlossen, die burggräflichen Brüder Johann II. und Albrecht I. verweigerten ihm den Einlass. Sie waren Söhne Friedrich IV. von Hohenzollern. Jener Friedrich, der für den verstorbenen Kaiser Ludwig bei der Schlacht von Mühldorf durch seine überraschende Reiterattacke in die Flanke des habsburgischen Heeres, mit der Gefangennahme des Gegenkönigs Friedrich dem Schönen, 1322 die Entscheidung brachte und von Amtswegen ein Anhänger des bisherigen Kaisers war. Die große Loyalität zum jeweiligen Reichsoberhaupt ergab sich bei den Hohenzollern aus dem Amt des Burggrafen, das sie zum Schirmherr der Nürnberger Reichsburg machte. Eine tieferer Hang zu dieser oder jener Herrscherdynastie existierte nicht notwendigerweise, wenngleich es  mitunter persönliche Präferenzen gab. Sie dienten offiziell gleichermaßen den Staufern, wie den Habsburgern, den Wittelsbachern oder davor den Luxemburgern. Jetzt, so kurz nach dem Tod des alten Kaisers, waren die beiden Burggrafen unschlüssig wie sie gegenüber dem Luxemburger König verfahren sollten. War er denn ihr König, war seine fragwürdige Wahl überhaupt rechtsgültig? Man stand vor einer schwerwiegenden Frage und es zeigt wie genau es die Amtmänner der Reichsinteressen in diesem Teil Frankens nahmen. Wobei wir ihre selbstlosen Dienste als neutrale Verwalter des Reichs nicht zu hoch loben möchten. Natürlich hatten auch die Burggrafen Sorgen im noch unklaren Thronstreit unter die Räder zu kommen. Wäre Karl mit einem größeren Heer vor die Stadt gekommen, es wäre ihnen sogar lieber gewesen, sie hätten sich ihm vermutlich leichteren Herzens angeschlossen. So aber war die Reaktion der Wittelsbacher Partei, die formell mit dem mächtigen Herzog Albrecht von Österreich und mit Ungarn, sowie einer Anzahl weiterer Fürsten verbündet waren, noch unklar. Welchen echten Zusammenhalt hatte diese Allianz, galt sie auch den Söhnen des Kaisers oder war sie mit seinem Tod hinfällig? Gab es schon neue Absprachen, über die man jetzt noch nicht wissen konnte? Leicht konnten alle errungenen Privilegien der vergangenen fünf Generationen verloren gehen oder empfindlich beschnitten werden. Ein Risiko vor dem die Nürnberger Burggrafen, mehr als andere Reichsbeamte ihrer Art, durch die zunehmende Wichtigkeit Nürnbergs, bei jedem Dynastiewechsel standen. Ihr vergangener Dienst dem Oberhaupt konnte im Falle eines Wechsels schnell das Missfallen des neuen Monarchen wecken. Bislang war es zwar noch immer gelungen den Übergang schadlos zu meistern aber es war keine Garantie für jetzt und die Zukunft.

Karl stellte sich auf freies Feld vor die Stadt und versprach den beiden Brüdern, dass er sie in all ihren Rechten und Freiheiten, so sie ihnen von Königen und Kaisern und vom Reich zugedacht waren, zu schützen. Für die Bürger der Stadt ein Spektakel, dass so noch nicht erlebt wurde. Die Tore der Stadt wurden geöffnet, die Entscheidung war gefallen. Johann und Albrecht traten vor Karl und leisteten ihm mit gebeugtem Knie den uralten Eid, ihm treu und gewärtig zu sein, als einem römischen König Gehorsam zu leisten als ihrem Herren, ihn gegen seine Feinde zu beschützen und beizustehen. Außer jene anwesenden Fürsten, die bei Karls Krönung in Bonn vor Ort waren, waren die beiden Hohenzollern Brüder die ersten Fürsten die Treueeid leisteten. Für Karl war es ein besonders wichtiger Schritt hin zur allgemeinen Anerkennung, er zeigte sich daher auch ungewöhnlich großzügig. Immerhin wäre es eigentlich zu erwarten, dass ein Vasall den Eid ohne weitere Zugeständnisse leistet, tatsächlich hatte es sich aber schon seit der Zeit des Interregnums eingeschlichen, dass sich die Fürsten ihre Treue mit klingender Münze oder sonstigen Zugeständnissen bezahlen ließen. Im Falle eines Thronstreits nahm diese Praxis in geradezu unanständiger, man möchte sagen skrupelloser Weise zu. Wie dem auch sei, er verschrieb den Burggrafen eine Summe von 14.000 Mark Silber, ferner tausend Pfund Silber in Hellern (Halbpfennig ursprünglich aus Hall) aus der Nürnberger Judensteuer. Unnötig zu erwähnen, dass Karl diese Summe nicht in bar zu leisten vermochte, entsprechend verpfändete er den Brüdern die Einkünfte von vier fränkischen Reichstädten. Doch nicht genug, er belehnte sie weiter mit einigen Dörfern, die der verstorbene Kaiser zuvor einem anderen Regionalfürsten gegeben hatte, was im Klartext bedeutete, sie mussten erst ihren zukünftigen Lehnsbesitz dem bisherigen Lehnsträger abringen. Abschließend versprach er ihnen noch ihre Rechte auf eine Reihe von Weg- und sonstigen Zolleinahmen, die sie noch vom Kaiser zugestanden bekamen, gegen die Wittelsbacher Partei zu verteidigen. Summiert man all die Zugeständnisse Karls auf, kann man sich einen Begriff davon ableiten, welche überragende Bedeutung die Lehnstreue der Stadt Nürnberg und der Burggrafen für ihn hatte. Die Hohenzollern dankten es ihm durch zukünftige Loyalität, zumindest meistens, denn es sollten noch Meinungsgegensätze auftreten, die auf Karls Heiratspolitik zurückzuführen waren, auf die wir noch zu sprechen kommen,

Der Stadt Nürnberg selbst wurden ebenfalls zahlreiche Rechte bestätigt und Zugeständnisse erteilt, so unter anderem ihre Reichsunmittelbarkeit, was gerade für die Patrizier, dem Stadtadel, sehr wichtig war, trugen sie doch längst die Sorge, die ambitionierten Hohenzollern könnten sich durch Geschick der Stadt nach und nach erneut bemächtigen.


Das Lager Karls wird größer

Karl blieb den ganzen Monat November 1347 in Nürnberg, fertigte zahlreiche Urkunden aus und vergaß dabei auch nie sein böhmisches Königreich. Der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber, die seit geraumer Zeit immer wieder von lokalen Fürsten bedrängt war, bestätigte er die Freiheiten, stärkte damit ihre Autonomie und gab allen zukünftigen Aggressoren ein klares Signal. Straßburg, das sich noch im letzten Jahr widerspenstig zeigte, gewährte er Zugeständnisse, um die wichtigste elsässische Stadt dadurch für sich zu gewinnen. Am 24. November leisteten ihm die Brüder Graf Eberhard II. (nach 1315 – 1392) und Graf Ulrich IV. von Württemberg (nach 1315 – 1366) sowie die Brüder Friedrich I. von Hohenlohe (vor 1320 – 1352), Fürstbischof von Bamberg und Albrecht II. von Hohenlohe (vor 1320 – 1372), Bischof von Würzburg, den Treueeid und bekamen ihrerseits große Geldsummen angewiesen. Im Falle der Württemberger Grafen waren es 70.000 Gulden und für die Herren von Hohenlohe jeweils 20.000 Gulden. Die Grafen von Württemberg spielten ein doppeltes Spiel.  Sie loteten aus, ob Ludwig der Brandenburger, des verstorbenen Kaisers ältester Sohn, gegebenfalls für ihre Unterstützung noch generöser wäre. Und tatsächlich war dieser bereit sogar 100.000 Gulden zu zahlen, allerdings war der ausgesandte Bote an König Karl früher zurück und so entschieden sie sich für die vermeintlich hohe Summe des Luxemburgers, um sich im Anschluss über die eigene Hast zu ärgern. Gier frisst Geld, sagt der Volksmund.

Anfang Januar 1348 verließ Karl Nürnberg Richtung Westen und begab sich nach Schwaben, wo er u.a. in Schorndorf und Pforzheim allerlei Gnadenbriefe und Urkunden ausstellte. Von hier reiste er weiter ins Elsass und begab sich nach Hagenau, das er am 9. Januar erreichte und wo er zwei Tage verweilte, um anschließend nach Straßburg weiterzureisen. Bischof Berthold von Straßburg, wechselseitiger Parteigänger des verstorbenen Kaisers und dann wieder des Papstes, hatte die Abgesandten der Elsässer Reichsstädte hier versammelt und war bemüht sie von Karl zu überzeugen. Die meisten Vertreter waren skeptisch. Nicht dass sie kategorische Gegner Karls waren, sie fürchteten der Städtebund, der bisher höchst erfolgreich den Landfrieden in der Region garantierte, könnte durch Parteiungen untereinander ernstlich gestört werden. Letztlich konnte Berthold sie überzeugen, nicht zuletzt, weil er und eine Reihe der zum Bund gehörenden Grafen sich in aller Klarheit und freimütig zu Karl bekannten.

Als Karl am 12. Dezember 1347 in die Stadt einritt, wurde er ehrenvoll von den Versammelten empfangen. Der Bischof, der ihm huldigte und als römisch-deutschen König anerkannte, wurde von ihm vor allem Volk auf den Stufen des Münsters mit den Regalien eines fürstbischöflichen Landesherren belehnt. Als besondere Auszeichnung und Schauspiel aller Augenzeugen, trug er dabei Krone, Zepter und Reichsapfel. Anmerkung: Um die originalen Reichskleinodien konnte es sich nicht handeln, diese befanden diese sich zu dieser Zeit noch in den Händen von Kaiser Ludwigs ältestem Sohn Ludwig. Selbstverständlich waren es auch nicht die böhmischen Königsinsignien, da diese außerhalb Böhmens keinerlei symbolische Bewandtnis hatten. Es handelte sich sehr wahrscheinlich um eine relativ einfache Goldkrone, ganz sicher nicht so prachtvoll gefertigt und reich bestückt wie das Original. Mit Sicherheit waren es jene Stücke, die Karl schon bei der Krönung in Bonn benutzte.

Was die skeptischen Städte auf die Linie Karls einschwenken ließ, war sein Versprechen sich beim Papst für sie zu verwenden. Sie standen, weil alle bisher besonders treue und langjährige Anhänger des gebannten Kaisers waren, ebenfalls unter dem päpstlichen Kirchenbann, unter dem Interdikt. Der Zorn der Päpste, begonnen bei Johannes XXII., über Benedikt XII., bis Clemens VI. auf jeden, der es mit dem Wittelsbacher König und späteren Kaiser hielt, hatte teilweise irrationale Züge. Das jeweilige Oberhaupt der Kirche missbrauchte auf eklatante Weise seine Macht zur Durchsetzung politischer Interessen und stürzte auf diese Art während der Regentschaft Ludwigs IV. hunderttausende Menschen in eine seelische Notlage.

Karl hatte schon zeitig nach des Kaisers Tod eine Abordnung nach Avignon gesandt, um die Nachricht vom Ableben Ludwigs zu überbringen, wie auch von den ersten Erfolgen in Nürnberg. Er ersuchte in einer beigefügten Bittschrift um die Vollmacht Bischöfe des Reichs zu autorisieren den päpstlichen Bann gegen jene Städte und Regionen aufzuheben, die wegen ihrer früheren Treue zum Kaiser beim Papst in Ungnade gefallen waren. Allein das Beispiel des Elsass, dessen zahlreiche Reichsstädte alle dem Interdikt unterlagen, zeigte auf drastische Weise die großräumigen Dimensionen. Die Forderungen der jeweiligen Städte waren nahezu gleichlautend, neben der üblichen Bestätigung althergebrachter Regalien, war die Lösung vom Kirchenbann eine ihrer Hauptbedingungen ihrer Unterwerfung. Sie erwarteten von Karl wegen seiner bekanntermaßen innigen Vertrautheit zu Clemens VI., dass dieser sich für sie erfolgreich einsetze. Karls Delegation bestand aus Probst Marquard von Bamberg, Nikolaus von Luxemburg, Probst zu Garz und dem Domherrn zu Prag.

Karl hatte, aus Straßburg kommend, in Schlettstadt Zwischenstation gemacht, wo er der dieser Stadt wie auch Colmar, Mühlhausen, Münster, Thüningheim, Kaisersberg, Ebenheim und Roßheim die Garantien als Reichsstadt bestätigte. Am 20. Januar traf er in Basel ein, das ihn in allen Ehren begrüßte, die Huldigung aber ausdrücklich mit der vorgenannten Bedingung verbanden. Der um Anerkennung ringende König traf die Rückkehrer aus Avignon vor Basel an, ein zunächst glücklicher Umstand. Sie hatten eine an den Erzbischof Ernst von Prag und an Friedrich von Hohenlohe, den Fürstbischof von Bamberg, gerichtete Bulle bei sich. Clemens VI. verlieh darin beiden kirchlichen Würdenträger das Recht den Bann zu lösen, wenn die im Schreiben aufgelisteten Bedingungen zuvor von den zu Erlösenden beschworen wurden. Erzbischof Ernst gehörte nicht zu den Begleitern Karls, wohl aber  der Bamberger Bischof Friedrich. Bislang war der genaue Wortlaut der noch versiegelten Urkunde unbekannt, nach Öffnung und Verlesung im kleinen Kreise, sorgte er unter den Anwesenden und besonders unter dem König für Bestürzung. Kurz zusammengefasst forderte der Papst darin unter anderem das alleinige Approbationsrecht, nur er durfte einen gewählten römisch-deutschen König benennen. An dieser Grundsatzfrage entzündete sich nach der Wahl Ludwigs IV. seinerzeit der Komflikt mit Johannes XXII., dem ersten in Avignon residiernden Papst. Das Reich stellte sich in der vom Kurverein zu Rhense beschlossenen Resolution hinter den Monarchen, was den päpstlichen Nachfolger Benedikt XII. nicht zum Einlenken, wohl aber zum diplomatischen Rückzug in dieser Frage zwang. Papst Clemens VI. nahm nun diesen Punkt erneut auf. In der Zuversicht sein einstiger Zögling Karl würde sich fügen, startete er einen neuen Generalangriff auf die Souveränität des Kurvereins, des römisch-deutschen Königs und Kaisers in spe und nicht zuletzt auf das Reich selbst. Karl war in einer äußerst misslichen Lage. Zur Durchsetzung eines unangefochtenen Anspruchs auf die Reichskrone durfte er keinesfalls die Souveränität des Herrschaftsamtes und noch weniger des Reichs beschneiden lassen oder gegen solche Versuche widerstandslos bleiben. Umgekehrt war da die Freundschaft und ehrliche Loyalität zum väterlichen Freund Pierre Roger, dem zwischenzeitlich zum Papst erhobenen Lehrmeister aus den prägenden Jahren seiner Zeit am französischen Königshof. Ein einvernehmliches Verhältnis zum Papst zu behalten, war schon vor dem Hintergrund des Langzeitziels, der Erwerbung der Kaiserkrone, geradezu elementar.

Er ließ erneut nach Avignon schicken, die Bedingungen zu mildern, es waren neben dem genannten, noch eine Reihe weiterer Positionen die nicht weniger problematisch waren. Bis eine Antwort dort einträfe, konnte er unmöglich in Basel verweilen, einerseits weil ihm grundsätzlich dazu die Zeit fehlte, andererseits weil die Bürger der Stadt einen Aufruhr probten. Gedrängt von der fortschreitenden Zeit und dem Druck der Stadt, ließ er die päpstlichen Bedingungen verlesen. Unter den Zuhöreren regte sich augenblicklich großer Unmut. Konrad von Bärenfels (1305 – 1373) Bürgermeister Basels trat aus der Menge und wandte sich an den vorlesenden Bamberger Bischof: „Wisset, Herr Bischof, dass wir weder glauben noch bekennen wollen, dass der Römische Kaiser Ludwig jemals ein Ketzer gewesen sei. Wen immer uns die Kurfürsten oder der größte Teil davon zum Römischen König oder Kaiser geben, den wollen wir auch dafür halten und erkennen, wenn er auch vom Papste nicht bestätigt wäre. Wir werden nie etwas tun, was wider die Rechte des Reichs sein könnte. Habt ihr aber die Vollmacht vom Papste, uns von unseren Sünden loszusprechen, so tut uns diese Gefälligkeit.“.

Nach diesen Worte drehte er sich zum anwesenden Volk und holte deren Erlaubnis ein, gemeinsam mit einem weiteren Bevollmächtigten, im Namen der Stadt den Eid zu Loslösung vom Kircheninterdikt zu leisten. Bischof Friedrich von Bamberg, in Begleitung eines päpstlichen Geheimschreibers, nahm beide zur  Seite, und nahm das Gelöbnis ab. Es ist nicht bekannt ob auf die päpstlich festgeschriebenen, eigentlich unannehmbaren Formeln oder auf eine Kompromissformel, auf die man sich einigen konnte, die Annahme liegt immerhin nahe.

Nachdem die Stadt vom Bann gelöst war, somit das kirchliche Leben wieder praktiziert werden konnte, huldigte Konrad von Bärenfels im Namen Basels dem König nach der überlieferten Formel. Für Karl war dies ein weiterer, wichtiger Baustein zur Festigung seines Herrschaftsanspruchs. All dies geschah am 24. Dezember 1347. Am darauffolgenden Weihnachtstag, laß der König anlässlich der überfüllten Messe, aus dem Evangelium, während er als Zeichen seiner königlichen Macht ein Schwert in Händen hielt.

Am 27. Dezember begab er sich in Basel auf ein Rheinschiff und fuhr damit nach Norden. Interessanterweise besuchte er nicht weitere wichtige Städte wie Zürich, Bern oder Luzern. Es wäre durchaus angebracht und notwendig gewesen, standen diese Städte ihm bislang widerstrebend gegenüber doch noch wichtigere Angelegenheiten weiter im Norden riefen ihn ab. Über Hagenau nahm er den Landweg nach Speyer, wo er am Neujahrstag eintraf, einige Tage verweilte. Möglicherweise wäre er wegen der winterlichen Bedingungen noch etwas länger geblieben, doch erregte er in Speyer die Gemüter vieler Bürger und auch Personen aus der Geistlichkeit, denn er ließ öffentlich eine Reihe von Anklagen gegen den 1346 abgesetzten Mainzer Erzbischof Heinrich von Virneburg verlesen, der in Speyer noch über viele Anhänger verfügte. Die Lage wurde dem König zu heikel, weswegen er den Weg nach Worms fortsetzte, das bis dahin ebenfalls zu den vielen gebannten reichsstädtischen Anhängern des vormaligen Kaisers gehörte. Der Bamberger Bischof löste auch diese Stadt kraft seiner vom Papst erteilten Autorität vom Interdikt, worauf sie dem König huldigte und ihre Rechte und Privilegien bestätigt bekam. So leicht wie dieser eine Satz es suggerieren mochte, verhielt es sich aber nicht, denn es kam auch in Worms zu einer äußerst ernsten Empörung. Zunächst löste nämlich Bischof Friedrich von Bamberg nur die örtliche Geistlichkeit vom Bann , worauf eine nichtöffentliche Messe begonnen wurde. In Windeseile raffte sich eine große Menge bewaffneter Bürger zusammen, die vor den Dom zogen und den Bischof drohend aufforderten, sie ebenfalls vom verhassten Bann des Papstes zu lösen. Der Bischof floh in das gut bewachte Haus, in dem der König untergebracht war, worauf sie auch dieses Gebäude umstellten und Anstalten machten es zu stürmen. Karl wies ihn an auch die Bürger von der Last des päpstlichen Fluchs zu befreien. Sofort löste sich der Tumult auf und die Situation war bereinigt. Karl legte es dennoch nicht darauf an, die hitzige Szenarie des Vortages und die Erfahrungen aus Speyer, ließen ihn vorsichtig werden, er verlies somit gleich am kommenden Morgen Worms Richtung Mainz, wo er nicht nur mit dem größten Widerstand rechnete, sondern auch echte Sorgen hatte, es könnte sich aus dieser Region eine ernstzunehmende Opposition entwickeln. Auf seinem ganzen Weg von Basel, über Hagenau, Speyer und Worms, hatte er sich seine Strategie zurechtgelegt. Ihm war längst klar geworden, dass die vom Papst betriebene Absetzung des alten Mainzer Erzbischofs und die Einsetzung des jungen Gerlach von Nassau, ihm zwar die Stimmenmehrheit in Kurfürstenkollegium und somit seine Wahl zum römisch-deutschen König einbrachte, dass aber große Teile der Mainzer Kirchenprovinz, die mit weitem Abstand größte im gesamten Heiligen Römischen Reich, die Absetzung nicht akzeptierte und den neuen Erzbischof nicht anerkannten. Sein eigener Entschluss war getroffen, er würde weder die Vorwürfe gegen Heinrich von Virneburg vorlesen lassen, die Erfahrungen aus Speyer waren ihm Lehre genug, noch die Einsetzung des neuen Erzbischofs durchsetzen. Hier stand er nun erstmals in völligem Gegensatz zu Papst und dies, obwohl er der Hauptnutznießer der Einsetzung Gerlachs von Nassau war. Man konnte nur gespannt sein, wie der Papst dies aufnehmen würde. In Mainz eingetroffen, traf er seinen Großonkel Balduin, den Erzbischof von Trier, der mit einer kleinen Schar angereist kam, um sich mit ihm zu besprechen, denn es zogen Wolken am Himmel auf.


Die Opposition rührt sich

Karls Gegner planten die Wahl eines Gegenkönigs. Aus ihrer Sicht war jetzt, nachdem das alte Reichsoberhaupt verstorben war, ünerhaupt erst die Legitimität zur Königswahl gegeben. Die Wahl Karls erkannten sie bekanntlicherweise nicht an. Vier Kurfürsten trafen sich zur Beratung im unweit entfernten Oberlahnstein, gegenüber von Rhens. Es waren streng genommen die beauftragen Vertreter von vier Kurfürsten wovon zwei, je nach Betrachtung, nur vermeintliche Kurfürsten waren. Versammelt waren die Abgeordneten des Mainzer Erzbischof, jenes abgesetzten Metropoliten über den wir nun schon vielfach schrieben, ferner ein Vertreter des Pfalzgrafen Ruprecht bei Rhein, des Herzogs Erich von Sachsen-Lauenburg und zu guter Letzt, ein Abgesandter des Markgrafen Ludwig von Brandenburg. Einige Sätze noch zu Herzog Heinrich. Spätestens seit des seinerzeitigen Regierungsantritts von Ludwig IV., stritten die beiden askanischen Häuser Sachsen-Wittenberg und Sachsen-Lauenburg um die rechtmäßige Ausübung des Kurrechts. Unsere eigene Sicht wurde in Buchs 2 geäußert. Die ältere Linie Sachsen-Wittenberg, vertreten durch Herzog Rudolf I., war der nach überliefertem Rechter, der legitime Halter des Kurprivilegiums. Die ungerechtfertigten Ansprüche der Linie Sachsen-Lauenburg machten sich nichtsdestotrotz die Widersacher Karls zu eigen.

Die am 10. Januar 1348 stattgefundene Beratung in Oberlahnstein, brachte keinen Kandidaten aus den eigenen Reihen hervor. Des verstorbenen Kaisers ältester Sohn stand seit seiner Heirat mit Margarete von Tirol unter Kirchenbann und konnte nicht gewählt werden, so gerne er das auch gewollt hätte. Auch sonst konnte man sich nicht auf einen Fürsten aus dem Reich einigen, worüber man ein wenig den Kopf schütteln möchte, hätte sich doch mit dem Habsburger Herzog Albrecht II. von Österreich, ein Kandidat geradezu aufgedrängt, was aber nicht im Sinne der Wittelsbcher Partei war. Stattdessen beschlossen die vier Vertreter, König Eduard III. von England die Krone des Reichs anzubieten. Erinnerungen an die Wahl Richards von Cornwall im Jahre 1257, kommen hier unwillkürlich in den Sinn.

Für Karl ergab sich aus diesem Sachverhalt eine bedrohliche Situation. Seit Eduards vernichtendem Sieg bei Crécy, im Sommer 1346, bei dem er nicht nur den Vater verlor, sondern auch mit dem erheblich geschwächte Frankreich, den mächtigsten realen bisherigen Verbündeten, war er, abgesehen vom Papst, auf sich und seine eigene Hausmacht gestellt. Nachdem die Engländer im August des Vorjahres, nach einjähriger Belagerung, auch noch Calais wegnahmen, schien es fraglich wie lange sich der König von Frankreich noch auf dem Thron der Karpetinger halten konnte. Er sandte eine hochrangige Delegation an den englischen Hof, geführt vom Grafen Wilhelm I. von Jülich (1299 – 1361), um dem König dringend von der Annahme der angebotenen römisch-deutschen Krone abzuraten.

Während in England die Verhandlungen liefen, reiste Karl von Mainz wieder nach Süden, nach Schwaben, wo im Vorjahr zwar vordergründig zahlreiche Städte und Grafen im huldigten, zwischenzeitlich deren Feuer für ihn aber wieder am erlöschen war. Er musste zur Auffrischung noch einmal eine Rundreise vornehmen. In Rottenburg am Neckar wurde ihm zu Ehren ein großes, zweitäges Turnier abgehalten. Von hier zog er entlang der Donau nach Ulm, das er am 26. Januar erreichte und wo sich die Vertreter von 24 Reichsstädten einfanden und ihn als ihrem König und Herren huldigten. Er überhäufte sie regelrecht mit Zuwendungen und großzügigen Bestätigungen ihrer Privilegien. Unter diesen Städten waren Augsburg, Esslingen, Kaufbeuren, Hall, Heilbronn, Leutkirchen, Memmingen, Kempten, Weil, Lindau, Rottweil, Wimpfen und weitere.

Nach vielen Monaten des Aufenthalts im deutschen Reichsteil, war es an der Zeit in sein böhmisches Königreich zurückzukehren. Er wollte hierzu den kürzesten Weg, die große Handelsstraße nutzend, über Nördlingen und Nürnberg, nach Eger nehmen. Schon kurz nach Ulm lauerten ihm bewaffnete Gruppen Ludwigs auf. Gemeint ist hier jetzt stets Markgraf Ludwig I. genannt der Brandenburger, gleichzeitiger Herzog Ludwig V. von Bayern und Graf von Tirol. Sollten wir rückblickend von seinem Vater Ludwig IV., dem vormaligen Kaiser oder vom gleichnamigen, nächstjüngeren Bruder Ludwig dem Römer sprechen, ist immer, zur eindeutigen Unterscheidung, ein etwaiger Zuname oder Titulatur angegeben.

Wie gesagt, kaum war er in Begleitung von Herzog Rudolf von Sachsen und Erzbischof Gerlach von Nassau, sowie einiger böhmischer Ritter aus dem städtischen Einflussbereich gereist, lauerten die ersten Gruppen ihn auf, in der Hoffnung ihn gefangen zu nehmen. Er und seine Begleitung mussten nach Ulm umkehren und einen alternativen Umweg suchen. Mit Glück erreichten sie glücklich am 12. Februar das Gebiet der Nürnberger Burggrafen. In Nürnberg hielt er sich bis zum 17. des Monats auf, wollte sich hier von den bisherigen Strapazen erholen, wurde aber von den Ereignissen in der Stadt zum Aufbruch gezwungen. Ludwig hatte in den zurückliegenden Monaten in Nürnberg viele Anhänger gewinnen können, sei es durch Geld oder durch Versprechungen. Die Burggrafen, deren Macht innerhalb der Reichsstadt selbst, schon seit Friedrich II. beschnitten waren, hatten keine Handhabe jenseits ihrer engen Restprivilegien in Nürnberg, ihnen standen beispielsweise keine Truppen im Stadtgebiet zur Verfügung, außer der kleinen Burgbesatzung in der sogenannten Grafenburg, um den König ausreichend im Bedarfsfall zu schützen. Er verließ Nürnberg Richtung Bamberg, fertigte einige Urkunden und Briefe aus und begab sich am 19. Februar endlich auf die letzte Reisetappe Richrung nach Böhmen. Eger erreichte er am folgenden Tag und stellte der Stadt, die einst ebenfalls eine freie Reichsstadt war, dann aber ihre Unabhängigkeit verlor und an Böhmen fiel, umfangreiche Freiheiten aus, in Anerkennung für ihre bislang bewiesene Treue. Immerhin wäre es für die Stadt ein verlockendes Ziel gewesen, durch Anknüpfung an die bayrische Partei Ludwigs, ihren alten Status wieder zu erwerben, doch sie blieb der böhmischen Krone loyal.

Karl erreichte seine Hauptstadt Prag vermutlich in den letzten Februartagen, genauer kann es nicht gesagt werden, denn die ersten von ihm in Prag ausgestellten Urkunden sind auf den 1. März datiert. Er blieb für einige Monate in Prag und ordnete eine Vergeltungsaktion gegen seine Gegner an. Er ließ Truppen anwerben um in der Oberpfalz, den bayrischen Läündereien des Pfalzgrafen bei Rhein, plündern und rauben zu lassen. Gerne geben die dem böhmischen König wohlgesonnenen Chronisten diesen wiederholt vorgenommenen Aktivitäten den Nimbus eines Feldzugs, mit dem Ziel den Gegner in einer Schlacht ehrenvoll zu bekriegen. Augenscheinlich ist dann immer die Angabe, man wäre auf keinen Widerstand gestoßen, worauf der Rückzug nach einiger Zeit angetreten wurde. Sehr wahrscheinlich war jedoch, dass die von Karl geführten vermeintlichen Feldzüge überhaupt nur der Schädigung und Verheerung der Landschaften seiner Gegner dienten. Wieso hätten seine Gegner ihr Gebiet immer aufs Neue völlig kampflos einem marodierenden Feind überlassen sollen? Die unschmeichelhafte Tatsache dürfte gewesen sein, sobald die lokalen Vasallen sich gesammelt hatten, um sich den böhmischen Plünderscharen und Mordbrennerbanden zu stellen, zogen diese sich mit ihrer Beute zurück und schlugen an einem anderen Tag, an anderer Stelle erneut zu. Karl verfolgte mit dieser zwar wenig ehrbaren, aber effektiven Strategie, vermutlich im wesentlichen zwei Ziele. Zum ersten die Gegner an ihrer  ökonomischen Basis zu schädigen und dabei im besten Fall selbst Vorteile daraus zu ziehen und zum zweiten, eine immer schnell zusammengestellte Truppe bezahlter Kriegsknechte in Böhmen abrufbereit zu halten. Kriege dieser Art wurden zu großen Teilen, zumindest was das einfache Fußvolk betraf, mit Beutelschneidern, Gaunern, entwurzeltem Gesindel aller Art geführt. Nur die quasi von Berufswegen dem Kriegshandwerk verschriebenen Kämpfer, die Ritterschaft, samt ihren jeweils mitgebrachten Knechten, zumeist kaum mehr als eine Handvoll pro Ritter, der Hochadel mit seinen Kontingenten, sowie Spezialisten wie Bogen- oder Armbrustschützen, verhielten sich diszipliniert und nach gewissen Regeln allgemeingültiger Kriegsbräuche. Da Karl über faktisch keine Verbündeten verfügte, soll die Kritik nicht übermäßig hart gegen ihn ausfallen, auffällig bleiben die angewandten Strategien bei seinen Kriegszügen gleichwohl. Er war in dieser Hinsicht mit dem 1346 im Kampf gefallenen Vater überhaupt nicht zu vergleichen.


Prag wird zum Mittelpunkt

Karl war in vielem anders, nicht nur anders als der Vater, auch anders im Vergleich zu sonstigen Zeit- und Standesgenossen. Sein Interesse für Bildung, Handel und Wirtschaft, Bergbau, Theologie und mehr, war vielleicht nicht universell, denn ein Genie war er freilich nicht, doch die Kombination seiner Talente, seines angelernten Könnens und Wissens sowie seiner spezifischen Charaktermerkmale, schuf einen Typus Monarch, der seinesgleichen suchte und er stand erst noch am Anfang seines Wirkens.

Über die Pläne Karls, Prag durch den Bau einer Neustadt zu erweitern, haben wir schon gesprochen. Nach den Regeln der Zeit, waren solche Maßnahmen keine Erweiterung sondern zatsächlich eine städtische Neugründung in unmittelbarer Nähe, oft auf den Gemarkungen einer bereits existierenden Stadt. Verständlich, dass man dort, darüber für gewöhnlich nicht glücklich war. Im Falle Prags, das schon jetzt aus eigentlich zwei Städten bestand, der sogenannten großen Stadt und demgemäß der kleinen Stadt, getrennt durch die Moldau, war das nicht anders. Karl musste daher Absprachen treffen und Zusagen eingehen, um den Unmut der alten Prager Stadt, der nachmaligen Altstadt nicht zu schüren. Im März 1348 ging er das Vorhaben mit großer Energie an.

Die zukünftigen Bewohner der Prager Neustadt wurden mittels eines Gnadenbriefs für die nächsten zwölf Jahre von den königlichen Abgaben entbunden, es beinhaltete explizit auch Juden, die hierdurch gezielt angelockt werden sollten. Ausgenommen waren Bewohner aus den bisherigen Prager Städten, besonders der Altstadt. Hierdurch sollte verhindert werden, dass ein großer Exodus finanzielle Ausfälle brächte. Weiter verfügte er den Umzug der meisten Handwerksbetriebe, deren Arbeit besonders lärmend waren, dazu gehörten alle Bierbrauer, Wagner, Schmiede, Klemptner, Zimmerleute etc., ausgenommen hiervon waren nur die Waffen- und die Hufschmiede.

Karl war so enthusiastisch und erfüllt, dass er bei den Planungen und Vermessungen mit größter Freude selbst Hand anlegte. Er half beim ausmessen der Gassen, legte die Stellen der öffentlichen Plätze fest, auch die Positionen der Stadttore und selbstverständlich setzte er höchstpersönlich den Grundstein zu Stadtmauer.

Die vermutlich bedeutenste bauliche Neugründung seiner Regierungszeit, erfolgte am 7. April 1348. Karl hatte sich Ende Januar 1347 bei Papst Clemens VI. die Erlaubnis eingeholt, eine eigene Universität in seinem Reich zu gründen. Durch Karls monatelangen Huldigungsreisen durch den südwestdeutschen Raum, konnte das Vorhaben nicht unmittelbar in Angriff genommen werden, doch jetzt schien ihm der richtige Moment gekommen. Die Alma Mater Carolina, die Karls-Universität, wird die erste zentrale Lehranstalt Mitteleuropas werden und gewaltigen Einfluss auf die weitere Entwicklung und die bald schon einsetzende Blüte Prags nehmen. Gleichzeitig wird sie Initialzündung für weiterere Universitätsgründungen im deutschen Reichsteil sein. Ihr folgten in den nächsten 50 Jahren zunächst, 1365 Wien, 1379 Erfurt, 1386 Heidelberg, 1388 Köln, 1402 Würzburg, 1409 Leipzig.


Karls Autorität im Reich wächst

Wir wissen nicht welche Bedingungen, Angebote oder Drohungen die Mission des Grafen von Jülich im Einzelnen beinhaltete. Fest steht, schon am 10. Mai 1348 verzichtete Eduard III. von England er auf die ihm angebotene römisch-deutsche Krone. Das englische Parlament hatte ihn davon abgeraten. Die Vermutung ist höchst naheliegend, dass Karl ihm zuvor im Geheimen zusicherte, im anglo-französischen Krieg nicht auf der Seite des befreundeten Frankreichs zu intervenieren. Eduard, der zunächst dem Gedanken die Krone zu akzeptieren, sehr zugetan war, überdachte das für und wider. Die Eröffnung eines oder mehrerer neuer Kriegsschauplätze, zumal im für ihn entlegenen Reich, war zu riskant, der Ausgang zu ungewiss und die Kosten vor dem Parlament nicht begründbar.

Karl wusste zu diesem Zeitpunkt noch nichts über den Ausgang der Verhandlungen,. Er befand sich weiterhin in seinem böhmischen Königreich, verschanzte sich dort aber nicht, sondern pflegte eifrige Korrespondenz mit seinen bisher bereits gewonnene Reichsvasallen. Zu den ganz besonders engen Vertrauten wurde der sächsische Kurfürst, Herzog Rudolf. Dieser hielt sich jetzt vornehmlich unmittelbar bei Karl auf, sei es auf dessen Reisen oder am Hof in Prag. Rudolf avancierte in kurzer Zeit zu einem seiner wichtigsten Ratgeber in Reichsangelegenheit und bildete mit seinem Herzogtum einen wichtigen Brückenkopf in den norddeutschen Raum hinein. Im fränkischen Raum sorgten der Fürstbischof von Bamberg und die Burggrafen von Nürnberg für Stabilität. Ganz im Westen, entlang des Rheins bis an die Grenze zu den weitgestreckten Ländereien des opositionellen Pfalzgrafen bei Rhein, hielten die elsässischen Reichsstädte von Weißenburg und Metz im Norden, über Hagenau, Straßburg, Colmar im Zentrum bis hinunter nach Mühlhausen die Balance. Rechts des Rheins waren die Grafen von Württemberg wechselhaft und unzuverlässig aber auch dort sorgten dutzende schwäbische Reichsstädte für ein deutliches Übergewicht und waren ein Stachel an Grenze zum verfeindeten Herzogtum Bayern. Je weiter es aber in den Norden ging, je weniger wurden die Parteigänger Karls. Einen Vorteil konnte sein Widersacher Ludwig daraus dennoch nicht ziehen, denn auch ihm gegenüber blieb man dort weitestgehend gleichgültig, und selbst die Halbbrüder in den Niederlande, waren zeitweise mehr auf Neutralität aus, denn auf Wahrung der Wittelsbacher Hausinteressen. Was machte Karls Intimfeind Kasimir von Polen? Der Ausdruck ist zwar übertrieben, aber seit dem Entfürungsversuch Karls anlässlich seiner Rückreise aus dem Baltikum, war das Vergältnis zerrüttet. Nach dem böhmischen Vergeltungsschlag und dem polnischen Debakel in Krakau, verhielt er sich, trotz eindeutigem Bündnisbekenntnis zu Ludwig, Karls Widersacher, auffallend ruhig. Die Erklärung dazu ist aber einfsch, Kasimir war andersweitig schlichtweg beschäftigt. An seiner südöstlichen Grenze ergaben sich erhebliche Möglichkeiten der Erweiterung und das ohne in Konflikt mit mächtigen Allianzen zu geraten, die eine polnische Vergrößerung eifersüchtig beäugten. Kasimir war somit, in der kritischsten Phase dieses bislang unentschiedenen Thronkriegs, ungefährlich. Dann war da noch Ludwig I. von Ungarn. Verfeindet war Karl mit seinem Schwiegersohn eigentlich nicht, die Interessenskonflikte der beiden unmittelbar benachbarten Königreiche, führten allerdings zwangsläufig zu Reibereien. Wie dem auch sei, auch Ungarn war für den Moment mit anderen Querelen beschäftigt. Zunächst im eigenen, von vielen Landsmannschaften besiedelten Reich, dann mit dem sehr mächtig gewordenen Venedig im Streit um Dalmatien und ganz im Süden kündeten sich epochale Veränderungen an, die in nicht mehr ferner Zukunft das Gesicht des Balkans und die Politik des christlichen Abendlandes auf Jahrhunderte bestimmen wird. So blieb als gefährlichster Verbündeter Ludwigs, noch Herzog Albrecht II. von Österreich übrig, der sich bislang überhaupt völlig still verhalten hatte. Unter dem alten Kaiser Ludwig IV. dem Bayer, konnten die Habsburger ihre bisherigen nieder- und oberösterreichischen Gebiete im Südosten des Reichs, mit kaiserlicher Duldung, ja regelrechter Absprache, flächenmäßig fast verdoppeln. Nachdem von ursprünglich sechs Söhnen, des 1308 ermordeten römisch-deutschen Königs Albrecht I., mittlerweile nur noch sein gleichnamiger Sohn Albrecht lebte, er trug  den Beinamen der Weise, war dieser zum größten Territorialfürsten im Heiligen Römischen Reich aufgestiegen. Er löste darin die Luxemburger vom Spitzenplatz ab, das seit dem Tod Johanns von Böhmen, durch Erbteilung in zwei Linien geteilt wurde und die Luxemburger Stammlande von Böhmen abgetrennte. Früh versuchte Karl den Gegensatz mit dem Hause Habsburg durch eine Heirat zu entschärfen. Tatsächlich kam die Initiative dazu von Albrecht selbst, der für seinen ältesten, damals erst fünfjährigen Sohn um die Hand der Prinzessin Katharina, Karls zweiter Tochter, anhalten ließ. Keine Frage war dies ganz im Sinne des damaligen Kronprinzen Karl, weswegen man sich schnell über die Formalitäten einig wurde. In der Zwischenzeit hatten sich die Ereignisse allerdings überstürzt. Eine große kaiserliche Allianz bildete sich gegen Böhmen, wurde jedoch durch einen beherzten böhmischen Präventivschlag gegen Kasimir von Polen, gesprengt, wordurch die größte Gefahr beseitigt war. Mit der Wahl Karls zum römisch-deutschen König, dem baldigen Tod des Vaters und damit der Thronbesteigung Böhmens, fand sich bislang keine Gelegenheit mehr zur Annäherung. Seither waren fast zwei Jahre vergangen. Die junge böhmische Prinzessin war zwischenzeitlich sechs Jahre alt und der habsburgische Prinz Rudolph bald neun. Das Heiratsprojekt mit einer offiziellen Verlobung voranzutreiben, war geeignete Gelegenheit um die momentane Haltung Albrechts zu eruieren. Seine Loyalität die zum alten Kaiser bestand, musste nicht zwangsläufig auch für den Sohn gelten, Karl war dsher in zuversichtlicher Hoffnung Albrecht zur Neutralität zu bewegen. Zu Brünn trafen sich am 26. Mai 1348 beide Familien, wo die Verlobung feierlich begangen wurde. Prinzessin Katharina wurde anschließend an den Hof nach Wien gebracht, um dort ihre weitere Erziehung zu erfahren und auf ihr zukünftiges Leben vorzubereiten.

Karl nutzte den Moment und belehnte als Reichsoberhaupt den Herzog mit dessen zahlreichen Reichslehen in Österreich und Südwestdeutschland. Albrecht ließ den Akt zu, was die Mutmaßung Karls nicht widerlegte, dass der Herzog primär den Frieden für seine Ländereien wahren wollte. Vielleicht spielte sein forgeschrittenes Alter ebenfalls eine Rolle, wurde er soch in diesem Jahr bereits 50. Möglicherweise war er es längst schon leid geworden, in einem latenten Kriegszustand zu leben. Die nicht abebbenden Aufstände in den Schweizer Stammlanden waren schon lästig genug, einen ernsthaften Konflikt mit Karl schien er aus dem Weg gehen zu wollen. Zu nah lag seine Residenz Wien an der Grenze Böhmens, zu bekannt waren die verheerenden Streifzüge von Karls Marodeuren.

Anfang Juni erreichte Karl die lange ersehnte Nachricht. König Eduard von England verzichtete auf die ihm angebotene Krone, womit ein großer Druck von ihm abfiel. Doch die Delegatiin des Königs überbrachte nicht allein die Botschaft der reinen Absage nach Prag, wo Karl mittlerweile wieder angekommen war, sie hatte weit gewichtigere Botschaft bei sich. In einem Begleitschreiben überbrachte wurde englisches Bündnisangebot unterbreitet, allgemeiner Natur wie auch gegen Frankreich im speziellen gerichtet. Karl musste und konnte diesen Teil nur ablehnen, bzw. nur für den Fall zusagen, dass der König von Frankreich seinerseits gegen Reichsgebiet vorging. Immerhin gestand Karl englischen Truppen die freie Durchreise zu, wie auch die Erlaubnis im Reich Truppen zu werben. Es dürfte Eduard von vornherein klar gewesen sein, dass Karl vor dem Hintergrund seiner engen Beziehungen zum französischen Hof, niemals einem offensiven Bündnis gegen König Philipp VI. oder dessen Sohn Johann zustimmen würde. Es reichte ihm völlig, das Karl sich, unter Akzeptanz der sonstigen Klauseln, aus dem Krieg um den Thron Frankreichs heraushalten würde, damit war England ausreichend geholfen. Für Karl war umgekehrt von immensem Wert, dass jhn  der König von England als Reichsoberhaupt anerkannte und damit der Gegenseite eine Absage erteilte.

Befeuert von den überaus guten Nachrichten aus England und den Zuversicht weckenden Ereignissen anlässlich der Verlobungsfeier seiner zweiten Tochter Katherina, begann Karl mit einem weiteren Bauprojekt. Diesmal nicht im pulsierenden Prag, sondern etwa 30 Kilometer südwestlich davon, nach damaliger Reisegeschwindigkeit, rund vier Stunden von der Residenz entfernt. Karl wünschte eine bewusst abgelegene, den gestiegenen Anforderungen an Sicherheit und Repräsentationsbedürfnissen gerecht werdende Wohnburg zu errichten. Am 10. Juni 1348 legte Erzbischof Ernst von Prag den Grundstein zum Karlstein (tschech: Karlštejn). Die Festung wurde zur Schatzkammer des böhmische Königreichs, Karl ließ hier unter anderem auch später seine reichhaltige Reliquiensammlung deponieren.

Anfang Juli kamen die beiden Brüder Albrecht (1318 – 1379) und Johann von Mecklenburg (1326 – um 1393) aus dem Norden des Reichs nach Prag gereist um Karl zu huldigen und ihn als ihren König anzuerkennen. Sie waren die bislang nördlichsten Fürsten die sich unterwarfen und sie taten es mit kluger Berechnung, denn der König erhob beide in den Herzogstand. Karl ließ den Belehnungsakt feierlich am Prager Hofe feiern und zahlreiche Reichsfürsten waren zugegen.


Ludwig gibt nicht auf

Die Wittelsbacher Partei gab den Kampf um die Krone weiterhin noch nicht auf. Die abschlägige Nachricht aus England vermochte sie nur kurz zu schocken, schon wurde nach einem weiteren Kandidaten gesucht.

Zwischenzeitlich ging die große Reichsstadt Nürnberg zur Partei Ludwigs des Brandenburgers über und wandte sich gegen Karl. Die Bürgerschaft lehnte sich gegen den Magistrat, der Karl im Vorjahr huldigte, auf und trieb sie aus der Stadt. Die Nürnberger Burggrafen waren machtlos dagegen und mussten Sorge tragen, nicht selbst völlig bei den Bürgern in Ungnade zu fallen. Nürnberg rief Ludwig den Brandenburger zum König aus, der jedoch wusste, dass eine Krone aus den Händen und Mündern des städtischen Standes, keinerlei Wert, Ansehen oder je Anerkennung unter den Reichsfürsten erhielte. Statt also darauf einzugehen, einigte man sich auf einen neuen Kandidaten, den man in dem Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen, Friedrich II. der Ernsthafte (1310 – 1349), aus dem Hause Wettin, einem Schwiegersohn des verstorbenen Kaisers, glaubte gefunden zu haben. Friedrich nahm die Krone ebenfalls nicht an. Ähnlich wie Albrecht von Österreich, lag ihm mehr daran seine Länder von einem zu erwatenden Krieg unbeschädigt zu lassen. Die unmittelbare Nachbarschaft zu Böhmen und Sachsen-Wittenberg und die bisherige Schwäche der Wittelsbacher Partei, veranlassten ihn nach njr kurzer Bedenkzeit, zu diesem Entschluss. Im weiteren Verlauf des Jahres traf sich der Landgraf in Bautzen, in der Oberlausitz, mit Karl, erkannte ihn als den römisch-deutschen König an und nahm von ihm seine Ländereien zu Lehen. Ein großer weiterer Eckpfeiler in der stärker und stärker werdenen Bastion Karls und ein empfindlicher Verlust für die Gegenpartei. Doch es war zu früh sich in Sicherheit zu wiegen. Auch wenn immer mehr Fürsten und sehr viele der Reichsstädte sich bereits unterworfen hatten, so verfügte Karl bei kritischer Betrachtung, über keine wirklichen Verbündeten. Die allermeisten seiner Vasallen außerhalb Böhmens, waren reine Nutznießer seiner großzügigen Schenkungen und Zuwendungen königlicher Privilegien. Ob sie sich auch für ihn in einer Schlacht schlagen würden, dessen war sich Karl ganz und gar nicht sicher. Die Ereignisse in Nürnberg bewiesen im darüber hinaus, dass es auch wieder zu einem Abfall kommen kann und nicht nur bei den Städten, noch wahrscheinlicher bei den Fürsten selbst.

Ludwig stand längst vor der Frage, wie soll es weitergehen? Zu einer Entscheidungsschlacht wie bei früheren Thronstreitigkeiten war es bislang nicht gekommen. Seit zwei Jahren stand die Wittelsbacher Opposition gegen Karl, der in dieser Zeit deutlich an Boden gutmachte aber auch gleichzeitig mehrere Vermögen an Geld und Privilegien dafür aufwenden musste. Aber auch Ludwig gingen zunehmend die Gelder aus. Die Mark Brandenburg war kein übermäßig reiches Fürstentum, die Stände, besonders der märkische Adel traditionell sehr selbstbewusst und stark autonom, die Städte zumeist klein und unbedeutend, wenn auch der Handel einen gewissen Wohlstand für zahlreiche dieser Komunen brachte. Bayern war unter den fünf Söhnen des verblichenen Kaisers aufgeteilt und nicht alle der vier Brüder Ludwigs zogen immer an einem Strang mit ihm, wobei der jüngste noch ein Knabe war. Ludwig musste, nachdem es sich bereits abzuzeichnen schien, dass es in diesem Jahr zu keiner Entscheidung kommen wird, dringend sein Heer reduzieren um die immensen Kosten zu reduzieren. Er suchte daher den Verhandlungsweg und Karl, dessen Kassen leer waren und der eine Lust an den vielfältigen Bautätigkeiten der zurückliegenden Monate, wie überhaupt an einem ruhigen Regentenleben ohne permanente Reisen unter kriegsähnlichen Bedingungen, entwickelte, akzeptierte bereitwillig das Gesuch. Unter der Vermittlung von Herzog Albrecht II. von Österreich, traf man sich in der letzten Juliwoche des Jahres 1348 in Passau. Karl traf zuerst ein, es folgten verschiedene Vertreter seiner Anhängerschaft und endlich kam Ludwig, in Begleitung seiner Brüder und 2.000 schweren Reitern. Unzweifelhaft wollte er damit ein starkes Signal setzen und hoffte Eindruck zu machen. Die Partei Karls hatte gewisse Sorgen, er könnte aus einem konstruierten Grund heraus die Versammlung sprengen und versuchen sich des Königs zu bemächtigen. Ludwig hielt sich jedoch streng an das Prozedere, stellte aber der Überlieferung nach überzogene Forderungen auf, die einen Vergleich sehr erschwerten, gleichzeitig kam das Gerücht auf, er hätte sich mit Eduard von England verbündet, welcher der niederländischen Grafschaften Seeland und Holland den Wittelsbachern entreißen sollte. An diesem hartnäckigen Gerücht zerbrachen die Verhandlungen vollends. Ludwig und sein Gefolge verließen Passau. Vor der Abreise erklärte er öffentlich, dass er Karl niemals als römisch-deutschen König anerkennen wird.


Blanka von Valois stirbt

Nachdem die Friedensverhandlungen, zumindest hofften viele dass es solche werden würden, frühzeitig gescheitert waren, nutzte Karl die Gelegenheit die anwesenden Bischöfe von Passau und Salzburg mit ihren Reichsgütern zu belehnen. Damit schlossen sich zwei weitere Fürsten formell dem Lager des Königs, gleichwohl auch sie passive Beobachter des dahintröpfelnden Konflikts blieben.

Hierauf bestieg er gemeinsam mit Herzog Albrecht von Österreich ein Schiff auf der Donau und fuhr flussabwärts bis Linz, wo sich ihre Wege trennten. Karl erhielt die Nachricht, dass seine Gattin Blanka Margarete ernsthaft erkrankt sei. Er setzte nun seinen Weg ohne größere Aufenthalte nach Böhmen dort, kam jedoch zu spät. Seine Frau war am 1. August 1348 verstorben, sie hinterließ die beiden Töchter Margarete und Katharina, die beide schon in Kindertagen an die Höfe nach Visegrád in Ungarn und Wien, an den Habsburger Hof verlobt wurden. Für Karl war es ein großer Verlust. Obgleich auch seine Ehe schon im Kindesalter, aus politischen Erwägungen heraus, beschlossen und umgesetzt wurde, bestand zwischen beiden ein vertrauensvolles und liebevolles Eheband. Blanka fiel durch ihr Wirken nicht aus der Reihe, sie eignete sich die böhmische und deutsche Sprache an und war ihrem Mann in den zurückliegenden Jahren eine wichtige Stütze und geschätzte Beraterin. Das böhmische Volk, gemeint ist hier hauptsächlich die Prager Bürgerschaft, trauerte mit dem König um die verstorbene Landesherrin. Sie wurde mit königlichem Zeremoniell im Prager Dom beigesetzt.

Mit ihrem Tod trat ein ernstzunehmendes Defizit zu Tage. Dem Königreich fehlte noch immer ein männlicher Erbe. Ein von ihr geborener Knabe, dem man den Namen Johann gab, starb noch als Kleinkind. Für Karl war eine baldige Neuvermählung aus dynastischen Gründen unausweichlich, für lange Trauer blieb keine Zeit. Als Papst Clemens VI. vom Verlust des Königs hörte, schickte er ihm neben den offiziellen Beileidsbekundungen den Ratschlag, sich erneute eine französische Prinzessin zur Frau zu nehmen. Der Papst, selbst ein Franzose, war besorgt, die bisher so enge Beziehung des Hauses Luxemburg zur Krone Frankreichs könnte ganz abreißen. Karl sah aber von einer neuerlichen Heirat einer Tochter aus dem königsnahen Hochadel Frankreichs ab. Zur Wahrung seiner aktuellen Interessen, erschien eine andere Heirat zielführender.


Der falsche Waldemar

Dem später als Betrüger entlarvten, sogenannten falschen Waldemar, in vielen Geschichtswerken auch als Woldemar bezeichnet, haben wir bereits in Buch 2 mehrere Abschnitte gewidmet. Es ist ein Beweis, dass es sich hierbei, im Kontext der Ereignisse rund um den schwelenden Thronstreit, um eine ganz besonders ungewöhnliche Episode in der deutschen Reichsgeschichte handelte. In keinem vergleichbaren Fall, zuvor oder danach, vermochte sich ein Hochstabler in so großem Umfang zu etablieren.

Als im Jahre 1319 Markgraf Waldemar, aus dem Hause der Askanier, unerwartet starb, stand das Geschlecht jenes Fürstengeschlechts das die Mark 1157 gründete, in Brandenburg unmittelbar vor dem Aussterben. Mit dem Tod Heinrichs II. noch im Knabenalter, schon im Folgejahr, waren die Askanier in diesem Teil des Reichs erloschen und die Mark Brandenburg fiel nach Jahren des Zerfalls ans Reich zurück. 1323 belehnte der damalig König Ludwig IV., der spätere Kaiser, seinen ältesten Sohn Ludwig mit den Provinzen zwischen Elbe und Oder. Jener Ludwig, der jetzt zum großen Widersacher Karls IV. wurde.

Soviel zur Vorgeschichte. Im Sommer 1348 trat im Erzbistum Magdeburg, vor dem dortigen Erzbischof Otto I. von Hessen (1301 – 1361) ein Mann auf, der von sich behauptete, der totgeglaubte Markgraf Waldemar zu sein. Als Grund für sein angebliches Verschwinden gab der vor dem Kirchenfürsten stehende Mann an, er hätte eine lange Buß- und Pilgerreise ans Grab Christi gemacht. Grund für die vermeintliche Reise wäre das enges Verwandtschaftsverhältnis zwischen Waldemar und seiner Ehefrau gewesen. Tatsächlich war Agnes von Brandenburg seine Cousine und stammte aus der jüngeren sogenannten Ottonischen Linie der brandenburgischen Askanier. Ihr Vater war Markgraf Hermann, genannt „der Lange“, Sohn Ottos V. von Brandenburg. Damit die Ehe trotz der nahen Verwandtschaft begangen werden konnte, wurde ein päpstlicher Dispens erteilt, nachdem zuvor eine vom Heiligen Stuhl vorgegebene Geldsumme entrichtet wurde. Vergleichbare Ehe waren im europäischen Hochadel keine Seltenheit, die Genehmigung durch den Papst reichte in der Wahrnehmung der Zeitgenossen als absolut ausreichende Legitimation. Das von dem Unbekannten in Magedburg ins Feld geworfene Argument hätte unter normalen Umständen die anwesenden Zeugen nicht nur höchst skeptisch machen müssen, sie hätten es schlichtweg für abwegig gehalten, wären nicht politische Erwägungen dem entgegengestanden. Zur eindeutigen Klärung konnte die Ehefrau des Markgrafen Waldemar schon nicht mehr herangezogen werden, sie war bereits vor über 20 Jahren verstorben.

In beeindruckend rascher Folge, wurde der falsche Waldemar von den lokalen Reichsfürsten des sächsischen Raums anerkannt. Nicht nur beim Erzbischof von Magdeburg, auch an den askanischen Höfen von Anhalt, Sachsen-Wittenberg. Die letztgenannten Fürsten aus akanischen Seitenlinien, versprachen sich nach dem Tod des im Alter fortgeschrittenen Mannes, wer immer er auch wirklich sei, eine Anwartschaft auf die Mark. Hätte Markgraf Waldemar in der Person dieses Mannes überlebt, wäre die 1323 vollzogene Belehnungen an Ludwig den Brandenburger ungültig gewesen, womit die Mark weiterhin askanisch wäre. Als sich auch noch Karl IV. für den falschen Waldemar aussprach und ihn mit der Mark belehnte, brach in Brandenburg ein jahrelanger Konflikt zwischen dem Wittelsbacher Fürstenhaus und dem Prätendenten aus. Ganz wesentlich befeuert wurde die Auseinandersetzung durch den massenweisen Abfall märkischer Städte, den bislang treusten Angängern des Wittelsbacher in Brandenburg. Die Motivation dazu haben wir in Buch 2 beleuchtet und wollen es an dieser Stelle als gegebene Tatsache hinnehmen.

Für Karl IV. erwies sich das Erscheinen des Hochstablers als ganz unverhoffter Segen. Hierdurch war sein Rivale in den eigenen Kernlanden in einen schweren Machterhaltungskampf verwickelt, wodurch sich der eigentliche Streit um die Krone des Reichs, mehr und mehr zu seinen Gunsten verlagerte. Dass Karl die Situation wissentlich und willentlich ausnutzte, kann fast kaum bezweifelt werden. Im September und Oktober 1348 vollzog sich die offizielle Anerkennung und Belehnung Waldemars, der einige Tage zuvor die Lausitz an Böhmen abtrat. Den askanischen Fürsten von Sachsen und Anhalt wurde im Rahmen der Belehnung Waldemars die Anwartschaft auf die Mark offiziell bestätigt.

Jahre später, nach der angeblichen Überführung des Betrügers, wird Karl angeben, er wäre getäuscht worden. Hintergrund seines Sinneswandels war allerdings eine sich veränderte, politische Lage und die Tatsache, dass der falsche Waldemar nicht mehr für Karls weitere Zwecke benötigt wurde. Bis dahin sollten sich die Wittelsbacher ein weiteres Mal aufbäumen und einen weiteren Gegenkandidaten aufstellen.


Die Wahl eines Gegenkönigs

Für Ludwig zeichnete sich immer mehr ein endgültiger Misserfolg ab. Karl bekam im Reich ein zunehmendes Übergewicht. Auch wenn dessen Anhänger kaum Aktivitäten zu seinen Gunsten zeigten und sich darin gefielen mit dem Lehnseid genügend Loyalität gezeigt zu haben, ging der Partei um Ludwig der Zuspruch und die Mittel aus. Große Teile des nordostdeutschen Raums und damit die meisten an die Mark Brandenburg grenzenden Reichsterritorien, hatten zwischenzeitlich Karl gehuldigt, mit die letzten in diesem Raum waren die pommerschen Herzöge, Bogislaw V. (1318 – 1374), Barnim III. (vor 1300 – 1368) und Wartislaw V. (1326 – 1390), die am 14. Oktober zu Stettin Karl einen Treuebrief ausstellten. Schon am 4. Juni 1348 hatte Karl Pommern die Reichsinmittelbarkeit bestätigt, um damit die Herzöge zum Ablegen des Lehnseid zu bewegen. Seine Rechnung ging selbstverständlich auf, schon aus der generationenlangen Rivalität mit Brandenburg.

Derweil kam es in der Mark zur ersten militärischen Gegenreaktion des wittelsbachischen Markgrafen Ludwig. Dieser ging mit einem Heerauaufgebot gegen den falschen Waldemar vor, musste bald, noch bevor er Entscheidendes erreichte, vor einem überlegenen Heer Karls IV., der dem Schwindler zu Hilfe kam, ausweichen und flüchtete sich nach Frankfurt an der Oder. Die wichtige Hansestadt an der Oder blieb den Wittelsbachern als eine der wenigen märkischen Städte treu. Frankfurts Oderhandel litt seit geraumer Zeit unter protektionistischen Maßnahmen Karls entlang des schlesischen Oberlaufs der Oder, insbesondere in Breslau. Das Heer Karls, verstärkt von kleineren Kontingenten aus Pommern und Sachsen, begann die stark befestigte Stadt zu belagern, unternahm alledings keinen Erstürmungsversuch. Mit einsetzendem Herbstwetter musste die Belagerung erfolglos abgebrochen werden. Eine mit starken Mauern geschützte Stadt, noch dazu wenn sie von Truppen belegt war, konnte nur unter Inkaufnahme großer eigener Verluste ermöglicht werden. Für gewöhnlich zeigten sich die auf leichtes Plündern ausgerichteten Kriegsknechte wenig ambitioniert ihr Leben zunriskieren, es sei denn der Heermeister war bereit in die Goldschatulle zu greifen und entsprechende Handgelder zu verteilen. Als Alternative blieb fast nur noch eine langwierige Hungerbelagerungen, was die Kriegskasse auf Dauer nicht weniger, sondern für gewöhnlich noch mehr belastete. Lag die Stadt dann noch an einem Fluss oder gar an der See, blieb den Belagerten darüber hinaus zahlreiche Gelegenheiten Versorgungsgüter, selbst frische Truppen einzuschleusen, wodurch die Chance auf ein erfolgreiches Aushungern ganz erheblich sank. Für Karl, dem weder blutige Erstürmungen noch ruinös lange Belagerungen ins Naturell und zeitliche Konzept passte, blieb nur der Abbruch der Belagerung. Beide Seiten gingen jetzt zur Winterruhe über und entließen die angeworbenen Kriegsleute. Auf politischer Ebene wütete der Kampf dennoch unvermittelt weiter. Ludwig, weiterhin unter dem Bann des Papstes, setzte seine ganze Hoffnung auf einen langjährigen, thüringischen Parteigänger seines verstorbenen Vaters. Mit Graf Günther XXI. von Schwarzburg-Blankenburg (1304 – 1349) hoffte man endlich einen Kandidaten gefunden zu haben, der nach erfolgter Wahl die Krone des Reichs annehmen und militärisch durchsetzen würde. Nach wochenlangen Verhandlungen erklärte sich der Graf unter bestimmten Bedingungen bereit sich zu als Knadidat zur Königswahl aufstellen zu lassen. Zur Wahl zum Gegenkönig des ehemaligen Gegenkönigs. Günther stammte aus sehr altem thüringischen Adel und war als Diplomat im Dienst des vormaligen Kaisers Ludwig, als solcher prädestiniert die Interessen der Wittelsbacher Partei zu vertreten. Seine Stellung in Thüringen konnte er durch einige, überaus erfolgreich geführte lokale Fehden, fortlaufend festigen und ausbauen. Sein Vermögen war durch lukrative Lösegelder und zahlreiche Brandschatzungen gewachsen, was ihn in der Region, trotz der mächtigen Nachbaren in Sachsen-Wittenberg oder Meißen zu einer Instanz machte.

Wir haben davon gesprochen, dass Günther von Schwarzenberg für seine Zustimmung zur Kandidatur gewisse Bedingungen stellte. In der bisherigen Reichsgeschichte, stellte dies ein Ausnahme dar. Es war bislang einmalig, dass ein Kandidat regelrecht gebeten werden musste das höchste weltliche Amt anzustreben. Dafür auch noch auf dessen Forderungen einzugehen, zeigte die herausragende Besonderheit dieses Mal und gleichzeitig die Verzweiflung auf der Seite der Opposition. Zu den Bedingungen gehörte beispielsweise der Verzicht der Wahlfürsten, für ihre Stimme eine Bezahlung zu verlangen. Eigentlich war die Forderung nur angemessen und noch mehr selbstverständlich, doch zeigte sich schon seit vielen Generationen, dass Stimmenkauf eine mitunter wahlentscheidende Konstante im Vorfeld des eigentlichen Wahlakts war. Aufgrund der desperaten Lage war dahingehend schnell eine Einigung erzielt.

Am 30. Dezember 1348 legte der vom Papst abgesetzte aber in seiner Kirchenprovinz weiterhin anerkannte Mainzer Erzbischof Heinrich von Virneburg, den Wahltag zu Frankfurt auf den 16. Januar 1349 fest. Tatsächlich fand die Wahlzusammenkunft dann erst zwei Wochen später, am 30. Januar statt. Mit den Stimmen des Erzbischofs von Mainz, des Pfalzgrafen zu Rhein, des Herzogs von Sachsen-Lauenburg und des Markgrafen von Brandenburg, es waren diese die anwesenden, oppositionellen Kurfürsten, wurde Günther von Schwarzburg zum römisch-deutschen König gewählt. Am 6. Februar 1349 zog er feierlich in Frankfurt ein. Vergessen war die Tatsache, dass die Stadt ihn eine Woche vor den verschlossenen Toren hatte warten lassen. In dieser Zeit lieferten sich die städtischen Anhänger Karls und jene des verstorbenen Kaisers Ludwig, aus dessen Reihen nun ein Kandidat zum König bestimmt wurde, hitzige Debatten, die schließlich von den alten Anhängern der Wittelsbacher gewonnen wurden. Rasch wurde der neue König, der Gegenkönig zu Karl IV., von den Städten Frankfurt, Friedberg und Gelnhausen anerkannt.

Karl hielt sich zu dieser Zeit am oberen Niederrhein bei Bonn auf, um auf die weitere Entwicklung aus nächster Nähe zu beobachten. Noch war Winter, mit militärischen Operationen des Gegenkönigs war nicht zu rechnen, weswegen Karl in den nordwestlichen Teil des Reichs weiterreiste. Unter anderem traf er dort Wilhelm von Jülich, seinen bewährten Diplomaten. Wilhelm kam gerade vom englischen Hof zurück, im Gepäck die Vollmacht Edwards III. von England über ein Eheprojekt zu verhandeln. Eduard wollte durch eine Verbindung seiner ältesten Tochter Isabella (1332 – 1379) mit dem verwitweten Karl zusätzliche Gewissheit schaffen, dass der mächtige böhmische König und sich im Thronstreit wahrscheinlich durchsetzende römisch-deutsche König, sowie Kaiser in spe, sich nicht doch an die Seite Frankreichs schlagen könnte, um so alle bisherigen englischen Erfolge zunichte zu machen. Für Karl war es längst an der Zeit eine  erneut Vermälung ernsthaft ins Auge zunfassen und einen männlichen Erben zu zeugen. Es ist nicht gesichert ob die finalen Verhandlungen zum Ehevertrag unmittelbar zwischen beiden Königen verhandelt wurden oder ob Eduard sich vertreten ließ, fest steht nur, beide Seiten konnten sich nicht einig werden, woran es konkret scheiterte ist nicht überliefert.

Im Reich begannen beide Seiten mit ernsthaften Zurüstungen. Noch vor seiner Abreise nach Norden, ordnete Karl für den 22. Februar eine Heerschau seiner Anhänger zu Mainz-Kastel an. Sein Gegner, Graf von Schwarzburg, tat es ihm gleich und ließ am genau gleichen Ort ein Turnier veranstalten um den heranziehenden Hilfsvölkern Karls den Schneid abzukaufen. Es entspann sich ein kurioses Bild, während sich die Streiter der einen Seite halb provokant dem ritterlichen Kampfspiel widmeten, beobachteten die andere Seite das Treiben ohne dass es zu Kampfhandlungen der versammelten Streitkräfte kam. Vielleicht wäre es zum jetzigen Zeitpunkt für den Herausforderer Günther von Schwarzberg günstig gewesen, in einem mutigen Erstschlag die noch nicht vollends versammelten Verbände anzugreifen, doch scheint es so, dass beiden Kontrahenten nicht der Sinn nach einer Schlacht stand. Zumindest Karl hatte sxhon seinerzeit den Ruf, einen persönlich geführten Kampf, wo immer es ging, nur aus einer zahlenmäßigen Überlegenheit heraus zu suchen, bei ausgeglichenen Kontingenten aber, der Schlacht so lange auszuweichen, bis die Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten umgeschwungen waren. Für den Moment trennten sich die beiden Heere wieder voneinander, lösten sich sogar teilweise wieder auf, ganz besonders bei den Mitstreitern des gewählten aber noch ungekrönten Gegenkönigs.

Karl nutzte die Gelegenheit um sich ganz einem für ihn lukrativeren Heiratsplan zu widmen. Vieles deutet darauf hin, dass er an diesem bereits Projekte arbeitete, schon während ihm der englische König die eigene Tochter anbot, denn die Rassanz mit der man sich einigte war auffallend. Schon am 4. März 1349 heiratete Karl auf Burg Stahleck, Anna von der Pfalz (1329 – 1353). Um die besondere Relevanz dieser Vermälung zu verstehen, müssen wir ein wenig ausholen.

Anna war die einzige Tochter, überhaupt das einzige Kind von Pfalzgraf Rudolf II. (1306 – 1353) aus dem Hause Wittelsbach. Rudolf regierte gemeinsam mit seinem Bruder Rupprecht die Pfalzgrafschaft bei Rhein und übte gemeinsam mit ihm die Kurwürde aus. Ihr Onkel war Kaiser Ludwig IV. von Bayern. Es kam zu mehreren Erbteilungen die für einige Zeit den innerfamiliären Streit bei den Wittelsbachern, wie er schon zwischen dem Vater Rudolf I. und dem Onkel Ludwig IV. existierte. Der Kaiser vermochte in den letzten Jahren seiner Regentschaft, durch einen Vergleich, den Konsens beider wittelsbachischen Hauptlinien wieder herzustellen, demzufolge blieben beide Pfalzgrafen, Rudolf II. und Ruprecht I. nach dem Tod des Kaisers enge Anhänger ihres Cousins Ludwig den man den Brandenburger nannte.

Noch im Februar stimmte Rudolf in Frankfurt für den wittelsbachischen Gegenkönig Günther von Schwarzburg. Jetzt, nach der Vermählung seiner Tochter, schied er aus dem Kreis der Oppositionellen aus und verhielt sich neutral. Dieser Umstand alleine, war für Karl nicht ausschlaggebender Faktor zur Hochzeit, vielmehr war es die Mitgift in Höhe von 8.000 Mark Silber und als Pfand für die Summe eine Anzahl Städte in der an Böhmen angrenzenden Oberpfalz. Weiter die Anwartschaft auf die Oberpfalz falls Rudolf II. ohne männlichen Erben verginge. Wir sehen hier wieder den rührigen Hochzeitspolitiker Karl, der jetzt erstmals eine Hochzeit nicht nur zur politischen Rückversicherung sondern zur territorialen Erweiterung heranzog.

Für die Opposition war die Hochzeit ein schwerer Schlag, denn mit Rudolf II. brach ein wichtiger Eckpfeiler nicht nur allein aus dem Lager des Gegenkönigs sondern unmittelbar aus der Familie der Wittelsbacher. Es drohte eine regelrechte Spaltung des pfälzischen Hauses. Karl sah sich jetzt in der rechten Verfassung um zum entscheidenden Schlag auszuholen. Zu Speyer berief Karl März/April 1349 einen Hoftag ein, dem auch einige Fürsten aus dem gegnerischen Lager beiwohnten. Die meisten davon sagten sich im weiteren Verlauf der Versammlung vom Gegenkönig los und huldigten Karl IV. nachträglich. Auf dem Hoftag wurde beschlossen erneut ein Heer aufzustellen das sich am 30. April zwischen Worms und Speyer, bei Frankenthal versammeln sollte. Am 5. Mai stieß Karl zu den versammelten Truppen hinzu und zog mit ihnen Rheinabwärts, dem bei Mainz stehenden Gegner entgegen. Zwischen dem 11. und 14. Mai kam es westwärts von Mainz, am Rhein zu einem kurzen Gefecht. Karl setzte in der Nähe von Eltville zum Rheinübergang an. Als Gegenmaßnahme kommandierte Günther von Schwarzburg eine Abordnung von 200 Panzerreitern und Rittern ab, den Übergang zu vehindern. Schon im ersten Angriff gelang es Karls Heerführer, dem Grafen Eberhard II. von Württemberg (1315 – 1392) die Verteidigung zu durchbrechen und in die Flucht zu schlagen. Im Angesicht dieser Szene ergriff den größten Teil des Heeres Panik und sie zerstreuten sich in die umliegenden Berge und Wälder. Günther von Schwarzburg, in Begleitung einiger hundert verbliebener Mitstreiter, setzte sich in das nahegelegene Eltville ab und verschanzte sich dort. Karl begann unverzüglich die Stadt zu belagern. Nur noch ein Wunder konnte die hoffnungslose Lage wenden, dies begriff Ludwig recht bald. Er war in wilder Eile aus München, nur in Begleitung weniger Ritter in die belagerte Stadt hinzugestoßen. Ebenso in der Stadt gefangen, waren Pfalzgraf Ruprecht und Erzbischof Heinrich von Virneburg, mit ihren engsten Vasallen und Mitstreitern. Es blieb nichts anderes mehr übrig, Ludwig ritt als Unterhändler in das Lager König Karls, wo er in allen Ehren empfangen wurde. Er ersuchte um Frieden und war bereit Karl als König anzuerkennen und gleichzeitig den Gegenkönig zum Kronverzicht zu bewegen. Als letztes erklärte er sich bereit die Reichskleinodien an Karl auszuhändigen, sobald er vom Kirchenbann befreit wäre, wozu Karl ihn unterstützen sollte. Karls erst kürzlich angetraute Gattin, wie auch ihr Vater, Pfalzgraf Rudolf, unterstützten das Gesuch des bayrischen Vetters, wodurch Karl ohne weitere Bedingungen zustimmte, sofern Graf Günther vom Amt des römisch-deutschen Königs zurücktrat.

Am 26. Mai 1349 wurden im Vertrag von Eltville die Klauseln des Friedensvertrags gegenseitig ratifiziert. Günther von Schwarzburg verzichtete auf alle Kronansprüche, entband alle Städte die ihm zuvor gehuldigt hatten von ihrem Eid und unterwarf sich Karl. Er erhielt umgekehrt 20.000 Mark in Silber als Entschädigung. Zur Deckung der Summe wurden ihm diverse Rheinzölle und städtische Steuern verschrieben. Weiter übernahm Karl die Schulden des Grafen, die dieser bei der Stadt Frankfurt in Höhe von rund 1.200 Mark Silber hatte. Abschließend sprach Karl in einem Gnadenbrief eine Generalamnestie für alle ehemaligen Anhänger des Gegenkönigs aus. Mit dem Vertrag von Eltville wurde der dreijähriger Thronstreit im Heiligen Römischen Reich beigelegt, auch wenn der Friede mit dem bayrischen Hause der Wittelsbacher erst im Folgejahr offiziell in Kraft trat. Karl war jetzt das unangefochtene Oberhaupt des Reichs, die Hoffnung auf zurückkehrende Stabilität war groß und der Friedensschluss höchste Zeit, denn schon stand ein neuer Schrecken vor der Tür, ja hatte sich längst entlang der Handelswege im nördlichen Reichsteil begonnen auszubreiten. Die große Pestwelle, der Schwarze Tod, war aus Italien kommend über die Schweiz ins Reich eingesickert. Diesem Themenblock wurde in Buch 2 ein ganzes Kapitel gewidmet, weshalb wir in den folgenden Kapiteln nur vergleichsweise rudimentär darauf eingehen werden.

Karls größter Widersacher Ludwig V., Markgraf von Brandenburg, Herzog von Oberbayern und Graf von Tirol, hatte tatsächlich den Widerstand aufgegeben, es war keine Finte von ihm. Die Verwicklungen in Brandenburg mit dem falschen Waldemar, der jahrelange, stetig erfolgloser werdende Widerstand gegen Karl, aufkommende innere Streitigkeiten unter den sechs Söhnen des verstorbenen Kaisers, sowie die Pest hinterließen Spuren bei ihm und zerten die Kräfte unnötig auf. Am Ende musste er den von ihm selbst aufgebauten Gegenkönig persönlich zum Thronverzicht bewegen. Immerhin blieb Tirol beim Hause Wittelsbach und Ludwig nutzte in den kommenden Jahren des Friedens die Zeit, um in Oberbayern und Tirol umfangreiche Verwaltungsreformen einzuführen.

Der resignierte König, Graf Günther von Schwarzburg, konnte den Friedensschluss und die Entschädigungszahlung nicht mehr genießen, er starb kaum drei Wochen später in Frankfurt, möglicherweise an den Folgen der Pest. Tatsächlich erreichte die Seuche die Stadt im Jahre 1349, den Stadtannalen entnehmen wir, dass in den 72 Tagen da die Pest in der Stadt grassierte, mehr als 2.000 Bürger den Tod fanden. Einer anderen Theorie folgend, starb er an den Spätfolgen einer Vergiftung, die ihm möglicherweise Anfang Mai 1349 widerfahren war. Der Graf selbst ging von einer Vergiftung aus und verfluchte noch auf dem Sterbebett seine untreuen Gefährten, die er im Verdacht hatte. Einzelne Chronisten berichten davon, dass ein gewisser Medicus mit Namen Freydank dem Grafen im Heerlager bei Frankfurt eine Arznei mischte, weil er sich kränklich fühlte. Nach der Sitte, musste er Arzt vor den Augen aller zuvor selbst davon einnehmen, erst danach nahm Günther den Rest zu sich. Drei Tage später starb der Arzt auf bislang ungeklärte Weise und auch Graf Günther litt unter schweren Leibeskrämpfen. Ein Gehilfe des Mediziners wurde verdächtig die Arzneimischung vergiftet zu haben. Bis zu seinem schließlichen Dahinscheiden, schien er nicht mehr richtig gesund geworden zu sein und musste unter großen Beschwerden gegen Karl ins Feld ziehen. Nach dem Friedensschluss von Eltville wurde der bereits schwer Leidende auf einer Bahre nach Frankfurt geschafft. Er selbst war nicht mehr in der Lage auf einem Pferd zu reiten. Gegen die Annahme er wäre an der Pest gestorben, spricht der lange, mehrwöchige Krankheitsverlauf, welcher völlig untypisch wäre. Karl ließ unter großem Zeremoniell den Leichnam des Verstorbenen im Frankfurter Dom beisetzen. 20 Reichsgrafen trugen den Toten zur letzten Ruhe. Karl wohnte dem Leichenbegängnis persönlich bei. Gerade dies spricht gegen die Theorie er wäre an der Pest gestorben.

Mit der Beisetzung Günthers von Schwarzburg wurde symbolisch auch der deutsche Thronstreit zu Grabe getragen. Was wird der jetzt unangefochtene Monarch dem Reich an Segnungen oder möglicherweise sogar Flüchen bringen?


Buch 3, Kapitel II: „Karl IV. – Vom Markgrafen zum König“


Karl feierte im Mai 1334 seinen achtzehnten Geburtstag. Nach den altüberlieferten Bräuchen, galt er jetzt als herangewachsen und volljährig. Mit eigenerverantwortlichen Aufgaben, wurde er bereits vom Vater vor seiner Volljährigkeit betraut. In Oberitalien war er für fast zwei Jahre als Statthalter eingesetzt, es war ursprünglich als eine einfache Aufgabe angedacht, doch sah er sich fast augenblicklich, kaum hatte Johann Italien verlassen, einer rasch ausbreitenden Rebellion gegenüber, deren er dauerhaft nicht Herr wurde. Der Vater hatte die Umstände und besondere Dynamik in der lombardischen Region unterschätzt und den Sohn vor eine kaum zu bewältigende Herausforderung gestellt. Die italienische Episode ging für das Haus Luxemburg im Spätsommer 1333 mit einem fast völligen Rückzug weitestgehend zu Ende. Johann von Böhmen musste notgedrungen seine Ambitionen in Italien aufgeben. Der Preis für eine Erweiterung der eigene Hausmacht im italienischen Raum, konnte auf Dauer nicht geleistet werden. Selbst wenn er im Verein mit dem Sohn, unter Anspannung aller Kräfte, die Lage vor Ort für den Moment hätte retten können, das Risiko mit dem Kaiser wegen seiner Aktivitäten in Reichsitalien in ernsthafte Verwicklungen zu geraten, war unter den gänzlich veränderten Bedingungen nicht mehr vertretbar. Schon standen die Habsburger in Wartestellung, um eine böhmische Schwäche auszunutzen. Sie wären in dieser Angelegenheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an die Seite des Kaisers gesprungen. Im gemeinsamen Konzert wäre die gesamte böhmisch-luxemburgische Stellung in Gefahr geraten. Es wäre eine hervorragende Gelegenheit gewesen alte und verlorengegangene habsburgische Ansprüche auf Mähren, vielleicht sogar auf ganz Böhmen zu erneuern. Nach der Niederlage von Mühlberg, musste Habsburg seinerzeit alle Ansprüche aufgeben, um dadurch den in Böhmen gefangen gesetzten Herzog Heinrich von Österreich auslösen zu können. König Johann forderte dies als Preis für die Freilassung des Bruders. Für den sehr wahrscheinlichen Fall einer kaiserlichen Intervention, hätten es die Habsburger bei einer Erneuerung ehemaliger Ansprüche freilich nicht übertreiben dürfen. Eine Ausweitung, über Mähren hinaus auf ganz Böhmen, wäre am Widerstand des Kaisers und weiterer Reichsfürsten gescheitert, doch die kleine mährische Lösung wäre wahrsxheinlich eine vom Reichsoberhaupt akzeptierte Option gewesen. Johann war klug genug sich nicht in Italien zu verausgaben, rechtzeitig einen Schlussstrich zu ziehen und die bisherigen Anstrengungen abzuschreiben, um damit weitaus Schlimmeres zu verhüten. Dass sein italienisches Abenteuer trotzdem nicht ganz spurlos am Verhältnis zum Kaiser vorüber ging, konnte man daran erkennen, dass ihn sein erster Weg zurück in den nördlichen Reichsteil, an den Hof Ludwigs IV. nach München führte, um sich mit ihm wegen Oberitalien zu vergleichen. Der Kaiser schien es ihm nicht sonderlich schwer maxhen zu wollen, immerhin hatte er Johanns tatkräftige Hilfe bei Mühlberg nicht vergessen. Es reichte Lidwig für den Moment völlig, dass Johanns Mission in der Lombardei ergebnislos blieb und er gleichzeitig dabei Federn ließ, was seinen weiteren Ambitionen in Reichsangelegenheiten für den Augenblick einen Riegel vorschob und umgekehrt dem Kaiser Raum für eigene Pläne ließ. Pläne die möglicherweise schon damals am reifen waren. Hinsichtlich des beiderseitigen Verhältnisses blieb aber immerhin doch ein Makel, eine unschöne Schramme zurück.

Rufen wir uns das Jahr 1323 noch einmal ins Gedächtnis. Vor rund zehn Jahren belehnte König Ludwig IV., die Kaiserkrone hatte er noch nicht erworben, seinen ältesten und gleichnamigen Sohn mit der verwaisten Mark Brandenburg und trieb damit die Wittelsbacher Hausmacht weit in den norddeutschen Raum vor. Es war das erste Mal, dass ein aus dem süddeutschen Raum stammender Regent, gleichzeitig im Norden eine so wichtige Bastion hielt. Dergleichen aufsehenerregende Aktivitäten zum Vorteil des eigenen Hauses, mussten selbst von einem Reichsoberhaupt, gerade von diesem, wohl dossiert vorgenommen werden, um das empfindliche Gleichgewicht im Reich nicht überzustrapazieren oder, um es ganz deutlich zu sagen, nicht Neid und Missgunst unter den Fürsten aufkeimen zu lassen. Jetzt, nachdem der Kaiser zehn Jahre Ruhe bewahrte, den Belangen des Reiches seine Aufmerksamkeit geschenkte hatte, konnte er es immerhin wagen einen neuen Coup in Betracht zu ziehen. Wir werden weiter unten darauf zurückkommen und kehren für den Moment wieder zu Karl zurück.


“Markgraf von Mähren“

Wappen Mährens

Die Markgrafschaft Mähren ging als unabhängiges Reichslehen bis auf das Jahr 1182 zurück. Sie war das Ergebnis familieninterner Rivalitäten im böhmischen Herrscherhaus der Přemysliden, die sich in eine mährische –  und Prager Linie trennte. Die ersten Jahrzehnte sahen kriegerische Konflikt beider Linien. Wiederanschlüsse an das seit 1198 zum Königreich erhobene Böhmen und erneute dynastische Abspaltungen. Schließlich die Unionshoheit unter der Regie Böhmens. Nach dem Aussterben des Geschlechts der Přemysliden folgten für kurze Zeit die Habsburger und danach mit Johann I., 1310 die Luxemburger. Johann trug selbst nie den Titel eines Markgrafen von Mähren. Erst mit Karl, der im August 1333 von seinem Vater noch in Oberitalien mit der Markgrafenwürde belehnt wurde, fand diese Titulatur Einzug bei den Luxemburgern.
Karl reiste jetzt, ein Jahr nach der Belehnung, erstmals in seine Markgrafschaft. Er musste sich in dieser Hinsicht sputen denn der althergebrachte Brauch sah vor, dass ein neuer Herr innerhalb der Frist eines Jahres die Huldigungen seiner Vasallen einholt. Er eilte im August 1334 nach Mähren, besuchte die großen Städte Brünn, Olmütz, Znaim und weitere Städte, um sich von den dort versammelten Ständen huldigen zu lassen und im Umkehrschluss deren Rechte und Privilegien zu bestätigen. Nach den Berichten, die zumeist aus der Feder wohlwollender Zeitgenossen stammte, fand Karl große Zustimmung in der Markgrafschaft und man darf annehmen, dass die Städte wohlgefällig dem neuen Landesherren entgegen sahen. Beim mährische Landadel dürfte die Begeisterung durchwachsener gewesen sein, mussten doch gerade sie damit rechnen dass ihr bisher wenig behelligtes, selbstherrliches Handeln zukünftig beschnitten würde. Analog zu seinen Amtshandlungen in Böhmen, wo ihn der Vater bei seinen wiederholten Abwesenheiten zu Statthalter bestimmte, wirkte Karl auch in Mähren. Er löste verpfändete Schlösser in der Grafschaft aus, vermehrte dadurch seinen landesherrlichen Besitz und beschnitt parallel den örtlichen Adel. Gleichzeitig suchte er mit den Städten in gutem Einvernehmen zu bleiben, weswegen er besonders dem Schutz der Handelswege frühzeitig die gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Hielt sich ein Landesherr seine Städte gewogen, konnte er sich dadurch eine wichtige Balance zum eigenen, oft nach Autonomie strebenden Adel schaffen. Das Prinzip zog sich von der Ebene der Territorialfürsten bis hoch zur obersten Reichsebene, wo der König oder Kaiser dem gleichen Gedanken folgend ein System von ihm direkt unterstellten Reichsstädten unterhielt, die so ein Gegengewicht zu den reichsunmittelbaren Fürsten bildete. Selbstverständlich ist die Entstehung der Reichsstädte facettenreicher als es unser vereinfachtes Beispiel suggerieren mag, auf die weiteren Details näher einzugehen, würde jedoch den Umfang unnötig überspannen, es soll an der Stelle genügen. Merken wir uns einfach, ein Landesfürst, selbst der Kaiser nutzte die verschiedenen Stände in seinem Herrschaftsgebiet als jeweilige Gegengewichte zur Durchsetzung seiner landesherrlichen Gewalt. Es wäre übrigens verkehrt anzunehmen, der Adel wäre hier immer der renitente Teil und die Städte die treuen Vasallen. Sehr wohl gab es in allen Teilen des Reichs, den Landesherren loyale eingestellte Adelshäuser,  ebenso wie es aufsässige, nach Autonomie strebende Städte gab. Ein kluger Fürst verstand es, sofern ihm die Hände nicht aufgrund anderer Umstände gebunden waren, den Ausgleich beider Kräfte zu fördern, die Ausschläge in die eine oder andere Richtung zu minimieren und nur im Notfall beide Seiten gegeneinander auszuspielen.
Karl brachte eine natürliche diplomatische Begabung mit, was ihm überraschend schnelle Verständigungserfolge bei Adel, Klerus und der Stadtaristokrstie einbrachte. Sein Sprachtalent und Bildung rundete seine von Haus aus gegebene Autorität soweit ab, um bei den Zeitgenossen großen Eindruck zu hinterlassen und dies obwohl er gerade erst ins Mannesalter vorgestoßen war.


Zweite Ehe Johanns von Böhmen

Karls Mutter Elisabeth, die am 28. September 1330 verstorbene Königin von Böhmen, wurde nach ihrem Tod von ihrem Mann Johann, wenn überhaupt, so doch nur rein formell betrauert, um nicht den Unmut in Böhmen zu schüren. Seit  vermutlich 1323 war die Ehe nach heutiger Terminologie zerrüttet. Sie lebte in dieser Zeit sogar im niederbayrischen Exil. 1325 erlaubt ihr der König zurückzukehren, wo sie fortan, aller Kinder beraubt, zunehmend vereinsamte und wahrscheinlich geistig erkrankte.

Nach vier Jahren der Witwerschaft, vermählte sich der zwischenzeitlich 38 Jährige König im Dezember 1334 ein zweites Mal. Die Wahl fiel, man konnte es bei ihm kaum anders vermuten, auf eine französische Prinzessin. Sie entstammt dem Hause Bourbon, einer weiteren Nebenlinie der Karpetinger Königslinie. Johanns Hang zu Frankreich war groß, für einen deutschen Fürsten fast zu groß. Die von ihm initiierten oder nachhaltig unterstützenden Heiratsverbindungen mit dem französischen Hof oder dem Hof nahstehender Seitenlinien, waren selbst nach üblichen dynastischen Aspekten betrachtet, ungewöhnlich. Begonnen hatte es damit dass er seine Schwester Maria mit König Karl IV., dem letzten Vertreter der älteren Karptinger Königslinie verheiratete. Als nächstes folgte die arrangierte Heirat seines Sohnes Karl mit sem Haus Valois, das mit Philipp VI., dem Schwager Karls, nach dem Tod des vorherige Monarchen, jetzt die französischen Könige stellte. Mit Philipps erstgeborenem Sohn und späteren Nachfolger, Johann II., vermählte er seine Tochter Jutta und nun heiratete er selbst als krönenden Abschluss einen Bourbonin, womit selbst nach dem Tod der Schwester, immer noch eine dreifache Verbindung bestand.

Beatrix von Bourbon

Seine junge Gemahlin Beatrix war zum Zeitpunkt der Vermählung 14 Jahre und damit stolze 24 Jahre jünger als ihr Gemahl.  Ungewöhnlich waren Altersunterschiede dieser Höhe zwar nicht, doch darf man sich dennoch nicht über das Konfliktpotenzial solcher Verbindungen hinwegtäuschen. Beatix war die Cousine des amtierenden französischen Königs. Ihr Vater war Ludwig I. (1279 – 1341), Herzog von Bourbon und Graf von La Marche. Als Großkämmerer und Pair von Frankreich, gehörte er zu den einflussreichsten Personen am Hofe König Philipps.

Der zugrunde liegende Heiratsvertrag beinhaltete neun Klauseln wovon wir eine herausheben möchte, da sie für den weiteren Zusammenhalt der Luxemburger Stammlande mit den böhmischen Kronlanden, von Bedeutung war. In diesem Artikel wurde vereinbart, dass der oder die männlichen Nachkommen aus der Ehe, zukünftig die Luxemburger Länderreien im Westen des Reichs erben sollten. Für beide Söhne aus erster Ehe, Karl und Johann-Heinrich, hatte dies wesentliche Auswirkungen, da sie hierdurch vom reichen Erbe im Westen ausgeschlossen wurden. Karl wurde gezwungen den Vertrag zu unterzeichnen. Sein Bruder war noch minderjährig, der Vater tat es daher an seiner statt und gegen dessen Interessen. Nach Meinungsverschiedenheiten zwischen Karl und dem Vater in Norditalien vor etwas mehr als einem Jahr, war diese neuerliche Angelegenheit bestens geeignet einen schweren innerfamiliäreren Zwist zu entfachen aber Karl fügte sich letztlich unter das Dominat des Vaters und akzeptierte die Entscheidung.

Die Hochzeit wurde in Vincennes vollzogen, das damals noch außerhalb von Paris lag. Die eigentlichen Feierlichkeiten wurden aber in Paris begangen, wo unter anderem ein großes Turnier abgehalten wurde. Kein Turnier an dem Johann nicht versucht hätte teilzunehmen, so auch bei seiner eigenen Vermählung. Doch dieses Mal kostete es ihn beinahe das Leben. Er wurde schwer verletzt und es dauerte ein halbes Jahr bis er sich davon erholte. In dieser Zeit verließ er Paris nicht und Karl führte die Amtsgeschäfte in Böhmen fort.

Aus der Ehe ging am 25. Februar 1337 mit Wenzel ein Sohn und der zukünftige Erbe der Luxemburger Gebiete hervor.


Hochzeit in Mähren

Im folgenden Jahr fand eine neuerliche Hochzeit in der Familie statt. Am 26. Februar 1335 heiratete die rund sechszehnjährige Prinzessin Anna von Böhmen, Karls jüngste Schwester und Johanns vorläufig jüngstes Kind, im mährischen Znaim Herzog Otto von Habsburg (1301 – 1339). Er trug den Beinamen „der Fröhliche“, war der jüngste der sechs Söhne des 1308 ermordeten, vormaligen römisch-deutschen Königs Albrecht I.  und Enkel des ehemaligen römisch-deutschen Königs Rudolf I. von Habsburg. Als sechster in der männlichen Erbfolge war es nicht wahrscheinlich, dass er jemals eine besondere Stellung oder gar eine eigene Herrschaft erlangen könnte. Die Umstände entwickelten sich dann allerdings anders. Drei seiner älteren Brüder starben vor ihm und hinterließen keine oder nur weibliche Nachkommen. Auch sein nächstälterer Bruder Heinrich war zwischenzeitlich kinderlos verstorben. Wir berichteten im letzten Kapitel über ihn. Es war jener Herzog Heinrich, der 1322 in der Schlacht bei Mühlberg zusammen mit dem ältesten Bruder Friedrich, dem damaligen römisch-deutschen Gegenkönig, vom Burggrafen Friedrich IV. von Hohenzollern-Nürnberg gefangen genommen, anschließend dem böhmischen König Johann ausgeliefert wurde und dann für einige Monate auf Burg Pürglitz interniert war, wo er den damals sechsjährigen Kronprinzen Karl kennenlernte. Zum Zeitpunkt der Heirat Ottos, lebte mit Herzog Albrecht nur noch ein älterer Bruder. Beide teilten sich fortan die Regentschaft der umfangreichen habsburgischen Besitzungen.

Mit dieser letzten von Johann eingefädelten Vermählung bestanden nun von Seiten der Luxemburger Heiratsverbindungen nach allen wesentlichen Seiten. Zu den Wittelsbachern, wenn auch einer Nebenlinie und nicht zum kaiserlichen Familienzweig, in zweifacher Weise zu den Valois, der momentanen französischen Königslinie, zu den Bourbonen, einer Nebenlinie der französischen Königsdynastie und nun auch zu den Habsburgern, welche in den letzten 50 Jahren drei römisch-deutsche Könige stellten. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass Johanns Kinder, Söhne wie Töchter und natürlich er selbst, in höchstem Kurs standen und er sich bestens darauf Verstand Politik durch geschickte Heirat zu machen. Wahrscheinlich war Karl schon damals längst bewusst geworden welche Möglichkeiten sich aus einer konsequent praktizierten Heiratspolitik ergeben könnten.

Johann war aufgrund seiner Turnierverletzung bei der Hochzeit der Tochter nicht anwesend. Karl übernahm die Rolle des Vaters und reichte dem Bräutigam die Hand der Schwester zum Bunde. Eine Gästeliste liegt uns nicht vor aber die Festivität muss sehr groß und prunkvoll gewesen sein, denn einer Verpflegungsliste für Pferde entnehmen wir, dass Hafer und Stroh für 6.000 Pferde vorgehalten wurde.

Es ist wahrscheinlich dass Karl im Anschluss das Brautpaar nach Wien begleitete, wo eine Urkunde bezüglich der Mitgift ausgestellt wurde. Die beiden regierenden Herzöge verzichteten auf das Brautged von 900 Mark Silber und nahmen stattdessen die Stadt Znaim und Umgebung als Pfandbesitz. Es lässt sich darüber diskutieren weshalb Karl eine bedeutende Stadt aus seiner Markgrafschaft als Pfand abtreten musste, schließlich war es am Vater die Mitgift aufzubringen und nicht am Bruder. Dass beide, besser gesagt, dass Johann schmal bei Kasse war, hatten wir am Ende des ersten Kapitels dargelegt, es muss dennoch wundern, dass Karl dafür aufkam aber vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig.


Die Tiroler und Kärtner Hinterlassenschaft

In Buch 2, Kapitel I über Ludwig den Brandenburger, den ältesten Sohn Kaiser Ludwigs IV., den man den Bayer nannte, haben wir aus der Sicht der Wittelsbacher die Vorgänge rund um die Tiroler, bzw. Kärntner Affäre berichtet. In Kapitel II dieses Buchs, betrachten wir den gleichen Sachverhalt aus der Perspektive der Luxemburger. Fassen wir dazu die Ausgangslage noch einmal zusammen.

In der Grafschaft Tirol und in den Herzogtümern Kärnten und Krain regierte seit 1310 Herzog Heinrich von Kärnten (um 1270 – 1335). Er entstammte dem Geschlecht der Meinhardiner. Heinrich war in erster Ehe mit der ältesten Tochter König Wenzels II. von Böhmen verheiratet. Sie war die Schwester von Johanns erster Frau Elisabeth, was Johann zu einem Schwippschwager Heinrichs machte. Mit dem Aussterben der männlichen Linie des traditionellen böhmischen Königshauses, erhielt Heinrich einen Anspruch auf die Krone und wurde 1307 von den böhmischen Ständen zum König gewählt. Durch einen misslungenen Heiratsplan bei dem sich die jüngere Schwester Elisabeth kategorisch weigerte Folge zu leisten, kam es zum Zerwürfnis mit dem Königspaar. Die Stände Böhmens hielten zur jüngeren Schwester, witterten darin die Chance sich des ungeliebten Königs zu entledigen und überredeten Elisabeth den Sohn des amtierenden Kaisers Heinrich VII. aus dem Hause Luxemburg zur heiraten. 1310 kam es in Speyer zur Trauung. Gleichzeitig wählten sie ihn zu ihrem neuen König, quasi zum Gegenkönig Heinrichs von Kärnten. Gegenkönig war ein für böhmische Verhältnisse bislang unbekanntes Phänomen. Johann rüstete mit Hilfe des Vaters ein Heer, zog nach Böhmen und vertrieb Heinrich aus dem Land. Seither saß mit Johann ein Luxemburger auf dem Thron Böhmens.

Margarete von Tirol
Bronzestatue in der Innsbrucker Hofkirche

1325/26 nahm Johann Kontakt zu seinem früheren Rivalen Heinrich auf. Es ging um eine Heiratsverbindung zwischen seinem jüngsten Sohn Johann-Heinrich und der Tochter des Herzogs. Schon 1327 kam es zur Verlobung des gerade fünfjährigen böhmischen Prinzen mit der neunjährigen Margarete. Der Junge blieb am Tiroler Hof, um dort erzogen zu werden und unter anderem auch die deutsche Sprache zu erlernen, wogegen er sich mit großer Vehemenz wehrte. Die Mutter hatte es augenscheinlich nicht nur versäumt ihm die Sprache beizubringen bzw. beibringen zu lassen, sie beeinflusste ihn wahrscheinlich auch dahingehend negativ, was seine Widerspenstigkeit erklären mochte.

Überhaupt erwies sich der junge Prinz von der ersten Stunde an als äußerst schwierig und in vielen Belangen des alltäglichen Verhaltens als auffällig. Er neigte zu Gewaltausbrüchen und Gängeleien gegen seine spätere Braut. Die Überlieferungen sprechen davon er hätte gebissen und gekratzt. Das Verhältnis war von Anbeginn höchst belastet und verschlechterte sich fortlaufend. An eine Ehe konnte eigentlich nicht gedacht werden. Nichtsdestotrotz fand die offizielle Vermählung im September 1330 statt, den Bund gingen zu diesem Zweitpunkt zwei Kinder von acht und zwölf Jahren ein.

Für Johann war die Verbindung politisch von großer Bedeutung denn Margarete war die zu erwartende Alleinerbin umfangreicher Ländereien, nachdem ihre Schwester bereits 1325 verstorben war und sonst keine Nachkommen existierten. Über das Motiv Johanns muss deswegen an der Stelle wenig mehr gesagt werden. Margarete von Tirol-Görz war eine außergewöhnlich gute Partie, hierfür hatte ihr Vater noch im Jahr der offiziellen Hochzeit gesorgt indem er beim Kaiser erwirkte, dass seine Ländereien an die Tochter vererbt werden durften und nicht nach seinem Tod als erledigtes Lehen an das Reich zurückfielen. Man ist erstaunt über diese kaiserliche Gunst, war damit doch wahrscheinlich, dass ein Luxemburger Erbe die Herzogtümer und die Grafschaft erben würde. Über Johanns Motiv zur Eile kann man sich wiederum nicht wundern, er wollte die Heirat für seinen Sohn aus nachvollziehbaren Gründen nun schnell unter Dach und Fach bringen. Der hierzu unbedingt notwendige päpstliche Dispens, immerhin waren die Brautleute Cousine und Cousin, die Mütter waren wie erwähnt Schwestern, wurde recht einfach erwirkt. Zu Papst Johannes XXII., der nur von Avignon aus regierte, bestand durch Johanns intime Nähe zum französischen Hof, ein gutes Verhältnis, es war ihm nicht schwergefallen gegen Aufbringung entsprechender Gelder oder Sicherheiten, den Dispens zu erkaufen. Bleibt die Frage was Herzog Heinrich zur Eheverbindung bewog? Vergessen wir nicht, es war immerhin der gleiche Johann der ihn vor 20 Jahren vom Thron Böhmens vertrieb.
Es ist sehr wahrscheinlich dass der Herzog die Verbindung zunächst als eine reine Option ansah, eine Absichtserklärung die man schloss, aber auch wieder lösen konnte, sollten sich veränderte Umstände ergeben. Soweit alles erklärbar und einleuchtend, immerhin war ein Sohn des Königs von Böhmen alles andere als eine schlechte Wahl und bessere Kandidaten nicht in Sicht, denn Alternativen aus den Häusern der in direkter Nachbarschaft liegenden Wittelsbacher im Norden als auch der Habsburger im Westen und Nordosten, standen momentan nicht zur Debatte. Steht schließlich noch die Frage offen im Raum, weswegen Herzog Heinrich dem Abschluss einer vorzeitigen Kinderehe 1330 keinen größeren Widerstand entgegensetzte, die erwähnte Option hätte ja ungeschmälert weiterbestanden. Die wahrscheinlichste Erklärung dürfte hier sein Alter gewesen sein. Es liegt die Vermutung nahe, dass er noch zu Lebzeiten seine Tochter in rechtlich gesicherten Verhältnissen wissen wollte, bevor sein Ableben eine Lawine von Prätendenten auf den Plan gerufen hätte, die das führungslose Land oder immerhin Teile davon, an sich zu reißen suchten. Weiter wird Johann ihm, sehr salopp ausgedrückt, ziemlich auf die Nerven gegangen sein.
Wie dem auch sei, die Ehe wurde am 16. September 1330 formal geschlossen. Der kindliche Bräutigam erwies sich jetzt mehr denn je als Tyrann. Margarete entwickelte, je älter und reifer sie wurde, je mehr eine Abneigung gegen den ungehobelten, regelrecht verhaltensgestörten Kindgatten, woraus sich sehr bald tiefer Hass entwickelte.

Die im September geschlossene Ehe, rief jetzt die Habsburger und nicht nur sie, sondern auch den Kaiser auf den Plan. Keine der beiden Parteien hatte ein Interesse an einem bald eintretenden territorialen Zuwachs der Luxemburger. Für die Habsburger säße der Luxemburger Konkurrent mitten zwischen ihren westlichen Stammlanden und den Landschaften Nieder- und Oberösterreichs im Osten. Für den Wittelsbacher Kaiser hätte es im Falle politischer Krisen mit dem Hause Luxemburg, zur Sperrung der wichtigen Alpenübergänge nach Reichsitalien bedeuten können. Zu alledem kam die eigene Gier nach einem Teil der Erbmasse. Kaiser und Habsburger schlossen in einem Abkommen anlässlich des Hoftags zu Augsburg, am 26. November 1330 eine Teilungsvereinbarung. Der Kaiser gestand den beiden Habsburgern Albrecht und Otto nach dem Tod des alten Herzog Heinrich die Herzogtümer Kärnten und Krain zu, während er selbst sich den nördlichen Teil Tirols anzueignen gedachte, im wesentlichen der heutige österreichische Teil Tirols ohne Osttirol. Dem Ehepaar Margarete und Johann-Heinrich sollte weitestgehend nur Südtirol bleiben. Die Vereinbarungen konnten damals geheim gehalten werden und die Luxemburger blieben ahnungslos.

Am 2. April 1335 starb Herzog Heinrich von Kärnten und Krain, Graf von Tirol, auf der Burg Tirol. Der lange erwartete Erbfall trat ein und Universalerbe war Margarete als einziges hinterbliebenes Kind. Erst jetzt wurden die Inhalte des Ende November 1330 in Augsburg geschlossenen Geheimabkommens zwischen dem Kaiser und Habsburg offenbar. Augenblicklich rückten habsburgische Truppen in die beiden Herzogtümern ein und besetzten sie. Schon einen Monat später, am 2. Mai 1335 belehnte Kaiser Ludwig IV. die beiden Brüder in Linz mit den Herzogtümern Kärnten und Krain. Da der jüngere Otto bereits wenige Jahre später starb, wurde Albrecht als letzter von ehemals sechs Brüdern zum Alleinherrscher der habsburgischen Gebiete und zum vorläufig größten Territorialfürsten im Reich. Er hielt dem Kaiser als Dank für die erhebliche Gebietserweiterung fortan die Treue, selbst als er späterBündnisse, die letztlich reine Lippenbekenntnisse waren, mit den Widersachern des Kaisers einging. Hierin erkennen wir eine der Handlungsmotive des Kaisers. Selbst verfügte er damals noch nicht über eine ausreichend starke Hausmacht um einen möglichen Konflikt mit dem Hause Luxemburg durchstehen zu können und war unbedingt auf die Stütze der Habsburger angewiesen. Nur daraus erklärt sich die überaus großzügige Belehnung. Aber dieser Akt war nicht nur reine Bündnispolitik. Ludwig trachte sehr wohl ebenfalls nach einer Erweiterung seiner Besitzungen und das an seine bayrischen Ländereien angrenzende nördliche Tirol war naheliegendes Objekt der Begierede. Auch er rückte mit Truppen ein doch er stieß bald auf heftigen Widerstand der Tiroler Adelesstände. Johann entsandte als Gegenmaßnahme seinen Sohn Karl mit Truppen zur Unterstützung des Bruders und seiner Gattin Margarete, die ganz offensichtlich des größten Teils ihres Erbes beraubt werden sollte. In die kämpferischen Auseinandersetzungen mischten sich nun auch die Habsburger ein und es drohte wegen der Tiroler Erbschaft ein Flächenbrand und Konflikt zwischen den drei mächtigsten Dynastien des Reichs zu entbrennen. Es blieb glücklicherweise bei lokalen Scharmützeln mit überschaubaren Truppenkontingenten.

Am 9. Oktober 1336 schloss man zu Enns Frieden. Klare Sieger blieben die Habsburger, die ihre Erwerbungen darin bestätigt bekamen und hierfür nur verhältnismäßig geringe Zugeständnisse gegenüber dem böhmischen König machen mussten, darunter die Rückgabe der als Pfand erhaltene Stadt Znaim in Mähren und die einmalige Zahlung von 10.000 Mark in Silber. Die eigentliche Erbin erhielt, außer dass sie ihr rechtmäßiges, sehr beschnittenes Resterbe antreten durfte, nichts weiter. Auch der Kaiser ging leer aus, so schien es zumindest. In der Landesgeschichte Tirols gilt die erfolgreiche Aufrechterhaltung der Integrität als wichtiger Meilenstein. Er drückt den unbedingten Willen und die Selbstwahrnehmung der Tiroler als unteilbare Region und Landsmannschaft aus. Dieser hat sich bis heute erhalten auch wenn Tirol seit dem Ende des I. Weltkriegs zwischen Österreich und Italien aufgeteilt ist.

Karl fungierte seit seiner Entsendung nach Tirol als Verwalter des Landes und möglicherweise auch Aufpasser des jungen Bruders, der mit einsetzender Geschlechtsreife den Weiberröcken nachzujagen begann und sich nicht daran störte dass er verheiratet war. Es war ein würdeloses Verhalten des Gatten der eigentlichen Landesherrin. Je mehr er deswegen auf Ablehnung stieß, je autoritärer und herrischer trat er auf. Es begann bald unter der Decke des Landadels zu brodeln, was noch verstärkt wurde durch die massive Berufung böhmischer Beamter in hohe Verwaltungsämter. Auch wenn man Karls Motivation dahinter nachvollziehen kann, blieb es ein strategischer Fehler der eine Lawine ins Rollen brachte, dazu aber später mehr.


Karl wird erstmals Vater

In all die Wirren um die Tiroler Erbschaft, kam im gleichen Monat wo auf Burg Tirol der alte Herzog Heinrich für immer die Augen schloss, in Prag Karls erstes Kind am 25. Mai 1335 zur Welt. Im übrigen der gleiche Monat in dem auch Karl geboren wurde. Das Mädchen erhielt den Namen Margarete, den zweiten Vornamen der Mutter. Zusammen mit Elisabeth war Margarete der weitverbreiteste Vorname der Zeit, wobei nicht wie heute modische Trends den Ausschlag gaben sondern traditionelle Überlegungen.

Karl führte die erfolgreiche Heiratspolitik seines Vaters konsequent fort. Seine Tochter Margarete war dabei sein erstes Verhandlungsobjekt. Im Februar 1337 reiste er nach Visegrád (dt: Plintenburg) wo seinerzeit noch die Residenz der ungarischen Könige lag und vereinbarte mit Karl I. von Ungarn die Verlobung seiner Tochter mit dem ungarischen Kronprinzen Ludwig. Es wurde für den Herbst des Folgejahre vereinbart, dass die junge böhmische Prinzessin in Brünn übergeben wird um fortan am ungarischen Hof erzogen zu werden. Sie war zu diesem Zeitpunkt gerade mal dreieinhalb Jahre alt. Karl riss das Kind aus den Armen der Familie und aus seiner vertrauten Umgebung und schickte es buchstäblich in die Fremde. Wir werden hierin erinnert an Karls eigenes Schicksal im kindlichen Alter, wenn damals auch die Vorzeichen andere waren. Die seelische Belastung muss enorm gewesen sein und langfristige seelische Schäden wahrscheinlich, wenn Kleinkinder von der Mutter und etwaigen Geschwistern weggerissen wirden, was bis auf Ausnahmen üblich war in Fürstenkreisen. Als Kompensation wuchsen die Kinder des Hochadels überwiegend im Kreise ihrer Ammen, einer Anzahl sonstiger Damen und festen Bezugspersonen auf und die leiblichen Eltern nahmen eine entrückte Stellung im Leben der Kinder ein. 

Als Mitgift für die spätere Vermählung wurden vertraglich 10.000 Mark in Silber vereinbart. Weiterer Bestandteil des Ehevertrags war ein gegenseitiges Bündnis gegen Polen. Einerseits verpflichtete sich Karl von Böhmen dem ungarischen König oder seinem Nachfolger bei der Erlangung der polnischen Krone zu unterstützen, sollte dereinst Kasimir der Große ohne männlichen Nachkommen sterben. Zum anderen sagte Ungarn militärischen Beistand zu, sollte es mit Polen zu kriegerischen Verwicklungen kommen. Die gegenseitigen Ansprüche auf die schlesischen Herzogtümer boten hierzu immerhin ausreichend Zündstoff.

Die eigentliche Hochzeit der Zehnjährigen wurde 1345 gefeiert. Margaretes Ehemann war neun Jahre älter und zum Zeitpunkt der Trauung somit bereits 19 Jahre alt. Wir wissen wenig über das Leben Margaretes am ungarischen Hof, auch nichts über die Ehe. Sie starb bereits am 7. September 1349 mit nur vierzehn Jahren. Die kurze Ehe mit der noch heranwachsenden Margarete blieb demgemäß kinderlos.


Karl auf Preußenfahrt

Über die Gründung des Deutschen Ritterordens vor Akkon und die Entstehung des späteren Ordensstaats, haben wir in Buch 1 an verschiedenen Stellen berichtet. Mitte des 14. Jahrhunderts war der Ordensstaat auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung. Eine moderne, überaus effektive Staatsverwaltung, getragen von einer streng hierarchisch aufgebauten Kleriker- und gleichzeitig Kriegerkaste, gab dem Gebiet ein starke innere Festigkeit sowie äußere Widerstandskraft. Das hauptsächliche Betätigungsfeld der Ordensbrüder des Deutschen Ritterordens seit ihrem Erscheinen im Land der Pruzzen, bestand in der Missionierung der heidnischen Völker des Baltikums, was größtenteils bis zur Wende des 13. zum 14. Jahrhundert entlang der gesamten Ostseeküste abgeschlossen war. Nur das Großfürstentum Litauen, geografisch und kulturell nicht mit dem heutigen Litauen zu verwechseln, verweigerte sich bislang konsequent und mit Erfolg einer Christianisierung. Die unmittelbare Nachbarschaft und der Ggeensatz beider lokalen Machtblöcke, führte schon zwangsläufig zu Konflikten und einem andauernden Kriegsverhältnis.

Mit dem Verlust der letzten Kreuzfahrerbastionen im Heiligen Land, hörten zwar die gewaltigen, mit viel Aufwand ausgerufenen und organisierten Kreuzzüge in diese Region auf, doch war es nicht das Ende der Kreuzzüge allgemein. Die Wahrnehmung des Kreuzzugbegriffs ist in heutiger Zeit hauptsächlich geprägt von den Bildern die Kinofilme oder Historienromane in unseren Köpfen hinterlassen. Die breite Masse verbindet mit Kreuzzug ausschließlich jene Gewaltanstengungen die dem Zweck dienen sollten, die heiligsten Stätten der Christenheit aus den Händen der Muslime zu entreißen. Tatsächlich fanden die mit weitem Abstand zahlenmäßig meisten Kreuzzüge nicht unter der glühenden Sonne einer ausgedörrten Region statt sondern weit im Nordosten Europas und dazu auch noch im Winter. Jährlich pilgerten ab dem Spätsommer die adligen Söhne komplett Mittel- und Westeuropas ins Ordensland, wo man sich im Herbst versammelte und sich für den Einfall ins Land der Heiden, ins Land der Litauer rüstete. Zumeist waren es junge adlige Abenteurer die wenig Chancen auf ein eigenes Erbe hatten, da sie weit hinten in der Erbfolge standen. Aber und das soll hier betont werden, auch der europäische Hochadel war sich weder zu schade noch zu bequem die sogenannte Preußenfahrt oder Litauenreise auf sich zu nehmen, im Gegenteil, es wurde bald zu einer weit verbreiteten Mode, mindestens einmal einen Kreuzzug gegen die slawischen Heiden mitzumachen.

Die Motivationen waren sehr unterschiedlich. Betrieb der Deutsche Orden das Ganze noch in der glaubhaften Absicht das Wort Christi zu verbreiten, wenn auch unterstützt durch Schwert und Schild, war es für viele der reisenden Kreuzfahrer, insbesondere von Vertretern aus wenig begüterten Adelskreisen, eine hervorragende Gelegenheit neben Reputation im Kampf, vor allem Beute beim Plündern zu machen und geplündert und gebrandschatzt wurde über die Maßen, soviel kann gesagt werden. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Litauer hierbei nicht die „armen Wilden“ waren, die hoffnungslos den fast jährlichen Übergriffen ausgeliefert waren. Auch sie fielen regelmäßig, meist in kleinen Scharen, in die Grenzgebiete des Ordens ein, überfielen die Dörfer der Kolonisten, töteten und entführten die Bewohner, um dann Lösegelder zu erpressen. Wer damit begann ist müßig zu erörtern, vermutlich schaukelten sich Grenzkonflikte mit der Zeit so weit hoch, bis der Krieg zum Dauerzustand wurde.

Der aufmerksame Leser wird sich möglicherweise bereits gewundert haben, warum strömten die Ritter ausgerechnet zum Herbst ins Land zwischen Weichsel und Memel? Auch wenn Winterfeldzüge nicht ganz ungewöhnlich waren, so galt doch stets der Sommer und Herbst als die Hauptsaison für Feldzüge. Gerade im eisigen Nordosten, mit seinen kalten Kontinentalwintern, schweren Schneefällen und langen Nächten, muss es für die in Eisen gerüsteten Kämpfer eine regelrechte Qual gewesen sein. Alles richtig, doch waren die Wegverhältnisse weit fürchterlicher als das kalte Klima. Nur im Winter war es den berittenen, schwergepanzerten Streitkräften des Ordens und ihrer adligen Hilfsvölker möglich, operativ vorzugehen ohne in Sümpfen und Wäldern fast buchstäblich zu versinken. Die Aktivitäten waren meistens auf wenige Tage begrenzt. In dieser Zeit stieß man von einem festen Platz, heißt einer Grenzbefestigung oder einer Burg, in das heidnische Gebiet vor, durchkämmte in dieser Zeit einen Streifen Land bis zu einer gewissen Tiefe und kehrte dann mit  Beutegut und in Begleitung von entführten Frauen und Kindern, seltener von männlichen Geiseln, in die Ausgangspositionen zurück. Angetroffene Männer wurden entweder im Kampf gestellt, dabei dann zumeist getötet oder diese flüchteten in die überall dichten Wälder und warteten auf das Ende des Spuks. Wenn es ihnen rechtzeitig möglich war, selbstverständlich mit ihren Angehörigen.

Nach einigen Ruhetagen und bei geeigneter Wetterlage, unternahm man einen erneuten Einfall nun in eine andere Richtung, musste diesmal aber vorsichtiger vorgehen, denn natürlich hatte es sich herumgesprochen und der lokale litauische Adel versuchte geeignete Abwehrmaßnahmen zu ergreifen oder seinerseits Einfälle vorzunehmen. Dieses Prozedere wiederholte sich einige Male und von vielen Kampfgruppen geführt, entlang der langen Ostgrenze des Ordens. Auf diese Weise entstand mit der Zeit, oft schon nach einem oder zwei Jahren, entlang der Einfallzonen ein Saum von unterschiedlicher Breite nach Osten, der mehr und mehr entvölkert war. Die Gebiete annektierte man Schrittweise, baute Befestigungsanlagen und holte Siedler in das jetzt fast menschenleere Land. Jene die noch blieben, unterwarfen sich für gewöhnlich und nahmen den christlichen Glauben an, oftmals nur vordergründig, womit sie eine rechtliche Stellung gleich den deutschen Siedlern bekamen, zumindest beinahe. Es war vergleichbar mit der Situation der Elbslawen zu Beginn der Ostexpansion der Askanier und der damit verbundenen deutschen Besiedlung der Mark Brandenburg.

Mit Einsetzen des Tauwetters hörten die Einfälle ins Gebiet der Litauer auf. Für gewöhnlich bereiteten sich die Kreuzfahrer zur Heimreise vor, sammelten ihre Beutestücke zusammen und machten sich zumeist in den Monaten Mai, Juni und Juli auf den Heimweg. Mancher blieb aber noch ein Jahr oder sogar länger, entweder um mehr Ruhm zu ernten, soll heißen mehr Beute anzusammeln, um als gemachter Mann heimzukehren oder er blieb sogar ganz im Ordensland, bekam ein Stück Land, ein Lehen zugewiesen und wurde ein ansässiger Landadliger. Das System funktionierte über Jahrzehnte hervorragend, wodurch der Orden sich langsam aber stetig ausbreitete und dadurch mehr und mehr zum Rivalen für die größte Macht in der Region wurde, für Polen, dass sich langsam zu einen und wirklich zusammenzuwachsen begann. Um Danzig und weitere Gebiete Ostpommerellens gab es schon mehrjährige Kriege mit Polen. Damals blieb der Orden am Ende Sieger, weil er auf Dauer die größeren finanziellen Mittel hatte und selbst nach Niederlagen sich schneller erholen konnte als es Polen zu diesem Zeitpunkt möglich war. Es folgte ein langer Friede in dem sich das Verhältnis beider Seiten aber nicht besserte. Was wird daher die Zukunft noch bringen?

Gehen wir zurück zu unseren Luxemburger Protagonisten Johann und Karl. König Johann war einer der prominentesten Teilnehmer der sogenannte Preußenfahrten. Insgesamt nahm Johann an drei dieser Kriegszüge teil, es wären möglicherweise sogar noch mehr geworden, hätte der streitlustige König nicht anderweitig kriegerische Betätigungsfelder gefunden. 1336/37 begleitete ihn erstmalig sein Sohn Karl. Da beide erst Anfang November ihren Marsch begannen, hatten sie keine Chance vor Anfang 1337 anzukommen. Für den jetzt 20 Jahre alten Karl konnte es aus Sicht des Vaters kaum eine erfüllendere Rolle geben als die eines wackeren Kriegshelden, hoch zu Pferd, das Schwert oder die Lanze in der Hand. Karl ähnelte ihm darin aber nicht. Wenn er auch nicht scheute sich an Feldzügen zu beteiligen, diese gar anzuführen, empfand er darin nicht jene Erfüllung wie der Vater, vielmehr war es in seinen Augen oft eine unnötige Vergeudung von Ressourcen und Zeit. Um die Gefahr oder die Menschenleben ging es ihm hierbei weniger. Feige war Karl nicht, er hätte sich eine derartige Schwäche auch keinesfalls erlauben dürfen, nicht aufgrund seiner allgemeinen Stellung und schon überhaupt nicht wegen seines Vaters.

Nun ja, es kam in diesem Winter alles anders. Der Frost blieb aus, es war ungewöhnlich mild, die Sümpfe und Flüsse waren alle nicht gefroren. An einen Einmarsch war unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Johann und Karl langten beide erst gar nicht im Ordensstaat an. Zunächst machten sie Zwischenstopp in Schlesien wo wichtige Vereinbarungen mit den dort versammelten Vasallen Johanns, den Herzögen verschiedener schlesischer Fürstentümer, geschlossen wurden. Der weitere Weg führte durch Polen, wo sie auf halber Strecke buchstäblich liegen bleiben, mit ihnen der Tross, eine Reihe böhmischer Barone, und all die mitgeführten Truppen, Tiere und Gerät. Der König nutzte die ungeplante Gelegenheit sich mit König Kasimir von Polen zu treffen und ein vorhandenes Bündnis um zehn Jahre zu verlängern. Der Vertrag war vom Wesen her eher ein Nichtangriffspakt als ein echtes Bündnis aber er war dennoch für beide Vertragsparteien wertvoll. Zugegen waren die Herzöge Otto und Barnim von Pommern.

Anfang April 1337 waren Johann und sein Sohn bereits wieder zurück in Prag. Karls erste Preußenfahrt endete ungewollt als eine reine diplomatische Reise nach Schlesien und Polen und hatte nichts mit dem geplanten Heerzug im Namen des Herren zu tun. Bei Licht betrachtet war es genau die Art Regententätigkeit die zukünftig ein Markenzeichen seines Erfolgs und ein Hauptmerkmal seiner Politik werden wird, Diplomatie und Verträge.


Wieder in Tirol

Kaum in Prag angekommen, wo er nur kurze Gelegenheit bekam seine Frau zu sehen, schickte ihn der Vater wieder weiter nach Tirol. Trotz des erst im Oktober des Vorjahres geschlossenen Friedensvertrags zu Enns, traute Johann der Situation im Tirol nicht. Größer als die Sorge dass die Vertragspartner wortbrüchig würden, machten ihm eine andere Sache. Schuld daran war sein jüngster Sohn Johann-Heinrich, der Ehemann der Erbin Tirols. Der zwischenzeitlich fünfzehnjährige Tunichtgut lebte eine Leben neben seiner  Gattin her. Das Verhältnis zueinander hatte sich in keiner Weise verbessert, sogar verschlimmert. An einen Erben war unter diesen Umständen niemals zu denken und schon jetzt kursierte das Gerücht, die Ehe wäre noch nicht vollzogen worden. Auf das Alter und fehlende Geschlechtsreife des jungen Herren, konnte man es kaum schieben, galt er doch mittlerweile weithin als Weiberheld. Viel wahrscheinlicher dürfte sein, dass die Abneigung gegenseitig war und es beiden ein Bedürfnis war, einander zu meiden.

Ein zweiter Grund zur Sorge, wofür er auch keine bessere Lösung zu haben schien, waren die vielen böhmischen Verwalter in Tirol. Diese waren im gesamten Land in solchem Maße verhasst, dass es schon beinahe zum offenen Widerstand kam. Die Entsendung Karls sollte Entspannung bringen, stand er doch schon seit einiger Zeit im Ruf ein brillanter Redner und kluger Diplomat zu sein. Er verstand sich darauf die Stimmungen zu erfassen und eine ausgleichende Komponente in hitzigen Debatten beizusteuern. Natürlich war seine hohe Stellung als Prinz von Böhmen dabei besonders hilfreich. Der Vater hoffte gleichzeitig, er könne einen positiven Einfluss auf den jüngeren Bruder ausüben, möglicherweise auch seine Schwägerin gewinnen. Ein Erbe hätte die heikle Lage bereinigt und so die Luxemburger Stellung in Tirol aus dem Stand gebessert, doch war daran momentan nicht zu denken.

Für Karl folgte eine ungewöhnliche Odyssee. Er selbst hatte zu diesem Zeitpunkt den Frieden von Enns noch nicht gegengezeichnet. Den Verlust der Herzogtümer Kärnten und Krain nahm er nicht so leicht hin, wie es den Vater tat, dementsprechend bestand zwischen beiden in dieser Hinsicht eine ernste Meinungsverschiedenheit. Er fürchtete, wenn er durch die Ländereien der Habsburger, selbst jene des Kaisers zöge, dort Unannehmlichkeiten oder gar Gefangennahme zu erleben. In Begleitung seiner Vertrauten nahm er deswegen eine alternative Route und fuhr die Donau hinab bis nach Ofen das spätere Budapest, von dort über Land an die dalmatinische Küste, wo er einschiffte um über die Adria nach Italien überzusetzen. Unterwegs wurde sein Schiff von venezianischen Galeeren eingekreist, kurz vor der italienischen Küste gestoppt und aufgebracht. Auch wenn weder Karl noch sein Vater irgendwelche Konflikte mit Venedig hatten, glaubte der Kronprinz von Böhmen besser Vorsorge zu treffen. Mit zwei Begleitern seilte er sich vom Heck in ein Fischerboot ab, wurde vom Bootsführer mit allerlei Netzen, Seilen und Segeltuch bedeckt, so an den Venezianern vorbeigeschmuggelt und kam unentdeckt an Land. Zu Fuß begab er sich in das befreundete, unweit gelegene Patriachat Aquileia im heutigen Friaul, wo ihn der Patriarch Bertram von Sankt Genesius (1260 – 1350) freundlich empfing und für vier Wochen aufnahm. Von hier ging die Reise weiter nach Tirol.

Dort angekommen erschien ihm die Lage nicht besorgniserregend. Wohl erhielt er von den eingesetzten böhmischen Verwaltern einen Bericht über die manigfaltigen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Tiroler Ständen, besonders mit dem burggesessenen Adel, auch von dem besorgniserregenden Verhältnis der beiden Eheleute, Johann-Heinrich, seines Bruders und Margarete, seine Schwägerin, doch Karl schenkte sein Augenmerk einer anderen Angelegenheit. Statt sich mit voller Kraft für den Ausgleich mit dem Tiroler Adel und die Aussöhnung des fürstlichen Paares zu kümmern, schwebte Karl eine andere Mission vor. Wobei Mission kann man es nicht eigentlich nennen, denn von seinem Vater, dem König, schienen hierzu keine Anweisungen vorgelegen zu haben, vielmehr erwuchs das was jetzt kam, der reinen Initiative Karls selbst. Ob ein Gefühl der Rache oder einfach die Gunst der Stunde der Antrieb war, lässt sich nicht sagen. Betrschte wir uns einfach die weiteren Ereignisse.

Wir erinnern uns an die schmähliche lombardische Episode. Dem Vater unterwarfen sich 1330/31 nahezu alle lombardischen Städte und Regionen aus eigener Initiative. Johann bestellte daraufhin seinen sechzehnjährigen Sohn zum Statthalter und verließ Italien, um sich einem neuen Abenteuer zu widmen, man verzeihe die Ausdrucksweise. Für Karl war es das erste Amt in eigener Verantwortung. Offensichtlich stufte der Vater die Aufgabe als einfach ein, zumal er Karl vermeintlich loyale Vertrauenspersonen als Unterstützung zur Seite stellte. Vielleicht war Johann etwas sehr blauäugig, ließ sich von den euphorischen Huldigungen zu sehr blenden und machte sich recht wenig Gedanken darüber, dass vor ihm praktisch alle großen des Reichs immer in die wüsten Auseinandersetzungen der italienischen Verhältnisse verwickelt wurden und dieser Gordische Knoten bislang noch von niemandem gelöst werden konnte, schon überhaupt nicht dauerhaft. Dass die Lage sich fast augenblicklich nach seinem Abzug so dramatisch änderte, wäre aber selbst bei realistischerer Betrachtungsweise, nicht zu erwarten gewesen. Man darf davon ausgehen, dass er seinem Sohn zunächst Vorhaltungen machte mit Anspielung auf die einfach zu lösende Aufgabe, die er als zukünftiger König von Böhmen hätte lösen müssen. Das Ende kennen wir. Spätsommer 1333 zogen sich die Luxemburger aus der Lombardei zurück und Johann beerdigte seine großen Pläne in Italien.

Wenn auch charakterliche Parallelen waren, unterschied sich Karl vom Vater in manchen Facetten deutlich. Johann war ein Heißsporn, der sich in eine Schlacht warf, ohne Rücksicht auf Leib und Leben, stets die schnelle Entscheidung bevorzugend aber unwillig einen zähen und langwierigen Kampf, beispielsweise eine Zeit- oder kostenintensive Belagerung zu führen. Karl war zumeist weit entfernt von hitzigen Aktivitäten. Er hatte durchaus auch die Angewohnheit eine Gelegenheit zügig auszunutzen doch ließ er sich von Rückschlägen nicht so schnell abschrecken wie es beim Vater den Anschein hatte, war umgekehrt aber auch nicht mit dem gleichen Enthusiasmus beseelt, was gerade den Vater bei seinen Truppen und seinen Gegener immer auszeichnete. Karl war dafür in der langfristigen Verfolgung seiner Ziele ungleich zäher und beharrlicher.

Die Niederlage in Norditalien, vor bald vier Jahren, hatte er weder verwunden noch als endgültig hingenommen und abgehakt. In den etwa vier Wochen die er im Patriachat Aquileia zubrachte, bekam er über die veränderte Lage in Oberitalien Bericht. Nach dem Abzug der Luxemburger verfielen die Städte und die gesamte Region in die alten Rivalitäten und dauerhaften Städtekriege. Neu hinzu kam dass Venedig sich aktiv in die Konflikte einmischte, um sein Territorium auf Kosten des Reichs, soweit man überhaupt noch ernsthaft von Reichsitalien sprechen konnte, zu vergrößern. Die Republik Venedig war längst zu einem eigenen Machtblock geworden, der nicht nur den Orienthandel dominierte sondern längst territorial in das politische Geschehen der Zeit eingriff. Der Kaiser ließ es auf keinen Streit mit Venedig ankommen. Seit seiner Exkommunikation und seinem letzten Italienzug, dessen Höhepunkt die Kaiserkrönung war, hielt er sich aus den norditalienischen Parteiuungen heraus, zufrieden mit dem Wissen, wenn sie sich nur weiter gegenseitig beschäftigten, bliebe eine ernsthafte Autonomiebewegung undenkbar. Seine Sorge galt mehr dem Papst, der ihm ein Engagement, eine selbstbewusste Reichspolitik in Italien weiter verübeln könnte. Ganz offensichtlich hatte er zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung sich aus dem Kirchenbann lösen zu können. Wäre er mit Venedig in Konflikt geraten, indem er dessen Aggression militärisch beamtwortete, bestünde die Gefahr dass sich Papst Johannes XXII. mit Venedig zusammentat, nur um damit die Position des Kaisers und des Reichs in Oberitalien zu schwächen. Indem Ludwig IV. sich als Oberhaupt des Reichs den Übergriff auf Reichsgebiet gefallen ließ, verlor er zwar Prestige aber er vermied eine möglicherweise langwierige Verwicklung mit ungewissem Ausgang. Politisch klüger war unter allen Umständen Venedig als Aggressor agieren zu lassen, dieses dadurch gegebenenfalls selbst in Konflikt zum Vatikan geraten zu lassen und sich langfristig zu verzetteln. So zumindest die Betrachtung aus Sichtweise des Kaisers. Für Kronprinz Karl von Böhmen und seinen sechs Jahre jüngeren Bruder Johann-Heinrich, den Grafen von Tirol, war die Sachlage eine völlig andere. Sie konnten die Situation ausnutzen um eigene Interessen zu verfolgen. Da Karl den schändlichen Verrat des Markgrafen Martin von Scala nicht vergessen hatte, trachtete er danach die Schlappe von 1333 auszumerzen, wenigstens in Teilen. Kaum im Tirol angekommen, raffte er eilig eine Truppe zusammen und marschierte in die Gebiete des Markgrafen Martin ein, wo er sogleich mit der Belagerung zweier Städte, Feltre und Belluno begann und nach mehrwöchigen Belagerungen auch nahm. Mit Venedig schloss er währenddessen eine Vereinbarung in der beide Seiten ihre gegenseitigen Interessen abgrenzten.

Zurück in Böhmen und Mähren

Noch vor Einnahme der beiden Städte und den dazwischenliegenden Landschaften kehrte er nach Tirol zurück, bestimmte seinen fünfzehnjährigen Bruder die Belagerungstruppen wie auch den weiteren Feldzug zu befehligen, stellte ihm hierzu einen Tiroler – und einen Böhmer Edelmann zur Seite und schickte sich an, nach Böhmen zurückzukehren. Sein Weg führte ihn im Herbst 1337 durch die Habsburger Ländereien. Zwischenzeitlich hatte er sich mit den Herzögen Albrecht und Otto in der strittigen Angelegenheit rund um die Herzogtümer Kärnten und Krain geeinigt und den Vertrag von Enns unterzeichnet. Über Wien reiste er weiter nach Brünn, wo er einige Wochen verweilte und sich um die Belange seiner Markgrafschaft kümmerte.

Ende Januar 1338 sehen wir ihn bereits wieder in Prag. Das Wiedersehen mit seiner kleinen Familie war unter anderem geprägt von seinem Entschluss die kleine Prinzessin Margarete, sie war zu diesem Zeitpunkt keine drei Jahre alt, mit dem ungarischen Kronprinzen zu verheiraten. Der Vertrag wurde im Februar in Ungarn geschlossen, wir haben darüber und auch über den weiteren Gang der Dinge, in einem eigenem Abschnitt weiter oben berichtet.

Nach seiner Rückkehr begab sich Karl auf eine Reise durch das Land. Für Böhmen, gemeint sind hier auch die Markgrafschaft Mähren sowie die schlesischen Herzogtümer, waren Besuche des Regenten oder eines bevollmächtigten Landesverwesers selten genug, seit Johann König war. Wie wir lasen, befand sich der König vorzugsweise außer Landes und überließ so Adel, Klerus und Städte ihrem eigenen Tun, was vielerorts ausgiebig zur Schwächung der königlichen Zentralgewalt missbraucht wurde.
Die Städte sahen den Prinzen mit zuversichtlicher Hoffnung. Der böhmische Adel war geteilter Meinung, bedeutete doch die Stärkung und Straffung des königlichen Regiments, fast zwangsläufig den Verlust eigener Freiheiten. Das Verhalten des böhmischen Adels unterschied sich hierbei in keiner Weise von jenem im deutschen Reichsteil. Die Lehnspyramide, ausgehend vom König oder Kaiser, über die reichsunmittelbaren Fürsten bis zu deren Vasallen, war in ständig wechselwirkendem Fluss. Auf allen Ebenen unterhalb des Reichsoberhaupts, suchten sich die Lehnsträger gegenüber der nächsthöheren Ordnung zu emanzipieren.

Die Landesherren, besonders dann, wenn sie nicht aus einer unangefochtenen Position der Stärke gegenüber den eigenen Ständen auftreten konnten, vermieden dergleichen Reisen am liebsten. Begründet lag es an der notorischen Geldnot der allermeisten Fürsten , wodurch sie auf die eine oder andere Weise in der Schuld ihrer Vasallen standen und jene natürlich solche Gelegenheiten verwendeten, den Lehnsherren an seine Verbindlichkeiten zu erinnern und damit verknüpft entweder um die Begleichung der Schuld ersuchten oder adequate Kompensationen vorschlugen, sei es die Gewährung spezieller Rechte oder die Befreiung von bestimmten Pflichten. Ziel aller Ebenen war, sich der Herrschaft des in der Lehnshierachie über einem stehenden zu entwinden.

Noch während auf der Inspektionsreise erreichte ihn ein Brief des Vaters, vermutlich gegen April 1338, mit der Aufforderung nach Luxemburg zu reisen. Mit leeren Händen brauchte Karl nicht unter die Augen des Vater treten, das wusste er wohl. Wie stets, war Johann finanziell klamm. Seine zahlreichen militärischen Abenteuer verschlangen regelmäßig ein Vermögen. Oft war die Kriegsbeute aus den Feldzügen nicht annähernd ausreichend um die Aufwände zu decken und so bat er seine Vasallen zur Kasse, was nicht ohne eigene Opfer zu bewerkstelligen war. Karl musste also schleunigst Geld auftreiben. In Prag nahm er 30.000 böhmische Silbergroschen Kredit von der Stadt auf und eilte in Begleitung vieler böhmischer Aristokraten nach Westen, wo er im Mai den Vater in Frankfurt am Main antraf. Das Wiedersehen war recht unterkühlt und belastet von der Enttäuschung über die gering ausgefallene Summe die Karl mitführte. Missgelaunt aber notgedrungenermaßen ging der König mit zurück in sein Königreich. Vermutlich war er sich zuvor selbst schon darüber im Klaren, dass die in der Kürze der Zeit besorgten Gelder keinesfalls für sein Vorhaben reichen konnten, weswegen er dem Sohn auch entgegen zog. Von daher war die gezeigte Enttäuschung eher gespielte Inszenierung als berechtigt und zielte möglicherweise nur darauf ab, mit Härte und Unnachgiebigkeit eine erzieherische Maßnahme an seinem erwachsenen Sohn anzuwenden, am Ende war es vielleicht sogar nur eine Laune. Dem Sohn war es in seinen autobiographischen Aufzeichnungen immerhin eine Erwähnung wert.
Wieder in Böhmen angekommen führte der König selbst die weiteren Verhandlungen mit den Ständen und erwirkte eine außerordentliche Abgabe, musste dafür aber zusichern künftig keine weiteren Steuern zu erheben, außer es sollte zu einer Krönung kommen oder der Vermählung einer Prinzessin aus dem Hause Luxemburg, also um deren Aussteuer zu finanzieren. An solchen Vereinbarungen lässt sich vieles ablesen. Einerseits gab es fest definierte Ereignisse die einen Landesherren ermächtigten mit Berechtigung bei seinen Vasallen Gelder einzufordern, gleichzeitig sahen wir, wie finanziell autonom die Stände gegenüber den Fürsten waren. Das Feudalsystem des Mittelalters verstand es eine Balance unter den Ständen zu wahren und in ihren Rechten gegeneinander abzusichern, worüber sich sogar selbst das Reichsoberhaupt nicht ohne Gewährung von Sicherheiten, hinwegsetzen konnte. Gleichwohl galten diese Rechte nur für die Angehörigen der drei staatstragenden Stände, dem Adel, dem Klerus und dem städtischen Bürgertum. Es schloss nicht den unfreien Bauernstand ein, der als solcher offiziell kein offizieller Stand darstellte und die Masse der Gesamtbevölkerung des Reichs stellte. Es gab wohl auch noch freie Bauern, auch sie hatten Rechte ansatzweise ähnlich jener des Landadels doch nahm ihre Zahl aus verschiedenen Gründen stetig ab, so dass man tatsächlich mit der Zeit nur noch die drei vorgenannten Stände als maßgeblich betrachten konnte.
Mit dem Geld aus Böhmen war Johann immer noch nicht zufrieden, er zog mit Karl in dessen mährische Markgrafschaft und er musste seinen Untertanen das gleiche Angebot unterbreiten. Am 5. Juni kam man in Brünn mit den versammelten Ständen dahingehend überein.

Wozu benötigte Johann diese Gelder? Dem aufmerksamen Leser wird die Antwort kaum mehr schwer fallen können, wurde doch über Johanns Vorliebe sich in die Händel der Zeit einzumischen oder eigene Kriegszüge zu führen, ausreichend berichtet. Doch schien er diesmal größere Pläne zu haben, auch wenn sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar waren.

Der König verließ Böhmen nach verhältnismäßig kurzer Zeit, natürlich wieder Richtung Westen und übergab seinem Sohn Karl abermals die Verwaltung des Landes. Vorbei schienen Johanns Ängste dass die böhmischen Stände ihn absetzen und stattdessen den Sohn zum König bestimmen könnten. Viel trug hierzu die anhängliche Treue Karls bei. Selbst wenn es verschiedentlich zu unterschiedlichen Meinungen kam, war Johann doch von der Loyalität seines ältesten Sohnes fest überzeugt. Freilich kam es auch weiterhin zu konträren Positionen und daraus resultierend zu Belastungen, doch nie zu ernsthaften Verwicklungen.

In Frankfurt am Main kam es am 18. März 1339 zu einem neuerlichen Hoftag. Vielleicht macht es langsam Sinn sich auch an den Begriff des Reichstags zu gewöhnen und den althergebrachten Begriff des Hoftags langsam auswachsen zu lassen. Kaiser Ludwig lud in seinen immerhin über 30 Regierungsjahren zu einigen Versammlungen der großen Reichsfürsten und hierbei wiederholt nach Frankfurt ein. Die Stadt wurde spätestens unter seiner Regentschaft zu einer der ganz prominenten Reichstädte im Heiligen Römischen Reich. Ihre Stellung als Ort der Königswahl war mittlerweile zu Gewohnheit geworden und gleichsam ein ungeschriebenes Gesetz.

Auf dem vorgenannten Reichstag kam es zur völligen Versöhnung zwischen König Johann und Kaiser Ludwig. Johann nahm als unverkennbares Zeichen seiner symbolischen Unterwerfung, seine Luxemburger Erblande als Reichslehen entgegen. Man kann sagen, dass zu diesem Zeitpunkt das beiderseitige Verhältnis wieder auf einem völlig bereinigten Stand war. Die Aktivitäten Johanns in Reichsitalien, welche dem Kaiser nicht nur hauspolitisch missfielen sondern seine Autorität als obersten Lehnsherrn der oberitalienischen Regionen herausforderte, waren jetzt endgültig vergeben. Für Kaiser Ludwig IV., der auf dem Zenit seines Ansehens im Reichs stand, war ein geordnetes Verhältnis zu Johann wichtig, da er einen erneuten Italienzug plante. Hierbei hoffte er wohl einerseits auf militärische Unterstützung und andererseits auf den freien Marsch durch Tirol und die dortigen Alpenübergänge. Aus dem Italienzug des Kaisers wurde nichts, Karl und sein Bruder verwehrten den Durchgang, was nicht nur den Zorn des Vaters heraufbeschwörte sondern dem Kaiser wndgültig vor Augen führte, wie wichtig die Grafschaft Tirol für die Durchsetzung der Reichsinteressen in Italien war. Ein Plan wurde wohl schon damals in ihm geboren, der zuletzt zum Bruch beider Häuser führte. Wir werden noch darauf zu sprechen kommen.

Die Wut des Vaters indes verrauchte bald wieder. Ihm war längst bewusst geworden, dass Karl begann eigene Politik zu betreiben, immer dann, wenn man ihm dazu die Freiheiten ließ.  Die vielen Abwesenheiten Johanns führten schon zwangsläufig zu solch selbstständigen Entscheidungen, in Böhmen, teilweise in Schlesien aber vor allem in Tirol und natürlich in seiner eigenen Markgrafschaft, in Mähren. Diametral auseinander gingen die politischen Wege nicht. Trotz steigender Akzeptanz, bemühte sich der König jetzt vermehrt die Dinge durch seine Anwesenheit selbst zu regeln, was dazu führte, dass er 1339 quasi ständig auf Reisen zwischen Westdeutschland und Böhmen war. Man darf staunen über seine Disziplin und Reiseleistungen. Es wäre eine eigene Forschungsarbeit wert, die Reisewege chronolgisch geordnet und grafisch auf einer Karte visualisiert, aufzuzeichnen.

Das Jahr 1339 war entsprechend von vielen innenpolitischen Maßnahmen Johanns in seinem böhmischen Königreich gekennzeichnet. Er stellte viele Urkunden aus und griff vermehrt und ganz persönlich in die Landesbelange ein. Karl war bei vielen Regierungshandlungen entweder an seiner unmittelbaren Seite oder betätigte sich parallel und in ähnlicher Weise. Es blieb nicht nur bei solch friedfertigen Aktivitäten. Zu Zeiten musste gegen einzelne aufrührerische Vasallen vorgegangen werden, zur Strafe und  auch zur Abschreckung. Im Königreich mangelte es nicht an renitentem Adel oder Klerus. Die häufige Abwesenheit des Königs forderte deratige Entwicklung geradezu heraus. Böhmen machte darin übrigens keinen Unterschied zu allen anderen Fürstentümern mit einem feudalen Gepräge. Bis zu einem gewissen Grade tolerierten Landesherren, Könige, selbst der Kaiser solch, meist auf Autonomie abzielenden Betätigungen, regulierten sie sich doch oft genug durch bald ausbrechende Rivalitäten mit anderen Zeitgenossen von selbst. Eine allgegenwärtige Missgunst untereinander, führte zu einem sich halbwegs die Balance haltenden System der Stabilität. Die beklagenswerte Zustände in Reichsitalien dürften als ein besonders anschauliches Beispiel genügen. Sie zeigten, dass die örtlichen Rivalitäten einander die Waage hielten, so dass einen echte Autonomiebewegung kaum Boden gewann, andererseits aber ein permanentes, politisches Chaos die gesamte Region eingentlich unbeherrschbar machte und der dauerentzündete Appendix, am südlichen Ende des Reichskörpers, seinerseits an den Kräften des Reichs zehrte. Es war also hin und wieder notwendig ein Exempel zu statuieren. Die römisch-deutschen Könige verbanden dergleichen für gewöhnlich mit ihren zahlreichen Italienzügen, mit all den Verwicklungen die solche Unternehmungen für gewöhnlich mit sich brachten.

Die böhmischen Verhältnisse waren glücklicherweise weniger kompliziert. Die Souveränität des Königs wurde von keinem Rivalen ernsthaft in Frage gestellt. Kasimir von Polen, dem der Verlust der schlesischen Herzogtümer zwar Kummer bereitete und einiges an Prestige kostete, war peinlich bedacht den böhmischen König vorerst nicht zu reizen. Er verhielt sich betont neutral, zumindest vordergründig. Der ungarische König, wir erinnern uns, Karl hatte gerade für seine erstgeborene Tochter einen Verlobungsvertrag mit Ungarn geschlossen, stand König Johann wohlwollend neutral gegenüber und der Kaiser verbat sich selbst in die inneren  Angelegenheiten Böhmens einzuwirken. Bei diesen fast idealen Voraussetzungen, konnte es dem König, unter Mithilfe seines Sohnes Karl, kaum schwer fallen den aufmüpfigen Adel oder hetzerische Kleriker an die Kandarre zu nehmen. Wir wollen hier nicht zu sehr ins Detail gehen aber dennoch die wesentlichsten Vorgänge skizzieren. Von Juni an ging es sowohl gegen den Baron Nikolaus von Ziambach wie gegen den oberschlesischen Herzog Nikolaus II. von Ratibor und Troppau. Gegen den Baron von Ziambach, einen wüsten Zeitgenossen, zog Karl ins Feld und belagerte unter anderem dessen Burg Pottenstein, die erst nach neuen Wochen Belagerung und schweren Kämpfen fiel, wobei der Baron ums Leben kam. Herzog Nikolaus II. wurde vom König persönlich angegangen. Eigentlich war der Herzog ein treuer Parteigänger des Luxemburgers und hatte vom König erst vor zwei Jahren das an Böhmen gefallene, erledigte Herzogtum Ratibor zum Lehen erhalten. Gemeinsam mit seinem eigenen Herzogtum Troppau, machte es ihn zu einer bedeutenden Größe im böhmisch-, polnisch-, ungarischen Dreiländereck. Dem Bericht aus Karls Autobiographie entnehmen wir, dass der Herzog sich als ungewöhnlich hart gegenüber seinen Untertanen erwies. Der König war deswegen heftig in Rage geraten und wollte ihm alle Lehen seine entziehen. Eine Reihe böhmischer Fürsten, allen voran Karl selbst, versuchten zu vermitteln und den Konflikt friedlich beizulegen und den den König von seinen Absichten abzubringen. Am 8. Juli kam es im mährischen Olmütz zu einer gütlichen Einigung. Unter Vermittlung Karls, der eigens von der Belagerung der Burg Pottenstein anreiste, erschien Herzog Nikolaus II. von Ratibor-Troppau und demütigte sich vor dem König, gestand seine Vergehen ein und gelobte Besserung. Der König, besänftigt durch diesen Akt der Unterwerfung, nahm den Herzog wieder in Gnaden auf und belehnte ihn aufs Neue mit den beiden Herzogtümern. Eine auferlegte, nicht unerheblich hohe Geldstrafe und die Abtretung einiger Städte und Bergwerke, tat seinen Beitrag, dass der König umgestimmt werden konnte.

Die ganze Angelegenheit um den Herzog wirft ein neuerliches, vielsagendes Bild auf Karl und dessen weiter zunehmendes Geschick auf diplomatischem Gebiet.

Im August ging es gegen einen weiteren, wie es schien, unfreiwilligen Vasallen, der wegen seiner fortgesetzten Unbotmäßigkeit, seit geraumer Zeit dem König ein Dorn im Auge war. Papst Johannes XXII. setzte gegen den Willen des örtlichen Domkapitels und der Bürgerschaft, 1326 den ehemaligen Bischof von Krakau, einen gewissen Nanker (1265-1341), aus oberschlesischem Landadel stammend, in Breslau als Fürstbischof ein. Als Bischof von Krakau ließ er den  den Grundstein zum Bau der St. Wenzel Kathedrale legen, die in gotischem Stil errichtet wurde. Der polnische König Władysław I. „Ellenlang“ (1260-1333), soll ihm der Überlieferung nach, wegen dessen widerspenstigen Reden ins Gesicht geschlagen und darauf beim Papst die Verbannung ins niederschlesische Breslau erwirkt haben. Als 1335 im Vertrag von Trentschin Schlesien an Böhmen fiel, widersetzte sich der Bischof mit allem Nachdruck. Die Triebfeder des bischöflichen Widerstands war der Wunsch nach Unabhängigkeit von der Krone Böhmens. Insgeheim spekulierte der ambitionierte Kirchenmann vielleicht auch darauf einstmals Erzbischof zu werden.

Das Verhältnis zum böhmischen König war entsprechend belastet, allein fand dieser bisher weder Zeit noch ausreichende Mittel die Angelegenheit zu bereinigen. Sehr wahrscheinlich nahm der König die Widerspenstigkeit des hohen Klerikers auch nicht sonderlich ernst, zumal dieser in seinem Bistum über wenig Anhänger verfügte und so auch kaum ernsten Schaden anrichten konnte. Dass Johann sich jetzt, im Spätsommer 1339 doch zu einem Gewaltakt hinreisen ließ, muss erläutert werden. Zum fürstbischöflischen Amt gehörten umfangreiche Länderreien, die sich nicht nur im unmittelbaren Einzugsbereich Breslaus befanden oder dessen erweiterter Peripherie befanden, sondern großflächig aber nicht unbedingt zusammenhängend, weit darüber hinaus. Wegen eines, dem böhmischen König wichtigen, strategischen Objekts, kam es 1339 zum bewaffneten Konflikt. Gleichwohl 1335 im oben genannten Vertrag von Lentschin, Polen auf seine schlesischen Ansprüche verzichtete, war es seitens Böhmen klug, gewisse Sicherungsvorkehrungen an seinen neuen, östlichen Grenzen vorzunehmen. Eine bestimmte Burg in der Grenzregion Militsch, rund 50 Kilometer nordöstlich von Breslau, drängte sich hier geradezu auf. Sie gehörte zum Bistum Breslau und so trat Johann mit der Absicht die Burg zu kaufen, an den erwähnten Bischof heran. Dieser schlug jedes Angebot aus und trat in ungebührlicher Weise gegenüber Landesherren auf, befriedigt dem ungeliebten König, dessen Lehnsherrschafft er ablehnte, die Stirn zu bieten. Der Fürstbischof spielte hierbei ein riskantes und unkluges Spiel, konnte er es doch, selbst unter Aufbringung aller Kräfte, dauerhaft unmöglich gegen Johann aufnehmen. Möglicherweise hoffte er auf die Unterstützung des polnischen Königs Kasimir, war dieser doch erst vor wenigen Jahren zur Aufgabe der Ansprüche auf Schlesien genötigt worden und stand deswegen in der Kritik vieler seiner polnischen Magnate. Vielleicht glaubt er gleichzeitig den Streit zwischen dem Herzog von Ratibor-Troppau und dem König ausnutzen zu können und in ihm einen Zweckverbündeten zu finden. Wie auch immer es gewesen sein mag, beide möglichen Szenarien blieben aus, der Fürstbischof stand alleine. Wissend um diese Isolation, griff König Johann zu den Waffen und belagerte die ersehnte Burg, in der Absicht sie dem Bischof auf diese Weise förmlich zu entreißen. Karl war anlässlich dieses kurzen Feldzugs wieder an der Seite des Vaters. Die Festung fiel rasch in die Hände Johanns, es reichte schon der Aufzug einer Truppenmacht, um die Besatzung von der Ausweglosigkeit ihrer Lage zu überzeugen und so fiel die wichtige Grenzfestung unbeschädigt in die Hände des Königs.

Bischof Nanker ließ die Sache nicht auf sich beruhen. Militärisch konnte er nichts erreichen, hierzu fehlten ihm die Mittel um zu bestehen. Seine Stärken lagen im gesprochenen und geschrieben Wort und hierzu starte er nicht nur eine regelrechte Schmutzkampagne, nein, er war mutig genug seine Klage ganz persönlich und von Angesicht zu Angesicht dem König vorzubringen. Im Kloster St. Jakob zu Breslau kam es zum Eklat. Der König hatte sich dort während seiner Zeit in Breslau niedergelassen und so suchte ihn der Bischof, im Gefolge weiterer Kleriker auf, um Johann provokant zur Rede zu stellen und die Rückgabe der Burg einzufordern. Der Streit eskalierte aus dem Stand. König Johann weigerte sich selbstverständlich den Forderungen des Bischofs nachzukommen, worauf der Bischof in aller Öffentlichkeit den Kirchenbann über ihn verhängte. Es war dies das in früheren Zeiten schärfste Schwert der Kirche im politischen Ringen mit dem machtigen Adel, doch hatte sich diese Waffe längst abgenutzt. Sie wurde seit so vielen Generationen zu oft verwendet, viel zu oft in missbräuchlicher Weise, und hatte ihren Schrecken zu großen Teilen eingebüßt. Nichtsdestotrotz war Johann erstaunt über diese Kühnheit, der Überlieferung nach sagte er: „Wie frech ist dieser Pfaff. Er sucht einen, der ihn umbringe. Allein ich will mich mit seinem Blute nicht beflecken.“

 Als der Bischof das Kloster verließ, bestürmten ihn der Magistrat, er könne so nicht mit seinem König umspringen, worauf der Bischof auch über sie und die ganze Stadt den Bann, quasi das Interdikt, aussprach. Er antwortete ihnen noch: „Ich fürchte mich vor euren König nicht, der des königlichen Titels um so viel weniger wert ist, da er nicht einmal ein eigenes Erzbistum in seinem Reich hat, und die Krönung von fremden Bischöfen erbitten muss.“ Völlig egal war Johann der Kirchbann nicht und so ersuchte er mehrmals in aller Eindringlichkeit ihn und die Stadt vom Bann zu lösen, was den stolzen Bischof aber nicht beeindruckte. Warum auch? Wo es doch sein einziges Druckmittel war, so stumpf es auch mittlerweile war. Karl, der von klein auf von Klerikern erzogen wurde, litt auffallend unter der Situation, obgleich er persönlich davon nicht betroffen war. Er versuchte, wie schon vor wenigen Wochen im Zusammenhang mit Herzog Nikolaus II., auf seinen Vater Einfluss zu nehmen, doch dieses Mal blieb er erfolglos. Der Vater blieb eisern, die Grenzfestung nach Osten war zu wichtig und so verbannte er den Bischof, zog dessen Güter ein und wies die angrenzenden schlesischen Herzöge an, gleiches zu tun. Diese musste sich nicht zweimal bitten lassen und stürzten sich förmlich auf den umfangreichen bischöflichen Besitz. Der Bischof ging nach Neise ins Exil, wo er zwei Jahre später verstarb.


Krieg im Westen und Rückschläge für die Luxemburger

Ende August, Johann hatte seine Ziele in Schlesien erreicht, übergab er Karl abermals die Statthalterschaft in Böhmen und reiste nach Frankreich, um dort König Philipp VI. beizustehen, der seit 1337 im Krieg mit England lag. Die Ursachen die zum sogenannten Hundertjährigen Krieg führten, haben wir in Buch 2 beschrieben. Streng genommen ist der Begriff irreführend, da der Konflikt nicht durchgängig geführt wurde. Es handelte sich genau genommen um eine Anreihung von Kriegen mit unterschiedlichen Phasen und Feldzügen, immer wieder unterbrochen von Zeiten ohne Kampfhandlungen. Da über mehr als hundert Jahre hinweg kein offizieller Friede geschlossen wurde, somit in all der Zeit der Kriegszustand herrschte, bekam die Konfliktreihe von Historikern in späterer Zeit diese Bezeichnung.

1337 brach der erste dieser Kriege aus. Ganz korrekt ist auch das nicht, da bereits davor wiederholte Auseinandersetzungen zwischen beiden Kronen um die französischen Lehen geführt wurden. Wie dem auch sei, der Krieg sollte für beide Seiten über einhundert Jahre die Politik bestimmen und wesentlichen Anteil an der Formung beider Länder haben zu frühen Nationalstaaten haben.

In Flandern, das von Frankreich seit Philipp IV. mehr oder weniger erfolgreich annektiert wurde, regte sich in der Zeit der französischen Regentschaft regelmäßig Widerstand bis hin zu offenen Unabhängigkeitsbewegungen, die  vom militärisch übermächtigen Frankreich jeweils niedergeschlagen werden konnten. Ende der 1330‘er Jahre regte sich erneut eine starke Bewegung in  Flandern. Eduard III., der englische König, sah darin eine geeignete zweite Front um die französischen Kräfte zu verzetteln und sie gleichzeitig von seinen Besitzungen in der Normandie und in Aquitanien fernzuhalten. Er unterstützte die flandrische Unabhängigkeitsbewegung mit Geld und auch eigenen Truppen, worüber man seitens Flandern weniger erfreut war, als man hätte annehmen sollen, wollte man doch unbedingt vermeiden den anglo-französischen Konflikt auf flandrischem Boden auszutregen, was dem wichtigen Handel vieler bedeutender Städte ruiniert hätte. Man unterstützte in der Folgezeit die englischen Operationen daher auch nur halbherzig. Auf Seiten Englands standen seit dem Bündnis Kaiser Ludwigs IV. mit Eduard III., viele deutsche Fürsten, darunter der Herzog von Brabant, der Markgraf von Jülich und Berg, der Markgraf von Meißen und auch der älteste Sohn des Kaisers, Markgraf Ludwig von Brandenburg, nebst weiteren Adelskontingenten. Umgekehrt stand auf der Seite Frankreichs König Johann und mit ihm Adelsaufgebote aus Böhmen, Schlesien, Mähren, Luxemburg und der Lausitz. Es drohte deutsches Blut für die Interessen zweier europäischer Großmächte auf beiden Seiten vergossen zu werden.

Karl, der nach seinen Erfahrungen in Italien, Tirol und jüngst in Mähren und Schlesien, dem Vater vielleicht nicht unbedingt nacheifern, doch aber wenigstens gefallen wollte, reiste ihm schon nach wenigen Wochen nach. Als Statthalter Böhmens bestellte er Peter von Rosenberg und für die Markgrafschaft Mähren Zenko von Lippa. Sein Weg führte ihn zuerst nach Landshut wo er seine Schwester Margarete besuchte, deren Ehemann, Herzog Heinrich II. von Niederbayern am 1. September 1339 verstorben war. Aus der Ehe ging 1329 ein Sohn mit Namen Johann hervor, der somit noch unmündig war, so dass der Kaiser, als nächster männlicher Verwandter die Vormundschaft übernahm. Von Landshut aus reiste Karl weiter nach Westen und traf den Vater in seiner Grafschaft Luxemburg an, von wo aus sie gemeinsam dem französischen Heer entgegenzogen das zu diesem Zeitpunkt in ständiger Bewegung im nordfranzöischen Raum zwischen der Seine und Flandern operierte. Es versuchte das englisch-deutsch-flandrische Heer zu stellen, welches seinserseits verschiedene Belagerungen, darunter Rouen begann aber stets vom heranrückenden französischen Heer wieder abgedrängt wurde. Es kam zu keiner Schlacht, was sowohl Johann als auch Karl frustrierte.

Die Franzosen beschlossen die Anwesenheit der englischen Truppen im nordwestfranzösischen Raum mit einem Angriff auf das jetzt stark entblöste Aquitanien, genauer die Gascogne, auszunutzen. Johann wurde das Oberkommando dazu gegeben. Ihm gelang es in einem schnellen Feldzug große Erfolge zu erzielen.

Zwischenzeitlich war das Jahr 1340 angebrochen, noch immer war es im Nordwesten, zwischen den Hauptheeren zu keiner Feldschlacht gekommen und dennoch war es für Johann und Karl ein einschneidendes Jahr. Der König litt seit einigen Jahren an einer chronischen Augenentzündung, unter dem Begriff Opthalmie bekannt. 1337, nach einer  Preußenfahrt, musste ihm das rechte Auge entfernt werden. Nach drei Jahren erkrankte auch das linke Auge akut. Der König konsultierte in Montpellier französische Ärzte, in der Hoffnung das Augenlicht erhalten zu können. Der weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannte Arzt Guy de Chauliac (1298 – 1368), Leibarzt des späteren Papstes Clemens VI., dem ehemaligen Lehrmeister Karls am Pariser Hof, operierte das Auge, konnte es aber nicht mehr retten. Der König erblindete nach und nach völlig. Ein überaus tragisches Schicksal für Johann, dem die Chronisten deswegen den Beinamen „der Blinde“ gaben.

Die böhmische Militäroperation in Frankreich ging zu Ende, der Schockmoment war zu überwältigend, das Heer wurde entlassen und Vater und Sohn reisten nach Paris. Von dort ging es für Karl wieder zurück nach Landshut zu seiner Schwester und dann weiter nach Tirol, wo die Ehe des Bruders völlig in Scherben lag und sich ein schwerer Schlag für die Luxemburger Hausmacht abzeichnete.


Tirol & Hochzeit mit Kasimir von Polen

Die Ehe des Bruders stand noch nie unter einem guten Stern, doch mittlerweile empfanden die Eheleute die denkbar tiefste Abneigung füreinander. An Karl drangen die besorgniserregensten Gerüchte über seinen Bruder ans Ohr. Nicht nur dass er dem Gerede nach ein ehebrecherisches Leben führte auch war sein gesamtes Gehabe geeignet, ihn in ganz Tirol komplett in Verruf zu bringen. Er entschloss sich den Bruder für eine gewisse Zeit aus der Grafschaft zu holen und gemeinsam mit ihm nach Böhmen zurückzukehren. In Innsbruck regelte er die Statthalterschaft und übergab die Verwaltung an den Bischof von Trient, Nickolaus von Brünn, einem gebürtigen Mährer der ihm in seiner Markgrafschaft für einige Zeit die Kanzlei führte und den er hierbei sehr schätzen lernte. Karl wollte mit diesem Schritt den Bruder unter seine persönlichen Fittiche nehmen, gleichzeitig verhindern dass zu der aufgeheizten Stimmung noch weitere Kritikpunkte aufaddiert würden und abschließend ihn wohl auch brüderlich beraten und ermahnen.

Kaum in Böhmen angekommen, widmete sich Karl einer Tätigkeit, die er, wie kein zweiter der Zeit, zur Meisterschaft brachte, der Hochzeitspolitik. Über die kürzlich verwitwete ältere Schwester Margarete, der Herzogin von Niederbayern, haben wir mehrmals kurz berichtet. Karl plante, und hier folgte er ganz dem erfolgreichen Vorbild des Vaters, durch eine geeignete politische Wiederverheiratung der Schwester, die Position Böhmens zu festigen. Die doppelte Heiratsverbindung mit Frankreich, die des Vaters und natürlich seine eigene Ehe, war ein hervorragendes Beispiel. Karl plante, in voller Eintracht mit dem Vater, die Vermählung seiner Schwester Margarete mit dem verwitweten polnischen König Kasimir dem Großen. Karl reiste daher in Begleitung seines Bruders Johann-Heinrich im Spätjahr 1340 nach Krakau um mit Kasimir die Formalitäten abzustimmen und den Ehevertrag vorzubereiten.

Zum Heiligabend 1340 waren beide wieder in Prag und begingen das Weihnachtsfest. Vermutlich noch in Prag erhielt Karl die Nachricht vom Tod seines Neffen, des einzigen Sohnes Margaretes, dem Herzog designierten Erben von Niederbayern. Der unerwartete Tod ließ das in Bayern errichtete Luxemburger Kartenhaus völlig zusammenstürzen und die Position des Kaisers in Bayern auf einen Schlag signifikant wachsen. Kaiser Ludwig aus dem Hause Wittelsbach war als Herzog von Oberbayern ohne bislang starke Hausmacht. 1323 brachte er zwar die verwaiste Mark Brandenburg durch Belehnung seines noch unmündigen Sohnes ans Hause Wittelsbach, konnte aber seither seine territoriale Position nicht mehr erweitern, während die Häuer Luxemburg und Habsburg zeitgleich ihren Landbesitz und ihre Mittel ganz wesentlich steigerten. Durch den Tod des jungen Herzog Johann I. von Niederbayern, fiel jetzt das niederbayrische Herzogtum an ihn. Die Wittelsbach Neffen am Rhein, die Pfalzgrafen Rudolf und Ruprecht, machten ihrerseits Ansprüche geltend, konnten sie aber nicht durchsetzen. Bayern wurde unter der Regie des Kaisers wiedervereint, womkt die Hausmacht des Kaisers ganz erheblich gestärkt wurde. Für das Haus Luxemburg ging die verwandtschaftliche Nähe zum ausgestorbenen Herzogsgeschlecht verloren und damit alle Sukzessionsoptionen. Umso wichtiger war es jetzt, im Osten einen möglichen Verbündeten zu gewinnen, besonders seit Frankreich im angol-französischen Krieg paralysiert war. Natürlich hatte man mit Kasimir verscheidentliche Verträge geschlossen, den letzten 1337, doch hatten derartige Vereinbarungen nicht die lange Dauer, wie man sie von heutigen bilateralen Abkommen her kennt. Es war notwendig derartige Absprachen immer wieder zu erneuern, wozu oft genug die Gelegenheit oder auch die überzeugenden Argumente fehlten. Durch eine Heiratsverbindung waren ungleich beständigere Bündnisse möglich, weswegen, vor dem Hintergrund der niederbayrischen Tragödie, die erfolgreiche Verheiratung der Schwester von großer politischer Wichtigkeit war. Überraschenderweise kam aus einer Richtung Widerstand, womit Karl am wenigsten rechnete. Kasimir von Polen stand einer Heiratsverbindung positiv gegenüber, ein anhaltender Friede mit Böhmen und damit eine Sicherheit an Polens südwestlicher Grenze, war für seine eigenen Ambitionen höchst wünschenswert. Es war jedoch die zukünftige Braut die überhaupt kein Interesse daran zeigte nach Krakau vermählt zu werden. Sie widersetzte sich dem Wunsch des Bruders mit allem Nachdruck. Karl, der wegen des kürzlichen Tods seines Neffen behutsam im Umgang mit seiner Schwester vorgehen musste, hatte die allergrößten Mühen sie doch noch zu überzeugen. Von seinem charakteristischen Redegeschick hatten wir schon einige Beweise erhalten, es wundert daher nicht, dass er doch noch erfolgreich war. Es wirft aber auch einen ersten Schatten auf das Wesen des Kronprinzen. Augenscheinlich war das Erreichen politischer Ziele für ihn längst zum bestimmenden Credo geworden, worin er mit dem Vater auf einer Wellenlänge stand. Rücksichten auf die Bedürfnisse selbst engster Familienangehöriger spielten keine Rolle. Die Förderung und der Machtausbau der eigenen Dynastie stand über allen anderen Dingen.
Greifen wir den weiteren Geschehnissen etwas voraus. Im Mai 1341 begannen in Prag die Vorbereitungen zur Eheschließung. Vater Johann, der erblindete König war zu dieser Zeit wieder in Prag zugegen und hielt unter anderem am 20. Mai einen Landtag ab um den versammelten Ständen aus Adel, Städten und Klerus seinen Sohn als zukünftigen Thronerben zu unterbreiten, so dass er nach seinem einstmaligen Ableben nicht erst gewählt werden musste, gleich den Beispiel der römisch-deutschen Könige, sondern direkt die Krone empfangen konnte. Es fiel nicht schwer eine überwältigende Mehrheit für Karl zu erhalten, der nun auch offiziell als Kronprinz bezeichnet werden konnte, auch wenn wir es in unserem Bericht verschiedene Male bereits vorwegnahmen.
Anlässlich der anstehenden Hochzeitsfeierlichkeiten sollte Prag herausgeputzt werden. Der Zustand der Stadt konnte weiterhin nicht an den Glanz oder Pracht vergleichbarer Residenzen heranreichen, auch nicht an Krakau, der königlichen Stadt Kasimirs von Polen, des zukünftigen Schwiegersohns des Königs. Es ist einmal mehr Indiz, das Prag noch zur Zeit Johanns im Vergleich zu anderen Städten des Reichs und weit mehr, im Vergleich zu den großen europäischen Metropolen, sehr rückständig und infrastrukturell stark unterentwickelt war.

Ende Juni kam Kasimir in großem und prächtigem Gefolge in Prag an. Die Hochzeit war für den 13. Juli festgesetzt, dem Gedenktag der Heiligen Margarete, Namenspatronin unserer zukünftigen Braut. Unglücklicherweise erkrankte sie wenige Tage vor dem Termin schwer, die Ärzte bemühten sich, doch vergebens, ihr Zustand verschlechterte sich rapide. Am 10. Juli, drei Tage vor dem angesetzten Termin verschied sie tragischerweise. Am Hof, noch mehr beim Volk kursierten allerlei Gerüchte, wusste man doch um den großen Widerstand der Prinzessin gegen die Heirat. Man munkelte sie wäre am Kram gestorben über die von Vater und Bruder aufgezwungene Heirat. Natürlich konnte mit den Mitteln der Zeit die tatsächliche Todesursache nicht ermittelt werden, so wurden die Gerüchte weder bestätigt und noch weniger widerlegt. Ein besonderes Drama blieb es allemal, wo doch ihr Ehemann vor weniger als zwei Jahren im 34. Lebensjahr verstarb und dann auch noch ihr einziges Kind, vor einem halben Jahr, mit kaum zehn Jahren aus dem Leben schied.

Der große Plan eines festen Bündnisses mit Polen, zur Absicherung der böhmischen Ostgrenze und zur Wahrung der erst vor wenigen Jahren gemachten schlesischen Erwerbungen, rückte in weite Ferne. Man machte gute Miene zu bösem Spiel und erneuerte wenigstens den 1337 geschlossenen Freundschaftsvertrag, jedoch wurde von polnischer Seite der Beistand gegen Ungarn und den Herzog von Schweidnitz, dem letzten schlesischen Herzogtum, das sich nicht freiwillig der böhmischen Lehnsherrschaft unterwarf, ausgenommen.

König Johann, wesentlich behindert durch den Verlust seiner Sehkraft, war jetzt notgedrungenermaßen ortsgebundener als man es von ihm bislang kannte. Karl übernahm mehr und mehr Regentschatsaufgaben, die er auch immer selbstständiger umsetzte. Den Juli sowie den größten Teil des August verbrachte er nich in Prag, bevor er sich gegen Ende des Sommers 1341 wieder nach Tirol aufmachte, wo sich die Situation zuspitze. Kehren wir zu näheren Erläuterung nochmal in das 1340 zurück. Eingangs des Abschnitts, wie auch noch weiter oben und wie in Buch 2, aus der Sicht des Wittelsbachers Ludwig, den man den Brandenburger nannte geschildert, war die Ehe zwischen der Tiroler Erbgräfin Margarete und Karls Bruder, Johann Heinrich, von Beginn an, also schon seit der Kinderzeit, vergiftet und zum scheitern verurteilt.

Wie sich 1340 offen zeigte, stand die Gräfin mit dem Kaiser im schriftlichen Austausch, was für die Luxemburger Position in Tirol bedrohlich werden konnte. Noch stand man mit dem Kaiser, nach außen, in gutem Einvernehmen, immerhin waren die Luxemburger sowohl in ihren westdeutschen Erblanden als auch in ihren böhmischen Besitzungen, Vasallen des Reichsoberhaupts. Ein wie auch immer geartetes Engagement der Wittelsbacher in Tirol, musste allerdings zwangsläufig den Gegensatz heraufbeschwören und zu einer handfesten Rivalität, wenn nicht sogar Feindschaft beider Häuser führen. Die Gräfin suchte zunächst den ungeliebten Ehemann und die böhmische Administration abzuschütteln. Hierzu fand sie zahlreiche Unterstützung im Tiroler Adel. Karl gelang es durch energisches Eingreifen seinerzeit eine offene Revolte frühzeitig zu ersticken. Das zeitweise Entfernen des nicht nur bei der Gattin, auch in den weitesten Kreisen des Adels und bei Land und Leuten, verhassten Bruders, sollte nach Karls Plänen zusätzliche Entspannung bringen. Zunächst blieb die Lage auch ruhig, doch hinter den Kulissen wurde von der Gräfin und ihren engsten Vertrauten an einem aufsehenerregenden Plan gearbeitet, wobei Kaiser Ludwig IV. wohl nicht nur eine Mitwisserrolle hatte, sehr wahrscheinlich war er ganz wesentlicher Unterstützer, schlimmstenfalls sogar Drahtzieher hinter allem.

Nach der gescheiterten Prager Hochzeit im Juli 1341, eilte Karl im Frühherbst mit einer überschaubaren Anzahl Truppen erneut nach Tirol. Er fand das Land nach eigenen Aussagen in geordnetem Zustand was ihn dazu veranlasste einen neuerlichen Einfall in Oberitalien durchzuführen. Markgraf Martin von Skala hatte zuvor versucht die beiden Städte, die ihm Karl in seinem letzten Feldzug entriss, zurückzuerobern. Er scheiterte an dem beherzten Widerstand der böhmischen Besatzung. Karl rückte also mit seinen Truppen ins Gebiet des Martin von Skala vor und nahm ihm weitere Städte weg, bis es im Spätjahr zum Frieden kam. Es sollte ihm keine Pause vergönnt bleiben, ein Hilferuf des eng befreundeten Patriarchen von Aquilla erreichte ihn Mitte November 1341. Der Patriarch war schwer vom Habsburger Herzog Albrecht von Österreich und dem Grafen von Görz bedrängt. Karl sammelte rund zweihundert Panzerreiter und tausend Mann Fußvolk und marschierte bei Neuschnee über die angrenzenden Höhenzüge zum Entsatz heran. Als die Belagerer seine Streitmacht erblickten, ergriffen sie die Flucht. Teile verschanzten sich in einer Burg, die Karl sogleich belagern ließ. Es kam nicht mehr zur Einnahme, da Anfang Dezember Friede zwischen den kriegführenden Parteien geschlossen wurde. Statt wieder direkt nach Tirol zurückzugehen, wo eine offene Revolte begann, zog er weiter nach Wien. Seine Truppen waren zwischenzeitlich erschöpft, viele wurden bei der vorgenannten Belagerung verletzt oder sind gefallen und grundsätzlich ließen die Witterungsbedingungen einen weiteren Feldzug nicht mehr zu. Ein König Johann hätte vor seiner Erblindung in wilder Entschlossenheit nicht gezögert aber Karl war ein vorsichtig, das unkalkulierbare Risiko scheuender Feldherr.

Am 15. und 16. Dezember traf sich Karl mit dem Herzog Albrecht von Österreich in Wien, wo ein Defensivbündnis gegen den Kaiser geschlossen wurde. Für den Fall dass Kaiser Ludwig die Ländereien Johanns oder Karls angreifen sollte, versprach der Habsburger Waffenhilfe. In dem Abkommen war Tirol ausgenommen. Albrecht kannte gemäß geheimen Absprachen längst die kaiserlichen Ambitionen, das gegen den Kaiser gerichtete Bündnis war von seiner Seite zwar kein reines Lippenbekenntnis, doch standen die Interessen Habsburgs eher kongurrierend zu jenen der Luxemburger als zu den Wittelsbachern.

Karl reiste von Wien weiter Richtung Mähren, dann Richtung Prag, wo er das Weihnachtsfest begang. Das Jahr 1341 ging seinem Ende entgegen. Nach der Tragödie im Vorjahr, um das Augenlicht des Königs, der Entfremdung des Herzogtums Niederbayern durch den frühen Tod des einzigen Erben, dem Drama um den Tod der Mutter des verstorbenen Knaben, kurz vor ihrer arrangierten politischen Hochzeit mit dem König von Polen, den latenten Unruheherden in Tirol, dem weiter eskalierenden Krieg zwischen dem befreundeten Frankreich und England, war auch für das Jahr 1342 mit allem zu rechnen, vor allem aus der Richtung des erstarkten Hauses Wittelsbach, an dessen Spitze der Kaiser stand.


Der Kampf um Tirol

Mit der Abwesenheit Karls und seinen Truppen, regte sich auch wieder die Gräfin Margarete von Tirol. Der von Karl im August wahrgenommene Zustand des Friedens, war rein oberflächlich. Unter der Decke schwelte das Feuer der Unabhängigkeit. Johann-Heinrich der nach der Niederschlagung des ersten Aufstands nach Tirol zurückgekommen war, bemühte sich nicht an die Exzesse der Vorjahre anzuknüpfen und widmete sich zum Zeitvertreib besonders häufig der Jagd. Die Ehe blieb gleichwohl im völlig zerrütteten Zustand.

Am 1. November kam es zum Eklat. Johann-Heinrich kam in der Nacht von einer Jagd zurück, der er sich trotz des Feiertags widmete. Am Schloss Tirol angekommen, verwehrte ihm die Torwache den Einlass und behielt den Zugang verschlossen. Die Gräfin, seine Gattin, hatte dies ausdrücklich angeordnet und stand im Einvernehmen mit dem restlichen Tiroler Adel des Landes. Der so ausgesperrte Gatte, suchte andernorts auf einer der Burgen in den kommenden Tagen Unterschlupf, wurde aber überall in gleicher Weise abgewiesen. Die gesamte Grafschaft stand hinter ihrer Landesherrin und wider den verachteten Böhmen und all seinen Vertretern. Die Odyssee des gedemütigten Grafen endete erst im befreundete Aquilla, wo ihn der dortige Partriarch, der erst vor kurzem von Karl gegen den Herzog von Österreich und den Grafen von Görz verteidigt wurde, freundlich aufnahm. Von hier reiste er weiter nach Prag, zu seinem Vater. Es ist nicht dokumentiert, auch nicht in Karls Autobiographie, welchen Eindruck die fortgesetzten Schwierigkeiten in Tirol beim Vater hinterließen, es ist immerhin mehr als wahrscheinlich, dass er dem Sohn die schwersten Vorwürfe machte, wegen dessen Unvermögen die Ehe soweit zu führen, dass dem Hause Luxemburg in Form eines männlichen Nachkommen, die überaus wichtige Grafschaft gesichert bliebe.

Die Situation in Tirol nahm jetzt eine Wendung die ein bisheriges Novum darstellte. Gräfin Margarete wollte die Scheidung von ihrem verhassten Mann. Eine Scheidung war in so hohen Fürstenkreisen allenfalls vom Papst zu erlangen, dieser würde einer solchen jedoch niemals zustimmen. Margarete führte als Argument ins Rennen, dass die Ehe nie vollzogen, der Beischlaf nie erfolgte, dass ihr Mann sogar impotent wäre. Während man dem ersten Teil ihrer Aussage durchaus Glauben schenken kann, ist der zweite Teil insofern nicht nur anzuzweifeln, sondern schlicht die Unwahrheit, da ihr Gatte weit und breit den Ruf eines Schürzenjägers genoss. Wie dem auch sei, eine entscheidende Wendung erhielt die Sache, indem sich jetzt der Kaiser, mit dem sie ohnehin einvernehmlich handelte, einmischte und die Ehe als geschieden erklärte. Der Sachverhalt ist aus einer anderen Sicht von Interesse, da es dem von der Kirche exklusiv wahrgenommenen Prinzip der kirchlichen Trauung, die Zivilehe gegenüberstellte. Dass Ludwig IV. hier weniger als Reichsoberhaupt handelte, sondern wesentlich als Territorialfürst mit dynastischen Interessen, steht außer Zweifel, denn er beabsichtigte schon einige Zeit seinen erstgeborenen Sohn, den Markgrafen Ludwig von Brandenburg, mit der reichen Gräfin zu verheiraten. Margarete stimmte diesem Plan ohne Umschweife zu, der Sohn, welcher seit gut zwei Jahren verwitwet war und als Sohn des Kaisers einer der begehrtesten Partien Europas, musste allerdings erst noch überzeugt werden. Den machtpolitischen Erwägungen einer erheblichen Ausweitung des Wittelsbacher Besitzes im süddeutschen Raum, stand die unvermeidliche Konfrontation mit den Luxemburgern und die ebenso sichere Kirchenacht durch den Papst gegenüber. Der Erwerb Tirols war aber unbedingt zwingender als alle Sorgen um einen Krieg oder der Konflikt mit dem Papst welcher väterlicherseits sowieso schon seit vielen Jahren ohne bisherige Auswirkungen existierte. Schon am 10. Februar 1342 wurde auf Schloss Tirol die Ehe zwischen beiden geschlossen. Wenngleich nach kirchlichem Recht Margarete noch mit Johann-Heinrich verheiratet war und demgemäß die mit Ludwig dem Brandenburger geschlossene Ehe ungültig blieb, zivilrechtlich war sie anerkannt und was schwerer wiegte, für das Haus Luxemburg war Tirol damit verloren. Nach dem lombardischen Fehlschlag, dem Verlust Niederbayers und jetzt dem Verlust Tirols, unerwähnt die Verluste Kärntens und Krains und der gescheiderten Hochzeit mit Kasimir von Polen, stand das Haus Luxemburg vor einem politischen Trümmerhaufen. All die großangelegten Pläne und betriebenen Aufwände endeten in kolossalen Fehlschlägen.

König Johann war über diesen für ihn völlig überraschenden Streich erschüttert und suchte im Reich, natürlich in Frankreich und beim Papst Anhänger für eine Militärkoalition gegen den Kaiser, doch fanden diese außer warmen Worten keine Hilfe. Der König von Frankreich war tief verwickelt im Krieg mit England und heilfroh wenn der Kaiser nicht vollends auf die Seite Eduard III. einschwenkte. Im Reich zeigte sich unter den Kurfürsten vor allem beim Trierer Erzbischof Balduin, Onkel König Johanns erste Anzeichen eines beginnenden Gesinnungswechsel wider den Kaiser, aber keinerlei Wille diesen zu bekriegen. Blieb als letzte große Partei die des Papstes. Wenn dieser auch, wie schon sein Vorgänger Johannes XXII. tief verfeindet mit dem Kaiser war, vermied er es doch ein Heer gegen ihn ins Felde zu führen, da er damit vermutlich den allergrößten Teil der deutschen Reichsfürsten als Feind gegen sich gehabt hätte, die sich mit größter Wonne am Kirchengut im deutschen Reichsteil gütlich getan hätten. Überhaupt war Papst Benedikt XII. ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger, wenig kriegerisch aktiv, zumal er schon kränkelte und noch im Mai des gleichen Jahres verstarb. Man kann wohl behaupten, Kaiser Ludwig IV. hat seinen Tiroler Coup mit großer Kühnheit aber wohl durchdacht umgesetzt. Die Luxemburger hatten das Spiel um Tirol verloren, was sie aus Rache nicht daran hinderte sengend und brennnend durch die Grafschaft zu ziehen und sich wo es möglich war zu rächen. Zu mehr als dieser Taktik reichten die Mittel nicht aus, denn die vielen kriegerischen Abenteuer Johanns hatten die böhmischen Länder und noch mehr die Stammlande in Luxemburg einiges gekostet und die Stände waren nicht bereit einen Großkonflikt zu finanzieren.


Karl wirkt de facto als Regent in Böhmen

Schon um den Sommer 1341 zog sich König Johann mehr und mehr aus den Amtsgeschäften zurück. Seine Erblindung erschwerte es ihm den Anforderungen alleine gerecht zu werden. Karl war quasi zu einer Art Prinzregent aufgestiegen, verhielt sich gegenüber dem Vater aber stets loyal und untergeordnet. Der König verließ das Land wieder und reiste nach Westen in seine Stammlande und weiter zum Hofe nach Paris, nicht ohne sich erneut von Karl finanziell ausstatten zu lassen. Er wollte zwei Jahre außer Landes bleiben und in der Zeit Karl die die uneingeschränkte Regentschaft in Böhmen überlassen, wofür er 5.000 Mark in Silber forderte und erhielt. Es ist nicht belegt woher Karl das Geld nahm, sehr wahrscheinlich musste er wieder eine Anleihe nehmen. Wir sprachen diesen Themenkreis oft genug zwischenzeitlich an. Den ständigen Geldverlegenheiten der Landesfürsten wurde meist durch Schulden und Verpfändungen begegnet, andere Alternativen gab es eigentlich nicht.

Nach den Schlusswehen in der Tiroler Angelegenheit, konzentrierte sich Karl stark auf die Länder Böhmens. Es erschien ihm zweckmäßig in den schlesischen Herzogtümern als Statthalter seines Vaters die Vasallen, das heisst die Herzöge einzuberufen und sich von ihnen huldigen zu lassen. Dieser Akt war wichtig, band er die Lehnsmänner dadurch moralisch schon vor einem Thronwechsel an sich. Immerhin wäre es nicht unwahrscheinlich, dass nach dem Tod des alten Königs, so mancher der Herzöge sich als frei, der Lehnsherrschaft Böhmens entwachsen, betrachten würde. Beispiele aus der jüngeren und ferneren Vergangenheit gab es viele, doch durch das vorgenannte Zeremoniell wurden die Bande zwischen dem zukünftigen König und den schlesischen Herren gefestigt und ein Abfall weniger wahrscheinlich, wenn auch immer noch denkbar.

Seinem Ruf kam am 1. Juli 1342 zu Breslau folgende Herzöge nach: Boleslaw III. von Brieg (1291 – 1352)Bolko von Falkenberg-Oppeln(1295 – 1365), Wlatislaus von Beuthen-Kosel(1277 – 1352), Kasimir I. von Teschen(1280 – 1358), Nickolaus II. von Troppau-Ratibor (1288 – 1364), Ziemowit von Beuthen-Gleiwitz (1293 – nach 1342). Wie schon zuvor dem Vater, so leisteten sie den Lehnseid nun auch auf Karl, der sie als Statthalter des Königreichs wiederum in all ihren Rechten und Privilegien bestätigte und sie mit ihren Herzogtümern belehnte. Es mag ermütend sein immer wieder von solchen Zeremonien zu lesen, doch waren deratige Lehnsakte und Eide, zu einer Zeit wo Loyalitäten fast nur aufgrund einander verschworener Personenverbände existierten, das zentrale Mittel staatlichen Zusammenhalts.

Der weitere Verlauf des Jahres 1342 war von manigfaltigen Regentschafts- und Administrationstätigkeiten angefüllt, worunter aber keine von besonders erwähnenswertem Interesse wäre, weswegen wir gleich in das Jahr 1343 springen. Am 5. Januar, starb der Prager Bischof Johann IV. von Draschitz (1250 – 1343). Mit sagenhaften 93 Jahren erreichte er ein ganz außergewöhnlich hohes Alter. Über vier Jahrzehnte war er Bischof von Prag und prägte nicht nur das geistige Leben der Königsstadt, auch politisch war er eine wichtige Konstante der böhmischen Könige. Er war 1310 wesentlicher Befürworter der Wahl Johanns von Luxemburg zu böhmischen König und zeitlebens ein enger Berater und Parteigänger der königlichen Familie. Zum Nachfolger wählte das Domkapitel am 16. Januar ihren bisherigen Dekan Ernst von Pardubitz (1300 – 1364). Karl begrüßte diese Wahl sehr, denn der Erwählte galt als ein Mann von großen Talenten. Er wird 1344 der erste Erzbischof Böhmens werden. Bis es dazu kam, ist es notwendig noch einige Erklärungen zu geben. Böhmen und Mähren unterstanden seit Jahrhunderten mit ihren sogenannten Suffragandiözesen, das heißt mit ihren unterstellten Diözesen Prag und Olmütz, der Kirchenprovinz Mainz, deren Erzbischof als Metropolit die Diözesanbischöfe nach ihrer Wahl bestätigte und weihte. Ebenso waren es die Erzbischöfe von Mainz die demgemäß die Könige von Böhmen seit jeher krönten. Für Karl war das alles ein Dorn im Auge, längst hatte er große Pläne mit dem neuen Prager Bischof und dazu einen bestimmten Plan im Sinn. Es kam nicht in Frage die Weihe vom Mainzer Erzbischof Heinrich III. von Virneburg (1295 – 1353), einem erklärten Anhänger des Kaisers, vornehmen zu lassen. Karl wollte langfristig für Böhmen und Mähren ein eigenes Erzbistum. Nicht vergessen waren die demütigenden Worte des verbannten und mittlerweile verstorbenen Bischof Nanker von Breslau, der König Johann seinerzeit verächtlich vorhielt, dass er in seinem Reich über keine eigene Erzdiözese verfüge und deswegen die Krone aus den Händen eines fremden Bischofs empfangen müsse. Nach drei Jahren schwerer politischer Rückschläge und familiärer Tragödien, holte Karl zum breitangelegten Gegenschlag aus und die Ernennung des Bischofs von Prag sollte der erste Baustein sein. In Avignon, wo seit geraumer Zeit die Päpste residierten, war seit Mai 1342 sein alter Lehrmeister und Gönner aus Kindertagen, Pierre Roger, als Clemens VI. das Haupt der römischen Kirche. Das gute Verhältnis beider war selbst nach all den Jahren ungetrübt geblieben. Karl schickte den gewählten aber noch nicht ernannten Ernst von Pardubitz mit einem Begleitschreiben nach Avignon, um ihn dort vom Papst zum Bischof ernennen und weihen zu lassen. Man durfte sicher sein, dass Clemens VI. dem Ansinnen des Kronprinzen ohne Einwände gerecht werde und so kam der päpstlicherseits ernannte und geweihte Bischof Mitte Mai wieder in Prag an, wo ihm von Karl ein großer Empfang gemacht wurde. Der erste Schritt hin zur kirchlichen Unabhängigkeit von Mainz und zum eigenen Erzbistum war getan, doch noch nicht gleich ging der Prinz zum nächsten Schritt über, wir werden darauf zurückkommen.

Es zeigte sich, dass das Verhältnis zu König Kasimir in Polen zu erkalten begann. Da nützten die vielen gegenseitigen Bekundungen nicht viel, die Interessenskonflikte waren groß, Schlesien eine schwere Hypothek. Weitere Ursachen waren unter anderem Säumnisse bei der Erfüllung vertraglicher Inhalte. Im April war Karl in Krakau um eine längst überfällige Zahlung in Höhe von 10.000 Mark Silber zu leisten. Das Geld wurde 1335, polnischerseits ratifiziert 1339, im Vertrag von Trentschin dem König Kasimir zugesagt, als einen Teil der Bedingungen für den seinerseitigen Verzicht auf Schlesien. In ständiger Geldnot, waren Johann und Karl bislang nicht in der Lage die Summe zu entrichten und es kam beim Treffen zu einem Vergleich. Kasimir, der selbst abhängig von diesem Geld war, musste es wohl oder übel hinnehmen, es förderte aber die Entspannung zwischen beiden Seiten nicht.

Im Juni berief Karl einen großen Landtag nach Prag. Dem Ruf folgten viele Vasallen. Besondere Ergebnisse brachte die Versammlung nicht hervor, wobei man die Veranstaltung dennoch nicht als unnötig abtun darf. Vielmehr kann man dem Sachverhalt sogar positive Aspekte abgewinnen, zeigt es doch, dass es augenscheinlich unter den Ständen nur wenige Klagepunkte gab, auf die der Regent hätte reagieren müssen.

Der weitere Verlauf des Sommers war ohne besonders bemerkenswerte Ereignisse, zumindest keine die hier unnötigerweise aufgelistet werden müssten.


Karls zweite Preußenfahrt

Erst im Herbst kam wieder neuer Schwung ins Königreich und für Karl erneute Veränderungen, der sich als Statthalter bislang vorzüglich bewies. Am 7. Oktober 1343 kam Johann ins Königreich Böhmen zurück. Er war wieder voller Tatendrang, wie in alten Tagen. Vergessen die Blindheit und die in Prag aufgekommene Lethargie. Immer wenn Johann im Westen des Reichs, in seiner geliebten Luxemburger Grafschaft weilte oder am Hofe des Königs von Frankreich, lebte und blühte er auf und war anschließend voller Tatendrang. Kaum in Prag, eröffnete er dem Sohn die Gründe seines vorzeitigen Erscheinens. Die Deutschherren, das heißt der Orden der Deutschritter im Ordensland, hatten ihn zu einer neuen Litauenreise, einem neuen Kreuzzug gegen die Heiden gerufen und Johann leistete dem Rufe mit Freude folge. Auch eine große Zahl weiterer Fürsten, darunter Wilhem von Holland und sogar König Ludwig von Ungarn, der Schwiegersohn Karls, beteiligten sich. Wie schon bei vergleichbaren Heerzügen ins Baltikum, wurde Breslau wieder Sammelort der Heerschau. Karl war wenig erfreut über des Vaters Vorhaben, konnte aber den blinden König nicht guten Gewissens alleine lassen, zumal die Preußenfahrten stets mit hohem Prestige verbunden. Es war gleichzeitig eine passende Gelegenheit Beziehungen zu anderen Fürsten zu pflegen, besonders wenn sich namhafte Teilnehmer ankündigten. Karl nutzte die verbleibenden Wochen um noch so viele Amtstätigkeiten wie möglich zum Abschluss zu bringen, bevor er sich nach Breslau ins Heerlager begab, wo er am 24. November eintraf. Durch Polen ziehend, war das erste Ziel Marienburg. Von hier marschierte das Heer, verstärkt durch die Truppen des Hochmeisters, Ludolf König von Wattzau (1285 – 1348), weiter nach Osten, Litauen entgegen. Unter diesem Hochmeister gelang es den seit gut einem halben Jahrhundert andauernden Dauerkonflikt mit Polen im Frieden von Kalisch beizulegen. Diesem Frieden gingen viele Jahre wiederkehrender Kriege und Rechtsgutachten seitens der Kurie voraus, über die wir in Buch 1 und Buch 2 schon berichteten.

Der Verlauf des baltischen Kreuzzugs war ähnlich wie schon bei Karls erster Preußenfahrt. Der Winter 1343/44 blieb recht mild. Erneut froren Flüsse und Sümpfe nur unzureichend zu, so dass an einen effektiven Feldzug in dem unwegsamen Gelände nicht zu denken war. Einige Zeit harrte man noch in provisorischen Feldlagern aus, in der zuversichtlichen Erwartung härteren Frosts. Das Risiko unter solchen Bedingungen zu erkranken war hoch, weswegen derartige Aktivitäten nicht lange aufrecht gehalten werden durften ohne Gefahr zu laufen, dass sich Epidemien unter den Truppen ausbreiteten. Nachdem die Temperaturen weiterhin nicht ausreichend sanken, brachen die Kreuzfahrer zu Beginn der zweiten Dezemberhälfte den Feldzug ab, worauf jeder zurück in seine Heimat zog.

Die sich schleichend verschlechternde Beziehung zu Kasimir von Polen hatten wir erwähnt. Das neuerliche Engagement der Luxemburger für den Deutschen Orden, reizte, ja erboste Kasimir regelrecht. Erst im Sommer hatte er formell mit dem Orden den Frieden ratifiziert, es blieb ihm in seiner isolierten Lage kaum anderes übrig, doch saß der Frust tief. Sein Groll ging soweit, dass er danach trachtete die böhmischen Heimkehrer auf ihrem Marsch durch Polen gefangen zu setzen. Ein Plan der schändlicher kaum sein konnte, für einen König der offiziell ein Defensivbündnis mit Johann und Karl hatte. Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass Bündnisse oft ebenso schnell gebrochen wie halbherzig geschlossen wurden. Vielleicht wird sich mancher Leser fragen, wie jemand die Kühnheit und Durchtriebenheit aufbringen konnte, einen Heimkehrer eines Kreuzzuges gefangen nehmen zu wollen. Mindestens zwei Aspekte dürften ein solches Vorhaben für gewöhnlich äußerst kostspielig werden lassen. Zum einen sollte man annehmen, dass ein heimkehrendes Heer wohl kaum ohne großen Aufwand und damit verbunden entsprechender Vorbereitung überwältigt und aus seiner Mitte die wichtigsten Anführer gefangen gesetzt werden konnte. Der vermientliche Denkfehler liegt in der Annahme dass das Heer noch exisitierte, das heißt zusammenhielt. Üblich war, dass sich ein Heer gleich welcher Art, nach erledigtem Feldzug schnell in Gruppen und Grüppchen auflöste und in alle Winde verstreute. Nur der engste Kreis von Kriegern, quasi die Leibwache, blieb zum Schutze der hohen Herren vorhanden. Mit einem fut koordinierten und konzentrierten Vorgehen war es absolut möglich einen achtlos auf dem Rückmarsch befindlichen Fürsten gefangenzunehmen.

Blieb die Immunität die ein Kreuzfahrer normalerweise genoss. Wer einen zur Kreuzfahrt ausreitenden oder heimkehrenden Krieger Christi überfiel, ihn an Leib oder Besitz schädigte, musste mit den allerschwersten Sanktionen seitens der Kirche und des Papstes rechnen. Auch durfte man annehmen, dass er unter den nichtkirchlichen Zeitgenossen kaum Zustimmung dafür fand. Im Zusammenhang mit den Preußenfahrten muss man den Begriff Kreuzzug allerdings deutlich differenzierter betrachten. Die wenigsten Feldzüge im und jenseits des Ordenslandes, waren offiziell von Papst inittiiert und durch eine Kreuzzugsbulle entsprechend beurkundet. Die Heerzüge gegen die pruzzischen – und später litauischen Heiden unterlagen einer Eigendynamik. Sie waren längst zu einem regelmäßigen Spektakel des europäischen Adels geworden. Dementsprechend genossen Teilnehmer dieser Litauenreisen oder Preußenfahrten nicht jene Privilegien die man von den wesentlich bekannteren, früheren Kreuzzüge ins Heilige Land kannte. Kasimir wäre daher nicht unbedingt in den päpstlichen Bann gefallen, wenngleich die besondere Nähe Karls zu Papst Clemens VI. ohne Zweifel den Pontifex Maximus wider den König Polens auf den Plan gerufen hätte, dann aber nicht wegen eines Verstoßes gegen die Kreuzfahrerimmunität, sondern aus einem Anlass der sich erst noch finden hätte müssen aber sicher gefunden worden wäre. Es bleibt daher beachtlich dass Kasimir der Große diesen Plan nicht verwarf, sondern tatsächlich ausführte.

Johann und Karl reisten nicht gemeinsam, was für den Plänen Kasimirs schon ein  Schnippchen schlug. Der blinde König nahm den Weg durch die Mark Brandenburg nach Westen in seine luxemburgische Grafschaft und war für seine Häscher schnell unerreichbar. Nur Karls Rückmarsch, in Begleitung eines überschaubaren Gefolges, führte ihn quer durch polnisches Gebiet. In Kalisch angekommen, schnappte die Falle zu, doch müssen wir die Begebenheit näher erläutern. Die Entführung oder Festsetzung eines hohen Fürsten verlief nicht nach dem Motto, „Sack über den Kopf und ab in ein dunkles Verlies“. Die Vorgehensweise war viel subtiler, viel facettenreicher, fast einem Spiel mit klaren Regeln gleichend. In der Stadt angekommen, wurde Karl auf Geheiß des Königs standesgemäß bewirtet, gleichzeitig aber eng beschattet und so unauffällig und gut wie möglich vom eigenen Gefolge getrennt. Es wurden Vorwände inszeniert die ein Weiterreisen verhindern sollten, ohne ein Reiseverbot förmlich auszusprechen, zumindest nicht so lange dies möglich. Für gewöhnlich musste so ein, quasi in einer Art Goldener Käfig sitzender Protagonist bald seine Lage richtig einschätzen. Im Falle Karls war das auch schnell geschehen. Er ließ sich aber nichts anmerken, spielte seinerseits das Spiel mit und verbreitete die Kunde, er wolle noch in der Stadt bleiben um sich von den Strapazen des zurückliegenden Feldzugs zu erholen. Seine Finte muss überzeugend gewesen sein, denn die Bewachung wurde gelockert. Dies nutzte er um einen Boten aus der Stadt zu schmuggeln, der in Breslau den dortigen Burggrafen anweisen sollte mit 300 Reitern vor Kalisch zu kommen und unweit der Stadt zu warten. Auch solle man für ihn außerhalb, nahe einem der Stadttore, ein schnelles Pferd bereithalten. Unter dem Vorwand eines Spaziergangs erreichte er das bereitgestellte Tier und gelangte an den vereinbarten Platz wo sich die Reitertruppe bereithielt. In ihrem Schutz gelangte er ohne weitere Zwischenfälle nach Breslau. Sein Gefolge wurde noch für einige Zeit in Kalisch festgehalten, wir wissen nicht unter welchen Bedingungen auch sie die Freiheit wieder erlangten. Der Vorfall machte Karl deutlich, dass Polen, vielmehr König Kasimir, ein neue, alte Gefahr im Osten war und alle Vereinbarungen mit ihm schlussendlich nur für den Augenblick Ruhe brachten, nicht jedoch langfristig.


Der Plan des Papstes

Papst Clemens VI. war der dritte Papst in Folge, der mit dem Kaiser im Dauerkonflikt stand. Vor ihm stellten bereits Johannes XXII. und Bendedikt XII. das Reichsoberhaupt unter den Kirchenbann. Anstrengungen des Kaiser sich aus dem Bann zu lösen, wurden päpstlicherseits verworfen, da er nicht bereit war den Einfluss der römischen Kirche in Reichsangelegenheiten zu tolerieren. Insbesondere sah er den Papst als unberechtigt den römisch-deutschen König nach dessen Wahl zu ernennen. Der Streit war letztendlich eine Fortsetzung der Grundsatzfrage, die noch aus staufischer Zeit stammte, wer größer ist, der Kaiser und mit ihm das Reich oder der Papst und mit ihm die Kirche und wer durch wen legitimiert ist.

Der Rhenser Kurverein stärkte Juli 1338 die Autonomie des Reichs und seines Regenten wesentlich. Für den damaligen Papst Benedikt XII. war es eine schwere politische Niederlage da sich die Kurfürsten des Reichs demonstrativ hinter den Kaiser stellten. Hierbei weniger hinter die Person Ludwigs IV., als vielmehr hinter das kaiserliche Amt als solches.

Mit Clemens VI. kam ein Papst an die Reihe, der das Spiel um die Vormachtstellung nicht leichtfertig aufgeben wollte. Er ersann einen Plan den päpstlichen Einfluss auf das Reich über Umwege wieder zu erhöhen. Mit dem widerspenstigen, mittlerweile gealterten Wittelsbacher, konnte und wollte er nicht. Aber mit dem jungen, vielbegabten Karl konnte man einen Monarchen auf den Thron des Reichs platzieren, der für seine besondere Nähe zur Kirche bekannt, geradezu berüchtigt war. Das innige und sehr persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Clemens VI. und Karl konnte hierbei nur von Vorteil sein. Vermutlich glaubte der Papst er könne den noch relativ jungen Karl wenigstens für eine gewisse Zeit in seinem Sinne formen und dadurch auf die Reichspolitik einwirken. Das Projekt war ihm zwischenzeitlich so dringend geworden, dass er schon im Spätherbst 1343 nach Prag Briefe entsandte die Johann und seinen Sohn Karl nach Avignon einluden.

Karl bekam diese Briefe erst nach der Rückkehr von seiner Preußenfahrt und dem unfreiwilligen Aufenthalt in Kalisch zu lesen. Die genauen Hintergründe der Einladung verrieten die Briefe nicht, nur dass der Papst in einer dringenden Angelegenheit mit beiden sprechen müsse und sie zum Festtag Mariareinigung in Avignon zugegen sein sollen. Am 5. Januar reiste Karl nach Westen ab, um den Vater, den er in Luxemburg vermutete, abzuholen und dann gemeinsam mit ihm weiter ins südliche Frankreich zum Sitz des Papstes zu reisen. In Avignon angekommen, eröffnete ihnen Clemens VI. seinen Plan, demnach er Karl, mit Hilfe der Kurfürsten, zum römischen-deutschen König machen wollte. Die Ausgangslage war nicht ganz ungünstig. Die Pfalzgrafen zu Rhein waren wider den Kaiser, dessen Neffen sie doch eigentlich waren. Ein Streit um das einseitig von Ludwig IV. angeeignete Herzogtum Niederbayern, führte zum Zwist und zur Opposition gegen das Haus, dem man dem Geschlecht nach selbst angehörte. Auch die Stimme Kursachsens war gegen das amtierende Oberhaupt. Zusammen mit der böhmischen Kurstimme vereinte man damit bereits drei der sieben Kurstimmen. Die Stimmen aus Kurköln und natürlich der Kurmark, wo der älteste Sohn des Kaisers regierte, hielten es mit dem regierenden Monarchen. Gerade der wichtige Mainzer Erzbischof war ein loyaler Parteigänger Ludwigs und selbst der Luxemburger Balduin, Erzbischof von Trier war bislang ein treuer Anhänger auch wenn begann nach dem Vorgängen in Niederbayern und Tirol seine Position zu überdenken, so war er noch nicht gewonnen. Sein Widerwille gegen alles päpstliche war allgemein bekannt, wofür er auch einige Mal selbst unter dem Kirchenbann stand.

Papst Clemens IV. wollte den Hebel, der alles in Rollen bringen sollte, beim Mainzer Erzbischof Heinrich von Virneburg ansetzen. Er plante seine Absetzung. Mit dem Erzbischof stand er und auch die Vorgänger schon mehrfach in ernstem Disput und das Verhältnis war sehr angespannt, doch konnte ein Entfernen von seinem Amt nicht einfach aus einer Laune heraus vollzogen werden. Es musste mit Bedacht und Schlauheit in dieser Angelegenheit vorgegangen werden, um nicht die ganze Sache unnötig zu gefährten und die Aufmerksamkeit im nördlichen Reichsteil zu wecken.

Alles in allem waren sich die drei Versammelten schnell einig, Johann und mit ihm sein Sohn Karl spielten insgeheim spätestens seit der demütigenden Tiroler Affäre mit dem Gedanken, hatten jedoch bislang nicht im Sinn dies schon zu Lebzeiten des alten Kaisers zu erwägen. Alles hing jetzt davon ab im Kurfürstenkollegium eine Mehrheit, idealerweise eine starke Mehrheit zu erhalten, doch dies erforderte mehr als die blose Absichtserklärung dreier Usurpatoren im fernen Avignon.

Karl nutzte das Treffen aus, um sein spezielles Projekt rund um ein eigenes Erzbistum zu realisieren. Vor dem Hintergrund des bereits Besprochenen, war dieser Wunsch nach einer eigenen Erzdiözese für Böhmen eigentlich geringfügig, dennoch musste Karl eine Reihe gewichtiger Argumente zu Felde führen, bis der Papst sich mit seinen Kardinälen darüber beriet. Wegen der besonderen Innigkeit ihres Verhältnisses stimmte Clemens VI. letztlich der Herauslösung aus dem Mainzer Kirchenverband zu, verbunden mit der gleichzeitigen Erhöhung des Bistums Prag zum Erzbistum und Olmütz zur entsprechenden Suffragandiözese Prags. Insgeheim hoffte er, der Erzbischof von Mainz könnte sich in seiner Reaktion irgendiw soweit exponieren, dass man daraus eine Amtsenthebung konstruieren könnte. Am 30. April 1344 beurkundete Clemens VI. in einer päpstlichenen Bulle die Rangerhöhung des Bistums Prag. Erster böhmischer Erzbischof wurde der im Vorjahr geweihte Ernst von Pardubitz. Daneben wurde der neue böhmische Erzbischof und mit ihm alle seine Nachfolger autorisiert, in Zukunft die böhmischen Könige zu krönen und hierbei nicht mehr auf den jeweiligen Metropoliten aus Mainz zurückgreifen zu müssen. Für Böhmen stellte die päpstliche Entscheidung einen Meilenstein hin zu einer eigenständigen, nicht von ausländischen, meist deutschen Institutionen dominierten Nation dar. Es sollte trotzdem noch bald 600 Jahre dauern bis aus dem tschechischsprachigen Teil ein eigenständiger Doppelsstaat wurde und weitere 70 Jahre bis letztendlich Tschechien entstand.

Karl hatte einen wichtigen Prestigesieg errungen, gleichzeitig förderte es sein ohnehin hohes Ansehen in Böhmen ganz wesentlich. Volk und Klerus lagen ihm sprichwörtlich zu Füßen, in ihrem Schlepptau der größte Teil des Adels. Böhmen war seit langem nicht mehr so geeint wie unter der Statthalterschaft des Kronprinzen.

Um dem neuen Status als Erzbistum den repräsentativen Glanz zu verleihen, des es verdiente, wurde der Ausbau des Veitsdom ins Auge gefasst. Schon am 23. Oktober 1341 erließ König Johann seinerzeit ein Anordnung, die mehr einer Absichtserklärung gleichkam, die alte romanische Schlosskirche St. Veit prächtig ausbauen zu lassen. Bislang fehlte aber sowohl das Geld wie auch der notwendige Anlass. Mit der aufsehenerregenden Erhöhung zum Erzbistum, entfachte sich in Prag und im ganzen Land eine große Spendenbereitschaft so dass die Gelder zur Anschubfinanzierung des Baus reichlich flossen. Es fehlte aber an einem befähigten Baumeister. In ganz Böhmen konnte niemand die notwendige Expertise und Erfahrung nachweisen. Architektonisch stand man einfach noch weit, weit hinter den großartigen, geradezu sich in den Himmel streckenden gotischen Meisterwerken Frankreichs oder dem deutschen Reichsteil. Mit Matthias von Arras (1290 – 1352), ein auch in Avignon bekannter und wirkender Meister seiner Zunft, wählte Karl einen Baumeister erster Kategorie. König Johann berief ihn daraufhin nach Prag, wo am 21. November 1344 der Grundstein zum spätgotischen Veitsdom gelegt wurde, dem Königsdom der böhmischen Herrscher und gleichzeitig deren Grablege. 1356 wurde Peter Parler (1333 – 1399) nach Prag berufen, wo er als Dombaumeister die Arbeiten an der dortigen Dombauhütte leitete.

Karls Wahl zum römisch-deutschen König wurde für den Moment hinten angestellt. Es galt zunächst die Reaktionen im Reich auf die vorgenannten Maßnahmen abzuwarten. Wenigstens Erzbischof Heinrich von Virneburg musste gegen die schmerzliche Beschneidung seines Einflusses intervenieren und auch am Kaiser konnte dieser selbstherrliche Akt nicht spurlos vorübergehen.


Ehevertrag mit Habsburg

Nach ihrem Aufenthalt Avignon, reisten Vater und Sohn zurück. Das Ziel war Prag, zumindest für Karl. Unter anderem im Bistum Thule, legten sie eine Zwischenrast ein, was darauf schließen lässt, dass ihr Heimweg sie über die Grafschaft Luxemburg führen sollte, wo der Vater möglicherweise zurückbleiben wollte. Hier begneten sie Albrecht von Buchheim, einem Abgesandten des Herzogs Albrecht von Österreich, der zwischenzeitlich als letzter Überlebender von sechs Brüdern über die gesamten Habsburger Länderreien, von Teilen der heutigen Schweiz, Südbaden und Elsaß bis Nieder- und Oberösterreich, sowie Kärnten und Krain herrschte. Albrecht sucht für seinen ältesten, fünfjährigen Sohn Leopold eine Heitratsverbindung mit dem Hause Luxemburg. Hierzu sollte sein Gesandter, einer von mehreren zeitgleich losgeschickten Boten, um die Hand von Karls zweiter Tochter, der zweijährigen Katharina, anhalten. Unnötig zu erwähnen, dass für Karl dieses Gesuch ganz in seinem, und des Vaters Interesse war. Eine Verbindung mit den Habsburgern, noch dazu mit dem erstgeborenen Sprössling, hätte seinen eigenen Plänen um die Reichskrone vorzügliche Unterstützung gegeben. Auch wenn die Habsburger nicht zum erlauchten Kreis der Wahlfürsten gehörten, war es wichtig für den sehr wahrscheinlichen Fall eines ausbrechenden Thronstreits, mächtige Verbündete um sich scharen zu können. Auf Frankreich konnte Karl nur hoffen, wenn es sich im Krieg gegen England durchzusetzen vermochte, wonach es momentan noch nicht aussah. Der Papst würde ihn wohl nur in beschränkter Weise unterstützen und wenn,auch nur durch die üblichen kirchenpolitischen Maßnahmen., Eine militärische Teilhabe des Papstes, barg zu viele Unwägbarkeiten und hätte im Reich gegebenenfalls mehr Fürsten gegen Karl aufgebracht als wenn sich Clemens VI. neutral verhielte. Die Habsburger waren im Reichsgebiete zweifelsfrei die wichtigsten Bündniskandidaten im Falle eines Krieges um die Krone. Der vermeintliche Gegner konnte zum damaligen Zeitpunkt auch nur die bayrische Linie des Hauses Wittelsbach sein, insbesondere wenn noch zu Lebzeiten des Kaisers eine Neuwahl inszeniert würde.

Dem Kaiser blieb die Verbindung nicht verborgen, die beiden Parteien machten auch kein Geheimnis daraus. Er war also zusätzlich gewarnt und erahnte die Absichten hinter den Schachzügen Karls und seines Vaters. Mehr denn je suchte er jetzt den Ausgleich mit dem Papst und die Lösung des Kirchenbanns. Es war sein Ziel einen Nachfolger, einen seiner Söhne im Kollegium der Kurfürsten als Kandidat zu positionieren aber hierzu war es unbedingt erforderlich sich des Makels des Banns zu entledigen. Der Pontifex ließ ihm hierzu eine Liste mit Auflagen überreichen, die für eine römisch-deutschen Kaiser kaum zu erfüllen waren und die er scharf missbilligte, dennoch nicht leichtfertig ablehnen wollte. Im August 1344 lud der Kaiser zum Hoftag nach Frankfurt am Main. Er legte den versammelten Reichsfürsten und Vertretern der Reichsstädte den Forderungskatalog Clemens VI. vor und holte deren Meinung ein. Es war ein geschickter Zug, konnte er doch nach dem eindeutigen Ergebnis das seinerzeit beim Rhenser Kurtag gegen jede päpstliche Einmischung in Reichsangelegenheiten verkündet wurde, ganz leicht erahnen, dass die große Versammlung der Fürsten zu Frankfurt in gleicher Weise votieren würde. Seine Intuition täuschte ihn nicht, mit lautstarker Entrüstung verwahrten sich die anwesenden Reichsstände gegen die päpstliche Anmaßung. Ludwig IV. ging aus dem ersten Teil des Hoftags wesentlich gestärkt hervor. Wenngleich er wegen seiner Maßnahmen in Tirol und Niederbayern schwer in der Kritik stand, waren die Glieder des Reichs im Falle seines Streits mit der Kurie klar auf der Seite des Kaisers. Für Karl bedeutete diese Wendung einen herben Rückschlag hinsichtlich seiner eigenen Ambitionen um die Krone und Kaiser Ludwig hatte noch nicht seine letzte Karte ausgespielt. Wissend um das hervorragende Verhältnis Karls zu Clemens VI. beauftrage er ihn, sich in seinem Sinne beim Papst für ihn zu verwenden. Nichts lag Karl im Grunde ferner und nichts konnte er seinem obersten Lehnsherren gleichzeitig weniger abschlagen, als diese vor der Versammlung der Reichsvasallen ausgesprochene Bitte. Es zeigte einmal mehr, dass Kaiser Ludwig IV. in der ersten Hälfte der 1340‘er Jahre nicht nur auf dem Höhepunkt seiner territorialen Macht war, er war gleichzeitig ein gerissener politischer Gegner, der die Fäden fest in Händen hielt und wie man sagt, bestens verstand die Klaviatur zu spielen.

Karls Vater gab die Lage noch nicht auf. Im September kam es zu Bacharach am Rhein zur Fortsetzung des Hoftags. Hier nutzte Johann die Gelegenheit den Versammelten in drastischen Worten die Schändlichkeiten, die man seinem Sohn Johann-Heinrich in Tirol seitens der Wittelsbacher antat, zu beschreiben. Freilich vermied er dabei auf den jahrelangen Ehekonflikt und das ruchlose Verhalten des Sohnes einzugehen. Johann vermochte in der Situation bei den Anwesenden zu punkten, immerhin war sein Leumund als Sieger vieler Turniere, furchtloser Held ungezählter Schlachten, der sich im Vorjahr sogar in erblindetem Zustand auf Preußenfahrt begab, tadellos und viele Fürsten bewunderten den blinden König als Inbegriff ritterlicher Tugenden. So ging der kaiserliche Hoftag Mitte September zumindest nicht mit einem kompletten Sieg des Kaisers zu Ende und für Karl, der nur den Anschein gab sich für den Kaiser beim Papst zu verwenden, nicht mit einem herben Rückschlag. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, könnte man die Situation passend beschreiben.


Krieg gegen Kasimir und den Herzog von Schweidnitz

Losgelöst von den Ereignissen beim Hoftag, hatte Karl im Osten noch eine Rechnung offen, die es so oder so zu begleichen galt bevor er sich mit den Wittelsbachern um die Reichskrone stritt. Kasimir von Polen hatte ihn Ende des Jahres 1343 auf der Rückreise vom Ordensstaat festzusetzen versucht. Durch vorgetäuschte Arglosigkeit konnte er seine Bewacher seinerzeit überlisten und es gelang ihm die glückliche Rückreise nach Breslau und von dort weiter nach Prag. Vergessen hatten Karl und sein Vater Johann diesen Verrat nicht. Die Rüstungen für einen Vergeltungsfeldzug begannen unmittelbar nach Rückkehr aus dem deutschen Reichsteil. Währenddessen wurde der Erzbischof von Prag offiziell geweiht und der Grundstein zum Umbau des Veitdoms in eine spätgotische Königskathedrale begonnen. All diese Festivitäten dienten hervorragend die Kriegspläne zu tarnen. Ende November begab sich Karl nach Wien um mit Herzog Albrecht den vereinbarten Ehepakt beider Häuser nochmals von Angesicht zu Angesicht zu besiegeln. Anfang Dezember sehen wir ihn wieder in Mähren und gleich im Anschluss im schlesischen Herzogtum Teschen.

Mit beginnendem Frühjahr 1345 waren die Zurüstungen beendet und man entschloss sich den ersten Schlag gegen den mit Kasimir verbündeten Herzog Bolko II. von Schweidnitz (1308 – 1368) zu unternehmen. Voraus ging ein Angriff Kasimirs auf Steinau das heutige Ścinawa, das er einnahm und verheerte. Die Stadt gehörte damals zum Fürstbistum Breslau.

Mit einem starken Heer brach König Johann, begleitet von beiden Söhnen, Karl und Johann-Heinrich sowie dem Erzbischof von Prag, in das Herzogtum ein. Die Stadt Schweidnitz (pol. Świdnica) wurde belagert, verteidigte sich aber äußerst zäh und war zahlreich mit schlesischen und polnischen Truppen besetzt. Wiederholt heftig geführte Angriffe wurden blutig abgeschlagen. Aus Prag zog man Werkzeuge heran um den Belagerungspark zu erweitern, doch auch die Verteidiger waren gut ausgestattet und machten wieder und wieder die Arbeiten zunichte. Verbunden damit erfolgten wiederholte, sehr erfolgreiche Ausfälle der Eingeschlossenen, wodurch zusätzlich schwere Schäden am Belagerungsgerät entstand. Bei einem besonders erfolgreichen Ausfall gelang es in nur einer Stunde die Arbeiten von zwei Wochen zu zerstören. Karl der zwischenzeitlich die Leitung der Belagerung übernahm, sah ein dass nach Wochen kein Vorankommen erzielt war und die Verluste unter den Belagerern an der Moral aller nagte. Man ging jetzt zu einer totalen Einschließung der Stadt über um sie auszuhungern. Doch auch diese Strategie zeigte keinen Erfolg, einfach weil man überhaupt nicht die Zeit und mehr noch, die notwendigen finanziellen Mittel aufbringen konnte, um den Umschließungsring ausreichend lange und dicht genug geschlossen zu halten. Die Belagerung wurde ergebnislos abgebrochen und man zog ab, nicht ohne die Vorstädte vorher niederzubrennen und alles mitzuführen, was weggetragen werden konnte. Das Heer wendete sich jetzt gegen Landeshut (pol. Kamienna Góra) einer der anderen Städte des Herzogtums. Kundschafter hatten die schwache Besatzung der Stadt ausspioniert und schon beim Erscheinen des böhmischen Heers streckten die Bürger die Waffen und die Stadt wurde am 24. April 1345 im ersten Sturm genommen.

Noch einige Sätze zu den Gepflogenheiten der Kriegsführung. Es war üblich dass die verschiedenen Zünfte einer Stadt verantwortlich für die Verteidigung waren, darüber hinaus unterhielt der Magistrat in Kriegszeiten für gewöhnlich zusätzlich bezahlte Söldner, was im Falle Landeshuts nur wenig der Fall war, da der Herzog alle verfügbaren Truppen in seiner Residenzstadt Schweidnitz konzentrierte, was sich im Nachhinein betrachtet als die richtige Strategie herausstellte, denn die Böhmer bissen sich erfolglos vor der Stadt fest und mussten schlussendlich abziehen. Der Schlag gegen Landeshut diente wesentlich dem angekratzten Ruf und gleichzeitig der Plünderlust der Truppe. Die Entlohung der Truppen ergab sich seinerzeit neben dem Handgeld bei der Anstellung, nur noch aus dem was jeder an Plündergut beim Feind erbeutete. Einzig die Versorgung mit Nahrung wurde vom Heerführer darüber hinaus  finanziert, was die Kassen auch so schon schnell überstrapzierte, weswegen lange Belagerungen oft den finanziellen Ruin bedeuteten, wenn nicht die Belagerungstruppen schon vorher davonliefen, weil sich keine Beute abzeichnete.

Der weitere Feldzug gegen den Herzog beschränkte sich auf großflächige Plünderungen. Zehn Wochen streiften die böhmischen Kriegsknechte durch das  Land. In all der Zeit kam ihm Kasimir nicht zur Hilfe, aus gutem Grund, denn es braute sich längst ein Unwetter über Johann und seinen Söhnen zusammen, dazu gleich mehr. Herzog Bolko II. war mittlerweile gezwungen um Waffenstillstand zu ersuchen. Die Klagen aus seinem Land wurden immer lauter und auf rechtzeitige Hilfe war nicht mehr zu hoffen. Die Bedingungen zur Einstellung der Kampfhandlungen kennen wir nicht, allerdings nahm Johann das Gesuch bereitwillig an, weil sich eine erwchreckend große kaiserliche Allianz gegen ihn verschwor und Böhmen in ernster Gefahr war. Kaiser Ludwig IV. hatte das Frühjahr 1445 dazu genutzt eine Allianz praktisch aller Nachbarn Böhmens zu schmieden. Darunter Polen, Ungarn, Österreich, Brandenburg, Meißen und Schweidnitz. Selbst Ungarn und Österreich, wo jeweils eine Tochter Karls als zukünftige Landesherrin am Hof lebte und wo mit so großen Worten die Freundschaft beschworen wurde, schlossen sich der Koalition an. Alle einte der Wunsch ein weiteres Erstarken der Luxemburger Hausmacht zu unterdrücken und wenn nötig aktiv zu bekämpfen. Wirklichen Willen zum Krieg zeigte aber nur Kasimir, alle anderen hielten sich zurück, hofften auf das Engagement eines anderen und hielten sich die Option vor, rechtzeitig einzusteigen, sobald es darum gegangen wäre ein Stück vom Fell des erlegten Bären zu sichern. Brandenburg und Meißen ging es hierbei um die Nieder- und Oberlausitz, Österreich um Mähren, Ungarn um Teile Südostböhmens und Mährens, Polen um die schlesischen Herzogtümer und dem Kaiser ging es generell um die Schwächung und Beschneidung der Luxemburger und weniger um Landerwerb, allenfalls noch um Eger. Er hatte längst von den Bestrebungen Karls hinsichtlich der Reichskrone erfahren und es lag ihm daran Karl und seinen Vater mit einer erhofften Niederwerfung zur Aufgabe der Pläne zu zwingen.

Alle geplanten Operationen gegen Kasimir wurden fallen gelassen. Die Streitkräfte wurden in Zentralböhmen versammelt, gleichzeitig die Grenzfestungen verstärkt und verproviantiert. Johann suchte jetzt zumindest Zeit zu gewinnen und entsandte Verhandlungsführer zum Kaiser, in der Hoffnung vielleicht sogar einen Frieden zu erreichen. Der Kaiser aus der Position überlegner Stärke heraus, lehnte sowohl einen Waffenstillstand als auch einen Frieden kategorisch ab. Als man Johann zu Prag die niederschmetternde Nachricht überbrachte, antwortete er: „In Gottes Namen! Je mehr wir Feinde haben, je mehr wollen wir Beute und Gefangene machen und ich schwöre zum Herrn Jesus Christus, dass ich den Ersten der mich angreifen wird, so zu Boden schlagen will, dass ich dadurch die anderen abschrecken werde.“.

Kasimir, der mit den Rüstungen am weitesten fortgeschritten war, eröffnete den Tanz, an dessen Ende die Beschneidung Böhmens stehen sollte. Er rückte in das schlesische Herzogtum Troppau ein, unterstützt von ungarischen Hilfstruppen. Der bedrängte Herzog schickte sogleich Boten nach Prag um seinen Lehnsherren, den König von Böhmen, um schnelle Hilfe zu bitten. Johann ließ ihm umgehend antworten, dass er, der König, persönlich zu seiner Rettung käme. Johann versammelte die Ritterschaft des Landes zu Kuttenberg, den hohen und niederen Adel, den Klerus und die Vertreter der Bürgerschaften. In einer flammenden Rede appellierte den Anmaßungen des polnischen Königs zu antworten und zu den Waffen zu greifen. Mit der jetzt folgenden Antwort hatte er aber nicht gerechnet. Die Versammelten gaben zu verstehen, dass sie von altersher nur verpflichtet sind die Länder Böhmens dieseits der Grenzen zu verteidigen, niemals aber jenseits davon. Was Johann Ihnen anwortete und was wir aus den Aufzeichnungen Karls entnehmen, lautete wie folgt: „Ich will nun den Marsch antreten und sehen, wer von Euch so kühn und unbesonnen ist, mir nicht zu folgen.“. Hierrauf verließ er die Versammlung und setzte sich noch in der Nacht in Marsch, mit ihm 500 Panzerreiter sowie Fußtruppen, sein zweiter Sohn Joahann-Heinrich an der Seite. Karl blieb in Böhmen zurück, er sollte etwaigen Attacken der sonstigen Koalitionäre begegnen. Beschähmt von des blinden Königs Mut, eilten ihm die Ritterschaft, einzeln oder in Gruppen in Gewaltmärschen nach. Noch vor überschreiten der Grenze nach Troppau, hatte sich dadurch Johanns Streitkräfte mehr als vervierfacht. Parallel zum König war Karls Statthalter von Mähren mit einem eigenen Heer den polnisch-ungarischen Truppen entgegengeeilt, stellte sie aus der Bewegung heraus in einer Schlacht, wobei hunderte Feinde fielen und sechzig Ritter gefangen genommen wurden und verfolgte den Rest des heillos flüchtenden Heeres bis nach Krakau. Am 11. Juli drang er aus der Verfolgung heraus, an der Spitze einer kleinen Schar, in Krakau, der alten Königsstadt Polens, ein. Kurz hinter ihm wurde das Falltor heruntergelassen, seine nachfolgenden Truppen ausgesperrt, womit er abgeschnitten war und sich gefangen geben musste. Am nachfolgenden Tag, dem 12. Juli 1345, traf Johann mit dem böhmischen Heer vor Krakau ein und schloss die Stadt ein, brannte die Krakauer Vorstädte nieder und ließ die Gegend weit und breit ausplündern und verwüsten. Kasimir, unfähig seine Lage aus eigener Kraft zu bessern, ersuchte um einem Waffenstillstand, den Johann annahm, da er keinen langen Krieg gegen Polen führen konnte, in Sorge um die anderen, potentiellen Gegner. Mitte August wurde endgültig Frieden geschlossen, in den zugleich Ungarn, Brandenburg, Meißen und Österreich eingeschlossen war. Nur der Kaiser, der jetzt seinerseits isoliert war, blieb außen vor. Für Böhmen änderte sich durch den beherzten Einsatz des Königs die Situation grundlegend. Nun musste Ludwig IV. seinerseits in aller Demut bei Johann um Friede ersuchen. Er schickte zwei prunkvolle Gesandtschafen aus, eine zum König und eine weitere zum Kronprinzen Karl. Johann ließ sich hiervon beeindrucken, der Kaiser hatte augenscheinlich den richtigen Ton in seinem Gesandtschaftsschreiben getroffen. Es wurde zu Trier, unter der Schirmherrschaft des Erzbischofs Balduin eine Friedenskonferenz einberufen. Im Herbst wurde zwischen Ludwig und Johann ein Vergleich getroffen. Der Kaiser verpflichtete sich wegen des an Johann-Heinrich begangenen Unrechts Genugtuung zu leisten und verpflichtete seinen Sohn Ludwig, den Markgrafen von Brandenburg, die Städte Görlitz und Bautzen in der Lausitz an Johann-Heinrich auf alle Zeit abzutreten, ferner 20.000 Mark Silber für des Königs Kasse zu zahlen. Bis zur Entrichtung der Summe sollten die Städte Berlin, Brandenburg und Stendal als Unterpfand dienen, was beiläufig erwähnt das Verhältnis der märkischen Städte zum Wittelsbacher Herrscherhaus schwer erschütterte und einen Beitrag zu deren Abfall während der Krise um den falschen Waldemar leistete. Als die beiden Luxemburger Prinzen von den Inhalten des väterlichen Vergleichs hörten, lehnten sie entrüstet ab. Johann-Heinrich, weil er sich in keinster Weise rehabilitiert sah, höchstens abgespeist und Karl weil er die Lausitz ohnehin als heimgefallenen Besitz Böhmens betrachtete. Am heftigsten war jedoch der Ausspruch, der König würde sein Geld doch nur am Rhein vertun und sie hätten davon ohnehin keinen Nutzen. Diese Passage wirft einen schwarzen Schatten auf das momentane Verhältnis der Söhne zum Vater. Es mag ein Indiz sein wie verschieden die Ansichten waren. Dem Vater waren Kriege und Feldzüge eine Art sportlicher Wettkampf, dem Sieger gebührte vor allem die Ehre, mit der Beute sollten hauptsächlich die Kriegskosten gedeckt und die Kasse für zukünftige Kriege gefüllt werden. Sicherlich war Johann hier eine Ausnahme, vielleicht sogar schon ein Relikt. Die Söhne umgekehrt, waren in ihrem Wesen, ganz im Sinne der Zeit, Territorialfürsten, stets bestrebt die eigene Hausmacht zu heben. Dass unter Johanns Regentschaft der Ruhm und die Macht des Hauses Luxemburg so hoch steig, lag größtenteils an der glücklichen Heiratsverbindung die noch der Vater, Kaiser Heinrich VII., einfädelte und der sich noch unter Wenzel II. abzeichnenden freiwilligen Unterwerfung der meisten schlesischen Herzogtümer unter die Krone Böhmens. Johann selbst versuchte während der lombardischen Episode, die Luxemburger Hausmacht zu erweitern.  Der Versuch, so glänzend er begann, nahm einen schlechten Verlauf und wurde aufgegeben. Die Tiroler Heirat war in der Sache vielversprechend aber scheiterte  quasi schon ganz zu Beginn an den unterschiedlichen Charakteren seines zweitgeborenen Sohnes und der Braut, Erbgräfin Margarete von Tirol. Auch dieses Vorhaben endete kläglich, geradezu schmählich demütigend. Am Ende seiner Regentschaft, war trotz aller Chancen, das Haus Luxemburg im Grunde genauso einflussreich und mächtig wie zu Beginn. Kein bekannter Herrscher der Zeit hatte an mehr Kriegen und Kriegszügen teilgenommen und hatte für sein Haus weniger greifbares erreicht wie Johann von Böhmen und doch war er schon unter den Zeitgenossen ein Sinnbild ritterlicher Tugenden. Vielleicht war es gerade der Mangel an messbaren Erfolgen, unter Berücksichtigung der enormen Aufwände, der Kronprinz Karl die Augen öffnete und was sich in dem vorgenannten Satz ausdrückte, „er wird sein Geld ohnehin vertun…“. Es war offensichtlich dass, wenn dereinst Johanns Nachfolger, die Krone Böhmens tragen würde, er den territorialen Besitz mit allen Mitteln der Zeit erweitern wollte.

Dem Kaiser graute es vielleicht schon vor dieser Zeit. Karl war schon längst zum Problem für ihn geworden und nach dem erbärmlichen Ausgang der so großartig begonnenen Allianz gegen Böhmen, war Ludwigs Prestige unter den Reichsfürsten dramatisch eingebrochen. Würde er dem nächsten Anlauf Karls die Reichskrone zu erwerben ein weiteres Mal so geschickt vereiteln können wie anlässlich des letzten Hof-, Reichstags in Frankfurt?


Karl wird zum römisch-deutschen König gewählt

Die gereizte Stimmung zwischen den Söhnen und dem Vater hielt noch durch den Herbst 1345 an, war dann gegen Jahreswechel 1345/46 soweit beigelegt, dass für das Frühjahr neue Pläne ersonnen wurden. Im Reich hatte sich die Stimmung gegen den Kaiser weiter getrübt. Am 26. September 1345 starb des Kaisers Schwager Wilhelm IV. von Holland ohne einen Erben zu hinterlassen. Die überaus reichen niederländischen Lehen fielen ans Reich zurück bzw. gingen teilweise als Erbe an Ludwigs Frau, ihre Schwester die mit dem König von England verheiratet war, ging praktisch leer aus.

Ludwig IV. belehnte seine Frau mit den verwaisten Grafschaften in Holland, Seeland und Friesland, des Weiteren überzeugte er den Bischof von Lüttich sie auch mit der Grafschaft Hennegau zu belehnen. Die bayrischen Wittelsbacher waren nun in Sachen Hausmacht auf einer Augenhöhe mit den Habsburgern und den Luxemburgern. Unter den Fürsten des Reichs fand dieser Machtzuwachs keine Gegenliebe. Ludwig wäre vielleicht gut beraten gewesen wenigstens einen Teil der erledigten Lehen an andere Fürsten zu verleihen und sicherlich wog er diesen Gedanken ab. In seinem abschliessenden Urteil muss er zum Schluss gekommen sein, dass dies zu vergleichbaren Spannungen führen würde, womit er auch gleich sich, bzw. die eigene Familie belehnen konnte. Bleibt noch der ethische Aspekt, die moralische Anforderung an das Reichsoberhaupt im Konsens mit den Gliedern des Reichs zu agieren und die eigenen Interessen schon von Amtswegen hintenanzustellen. Seien wir jedoch ehrlich, bei welchem römisch-deutschen König oder Kaiser hätte man hier nicht dem mahnenden Finger heben können?

Im April 1346 befanden sich Johann und Karl erneut in Avignon. Papst Clemens VI. wollte nun seinen Umsturzplan, den man vor zwei Jahren in Erwägung zog, in die Tat umsetzen. Am 13. April 1346 verhängte der Papst in einer vernichtend formulierten Bulle den endgültigen Kirchenbann gegen den Kaiser. Die darin enthaltenen Verwünschungen und Flüche waren erschreckend. Um sich ein Bild der verwendeten Sprache zu machen, anbei einige stichpunktartige Auszüge:

  • Wir flehen zu Gott, dass er ihn niederstürze, … seinen Feinde ausliefere…
  • Sein Eingang und Ausgang seien verflucht (Sie lesen richtig)
  • Der Herr schlage ihn mit Narrheit, Blindheit und Raserei
  • Der Zorn Gottes entzünde sich über ihn, in dieser und der nächsten Welt
  • Der Abgrund tue sich auch und verschlinge ihn lebendig
  • Sein Andenken sei vergessen unter den Menschen
  • Sein Haus und seine Sippe sollen veröden
  • Seine Kinder sollen vor seinen Augen durch die Hand seiner Feinde umkommen

Dies sind nur die Auszüge vom Schluss des  Bannfluchs. Die päpstliche Kanzlei ließ reichlich Abschriften für den italienischen – und deutschen Reichsteil ausfertigen und an alle Bischöfe des Reichs verschicken, um sie öffentlich in den Kirchen verlesen zu lassen. Das Volk war zutiefst schockiert. Zu Lebzeiten hat nie jemand eine schlimmere Hetzschrift gegen einen Kaiser gehört und die Botschaft hinterließ bei den Zuhörern ein geteiltes Echo.

Parallel ließ sich der Papst von Karl einen Katalog von Bedingungen beeidigen als Vorbedingung für die päpstliche Unterstützung. Konnte man gerade noch bei dem vorgenannten Schauspiel darüber hinwegsehen, dass sich Johann und Karl für etwas derartiges hergaben, indem sie nicht um mehr Mäßigung ersuchten, kann die Leichtfertigkeit mit dem Karl die päpstlichen Vorgaben beschwor, nur noch als völlige Unterwerfung des römisch-deutschen Throns unter die Oberherrschaft des Papstes gewertet werden. Kein König und kein Kaiser bis zurück zu Karl dem Großen hatte jemals die Würde und Größe des Reichs leichtfertiger und gleichsam schändlicher verkauft und all dies ohne jede Not. Papst Klemens hätte allein um den verachteten Wittelsbacher abzusetzen, Karl ohne jegliches Zugeständnis unterstützt. Karls blinde Gier nach der Krone machte ihn damals unempfänglich für die möglichen Implikationen die seine Leichtsinnigkeit mit sich brachten.

Ein weiterer Schritt, quasi Grundbedingung für die erfolgreiche Wahl Karls, war die Beseitigung des Mainzer Erzbischofs Heinrich III. von Virneburg. An seine Stelle wurde der erst vierundzwanzigjährige Gerlach von Nassau gesetzt. Die Hintergründe haben wir weiter oben beschrieben, wie auch in Buch 2. Die Mehrheitsverhältnisse im Kurkollegium waren jetzt gekippt, vor allem weil im Mai 1346 auch der kaisertreue Erzbischof Balduin von Trier dem Kaiser die Loyalität aufkündigte. Balduin war der glühenste Verfechter einer von Rom völlig autonomen Reichspolitik, als solcher stand er fest an der Seite des Kaisers, wurde selbst wiederholte Male gebannt. Mit der Kandidatur Karls, seines Großneffen, spielten jetzt aber dynastische Gründe eine entscheidendere Rolle.

Die drei Stimmen der geistlichen Wahlfürsten waren Karl sicher, der Kölner Erzbischof hätte viel zu große Sorge, dass ihm das gleiche Schicksal ereilen könnte wie dem abgesetzten Heinrich von Virneburg, als dass er Karl die Stimme verweigert hätte. Als weitere, sichere Stimme konnte jene des Herzogs von Sachsen-Wittenberg gesehen werden. Der Herzog war seit 1323, seit die Mark Brandenburg an des Kaisers Sohn, statt an ihn ging, ein unversöhnlicher Feind Ludwigs. Und natürlich war da noch die Stimme Böhmens, vertreten durch Karls Vater. Nur Pfalzgraf Rudolf, der sich längst mit dem kaiserlichen Onkel versöhnt hatte, würde gegen Karl stimmen, man beabsichtige ihn daher erst gar nicht über die Wahl zu informieren. Markgraf Ludwig von Brandenburg, der älteste Sohn des Kaisers, sollte zur Wahl nicht zugelassen werden, da er unter Kirchenbann stand.

Bevor Karl aus Avignon abreiste, vereinbarte er noch einige Punkte Böhmen betreffend. Wenn wir weiter oben heftige Kritik an ihm übten, so wollen wir nicht vermeiden, ihn an dieser Stelle für seinen Weitblick zu loben. Unter anderem holte er beim Papst die Genehmigung zu Gründung einer Universität ein. Es mag die meisten Leser wundern aber seinerzeit war eine derartige Gründung abhängig von der päpstlichen Erlaubnis. Es wäre die erste Lehranstalt dieser Art im Reich nördlich der Alpen. Karl bewies damit einmal mehr eine Persönlichkeitsfacette die untypisch für seine Zeitgenossen war. Die spätere Gründung der Karls-Universität in Prag, sollte der Kristallisationspunkt für weitere Gründungen im ganzen Reich werden.

Johann und Karl reisten nach Abschluss aller Gespräche  weiter nach Luxemburg, wo einige unterzeichnete Urkunden ihre Anwesenheit dokumentieren. Hier verweilten beide und warteten auf Nachricht vom neuen Mainzer Erzbischof, der der Sitte entsprechend die Wahlfürsten zur Wahl eines neuen Königs einberief. Sie mussten nicht lange warten, Erzbischof Gerlach von Nassau, in seiner zeremoniellen Funktion als Reichserzkanzler des deutschen Reichsteils, lud die erlauchten Großen des Reichs, gemeint waren die Fürsten die dem Gewohnheitsrecht gemäß den König wählten, zum 11. Juli 1346 nach Rhens ein. Um es nicht zum Eklat kommen zu lassen, waren nur fünf der sieben privilegierten Wahlmänner eingeladen.

Es waren dies folgende Personen:

  • Gerlach von Nassau, Erzbischof zu Mainz
  • Walram von Jülich, Erzbischof zu Köln
  • Balduin von Luxemburg, Erzbischof zu Trier
  • Johann von Luxemburg, König von Böhmen
  • Rudolf I. von Askanien, Herzog von Sachsen-Wittenberg

Nicht geladen wurden der Pfalzgraf bei Rhein, Rudolf von Wittelsbach und der Markgraf von Brandenburg, Ludwig von Wittelsbach. Rudolf, ein Neffe des Kaisers war wieder auf die Wittelsbacher Seite eingeschwenkt, nachdem man sich wegen der niederbayrischen Angelegenheit verglichen hatte und Ludwig von Brandenburg, war als Sohn des Kaisers und als von der Kirche gebannter Ketzer, Persona non grata.

Die versammelt Fürsten eröffneten die Veranstaltung indem sie den Kaiser als abgesetzt und den Thron des Reichs als erledigt erklärten. Ohne ein weiteres Intermezzo gingen sie zur Wahl über und stimmten einstimmig, das heißt mit fünf anwesenden Stimmen für Karl, den Markgrafen von Böhmen.

Gleich im Anschluss präsentierten sie den neuerwählten König dem anwesenden Volk. Der Überlieferung nach fiel beim Jubelruf der Menge das am Ufer des Rheins platzierte große Reichspanier, die Reichsflagge mit dem schwarzen Adler auf goldenem Grund, ins Wasser und wurde hinweggespült. Man deutete das allgemein als ein schlechtes Omen. Sofort machten sich Zweifel im Volk, selbst unter den versammelten Fürsten und Vertretern des Klerus breit. Dass mit Rhens zwar ein für die Königswahl wichtiger aber nicht der richtige Ort gewählt wurde, der in Frankfurt am Main lag, tat sein übriges. Rhense hatte im Zusammenhang mit der Königswahl seit einigen Generationen eine gewisse Tradition. Hier trafen sich seit der Wahl Rudolfs von Habsburg die Rheinischen Kurfürsten und beratschlagten über einen Thronkandidaten. In Rhens trafen sich mehr oder weniger die Gebiete der vier Fürsten, weswegen der Ort sich anbot.

Der Wahl folgte erst am 26. November 1346 die Krönung in Bonn. In der Zeit davor versuchte man, da schon der Wahlort nicht dem Protokoll entsprach, jetzt unbedingt den noch symbolträchtigeren Krönungsort Aachen zu gewinnen. Doch die stolze Reichsstadt, die im Herzen ihres Doms den Thron Karls des Großen barg, blieb, genau wie die Reichsstadt Frankfurt, den Kaiser Ludwig treu und verweigerte dem Usurpator Karl den Zugang. Man musste notgedrungen auf Bonn ausweichen und konnte auch nicht auf die korrekten Reichsinsignien zurückgreifen. die sich in den Händen des Kaisers befanden. Doch war es nicht nur der Versuch in Aachen Einlass zu erhalten, der die Krönung so lang hinauszögerte, es war auch ein erschütterndes Ereignis das sich am 26. August 1345 ereignete, dass beinahe alles zunichte gemacht hätte. Wir haben schon in Buch 2 dsvon breichtet, werden es aber im nächsten Kapitel nochmal wiederholen.

Auch wenn Karl die Mehrheit der Kurfürsten hinter sich hatte, auch wenn der Papst durch Intrigen und Drohungen seinen Teil zur Wahl beitrug, so stand Karls Regentschaft auf tönernen Beinen. Keine der wichtigen Symbolakte konnte eingehalten werden, der Vorfall mit der Reichsflagge überschattete dabei noch den Wahltag. Es war fraglich ob Karl sich durchzusetzen vermochte. Ein militärischer Konflikt zwischen den Parteien schien unvermeidlich.


 

Buch 3, Kapitel I: „Karl IV. – Kindheit, Jugend, Volljährigkeit“


Herkunft, Geburt und Taufe

 

Karl wurde am 14. Mai 1316 in Prag geboren. Sein Vater war der ebenso illustre wie streitbare König Johann von Böhmen, der später, in Folge einer tragischen Augenerkrankung, den Beinamen „der Blinde“ erhält. Johann entstammte dem Geschlecht der Luxemburger, einer noch vor zwei Generationen unbedeutenden Grafendynastie aus dem Westen des Reichs. Johanns Vater, der vormalige römisch-deutsche König Heinrich VII., vermochte nach vielen Generationen erstmals neben der Königs- auch wieder die Kaiserkrone zu erlangen. Johanns Vater arrangierte 1311 die Heirat mit Elisabeth von Böhmen. Seine Gattin, eine Nachfahrin der Přemysliden, ging aus dem alten, im Mannesstamme erloschenen böhmischen Königsgeschlecht hervor. Über ihre Mutter war sie zugleich mit dem Hause Habsburg verwandt. Ihr Großvater aus der mütterlichen Linie war der ehemalige römisch-deutsche König Rudolf I. von Habsburg. Sie war Tochter König Wenzels II., mit dessen Tod die Dynastie der Přemysliden, wie schon erwähnt, männlicherseits ausstarb. Durch Heirat einer Blutsverwandten des alten Königshauses, qualifizierte sich Johann bei den böhmischen Ständen als Thronkandidat, worauf sie ihn wählten. Böhmen gehörte einst zu den reichsten, bevölkerungsstärksten und größten Territorien des Heiligen Römischen Reichs. Das Land genoss eine Reihe spezieller Privilegien, nicht zuletzt eine eigene Königskrone tragen zu dürfen. Ein zweiter König, neben dem Reichsoberhaupt, war bis dahin ein Novum im Alten Reich. Dieses Sonderprivileg ging noch auf Friedrich II. zurück. Er bestätigte im Jahre 1212 dem damaligen böhmischen König Ottokar I. Přemysl dessen Königtum und erklärte ihn zum vornehmsten Fürsten des Reichs. Dies geschah in Anerkennung der geleisteten Unterstützung Ottokars anlässlich der Wahl Friedrichs zum römisch-deutschen König.

Nach dem Erlöschen des alten Herrschergeschlechts, ging der Einfluss der böhmischen Zentralgewalt stark zurück. Unter den kurzen Regentschaften der Habsburger und der Herzöge von Kärnten, wurden viele Burgen, Regalien und Einnahmequellen an den böhmischen Adel verpfändet. Das Land zerfiel in zahlreiche einander bekriegende Adelsgruppen. Der einstige Wohlstand des Landes schmolz dahin. Johann übernahm 1212 ein an Mitteln spürbar beschnittenes Königreich.

Karl war Johanns erstgeborener Sohn und als solcher sein designierter Nachfolger auf dem Thron Böhmens. Sein Name lautete nicht Karl, mit Taufname hieß er zunächst Wenzel, benannt nach dem Nationalheiligen der böhmischen Nation. Wenzel war die eingedeutschte Namensform des böhmischen Wentscheslaw, was so viel bedeutet wie der „Ruhmreiche“. Getauft wurde er im Prager Veitsdom zu Pfingsten 1316 vom Erzbischof von Mainz. Anwesend waren sein Großonkel, Erzbischof Balduin von Trier und die Bischöfe Johann von Prag und Peter von Olmütz. Es war augenscheinlich, dass die Geburt und Taufe eines zukünftigen böhmischen Thronfolgers, ein besonderes Ereignis war.

Karl erhielt seinem späteren Namen am französischen Hof König Karls IV. (1295 – 1328) von Frankreich, der mit Karls Tante Maria, einer jüngeren Schwester seines Vaters, verheiratet war. Sie nahm den jungen am Hof vorerst in ihre Obhut und wachte über seine Erziehung. In späteren Jahren wurde ein gewisser Pierre Roger (um 1290 – 1352), er sollte dereinst Papst Clemens VI. werden, zum Lehrmeister des Prinzen. Die von Kindesbeinen an engen Beziehungen zum französischen Hof, wie auch zum späteren Papst, sollten sich nachhaltig auf seinen späteren politischen Handlungsspielraum auswirken und ihm, im Gegensatz zu seinen Vorgängern völlig veränderte Bedingungen ermöglichen.


Die ersten zwei Kindheitsjahre

Karl oder Wentscheslaw, die eingedeutschte Form lautete Wenzel, hatte einen Vater der seinem Sohn von Beginn an eine typisch kriegerische Haltung anerziehen wollte. Hierbei nahm er nicht nur sich selbst als Beispiel sondern berief sich die fürstlichen Vorbilder der Zeit. Für einen einstmaligen Regenten überhaupt für einen männlichen Adeligen der nicht für ein geistliches Amt vorgesehen war, kam überhaupt keine andere Ausbildung in Frage als die einer Kriegers. Reiten wurde den jungen Herren bereits in frühem Kindesalter beigebracht. Der geschickte Umgang mit Rüstung, Schild und Waffe, insbesondere dem standesgemäßen Schwert war eine gesellschaftliche Notwendigkeit die unmöglich in Frage gestellt werden durfte. Damit dieser Angelegenheit unbedingt die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet wurde, beauftrage Johann den böhmischen Oberlandeskämmerer Wilhelm Zajíc von Waldeck und Hasenburg. Die Familie der Zajíc von Hasenburg, Zajíc bedeutet Hase, gehörte zum böhmischen Uradel und ist zurück bis ins zehnte Jahrhundert nachzuweisen. Wilhelm Zajíc war zu seiner Zeit ein weit überregional bekannter und versierter Kriegsmann, er war ganz nach dem Geschmack des Königs und brachte nach Meinung Johanns demgemäß alle notwendigen Eigenschaften mit um die frühkindliche Erziehung des zukünftigen Königs von Böhmen zu beaufsichtigen.

Am 11. August 1316, Karl war kaum fünf Monate alt, brach im jüdischen Viertel Prags ein Feuer aus, das schnell auf angrenzende Häuser übergriff und letztendlich den größten Teil der Prager Altstadt in einer Feuersbrunst vernichtete. Die Heilig Geist Kirche, Kloster und Kirche der Paulaner, die Jakobskirche, das Rathaus selbst die Königsburg wurden ein Opfer der Flammen. Wir erwähnten es schon einmal, das alte Prag bestand überwiegend nur aus Holzgebäuden und ein Feuer, wenn es erst entfesselt ist, fand dadurch immer ausreichend Nahrung. Dieser verheerende Stadtbrand war jetzt auch Anlass durch großzügige Privilegien des Königs den Ausbau der Stadt mit Steingebäude zu forcieren. Alle in der Umgebung vorgefundenen, noch nicht erschlossenen Steinressourcen durften von den Pragern kostenlos ausgebeutet werden.

Für den kleinen Wenzel, für seine ganze Familie und den Hofstaat, brachte dieser Brand einschneidende Veränderungen. In Folge des Brandes und der allgemeinen Wohnsituation, nicht zuletzt der sich aus all dem ergebenden hygienischen Zustände, brachen rasch Seuchen in der Stadt aus. Die Königin, der Kronprinz und die beiden älteren Prinzessinnen Margarethe und Jutta konnten unter solchen Bedingungen nicht in der kaum mehr bewohnbaren Stadt verweilen. König Johann war zu dieser Zeit vermutlich nicht in Prag, auch nicht in Böhmen. Er hielt sich in seinen luxemburgischen Stammlanden auf oder war auf dem Weg dorthin. In seiner Grafschaft, dem Ort seiner Geburt, fühlte er sich stets wohler als in Böhmen.

Der vom König bestellte, vorerwähnte Wilhelm von Hasenburg übernahm jetzt die Initiative. Er führte die Königin und die erst drei bzw. ein Jahr alten Prinzessinnen sowie den fünf Monate alten Kronprinzen auf seine Burg Pürglitz (tsch. Křivoklát) westlich von Prag.

Während der Abwesenheit des Königs verwaltete der Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt als Landesverweser das Königreich Böhmen. Er wurde in Luxemburg geboren und war zeitlebens ein treuer Parteigänger der Luxemburger Fürstenfamilie. Erzbischof Peter war am 27. November 1308 nahm er an der Wahl des Luxemburgers Heinrichs VII. zum römisch-deutschen König teil, dem Vater Johanns und Großvater Karls. Wie wir weiter oben lasen, nahm er im März des Jahres 1316 die Taufe Karls im Prager Dom vor. Unter dem letzten Přemysliden Wenzel II. wurde Peter von Aspelt bereits als Kanzler mach Böhmen berufen und fungierte in der Rolle der Protonators von 1296 – 1305. Man kann mit gutem Recht behaupten, dass er ein Kenner der böhmischen Verhältnisse war und als solcher von großem Wert. Und obwohl er eine auf Ausgewogenheit  fokussierte Verwaltungspolitik übte, auf das feinfühlige Gemüt der böhmischen Stände Rücksicht nahm, dankte man es ihm von Seiten des Adels nicht. Man wollte keinen Ausländer als Verwalter. Wahrscheinlich war man auch schon längst der Regentschaft Johanns überdrüssig. Der Gegensatz der böhmischen Nation zum in  Handel und Wirtschaft starken Deutschtum, war trotz der 400 Jahre Zugehörigkeit zum Reich nicht überwunden, wenngleich es seither zu starken Vermischungen kam. Man kann die Ressentiments aus Sicht eines stolzen böhmischen Königreichs durchaus nachvollziehen. Die als Schikane empfundene deutsche Dominanz, war eine Belastung, das diesbezügliche Empfinden war in Teilen nicht immer unberechtigt. Der Schnitt ging durch alle Schichten und Stände des Landes. Obgleich besonders der Adel durch Heirat und sonstige Verknüpfungen zum deutschen Reichsteil am meisten vermischt war, kam speziell aus dieser Richtung der größte Widerstand gegen das Verwaltungsregiment des eingesetzten Landesverwesers. Der Widerstand großer Teile des Adels wurde so groß, dass der Erzbischof entnervt das Land verließ und sich in sein Erzbistum zurückzog, noch bevor der König ins Land zurückkehren konnte.

Hinter allem schien der Oberkämmerer, der zur Erziehungsaufsicht bestimmte Wilhelm von Hasenburg zu stecken. Formell übernahm jetzt die Königin das Ruder in Böhmen und reiste dazu wieder nach Prag. Wilhelm schien sich in der Rolle des leitenden Erziehers, der mittlerweile ein Jahr alt war, berechtigt gefühlt zu haben, aktiven Einfluss auf die Königin und ihre Statthalterschaft zu nehmen. Es dauerte nicht lange uns es entstand im Land abermals eine Adelsopposition. Ein Teil hielt es mit der Königin und eine andere Partei war gegen sie und ihr Regiment. Bald danach begannen erste Zurüstungen und bewaffnete Scharmützel. Man konnte daraus erkennen, dass in Böhmen, ähnlich wie im deutschen Reichsteil, Teile des Adels stets nur nach Vorwänden suchten um unter Ausnutzung des Fehderechts ihre wirtschaftliche Lage durch Plünderungen, Lösegelder oder sogar Landerwerb zu bessern.

In dieser aufgeheizten Lage flüchtete die Königin aus der Stadt und nahm ganz im Westen des Landes, auf der stark befestigten Burg Ellbogen (tsch. Loket) Zuflucht. Offensichtlich fürchtete sie ernsthaft um ihre und ihrer Kinder Sicherheit und erwog im Bedarfsfall sogar in den deutschen Reichsteil zu flüchten. Von der Festung Ellbogen aus sandte sie Nachricht an ihren Gatten, der noch immer in seiner Luxemburger Grafschaft weilte, und bat dringend um seine schnellstmögliche Rückkehr. Es war dies um den Spätsommer 1317. Johann und in seinem Gefolge ein Luxemburger Heer, eilte im November nach Ellbogen um sich mit dem dort versammelten Adel zu beraten. Der gemeinsame Ratschluss sah eine schnelle Niederschlagung der Rebellion in Prag vor und Johann zog mit seinen Truppen vor die Stadt. Einige der revoltierenden Barone unterwarfen sich ihm, wieder andere vereinten sich untereinander und boten dem König die Stirn. Ihr Widerstand war am Ende so heftig und erfolgreich, dass sich Johann fast fluchtartig auf die Festung Ellenbogen zurückzog wo er und seine Truppen Winterquartier nahmen. Seine Frau hatte ihn während des kurzen und wenig erfolgreichen Herbstfeldzugs begleitet. Der Winter und das Frühjahr 1318, mittlerweile feierte der kleine Wenzel, noch hieß er nicht Karl, seinen zweiten Geburtstag, wurde von beiden Seiten dazu verwendet die jeweiligen Landschaften der vermeintlichen Gegenseite auszuplündern und zu verheeren. Hierbei wurde auch vor Ländereien Neutraler kein Halt gemacht. Das Land drohte in einen Bürgerkrieg zu versinken und dabei zu verarmen. Jetzt griff der römisch-deutsche König ein. Das Reichsoberhaupt kam seiner Aufgabe als Friedensstifter und Wahrer nach. Seine Motive waren dabei auch eigennütziger Natur. Ludwig der erst vor knapp vier Jahren mit den Stimmen aus Mainz, Trier und Brandenburg in Frankfurt zum König gewählt wurde, saß auf einem wackeligen Thron, denn es gab mit dem Habsburger Friedrich dem Schönen einen Gegenkönig. Die Habsburger lagen mit den Luxemburgern im Konflikt. Für Ludwig IV., der zu diesem Zeitpunkt über kaum eigene Mittel und eine Hausmacht verfügte, kam es darauf an mit Johann von Luxemburg, dem böhmischen König, einen wichtigen und natürlichen Verbündeten zu erhalten.

Am 20. März 1818 traf sich das Reichshaupt in Eger mit dem böhmischen König und der Königin wo Ludwig IV. „der Bayer“ genannt, sein Angebot unterbreitete. Am 30. März war Johann mit seiner Frau wieder auf Burg Ellenbogen zurück, wo sie Wilhelm von Hasenburg damit beauftragten die rebellischen Barone des Landes zu Verhandlungen nach Taus einzuladen. Zum Osterfeste, am 24. April 1318 kam es zum Vergleich zwischen König Johann und den Baronen. Der König musste sich unter Eid verpflichten seine fremdländischen Truppen aus dem Land zu führen und keine Ausländer in offizielle Stellungen der Staatsverwaltung zu heben. Heinrich von Lippa, der führende Kopf der Aufständigen wurde daraufhin zum Landeskämmerer ernannt und Wilhelm von Hasenburg, der dieses Amt zuvor inne hatte, wurde zum Hofmarschall. Möglicherweise empfand Wilhelm diese Entscheidung als Zurücksetzung denn es ereigneten sich bald dramatische Szenen.


Zerwürfnis in der königlichen Familie

Kaum waren die Zustände in Böhmen stabil und der Aufstand des Adels beigelegt, zog es den König wieder in seine Luxemburger Heimat. Böhmen begann im ernsthaft zur inneren Last zu werden. Es entsprach nicht seinem Abenteurernaturell, seiner Leidenschaft für alles Ritterliche. Er liebte die Turniere, den mannhaften Wettstreit bei dem Ruhm und Ehre durch persönlichen Einsatz und Mut erworben wurde. Man kann nicht sagen dass im das Regieren per se zuwider war jedoch die böhmischen Zustände, die Böhmer selbst, blieben im fremd. Er suchte nach einer geradezu unglaublichen Lösung, unglaublich nach den Maßstäben heutiger Zeit. Damals jedoch, als hauptsächlich der dynastische Gedanke Triebfeder der Handlungen war, Landsmannschaften, nationale Zugehörigkeit oder Verbundenheit der Fürstenhäuser mit so etwas wie einem rudimentären Staatsvolk, weitestgehend unbekannt, kam Ideen und konkrete Verhandlungen, selbst realisierte Projekte auf, die man heute als geradezu unmöglich hielte.

Johann erwog einen Ländertausch und stand hierzu in Verhandlung mit dem Pfalzgrafen bei Rhein. Elisabeth, Johanns Frau stellte sich gegen diese Pläne und suchte sie wohl auch aktiv zu hintertreiben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Wilhelm von Hasenburg, wir erinnern uns, der Erzieher des böhmischen Kronprinzen, auch hier wieder eine aktive Rolle spielte. Vermutlich über ihn, letztendlich aber ausgelöst durch die Königin, erfuhr der böhmische Adel von den Plänen des Königs. Der im erst Vorjahr so mühsam geschlossene Landfriede drohte augenblicklich zusammenzubrechen. Die böhmische Adelspartei erwog den jetzt drei Jahre alten Kronprinzen zum König zu machen und seinen Vater abzusetzen. Die Königin sollte in der Zeit seiner Unmündigkeit die Regentschaft ausüben. Es kann nur wenig Zweifel existieren, dass die Idee dazu von Wilhelm von Hasenburg stammte, der in seiner besonderen Rolle des Erziehers und damit maßgeblichen Beeinflussers, eine tragende Persönlichkeit geworden wäre.

Der König erfuhr von dem Vorhaben, sammelte erneut ein Heer in Luxemburg und rückte vor die Festung Ellenbogen, wo seine Frau, die für ihn Urheberin all dieser Pläne war, mit ihren Kindern und in hochschwangerem Zustand verweilte. Der König zwang sie die Burg an ihn zu übergeben und sich mit ihren Töchtern nach Melnik, nördlich von Prag zu begeben.

Der kleine Wenzel, unser späterer Karl, wurde von seiner Mutter getrennt und zusammen mit seiner Amme und weiteren Damen die sich um sein Wohl kümmerten, regelrecht eingekerkert.
Die Mutter indes blieb nicht lange im Melnik, es scheint als ob ihr auch kein Hausarrest auferlegt wurde. Sie zog nach Prag wo sie die drei Größten aus dem Adelsaufgebot, Wilhelm von Hasenburg, Peter von Rosenberg und Wilhelm von Landstein traf. Diese nahmen förmlich die Königin unter ihren Schutz. Gleichzeitig wurden sechs Vertreter aus dem Prager Bürgerstand ernannt, die sich um die öffentlichen Angelegenheiten der Stadt kümmerten. Forderungen wurden scheinbar keine gestellt. die Sorge der aufgebrachte, zu Jähzornausbrüchen neigende König könnte sonst dem gefangen gehaltenen Kronprinzen irgendein Leid antun schien zu groß. Über alle Facetten des Motivs der drei Barone kann man nicht viel sagen, selbstlose Loyalität zur Königin und zum Kronprinzen wird es wohl nicht gewesen sein, vielmehr dürften machtpolitische Erwägungen und nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Königin und Kronprinz wenig mehr als Mittel zum Zweck.

Der König, wie nicht anders zu erwarten und ganz seinem impulsiven Naturell folgend, stürzte sich Anfang Juli 1319 buchstäblich auf die Stadt und die vermeintlichen Verschwörer. Schloss und Stadt diesseits der Moldau, die sogenannte Kleinseite, nahm er im Sturm. Die starken Brückentürme über den Fluss konnte er nicht bezwingen und so versuchte er die noch unbesetzt Prager Altstadt von der anderen Seite, beim Kloster Zderas, anzugreifen. Wilhelm von Hasenburg schlug den mit viel Ingrimm geführten Angriff ab. Bei den Kämpfen gingen die Vorstädte in Flammen auf und Prag, vielmehr den Prager Städten, drohte schon wieder die teilweise oder dieses Mal komplette Zerstörung durch das Feuer. Johann konnte den Aufruhr nicht im ersten Sturm im Keim ersticken, für eine lange Belagerung hatte er umgekehrt weder die Geldmittel noch die notwendige Truppenzahl. Die Verteidiger waren aber in keiner besser Lage. Je länger sie dem rechtmäßigen König die Stirn boten, je schlimmer konnte es am Ende für die uns ihren Besitz enden. Beide Seiten suchten jetzt denn Konflikt in Verhandlungen beizulegen. Es ist hierbei eine interessante Seite Johanns zu erkennen. War der Ehre durch einen Waffengang genüge getan, so war er gewillt und in der Sache konstruktiv, die Angelegenheiten auf andere Arten als mit Waffengewalt beizulegen. Er versöhnte sich mit seiner Frau, die Stadt Prag musste für ihren Ungehorsam eine Geldstrafe leisten. Wilhelm von Hasenburg wurde die Aufsicht über Wenzel entzogen. Er zog danach mit anderem böhmischen Edelleuten nach Bayern um dem römisch-deutschen König in dessen Thronstreit gegen dessen Habsburger Rivalen zu unterstützen. Bald drauf wurde er im Streit mit einem böhmischen Landsmann von einem Pfeil verletzt und starb acht Tage später an den Folgen seiner Verletzungen. Der König zog darauf die Burg Pürglitz ein und machte sie zu einem seiner wichtigen Stützpunkte im Land. Seinen noch immer von Mutter und Geschwistern isolierten Sohn ließ er von Burg Ellenbogen nach Pürglitz schaffen, wo er weiterhin unter strenger Aufsicht stand. Johann quälte die Sorge der Adel könnte nach seiner Abreise erneut den Plan aufnehmen seinen Sohn auf den Thron zu heben und ihn selbst zu entmachten. Es verwundert dass der König nicht genug Einsicht aufbrachte und in Böhmen blieb, stattdessen zog es ihn erneut in die Luxemburger Heimat.

Wir halten kurz inne um ein Ereignis über das wir in Buch 1 bereits sehr ausführlich berichteten, erneut in Gedächtnis zu rufen. Um die Zeit als in Böhmen die vorgenannten Ereignisse stattfanden, verschied in Brandenburg der kinderlos gebliebene Markgraf Waldemar auf ungeklärte Weise. Im folgte sein Neffe, der noch unmündige Heinrich, dem man deswegen den Beinamen das Kind verlieh, auch und gerade weil er nie das Erwachsenenalter erreichte sondern mit erst 12 Jahren und kaum für mündig erklärt, schon im Folgejahr dem Onkel in den Tod folgte. Er war der letzte brandenburgische Askanier und die Mark drohte jetzt zu zerfallen.

Diese Begebenheit erwähnten wir zur besseren chronologischen Einordnung der Lebensjahre von Karl. Die niedergeschriebenen Geschehnisse der letzten beiden Kapitel aus Buch 1 und das komplette Buch 2 spielten sich zu Lebzeiten Karls ab. Er lebte in einer ereignisreichen Zeit die er zunächst als prominenter Abkömmling eines weithin bekannten Vaters in der reinen Statistenrolle eines Kleinkindes dann eines Jünglings erlebte, später als junger Mann bereits in der Rolle eines Akteurs und ab dem 30. Lebensjahr in maßgeblich gestaltender Weise.

Kehren wir zurück zu den Ereignissen der Zeit. Wir befinden uns mittlerweile im Jahr 1321. Karl, besser gesagt Wenzel, denn noch trug er seinen böhmischen Taufnamen, lebte weiterhin in der Isolation auf Burg Pürglitz. Recht selten durften ihn seine Verwandten besuchen. Es muss dies für den jetzt Fünfjährigen eine grausame Zeit gewesen sein, es lässt sich nur schwer einschätzen welche schädlichen Folgen es in der kindliche Seele hinterlassen hat. Zu den Besuchern gehörte auch seine Tante Maria, eine Schwester seines Vaters. Die späteren Ereignisse, über die wir noch berichten werden, lassen den Schluss zu, dass sich das Kind eng mit dieser Frau verbunden fühlte. Wir dürfen annehmen, dass Prinzessin Maria der Kontakt zu dem weggeschlossenen Kind leichter gestattet wurde als der königlichen Mutter, es könnte demgemäß nicht verwundern, sollte sie in den Augen des Kindes zunehmend eine Ersatzmutterrolle eingenommen haben.

Das Frühjahr 1322 brachte für den nun sechsjährigen Prinzen einen neuerlichen schmerzvollen Schnitt. Seine Tante wurde von ihrem Bruder vermählt. Sie reiste im April Richtung Luxemburg ab und von dort weiter nach Frankreich, an den Hof des französischen Königs Karls IV., den sie dort am 24. August zum Mann nahm. Es lässt sich leicht erahnen welche schmerzliche Szenen sich zwischen beiden zuvor abgespielt haben müssen. Bei dieser einen Trennung sollte es nicht bleiben. Die beiden nur wenige Jahre älteren Schwestern Margarethe und Jutta wurden frühzeitig zur Ehe versprochen und demgemäß an den jeweiligen Hof des zukünftigen Ehemanns gebracht. Freilich wurden die Ehen nicht gleich geschlossen. Zunächst wurden die jungen Prinzessinnen auf das Leben und ihre zukünftige Rolle vorbereitet. Nach Erlangung eines vermeintlich gebährfähigen Alters kam es dann zur eigentlichen Trauung. Königin Elisabeth führte ihre neunjährige Tochter Margarethe persönlich nach Bayern, wo sie am Hof Herzog Heinrich XIV. von Niederbayern, einem Neffen des amtierenden Oberhaupts des Reiches, auf die Ehe vorbereitet wurde. Jutta, gelegentlich auch Judith oder Gutta in Chroniken genannt, sie war erst sieben Jahre alt, kam an den markgräflichen Hof der Wettiner nach Meißen. Sie sollte den Markgrafen Friedrich von Meißen einst heiraten. Ihre weitere Erziehung übernahm die alte Markgräfin. Die Ehe sollte später, aus sich verändernden politischen Gründen, nicht geschlossen werden. Wir werden an anderer Stelle noch einmal darauf zurückkommen. Das Schicksal fürstlicher Nachkommen war ein fast durchgängig trauriges Kapitel. Sie waren stets mehr diplomatische Handelsware denn Individuen mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Bemerkenswert auch hier wieder, wohl fädelte Johann die Ehen ein, sobald diese aber vertraglich vereinbart waren, überließ er die weiteren Formalitäten entweder seiner Frau oder Bevollmächtigten. Der König widmete sich derweil meist um seine eigentliche Passion, dem Kriegshandwerk oder allem was dazu nötig war, bzw. damit in Verbindung gebracht werden konnte.

Vielleicht schildern wir an der Stelle die Lebensumstände des jungen Prinzen dramatischer als sie tatsächlich waren. Man darf trotz allem davon ausgehen, dass es ihm an nichts mangelte und er sehr wohl soziale Kontakte pflegen durfte, nur nicht oder nur wenig mit der Mutter, deren Einfluss der Vater so gering wie möglich zu halten gedachte. Es ist hierbei schwer zu beurteilen ob der König aus reiner Sorge hinsichtlich der weiter oben geschilderten Begebenheiten rund um den rebellischen Adel und deren Plänen weiterhin so handelte oder ob es ohnehin Teil seines Erziehungsplans war. Sollte der zukünftige Monarch absichtlich distanziert und dauerhaft immun gegen Gefühlsduseleien, wie sie eine vermeintliche „Weiberwirtschaft“ zuweilen anerzieht, heranwachsen? Wollte der König dafür sorgen, dass der Thronerbe während seiner späteren Regentschaft politische Entscheidungen ausschließlich aus dem kühlen Vernunftentschluss heraus traf, statt sich von unmännlichen Gefühlen leiten zu lassen?


Ein neuer Lebensabschnitt

Im Herbst 1322 kam es anlässlich des seit Jahren schwelenden Thronstreits zwischen dem Wittelsbacher Ludwig dem Bayern und dem Habsburger Friedrich dem Schönen zur Entscheidung. Am 22. September trafen sich die vereinigten Heere beider Kontrahenten bei Mühldorf, westlich von Salzburg zur Schlacht, die Ludwig schließlich für sich entschied. Wir berichteten im Prolog zu Buch 2 über den Schlachtverlauf und möchten an dieser Stelle nicht zu sehr auf Details eingehen. Wesentlichen Anteil am Erfolg des Wittelsbachers hatte der Vater unseres Karls, wir meinten natürlich unseres Wenzels. König Johann führte den Eröffnungsangriff und fesselte einen Flügel und mit Fortdauer des Gefechts immer größere Teile des Zentrums der gegnerischen Armee. Auf dem Höhepunkt der Schlacht entschied ein überraschender Reiterangriff des Nürnberger Burggrafen Friedrich IV. von Hohenzollern-Nürnberg gegen den gegenüberliegenden Flügel die Schlacht. Während der Attacke wurde sowohl der Gegenkönig Friedrich wie auch einer seiner Brüder, Herzog Heinrich von Österreich, der den Beinamen der Sanftmütige trug, gefangen genommen. Mit ihnen gerieten weitere etwa 1300 Edelleute in Gefangenschaft.

Herzog Heinrich, der nach seinem Bruder zweifelsfrei wertvollste Gefangene, wurde an Johann übergeben, der ihn auf Burg Pürglitz bringen ließ und dort internierte. Hier kam er mit dem Knaben Wenzel in Kontakt. Es ist wahrscheinlich dass sie ganz der Sitte gemeinsam die Tafel teilten und sicherlich auch sonst gewissen Umgang pflegten. Nach acht Wochen wurde der unfreiwillige und wertvolle Gast auf Ehrenwort entlassen. Er bekam zur Auflage in Wien die Forderungen des Königs durchzusetzen, andernfalls sich wieder in Gefangenschaft zu begeben, was nach Ablehnung der Forderungen auch geschah. Erst nach Ablauf eines weiteren Jahres kam Herzog Heinrich, gegen Zahlung von 9000 Mark Silber und dem Habsburger Verzicht auf Böhmen und Mähren, endgültig auf freien Fuß.

Für Wenzel ging die Zeit seines seltsamen Arrests einige Monate früher zu Ende. Der Vater, weiterhin in ungebrochener Sorge um seinen böhmischen Thron, den er zwar nicht liebte, der ihm aber Prestige und umfangreiche Mittel bescherte, hielt es jetzt für angebracht den mittlerweile sieben Jahre alten Wenzel außer Land zu bringen.

Am 7. Dezember 1323 begann ein neuer Lebensabschnitt für den jungen Prinzen. König Johann entschied, dass der junge Thronfolger fortan am französischen Hof erzogen würde. Seine Schwester Maria, die seit ihrer Heirat mit Karl IV. Königin in Frankreich war, sollte die weitere Erziehung übernehmen. Für unseren jungen Wenzel mag die Nachricht zweigeteilte Emotionen ausgelöst haben. Zum einen war die Reise in eine ungewisse Fremde und die dann noch größer gewordene Trennung zur Mutter sicherlich furchterregend für einen Jungen seines Alters, auf der anderen Seite was es immerhin sehr wahrscheinlich, dass er sich auf ein Wiedersehen mit seiner Tante freute. In den ersten Jahren seines Exils in Pürglitz war sie eine regelmäßige Besucherin und wohl auch seine wichtigste Bezugsperson.
Begleitet wurde Wenzel von Burian Kaplitz von Eulewitz, der sich im Vorjahr während der Schlacht bei Mühlberg durch besondere Tapferkeit hervortat. Weiter Benes Krabicze von Weißmühle, der ihm als Edelknappe diente und später zu seinem Geschichtsschreiber wurde.

Wenzel wurde von Tante und Onkel mit großer Herzlichkeit in Paris empfangen. Nach all der Zeit in der ihm aufrichtige Zuneigung und familiäre Wärme verwehrt war, muss dieses späte Glück für das ausgehungerte Kind wie ein Gottesgeschenk gewesen sein.

Karl IV. von Frankreich
aus dem Geschlecht der Karpetinger
Bildnis des Königs
auf seiner Grabplatte
in der Kathedrale von Saint-Denis

Wenzel musste sich in Frankreich, am Hofe des Königs nicht nur an andere Sitten, eine andere Sprache zu eigen machen, er musste sich auch an einen anderen Namen gewöhnen. König Karl hielt es für angemessen den bisherigen, allzu böhmischen klingenden Namen abzuändern. Es mag wohl nicht nur eine sprachliche Schwierigkeit mit der Aussprache gewesen sein, vermutlich sah man in dem slawischen Namen am stolzen Hof Karls IV. etwas unstandesgemäßes, eines zukünftigen Monarchen unwürdig. Der König der übrigens den Beinamen „der Schöne“ trug, entschied das der Namens Wenzels zukünftig, wie der seine, Karl lauten sollte. Aus dem böhmischen Wenzel wurde der fränkische Karl. Vollzogen wurde die Umbenennung anlässlich seiner Firmung 1324 durch Papst Johannes XXII., jener Papst der mit Ludwig IV., dem römisch-deutschen König und späteren Kaiser während seines gesamten Pontifikats im ständiger Fehde stand und damit erheblichen Anteil an der Entfremdung des deutschen Reichsteils vom Heiligen Stuhl hatte.


Tragischer Verlust und frühe Heirat

Am 21. März 1324 ereignete sich ein schrecklicher Unfall der tiefen Einfluss auf Karls Gemütslage nahm. Seine hochschwangere Tante Maria erlitt anlässlich einer Reise mit dem König nach Toulouse auf halber Strecke des Rückwegs einen schweren Unfall mit der Kutsche. Erheblich verletzt brachte man sie ins nahe Issoudoun wo sie eine Frühgeburt erlitt. Der kleine Prinz der den Namen Ludwig erhielt, starb schon nach wenigen Stunden und auch die erst 19 jährige Königin erlag ihren Verletzungen wenige Tage später.
Für Karl wog der Verlust schwer, seine erst kürzlich erlangte kindliche Unbeschwertheit und Freude wisch einer tiefen Trauer und Melancholie, er entwickelte regelrechte Heimweh, Heimweh nach so etwas wie Nestwärme. Mit der Tante verlor er eine zweite Mutter und sein hauptsächliche familiäre Bezugsperson. In dieser schweren Phase kam sein Vater an den Hof, zum einen um der Schwester, zu der er augenscheinlich ein inniges Verhältnis hatte, das letzte Geleit zu geben aber auch um dem Sohn Trost zu spenden. Man mag überrascht sein an König Johann eine derart empfindsame Seite zu entdecken. Johann hätte unter anderen Umständen wohl erwogen den Knaben in seine böhmische Heimat zu entlassen, doch lag ihm eine enge Verbindung mit Frankreich am Herzen. Seine Frankophilie spielte eine Rolle aber wesentlich waren es doch die üblichen dynastischen Erwägungen als Teil des diplomatischen Räderwerks regierender Häuser. Johann stand mit Karl I. von Valois in Kontakt, ein jüngerer Bruder des Königs von Frankreich. Die Valois waren eine jüngere Nebenlinie der regierenden Karpetinger Dynastie. Karl I. hatte mit Blanca Margarete von Valois eine fast gleichaltrige Tochter, sie war seine jüngste Tochter aus dritter Ehe mit Mahaut von Châtillon. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Maria, die kürzlich erst verstorbene Tante unseres böhmischen Prinzen, die Verbindung herstellte.
Im Mai 1324 kam es zur Vermählung Karls von Luxemburg-Böhmen, mit Blanca Margarete von Valois. Er war zu diesem Zeitpunkt gerade acht Jahre alt, seine Braut sieben. Da beide zu diesem Zeitpunkt natürlich noch zu jung für eine Ehe waren, wurden sie wieder voneinander getrennt und an unterschiedlichen Orten erzogen und auf ihr zukünftiges Leben, auch Eheleben vorbereitet. Kontakte pflegten sie natürlich dennoch und für Karl, um den man sich jetzt in besonderem Maße kümmerte, war es Trost vom erlittenen Verlust der Tante.
Mit der Heirat hinein in die französische Königsfamilie, wurde der Bund zwischen dem Haus Luxemburg und dem französischen Thron auf familiärer Ebene erneut gefestigt, nachdem mit dem Tod Marias diese Bande wieder auseinanderzudriften drohte.


Erster Lehrmeister des Kronprinzen

Der französische Monarch schenkte dem jungen böhmischen Prinzen verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit und sorgte dafür, dass der aufgeweckte und lernbegierige Junge eine für die Zeit und für seine eigentliche Berufung, ungewöhnliche Bildung erfuhr. Erwähnenswert ist, dass der König selbst über keine sonderliche Bildung verfügte, ob er es weiser Voraussicht tat, man weiß es nicht. Eine reine Beschäftigungsmaßnahme um Karl zu beschäftigen, wird es nicht gewesen sein, hierzu hätte es zweifelsohne andere Betätigungsfelder gegeben. Es schien, der junge Mensch zeigte eine natürliche Gelehrigkeit, hohe Auffassungsgabe, er machte rasche Lernfortschritte. Zum ersten Lehrmeister Karls wurde der Hofkaplan des Königs Johann von Cara bestimmt. In ungewöhnlicher Schnelligkeit erlernte Karl die lateinische Sprache und konnte gemäß dem Chronisten bald ganze Bücher lesen. Durch den Geistlichen von Cara erhielt Karl eine enge Bindung zur Römischen Kirche. Am Hof Karls IV. gehörte der Gegensatz zum Papsttum nicht zur Staatsmaxime wie er seit Generationen unterschiedlich ausgeprägt im Heiligen Römischen Reiche der Fall war. Die Gründe dazu lagen auf der Hand, mit Johannes XXII. residierte bereits der zweite französische Papst in Avignon. Dieser war sicherlich keine willfährige Marionette des französischen Throns, wie es vor ihm Clemens V. und nach ihm eine Reihe weiterer Päpste waren, doch auch er konnte sich nicht völlig von seiner Herkunft lösen und vom Druck des babylonischen Exils der Römischen Kirche im südfranzösischen Avignon. Karl entwickelte in diesen prägenden Kindheitsjahren eine starken Religionseifer der stellenweise mystifizierte Züge aufwiese, so glaubte er an Traumvisionen über die er öffentlich sprach und die er in seiner späteren Autobiographie seiner Kindheits- und Jugendjahre vereinzelt niederschrieb.


Ein langer Krieg wirft seine Schatten

Karl I. von Valois

Im Spätsommer 1324 führte Karls Schwiegervater, Karl I. von Valois, Onkel des amtierenden Königs von Frankreich, auf auf dessen Geheiß ein Heer nach Aquitanien. Der Feldzug war das Ergebnis eines sich schon viel länger anberaumenden Konflikts zwischen der Krone Englands und Frankreichs. Das englische Königshaus der Plantagenêts besaß entlang der westfranzösischen Küste riesige, weit nach Osten ins Landesinnere reichende Gebiete welche sie als Vasallen der Frankreichs ursprünglich als Lehen erhielten. Seit geraumer Zeit suchten die englischen Könige sich der Lehnsoberhoheit der Krone Frankreichs in ihren kontinentalen Besitzungen zu entledigen. Der neue französische König, Karl IV., jener König der unseren Karl an seinem Hof aufnahm, der Schwager Johanns von Böhmen, forderte den englischen König Eduard II. demonstrativ auf ihm den Huldigungseid für seine französischen Provinzen zu leisten. Eduard hielt ihn hin, schickte seinen Halbbruder, den Edmund Prince of Woodstock zu Unterhandlungen nach Paris. Dieser sicherte zum 1. Juli 1324 das Erscheinen des Königs von England zu, was jedoch ausblieb. Karl IV. ordnete daraufhin den Einmarsch in die Provinz Guyenne an der südwestfranzösischen Küste nördlich und südlich von Bourdeaux an.
Karl I., Graf von Valois Karl war zu seiner Zeit der größte französische Feldherr. In den Feldzügen 1294 – 1298 gegen England, zeichnete sich der damals in den mittleren 20’er Lebensjahren befindliche Karl durch ungewöhnlichen Schneid und Führungskraft aus. Er befehligte nacheinander eine Streitmacht in der Gascogne und danach in Flandern. Wenngleich der Krieg am Ende ohne klaren Sieger ausging, waren zumindest der Verhältnisse auf dem Stand von 1294, das heißt England, das Haus Plantagenêt, konnte die Unabhängigkeit der Gebiete in Aquitanien und Flandern nicht durchsetzen und blieb hinsichtlich dort ein Vasall Frankreichs.
Karl von Valois war ein hochambitionierter Mann. Die Krone Frankreich blieb ihm in der Erbfolge verwehrt aber es hinderte ihn keineswegs daran nach anderen Kronen zu streben. Bis zum Ende seines Leben häufte er sich eine Sammlung von Titeln an, wie sie einem römisch-deutschen Kaiser gut zu Gesichte gestanden hätten.

  • 1284 – 1290 Titularkönig von Aragon und Valencia, Graf von Barcelona
  • 1285 Graf von Valois
  • 1290 Graf von Anjou und Maine (als Karl III.)
  • 1293 Graf von Alençon, Graf von Chartres, Graf von Perche
  • 1297 Pair von Frankreich (Im Rang wenn auch nicht in der Funktion vergleichbar mit den Kurfürsten im Heiligen Römischen Reich)
  • 1301 päpstlicher Vikar von Italien und Statthalter der Romagna
  • 1302 – 1308 lateinischer Titularkaiser von Konstantinopel
  • 1314 – 1316 Regent von Frankreich

Allein, es blieben am Ende in der Mehrheit Titel ohne Mittel.

Zur ohnehin imposanten Liste kommt noch Karls Kandidatur zur Wahl zum römisch-deutschen Königs im Jahre 1308. Er hatte bei der Wahl jedoch keine Chance, stattdessen entschieden sich die deutschen Wahlfürsten für Heinrich VII. aus dem gräflichen Hause Luxemburg.

Kehren wir in den Südwesten Frankreichs zurück und zum dort geführten Feldzug. Im August rückte ein französisches Heer in die Ländereien König Eduard II. von England ein. Nach dessen Weigerung den Huldigungseid zu leisten, war es Ziel der französischen Politik, die Guyenne die Gascogne dem Haus Plantagenêt ganz zu entreißen. Die englischen Besatzungen an den weit verstreuten festen Plätzen konnte der Übermacht nur wenig entgegensetzen und so wurden bis auf Bordeaux, Bayonne und wenige weitere Festungen, für gewöhnlich in Küstennähe oder an schiffbaren Flussläufen, von den Truppen Karls von Valois eingenommen. Dass es nicht zur völligen Besetzung und dem Ende der englischen Herrschaft in Aquitanien kam, verdankte Eduard seiner Gemahlin Isabelle von Frankreich, Schwester des französischen König. Sie reiste nach Paris zu ihrem Bruder um mit ihm zu verhandeln. Es ging ihr, wie die späteren Ereignisse zeigten, weniger um die Interesse ihres Mannes, selbstverständlich auch nicht um englische Interessen, wir erwähnten es verschiedene Male, die Motivation der herrschenden Dynastien reduzierte sich fast komplett auf die Bedürfnisse und Ziele der jeweiligen Häuser denen sie angehörten. Und so war der Antrieb den Isabelle bewegte zu ihrem Bruder zu reisen die Interessen ihres Sohnes, des zukünftigen Königs von England, zu wahren. In Frankreich angekommen, begann sich das Verhältnis zwischen Isabelle und ihrem Mann schnell zu verschlechtern. Ein von ihr begonnenes Verhältnis mit einem aus dem Tower entkommenen Verräters tat ein weiteres. Die Königin weigerte sich nach England zurückzukehren wo der König wegen seiner seit Jahren andauernden Günstlingswirtschaft immer mehr unter Druck geriet und nun ganz unter den Einfluss von Hugh le Despenser, Gerüchten zufolge bestand zwischen beiden sogar eine Liaison.
Wie dem auch sei, Eduard II. erschien nicht selbst in Paris um dem König Frankreichs zu huldigen, er sandte hierzu seinen Sohn Eduard, den späteren Edward III. von England. Dieser nahm statt des Vaters die Landschaften im Südwesten Frankreichs vom französischen König und Onkel zu Lehen. Unfreiwillig spielte der englische König damit seiner Gattin in die Karten.

Am 24. September 1325 leistet der Kronprinz von England in Paris dem französischen König Karl IV. den Lehnseid womit der Krieg beendet war.

Die Niederlage Englands hatte weitreichende Folgen für den amtierenden König Eduard II., dieser geriet politisch immer mehr in die Defensive und wurde September 1326 von einem in Südengland gelandeten Heer der Königin und ihres Geliebten besiegt und abgesetzt.

Karl von Valois, der große französische Feldherr erlebte diese Dinge nicht mehr. Er starb am 16. Dezember 1325 eines natürlichen Todes. Mit ihm starb der Schwiegervater unseres Karls und damit wieder eine Bezugsperson in der französischen Fremde.

Mit dem im Herbst 1326 geschlossenen Friede war der Konflikt nicht beigelegt. Schon ein Jahrzehnt später wird er wieder ausbrechen und über einhundert Jahre andauern. Wir berichteten in unserem zweiten Buch von den Eröffnungsschlachten bis zu der vernichtenden französischen Niederlage bei Crécy und kommen später noch einmal am Rande darauf zurück. Für den Moment ist es noch zu weit in die Zukunft gegriffen, wir kehren wieder zu Karl von Böhmen zurück.


Ein neuer Lehrmeister

Francesco Petraraca

Karl ist jetzt 10 Jahre alt, seine Studien der Sprachen haben bei ihm so weitreichende Fortschritte gemacht, dass er neben Latein auch die französische Sprache fließend beherrschte. Seine bisheriges Hausstudium wurde nun mit dem Besuch der Pariser Universität erweitert. Neben Bologna war Paris das Zentrum der Wissenschaft. Francesco Petrarca (1304 – 1374), ein Zeitzeuge und großer italienischer Dichter, Geschichtsschreiber und Mitbegründer des frühen Humanismus, stellte der Pariser Universität ein vortreffliches Zeugnis aus wenn er sprach, „Paris und Bologna sind für die Wissenschaften heute, was Rom und Athen zu ihren schönen Tagen gewesen ist.“.
Der geistige Horizont Karls erweiterte sich in dieser Zeit ungemein. Es war etwas so ganz außergewöhnliches, so erstaunliches dass ein zukünftiger Monarch seine Aufmerksamkeit in solchem Ausmaß den Wissenschaften und den geistigen Dingen widmete. Seit den Jugendtagen des späteren Kaisers Friedrich II. kannte man keinen mittelalterlichen Herrschersohn und Thronerben in spe, der über eine derartigen Hunger nach Bildung verfügte und dabei gleichzeitig ein solches Auffassungsvermögen hatte.

Die Zeit hätte für den jungen Karl unbeschwert sein können doch erneut sollte ein unerwarteter Todesfall Auswirkungen auf ihn haben. Anfang Februar 1328 starb Karl IV., König von Frankreich mit erst 33 Jahren. Mit ihm starb der größte Gönner Karls am französischen Hof und es war vorläufig ungewiss welche Auswirkungen der Tod des alten Monarchen, der ohne einen Erben geblieben war, auf den böhmischen Prinzen haben wird. Die Ungewissheit war in der Tat vollkommen, denn die Königinwitwe, Karl IV. hatte nach dem Tod seiner zweiten Frau Maria, der Tante unseres Karls, am 5. Juli 1324  Johanna von Évreux geheiratet, die zum Todeszeitpunkt ihres Gatten in hochschwangerem Zustand war. Sollte sie einen Sohn zur Welt bringen, würde er die Thronfolge des Vaters dereinst antreten, bis dahin würde Frankreich vermutlich von einem Thronrat der Pairs von Frankreich verwaltet werden.

Am 1. April 1324 war die Zeit der Ungewissheit zu Ende, die Königin gebahr ein Mädchen. Die direkte Linie der Karpetinger war erloschen. Noch am gleichen Tag wurde Philipp von Valois als Philipp VI. zum König von Frankreich ausgerufen. Philipp war der älteste Sohn des 1325 gestorbenen Karl I. von Valois, der selbst sein ganzes Leben lang nach einem großen Titel strebte und doch nur als Graf aber nichtsdestoweniger als großer Feldherr starb. Er hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass sein ältester Sohn dereinst die Krone Frankreichs aufs Haupt gesetzt bekäme.

Welche Auswirkungen hatte der Regentenwechsel für unseren Karl?
Bevor wir darauf eingehen wollen wir noch eine, man kann es wohl glückliche Fügung nennen, erwähnen. Philipp von Valois nutzt die Zeit vor der Niederkunft der Königin bereits dazu sich am Hof in Bereitschaft zu halten. Zu seinen Räten berief er einen gelehrten Benediktiner, einen gewissen Pierre Roger. Wir wollen hierzu noch einmal Francesco Petrarca zu Wort kommen lassen, der den Benediktiner als den gelehrtesten und beredsamsten Mann in ganz Frankreich bezeichnete. Karl erlebte ihn während verschiedener Predigten am Hof und war von seiner Eloquenz und tiefen, gründlichen Gelehrsamkeit hingerissen und suchte den Kontakt zu Pierre Roger. Karl wünschte Kontakt zu diesem Gelehrten und tatsächlich wurde seinem Wunsch alsbald stattgegeben. Aus dieser Episode können wir zwei bemerkenswerte Facetten entnehmen. Zum einen verfügte der nicht ganz zwölfjährige Kronprinz Böhmens neben seinem Wissensdurst verbunden mit ausgeprägten geistigen Talenten ebenso über ein gesundes Selbstbewusstsein dass ihn ein die Lage versetzte seinen Wünschen Ausdruck zu verleihen ohne Scheu. Zum anderen erkennen wir dass man seinen Bedürfnissen nachkam, was viel über seine Stellung am Hof zum aussagte. Er war nicht irgendein einfältiges Fürstenkind dass man aus gesellschaftlicher Konvention bei sich aufnahm und leidlich erzog, er galt stattdessen als beachtenswertes Individuum und Sohne eines ausgesprochenen Freundes und Verbündeten Frankreichs.
Es sollte nicht bei diesem einem Treffen bleiben, fortan übernahm Pierre Roger die weitere Ausbildung und geistige Formung Karls. Es war dies nicht allein nur wegen des besonderen Könnens des Prälaten ein Glücksfall, nein das weitere Schicksal brachte den hochbegabten, hochgebildeten Mann im Jahre 1342 an die Spitze der Römischen Kirche, wo er als Papst Clemens VI. bis zu seinem Tode das Oberhaupt der Christenheit wurde. Hiervon sollte Karl in späteren Jahren profitieren.

Zurück zum neuen Monarchen auf dem Throne Frankreichs. Die Valois stellten jetzt die Könige und Philipp VI. gedachte der großen Tradition seiner Vorgänger gerecht zu werden. Am 29. Mai 1328 fand seine Krönung der Tradition gemäß in Reims statt. Zu diesem Festakt waren neben dem französischen Hochadel auch König Johann von Böhmen eingeladen, der mit großem Gefolge erschien und bei dieser Gelegenheit ein Wiedersehen mit dem Sohn feierte. Die Königin, Karls Mutter war nicht anwesend, wir kennen den Grund hierzu nicht.

Auf Karl machte der gesamte Krönungsakt den allergrößten Eindruck. In der sakralen Symbolik der Feierlichkeiten sah er das Ideal höfischen Zeremoniells.

Johann verließ Frankreich bald danach wieder Richtung Luxemburg und vor dort direkt weiter nach Böhmen. Er reiste nicht alleine ab, doch war es nicht der zwischenzeitlich zwölfjährige Karl der ihn begleitete, es war stattdessen seine Braut Blanca Margarete von Valois, die Halbschwester des gerade gekrönten  Königs von Frankreich. Sie sollte jetzt am Hof in Böhmen auf ihre zukünftige Rolle als Ehefrau des Kronprinzen und dereinstigen Königs von Böhmen vorbereitet werden. Für Karl dürfte dieser neuerliche Verlust einer Person aus seiner Umgebung, auch wenn der Umgang zweifelsfrei noch stark reglementiert und eingeschränkt war, schmerzlich gewesen sein. Die Trennung dieses Mal, War nur auf Zeit, sie blieb nicht endgültig, wie sie der Tod bislang viel zu häufig herbeiführte.

Am 17. Juli wurde Karls Braut seiner Mutter Elisabeth in Prag übergeben, die die Aufsicht über die abschließende Erziehung führte. Sicherlich war die junge Prinzessin vom französischen Hof ganz anderes gewohnt als der Prager Hof Johanns bieten konnte. Rufen wir uns nochmal in Erinnerung, das Prag des Jahres 1329 war noch nicht die Goldene Stadt und Metropole von europäischem Format, die sie einst werden sollte. Es ist nicht bekannt ob Blanca zu diesem Zeitpunkt der böhmischen oder deutschen Sprache mächtig war umgekehrt ist es fraglich ob Königin Elisabeth französisch sprach. Wahrscheinlich waren beide leidlich der lateinischen Sprache mächtig, ob dies für eine alltagssprachliche Kommunikation tauglich entzieht sich unserer Kenntnis. Neben dem Erlernen der böhmisch-deutschen Sitten und Gebräuche, wird die Erlernung oder Verfestigung etwaiger doch schon vorhandener Kenntnisse den Schwerpunkt gebildet haben. Die in den Schlussjahren ihres Lebens ganz der christlichen Andacht verfallene Königin übte in dieser Hinsicht auf ihre Schwiegertochter druckvollen Einfluss aus. Das Gemüt, vielleicht auch der Sinn der Königin war belastet, wir kommen darauf noch zu sprechen.

Johann hielt es in Prag nicht lange, noch vor dem Ablauf einer Woche rückte er mit einem Heer gegen die Habsburger ins Feld. Nach erfolgreichem Waffengang zog er schon im Spätherbst des gleichen Jahres ins Ordensland um an den alljährlichen Winterkreuzzügen ins heidnische Litauen teilzunehmen. Der König von Böhmen liebte das Kriegshandwerk, es war seine ganze Leidenschaft, im Sattel, gerüstet und das Schwert führend fand er die Erfüllung und den Zweck eines ritterlichen Lebens. Die Regentschaft seines Königreichs blieb ihm auch jetzt mehr Last denn Privileg, obgleich er ein befähigter Monarch und einsichtiger, vorausschauender Regent war. Die vielen Abwesenheiten ließen die untereinander rivalisierenden Adelshäuser in Böhmen immer wieder Unruhe stiften, worunter das Land litt.


Die Jahre der Kindheit gehen zu Ende

Für Karl, der jetzt das zwölfte Lebensjahr vollendet hatte, gingen die Jahre seiner Kindheit zu Ende. Er hatte viel Schmerz, vor allen anderen Dinge Trennungsschmerz erleben und erlernen müssen. Es hat ohne Zweifel Spuren, vielleicht Narben in seiner Psyche hinterlassen aber er hatte ebenso am französischen Hofe ungewöhnliche Möglichkeiten geboten bekommen die er, besonders in allen Dingen der Bildung, bis zur Neige auskostete. Zwei ihm gewogene Könige sowie einsichtige Lehrmeister darunter Pierre Roger, der spätere Papst Clemens VI., ermöglichten ihm eine für die Zeit ungewöhnliche Entwicklung und Formung der Persönlichkeit, die schon jetzt weithin bekannt wurde, vor allem in der böhmischen Heimat.

1329  erhielt Karl am Pariser Hof einen eigentümlichen Besuch. Abgesandte der Bürgerschaft der Stadt Görlitz fanden sich bei ihm ein mit einem seltsamen Gesuch. Sie baten den jungen Prinzen unter seine Herrschaft genommen zu werden. Die hierzu vorgelegte Argumentation lautete demgemäß, dass das Gebiet von altersher Teil der Krone Böhmens war und dereinst als Morgengabe (Mitgift) an die Markgrafen von Brandenburg fielen. Nachdem aber das Geschlecht der Askanier im Mannesstamm ausgestorben war, wäre das Land rechtmäßig an seine alten Besitzer, die Könige von Böhmen zurückgefallen. In den Wirren des Brandenburger Interregnums zwischen 1319/20 – 1323, bemächtigten sich seinerzeit viele der angrenzenden Fürsten ganzer Landstriche, so im übrigen auch König Johann, der sich den größten Teil der brandenburgischen Oberlausitz fast im Handstreich aneignete. Besagte Stadt und Region Görlitz hatte Herzog Heinrich I. von Schweidnitz-Jauer an sich gerissen, worüber die Stände allem Anschein nach unglücklich waren. Auf die wahrscheinlich Gründe kommen wir noch zu sprechen.
Karl dürfte über die Gesandtschaft höchst erfreut gewesen sein, war sie doch besonderer Ausdruck der Hochachtung seiner Person und seines Leumunds gegenüber. Immerhin hätte die Abordnung das Gesuch auch dem König Johann oder dessen Gattin Elisabeth im viel näheren Prag vortragen können, stattdessen begaben sie sich auf die weite Reise nach Paris.
Der immerhin noch junge und entsprechend unerfahrene Karl nahm die Huldigung der anwesenden Vertreter der Stadt entgegen und überhäufte sie mit im Überschwang mit Geschenken. Aber wissend um sein bisheriges Schicksal und die Eifersucht des Vaters, informierte er ihn eiligst über die Ereignisse und bat darum an seiner statt das Görlitzer Land zu empfangen. Für den König bildete es eine hochwillkommene Abrundung seiner Besitzungen in der Oberlausitz. Man darf wohl annehmen, dass der ganze Vorgang, die Offenheit und wenn man so will, Klugheit des jungen Kronprinzen, dem Vater das Privileg freigiebig zu überlassen, ihn in dessen Augen wesentlich steigen ließ.

Im Juni 1329 war Karl in Amiens Zeuge eines selten Akts. Der siebzehnjährige englische König Eduard III.  (Edward) erschien um dem französische König  Philipp VI. für die Provinzen Guyenne und Ponthieu den Huldigungseid zu leisten. Dem Ganzen ging ein heftiger diplomatischer Streit zwischen Philipp und der Königinmutter Isabelle voraus. Sie regierte zunächst als Regentin für ihren Sohn in England und machte für ihn nach dem frühzeitigen Tod Karls IV. von Frankreich, ihres Bruders, Ansprüche auf den Thron geltend, für den Fall dass die schwangere Königinwitwe ein Mädchen gebähren sollte, was bekanntlicherweise dann auch geschah. Die Pairs von Frankreich, jener priviligierte Hochadel aus geistlichen und weltlichen Fürsten, in ihrer Macht zum Teil vergleichbar den Kurfürsten im Reich, entschieden sich jedoch schon vor der Niederkunft der Witwe gegen die Ansprüche Isabelles und ihres Sohnes. Gekränkt grollte die willensstarke Frau und weigerte sich im Namen ihres Sohnes als der neue französische König, jener Philipp VI. aus dem Hause Valois, selbstbewusst ihren Sohn zur demonstrativen Leistung des Lehnseid lud. Sie führte das Argument ins Felde, dass ein Abkömmling eines Grafen dem Sohn eines Königs, Eduard II. von England und gleichzeitigen Neffen eines anderen Königs, dem verstorbenen französischen König Karl IV., unmöglich den Lehnseid abfordern konnte. Es drohte ein neuerlicher Krieg um Aquitanien auszubrechen, allein war die Regentin, nachdem die Absetzung ihres Mannes, des besagten König Eduards II., lange nicht in ganz England Zustimmung fand, nicht so fest im Regierungssattel wie sie es sich wünschen konnte. Einen Kriegsausbruch mit Frankreich musste sie vermeiden. Als französischerseits der Entzug der Provinzen angedroht wurde, musste die ehrgeizige Königinmutter letztendlich einlenken, worauf ihr Sohn nach Frankreich einschiffte. Am 6. Juni 1329 kniete er sich mit blosem Haupte, ohne eigene Symbole seiner königlichen Macht, ohne Schwert und ohne die rittlerlichen Sporen, vor dem König von Frankreich nieder, leistete den Huldigungseid und erkannte in Philipp VI. seinen Lehnsherren bezüglich der Ländereien in Südwestfrankreich an und empfing diese als Lehen. Es war in der Tat außerhalb des Reichs ein Akt von Seltenheitswert, dass ein König sein Knie vor einem anderen König beugte und dessen Oberhoheit anerkannte. Im Heiligen Römischen Reich war es stattdessen durch die besondere Stellung Böhmens als eigenständiges Königreich eine regelmäßig gesehene Konvention, dass anlässlich eines Thronwechsels der König von Böhmen seine Reichslehen als Vasall vom römisch-deutschen König empfing.

Auf Karl machte die Zeremonie jedenfalls den größten Eindruck. Nach der imposanten Krönung Philipps in Reims und der aufsehenerregenden Huldigung Eduards III. in Amiens, mochte in Karl der stiller Wunsch begonnen haben zu keimen, dereinst ähnliche oder noch größere Machtfülle zu entfalten.


Abschied vom französischen Hof

Etwa zeitgleich zu den Ereignissen in Amiens, reiste König Johann nach Prag um seine Kinder Johann Heinrich und Jutta sowie die Schwiegertochter Blanca-Margarete zu holen und in seine Grafschaft nach Luxemburg zu bringen. Es war augenscheinlich geworden, dass die seit Jahren schwelenden Schwierigkeiten zwischen Johann und seiner Gattin Elisabeth in eine unüberbrückbare Zerrüttung gemündet waren. Die Wegnahme der Kinder leitete den letzten Akt des ehelichen Trauerspiels ein. Die Braut Karls durfte von Luxemburg aus zu ihrem Gemahl an den Hof nach Paris weiterreisen.
In Luxemburg ließ der König für das Brautpaar eine standesgemäße Unterkunft vorbereiten. Es lag ihm daran, dass das Ehepaar, die mittlerweile auch das entsprechende Alter hatten um ein Eheleben zu führen, um sich zu haben. Er wollte den Kronprinzen nun auch persönlich formen und geeignet in sein politisches Metz einbinden.

Gegen Ende des Jahres 1329 verließ das Paar Paris und begab sich nach Luxemburg, wo es Anfang des Folgejahres eintraf und von König Johann mit aller Herzlichkeit und väterlicher Zuneigung empfangen wurde. Auch hier empfindet man wieder ein Gefühl von Erstaunen, wenn man an dem rauen und erprobten Kriegsmann eine gefühlvolle Seite entdeckt.
Es sollte keine lange Zusammenkunft sein, es hielt ihn selten lange an einem Platz. Schon bald verließ er das Paar und reiste nach Colmar weiter, wo der Habsburger Herzog Otto von Österreich die Stadt belagerte. Man hielt die Gelegenheit für geeignet denn das Reichsoberhaupt befand sich seit zwei Jahren auf seinem Italienzug, wo er 1328 die höchste Krone der Christenheit erwarb. Der Kaiser rückte mit einem Heer zum Entsatz der Reichsstadt heran um die Einnahme der Stadt zu verhindern. Johann, der es liebte in jedem Händel mitzumischen, trat als Vermittler beider Parteien auf. Es zeichneten sich schon damals erste, leise Zeichen eines Parteiwechsel des Luxemburgers ab. Kämpfte er 1322 noch an der Seite Ludwigs IV. gegen den Habsburger Gegenkönig Friedrich, so schloss er jetzt, am 9. Mai 1330 mit Albrecht und Otto von Habsburg ein Bündnis, dass in Landau geschlossen wurde. In einer Geheimklausel verpflichteten sich die beiden herzöglichen Brüder Johann beizustehen, sollte er nach der römisch-deutschen Krone greifen wollen. Das Bündnis brachte ihn zwar noch nicht unmittelbar in Opposition zum Kaiser, die Vorzeichen konnten nichtsdestoweniger gedeutet werden.

Am 6. August kam es in Hagenau zu einer Einigung zwischen dem Kaiser und den Herzögen Otto und Albrecht. Johann wurde als Lohn für seine vermittelnde Rolle einige kleinere Landschaften zuteil. Von weitaus größerer Bewandtnis war ein besonderes Handelsprivileg, das die Prager Kaufleute reichsweit von allen Zöllen befreite. Die Herzen der böhmischen Stadtbewohnerschaft flogen ihm dennoch nicht zu, denn Handel und Handwerk waren überwiegend in deutscher Hand und das nicht nur in Prag. Der Gegensatz zwischen den Menschen böhmischer Zunge und den Deutschen wurde durch die einseitige, wirtschaftliche Dominanz allgemein verstärkt und war einer der Konfliktgründe zwischen den in Böhmen ansässigen Deutschen und den slawischen Tschechen. Die Politik des Königs zielte zwar nicht darauf ab, die eine oder die andere Landsmannschaft zu bevorzugen, doch profitierten zumeist die Besitzenden von seinen Regierungshandlungen und damit die Deutschen oder der oft deutschversippte Adel. Diese das Wirtschaftssystem stützenden Bevölkerungsteile Böhmens, trugen wesentlich das zum Staatserhalt bei und gaben dem König den notwendigen Rückhalt gegenüber oppositionellen Gruppen im Land. Schaute man sich die beiden Gruppen genauer an, könnte man feststellen das der Unterschied oftmals nur noch sprachlicher Natur war und nicht eigentlich abstammungstechnische Gründe hatte. Beide Bevölkerungsgruppen waren häufig seit Generationen untereinander vermischt und konnte ihre Zugehörigkeit im Grunde nur an ihrem Sprachgebrauch festmachen und weniger an echter Abstammung.


Das Tirol-Kärntner Heiratsprojekt des Vaters

Mit dem Habsburger Bündnis im Rücken begann Johann von Böhmen eine Kehrtwende seiner Politik. Bisher zeigte er nur sehr begrenzte Expansionsambitionen. Abgesehen von der 1320 vollzogenen Erwerbung des größten Teils der Oberlausitz, als er vermeintlich alte böhmische Ansprüche gegenüber der verwaisten Markgrafschaft Brandenburg handstreichartig geltend machte, verhielt er sich zurückhaltend und im Einklang mit der Reichspolitik Ludwig IV. von Bayern. Die Zurückhaltung war wohl im wesentlichen auf seine eigene unsichere Position in Böhmen zurückzuführen und den kriegerischen Konflikten mit starken Kräften aus dem dortigen Adel. Seit einigen Jahren hatte sich die Situation dort zunehmend stabilisiert. Der Einfluss der Königin im Land hatte abgenommen seit ihr der Kronprinz entzogen wurde und gleichzeitig eine spürbare Wesensänderung ihrerseits die eigene Anhängerschaft schrumpfen ließ.

Johann zeigte nun auch ernsthaftes Interesse an der Reichskrone die zu erlangen er vernünftigerweise von einer ausreichenden Fürstenpartei abhängig machte. Er suchte hierzu nicht den Weg der bislang obligatorisch war, über die Kurfürsten, die für gewöhnlich, nach denen man ihnen entweder viel Geld, viel Land, viele Privilegien oder alles davon gegeben hatte, anlässlich eines Thronstreits mit einem Herausforderer dann alleine ließen. Der böhmische König wollte, vorausgesetzt er griff wirklich nach der Krone, eine so große und zuverlässige Partei hinter sich versammeln, dass ihm Falle einer Wahl, ein potenzieller Gegenkandidat überhaupt den Versuch im Vorfeld unterließ. Johann hatte auch nicht vor den amtierenden Kaiser zu stürzen, eine vergleichbare Sache gab es in der Reichsgeschichte bislang nicht, er spekulierte hierzu auf die Hilfe des Papstes in Avignon. Der Kaiser der wegen des lodernden Approbationsstreits mit dem Heiligen Stuhl längst unter dem Kirchenbann stand, musste nur an Unterstützung im Reich verlieren und der Papst würde zu einer Neuwahl aufrufen. Bislang verstand es Ludwig IV. die päpstliche Einmischung in die Angelegenheiten des Reichs bei den Kurfürsten und nicht nur dort, zu seinen Gunsten ausgelegt zu bekommen. Eifrigste Stütze im Kollegium der Wahlfürsten war mit Erzbischof, war interessanterweise ein Vertreter aus dem Hause Luxemburg selbst, Erzbischof Balduin von Trier, Bruder des vormaligen Kaisers Heinrich VII. und damit Onkel Johanns von Böhmen.

Kommen wir auf Johanns Bündnispolitik zurück. Wir sprachen es schon an verschiedenen Stellen an, Bündnisse waren zumeist kurzlebiger Natur,  heutige Freunde waren schnell zukünftige Gegner und umgekehrt. Erinnern wir uns dass Johann noch wenige Jahre zuvor gegen die Habsburger zu Felde zog und nun haben beide kürzlich ein Bündnis geschlossen. Dergleichen fluktuative Zweckbündnisse waren die Regel, ihre Zuverlässigkeit immer abhängig von veränderlichen Verhältnissen und dadurch nur bedingt kalkulierbar. Belastbarere und dauerhaftere Verbindungen kamen durch Ehebündnisse zustande. Solcher Art Allianzen waren weit verbreitet, sie prägten geradezu das gesamte Mittelalter und weit darüber hinaus. Das Schicksal der fürstlichen Kinder war es als Verhandlungsmasse den politischen Zielen oder Notwendigkeiten geopfert zu werden. Ein Meister darin wird einstmals unser Karl werden doch auch der Vater nahm von diesem Mittel davon keinesfalls Abstand, es wäre auch kaum realisierbar gewesen. Das System der Heiratsallianzen war eine politische Notwendigkeit, eine dynastische Naturkonstante. Sprösslinge wurden im Bedarfsfall schon in den frühesten Kinderjahren verlobt. Mit den Verlöbnissen gingen umfangreiche vertragliche Abmachungen einher, die dann nicht selten weit über die eigentlichen Bedürfnisse einer zukünftigen Ehe hinaus gingen und der tatsächliche Grund der Familienverbindung bildete. Wir sollten erwähnen dass auch solche Verträge, man sollte sie vielleicht besser Absichtserklärungen nennen, oft genug wieder aufgehoben, einseitig oder in beiderseitigem Einvernehmen zurückgenommen, ausgekauft und anderweitig neu geschlossen wurden.

1324, Karl war zu diesem Zeitpunkt bereits acht Jahre alt, lebte in Paris am Hof König Karls IV. von Frankreich und war selbst bereits verhält mit der ein Jahr jüngeren Blanca-Margarete von Valois, versprach Johann seinen zweiten Sohn Johann Heinrich, der zu diesem Zeitpunkt erst zwei Jahre war, der Tochter Herzog Heinrichs von Kärnten. Zum Herzog sollte unbedingt noch einiges gesagt werden. Heinrich von Kärnten, Graf von Tirol, Herzog von Kärnten und Krain, wurde nach dem Tod Wenzels II., dem letzten böhmischen König aus dem alten Königsgeschlecht, im Jahre 1307 von den böhmischen Ständen zu ihrem König gewählt. Seine Heiratsverbindung mit Anna von Böhmen, Tochter des verstorbenen böhmischen Königs aus dessen erster Ehe, ermöglichte diese Königswahl. Schon bald nach Thronbesteigung entstanden die für Böhmen fast symptomatischen Adelsparteiungen verbunden mit großer Unzufriedenheit mit dem als Fremden empfundenen König. Wir erinnern uns, Johann sollte es schon einige Jahre später ebenso gehen. Der Unmut der Stände führte zu weit dass sie die Absetzung des Königs durch Kaiser Heinrich VII. erwirkten, der ihm das böhmische Lehen entzog. 1311 zog Johann, der Sohn Kaiser Heinrichs, mit einem Heer nach Böhmen und vertrieb den abgesetzten König aus dem Land. Nach heutigen Maßstäben hätte man erwartet, dass daraus eine lebenslange Feindschaft erwachsen würde. Wie oben und andernorts schon erwähnt, so wie der Freund von heute der Feind von morgen sein kann, so wurde aus einem Feind schon übermorgen ein Freund und so kam es 1324 zu dem erwähnten Heiratsvertrag. Herzog Heinrich hatte bislang keine Söhne, schon im Jahr des Ehevertrags war das von größerer Relevanz, denn der Herzog war zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon jenseits der 50, ganz genau weiß man es nicht, da für sein Geburtsjahr sowohl 1265, 1273 als auch 1280 angegeben wird. Wie dem auch sei, zum Zeitpunkt des Eheversprechens, gab es noch keinen legitimen Nachkommen, wenn auch eine ältere Schwester, die aber schon im Folgejahr verstarb und somit wäre zumindest der Allodialbesitz der Familie an die alleinige Erbtochter Margarete gegangen. Der Sachverhalt des fehlenden Erben bekam im Jahr 1330 eine weitere Dynamik, denn der Herzog erwirkte beim jetzt amtierenden Kaiser Ludwig IV. dass seine Tochter als Erbin auch der Reichslehen Kärnten, Krain und Tirol angesehen wird. Dies machte die damals siebzehnjährige junge Dame mit einem Schlag zu einer der besten Partien im Reich und rief weitere Interessenten auf den Plan.
Für Johann war es nun an der höchsten Zeit sich des Ehevertrags, der Absichtserklärung von 1324 zu erinnern. Er eilte nach Tirol, wo sein Sohn Johann-Heinrich bereits seit 1327, somit ab seinem fünften Lebensjahr, zeitweise lebte. Warum nur zeitweise? Die beiden zukünftigen Ehepartner hatten schon als Kinder von Anbeginn an größte Differenzen miteinander. Johann-Heinrich war ein, so würde man heute sagen, verhaltensauffälliges Kind dass zu diesem Zeitpunkt auch noch kein deutsch sprach und sich dahingehend auch beharrlich weigerte. An dieser Stelle erkennt man den Einfluss Elisabeths, der Mutter, die ihrer Herkunft entsprechend, allem böhmischen den Vorzug und allem deutschen vorzugsweise eine Absage erteilte. Am 16. September 1330 fand in Innsbruck die Hochzeit zwischen dem ungleichen, sich bald hassenden Kinderpaars statt. Der Bräutigam Johann-Heinrich war zu diesem Zeitpunkt acht Jahre, seine Gattin Margarete zwölf Jahre alt. Man mag sich eine derartige Trauungsszene heute überhaupt nicht mehr vorstellen müssen. Es muss nach heutigen Maßstäben ein höchst skurriles, vielleicht perverses Bild abgegeben haben. Wie nicht anders zu erwarten, entwickelte sich die Ehe chaotisch und sollte ein drastisches Finale und skandalöses Ende nehmen, dazu später mehr.


Tod der Königin und Karls lombardische Exkursion

Wenige Tage nach der Trauung ihres zweiten Sohnes bei der sie nicht zugegen war, starb Königin Elisabeth von Böhmen vereinsamt und gemütskrank in Prag. Elisabeth war ein facettenreich Persönlichkeit. Ihre Kindheit und Jugend war unglücklich, wobei ihre Schicksal sich in gleicher oder ähnlicher Weise mit dem Schicksal so vieler Fürstenkinder einfach deckte. Die Mutter verlor sie mit fünf Jahren, in ihrem Fall durch Tod, in vielen anderen Fällen ihrer Leidensgenossinnen und Leidensgenossen, indem man sie den Armen der Mütter entriss und aufgrund von Heiratsabkommen an fremde, nicht selten ausländische Höfe verpflanzte. Das Schicksal ihrer eigenen Kinder war kein anderes. Das eigentlich verdiente Mitleid wird durch den Sachverhalt relativiert, dass es eine weit verbreitete und zeitgemäße Gesetzmäßigkeit war dass Fürstenkinder entwurzelt und oft lieblos aufwuchsen, weswegen man sich kaum wundern darf, dass viele dieser Kinder im Erwachsenenalter ein breites Spektrum verschiedenster Verhaltensstörungen bis hin zu Grausamkeiten aufzeigten.
Die Ehe zwischen Johann und Elisabeth war nicht immer vergiftet, es gab  Phasen der Eintracht und Gemeinsamkeiten. Dennoch litt die Ehe unter den vielen Abwesenheiten Johanns, seiner Liebhaberei für alles Ritterliche und den Kampf. Die Königin wurde in diesen Zeiten oft Opfer der in Böhmen verbreiteten Adelsparteien die in ihr eine Art böhmische Ikone gegen das sich ausbreitende Deutschtum sahen, sie gleichzeitig für ihre persönlichen Interessen gebrauchten, manchmal missbrauchten was den Gegensatz zum Ehemann und König schürte und langfristig zur Entzweiung beitrug. Zwischen 1322 und 1325 lebte Sie am niederbayrischen Hof Herzog Heinrich XIV., der mit ihrer ältesten Tochter Margarete verlobt war, fast wie im Exil. In den letzten Jahren ihres Lebens zog sich Elisabeth mehr und mehr in ein Leben der Andacht und des Gebets zurück und war zum Schluss weitestgehend vereinsamt und aller wirtschaftlichen Mittel beraubt. Sie fand ihre letzte Ruhe im Zisterzienserkloster zu Prag.
Karl, mittlerweile 14 Jahre alt, hatte seine Mutter vor sieben Jahren das letzte Mal gesehen, er trauerte um eine Mutter die er quasi nicht kannte.

Den König erreichte die Nachricht in Tirol, genauer in Trient, wo er im Begriff war ein Heer aufzustellen. Er nahm die Information mit Fassung, wohl eher Gelassenheit auf, fand sich auch nicht zur Trauerfeier ein. Im Zusammenhang mit Johann mag es kaum eine besondere Erwähnung wert sein, wenn man liest, er stellt ein Heer auf, schaut man sich seine Vita an, zogen sich Rüstungen und Feldzüge wie ein roter Faden durch sein Leben. Mit diesem Feldzug wollen wir uns aber aus zweierlei Gründen näher beschäftigen. Zum einen war es neben seinem Tiroler Heiratscoup ein weiterer Indikator, dass Johann seine Luxemburger Hausmacht mit Energie auf Reichsitalien ausweiten wollte. Zum weiteren sehen wir Karl erstmals in einer verantwortlichen Rolle agieren.

Was war geschehen? Um die Zeit der Vermählung Johann-Heinrichs mit Margarete von Tirol-Görz, trat eine lombardische Städteabordnung in Tirol an ihn heran um ihn um Unterstützung zu bitten. Ob die dann erfolgten oberitalienischen Aktivitäten Johanns gleich zu Beginn aus dem Motiv heraus geboren wurden sich eine Hausmacht in Norditalien zu verschaffen, immerhin hatte schon sein Vater, Kaiser Heinrich VII. ausgeprägte, diesbezügliche Ambitionen gezeigt oder ob Johann die Position des Reichs und den Landfrieden als ein loyaler Vasall des jetzt regierenden Kaisers bewahren wollte ist schwer zu sagen. Zunächst kann es in den Augen Johanns nur wieder eine willkommene neue Kampagne gewesen sein der man mit fortschreitendem Verlauf eine gewisse äußere Sinnhaftigkeit zu verleihen bemüht war. Wie dem auch sei, die Städte Oberitaliens zeigten sich völlig überraschend sehr zugänglich und das ist durchaus buchstäblich zu verstehen. Sie öffneten dem Held so vieler Schlachten und Sieger vieler Turniere jubelnd ihre Stadttore und empfingen ihn mancherorts fast als neuen Herren. Zweifelsohne war der Ruf des Böhmenkönigs  als erfahrener Kriegsherr im Voraus geeilt, dennoch muss man sich wundern, erinnert man sich doch sonst sehr selten, dass einem deutschen Fürsten in der Lombardei so die Herzen zuflogen. Man wundert sich gelegentlich , wie die Dinge zuweilen eine Dynamik entwickeln die man so nie hätte vorausgesagt. Wie Johann über all das dachte, welchen Reim er sich daraus machte, dass Städte und Adel ihm huldigten und ihn als ihren Herren ausriefen, die seit den Staufern nur eines im Sinn hatten die eigene Unabhängigkeit von Reich und Lehnsherren, wäre in der Tat sehr interessant zu wissen. Es ist zu befürchten, ja geradezu wahrscheinlich, dass er sich überhaupt nicht allzu viele Gedanken machte und hinter allem hauptsächlich die Wirksamkeit seiner Persönlichkeit sah. Johann lebte den Habitus eines Ritters und Edelmanns wie wenige zu seiner Zeit. Sein überidealisiertes Bild und zu erheblichem Maße Selbstbild, war geprägt von den heroischen Werken der Ritterschaft, dem unbeugsamen Willen, Mut und Kraft wie sie nur eine edle Kaste von gesegneten Streitern hervorbringen kann. Als Kehrseite dieses Denkens entwickelte sich ein Überlegenheitsgefühl gegen alles und jeden, der in dieser Hinsicht profan und unritterlich war. Man erkannte in seinen diesbezüglichen Überzeugungen sehr stark die französische Schule, der Chevallier hoch zu Rosse, der dem Gemeinen in allen Belangen überlegen und dessen Berufung die Führerschaft war. Insofern wird es ihn sogar kaum wirklich überrascht haben, dass selbst die Visconti in Mailand sich ihm formell unterwarfen. Wäre Johann ein Kaiser gewesen, so hätte man dies noch nachvollziehen können, galten die Visconti doch für gewöhnlich als kaisertreu aber dass sie sich einem Vasallen des Kaisers, quasi jemandem huldigten, auf dessen Augenhöhe sie sich selbst verstanden, ist wahrhaft beachtlich.

Kehren wir zu den realen Problemen zurück die zwangsläufig entstehen, wenn man ein Königreich nördlich der Alpen, ganz im Osten des Reichs zu regieren hat, dazu eine imposante Grafschaft in der entgegengesetzten Richtung, im Westen und eine stolze Ansammlung von lombardischen Städten und Landschaften südlich der Alpen. Johanns Sturmlauf, sein förmlicher Triumphzug rief gleich drei große Persönlichkeiten auf den Plan. Zunächst den in Avignon sitzenden Papst Johannes XXII., dem schon aus traditionellem Reflex ein Schauer des Schreckens überkam, wenn ein deutscher Fürst in Oberitalien, im nördlichen Vorhof des Kirchenstaats, plötzlich populär wird und die mehr als hundert Jahren andauernden Streitigkeiten der bis daheim verfeindeten Städte scheinbar mit einem Wisch beseitigte. Hinzu gesellte sich Philipp VI. von Frankreich, der seinerseits kein Interesse daran hatte, dass dem Reich ein plötzlich geeintes Reichsitalien Ressourcen beisteuern könnte, die davor in den mannigfaltigen lokalen Städtekriegen vergeudet wurden. Und zuletzt betrachtete Kaiser Ludwig die Sache längst mit eifersüchtiger Aufmerksamkeit. Eine Ausweitung der Luxemburger Hausmacht in einem solchen Maße musste ihn nicht nur skeptisch machen, es war geradezu ein notwendige Verpflichtung von Rechts wegen, im Sinne des Reichs hier zu regulieren. Er wies demgemäß seine Beamten in Oberitalien an, Anweisungen nur vom offiziellen Reichsvikar Italiens anzunehmen. Diese Stellung hatte Herzog Otto von Habsburg inne. Seitens des Kaisers war dies ein nicht ungeschickter Schachzug. Wie wir wissen hat Johann erst im Vorjahr ein Bündnis mit den Habsburger Herzögen geschlossen, indem Kaiser Ludwig jetzt einen Interessenkonflikt als Keil zwischen dem formellen Reichsvikar und dem realen Herr in Reichsitalien trieb, unterlief er dieses für ihn durchaus gefährliche Bündnis. Johann musste jetzt unbedingt auf der Hut sein, er konnte nicht dauerhaft in Italien verbleiben sondern musste vor allem schleunigst zurück nach Böhmen, wo seine Stellung ja nie sonderlich stabil war und wo nach dem Tod der Königin ein völliges Vakuum bestand. Die Lösung war ebenso einfach wie riskant. Schon zu Beginn des Jahres 1331 schrieb der König nach Luxemburg zu seinem Sohn und informierte ihn darüber, dass er nach Italien kommen soll.

Am 29. März 1331, dem Karfreitag, kam Karl in Pavia an und nahm Wohnung im dortigen Augustinerkloster. Sein Weg führte ihn über Lothringen, Burgund Savoyen er umging daher die von den Habsburger und den Wittelsbachern regierten Gebiete. Ob dies auf Rat bzw. Anweisung des Vaters geschah oder sich als im Winter günstigere Reiseroute erwies, um die verschneiten Alpenpässe zu meiden, kann nicht gesagt werden. In Pavia entkommt Karl einem angeblichen Giftattentat, zumindest berichtet er in seiner Autobiographie selbst davon. Am Ostertag ging er zur Frühmesse und wohnte laut eigenen Ausführungen bis zur Mittagszeit dem Gottesdienst bei. In dieser Zeit erkrankten eine Reihe seiner engsten Begleiter und verstarben im späteren Verlauf. Schnell fiel der Verdacht auf eine, gemäß seiner Beschreibung, auffallend schlanken Mann, der niemandem bekannt war und der sich in unter anderem auch in der Küche aufgehalten haben soll. Unter Folter gab dieser Mann zu Protokoll, dass er im Auftrag von Azzo Visconti, dem Statthalter Mailands, gehandelt habe. Bei dem Vorfall, ob Attentat oder Lebensmittelvergiftung, starben Karls Hofmeister Johann Berka von Duba, Johann von Hochkirchen und Simon von Keyla. Karl war tief erschrocken und machte seine Verschonung an dem Umstand fest, dass er am Auferstehungstag des Heilands nicht den weltlichen Bedürfnissen den Vorzug gab sondern sich mit Andacht und Gebet auf geistige Weise nährte wodurch er überlebte.

Am 25. April traf er in Parma ein, wo er vom Vater und einer jubelnden Menge empfangen wurde. Johann macht seinen Sohn zu seinem Statthalter in der Lombardei und stellte ihm, mittlerweile fast 15 Jahre alt, zur Unterstützung den erfahrenen Graf Ludwig von Savoyen zur Seite. Den Mai und Juni wanden Vater und Sohn auf in die lombardischen Städte zu reisen und Karl huldigen zu lassen.

Johann verließ am 1. Juli 1331 Italien und Karl war nun mehr oder weniger auf sich selbst gestellt. Es dauerte auch keinen Monat und die Italiener sannen danach, die Luxemburger Herrschaft wieder abzuschütteln. Die Agitationen des päpstlichen Legaten zeigten Wirkung. Unter der Führung von Azzo Visconti, dem Statthalter von Mailand, der als der Auftraggeber des Giftattentats galt, trafen sich die Verschörer in Castelbaldo. Mit zugegen waren Martin von Scala, Statthalter über Verona, Vincenza und Padua, Passarino Bonacossa, Statthalter von Mantua und Reynaldo von Este, dem Statthalter von Ferrara. Noch brachen die Feindseligkeiten nicht aus, man hatte sich untereinander aber schon über die Verteilung der Beute, der Städte verständigt. Anfang 1332 schlossen sich dem Viererbund noch Florenz an und der König von Neapel. Die Lage schien noch vor Ausbruch der Kampfhandlungen aussichtslos. Als Martin von Scala mit einem Belagerungsheer vor Brescia aufzog, machte sich Karls beigestellter Ratgeber, der Graf von Savoyen aus dem Staub. Wahrscheinlich war er schon längst im Lager wenigstens aber Sympatisant der Rebellen. Der Verdacht verdichtet sich durch die Tatsache dass er Schwiegersohn des Azzo Visconti war. Hier muss man zumindest die Frage in den Raum stelle, ob Karl, bei all der ihm bisher nachgesagten Bildung und Klugheit, nicht doch eine gehörige Portion natürliche Vorsicht oder Bauernschläue fehlte. Augenscheinlich ist das ganz Ausmaß des Verrats ihm völlig verborgen geblieben denn es waren keinerlei Gegenmaßnahmen vorbereitet worden. Im Falle des verräterischen Grafen selbstverständlich aus nachvollziehbarem Grund im Falle Karls nur auf völlige Arglosigkeit zurückführbar.

Am 15. Juni fiel Brescia in die Hände der Verschwörer, die eigentliche Festung wurde durch Bestechung am 4. Juli übergeben. Azzo Visconti zog mit einer zweiten Truppenabordnung vor die Festung Pizzighitonenahm sie im September und kurz darauf auch die Stadt Bergamo. Die Städte Cremona und Modena wurden belagert. Padua fiel den Braccarias in die Hände, auf die Karl so fest baute und die nun den allgemeinen Aufstand zu ihren eigenen Zwecken ausnutzen. Die Lage erforderte ein schnelles und energisches Entgegentreten.  Hierzu boten sich loyal gesinnte Adelshäuser wie auch eine Reihe noch nicht gefallener oder oppositioneller Städte an. Geldmittel wurde zur Aufstellung eines Heeres großzügig bereitgestellt. Das Überraschungsmomentum begann bei den Rebellen zu verpuffen. Der städtische Widerstand regte sind und so gelang es selbst nach wochenlanger Belagerung nicht die Stadt Modena einzunehmen. Die Belagerer plünderten und brandschatzten die gesamte Umgebung, bis sie völlig leergefressen war und zogen dann in nördlicher Richtung zum Garda See ab, wo sie sich vor die Festung San Felice legten. Karl gewann durch die missglückte Belagerung Modenas wertvolle Zeit in der er ein Heer formierte. Er konnte 1.200 Reiter und 6.000 Mann Fußtruppen mobilisieren und eilte mit dieser Streitmacht zum Entsatz der belagerten Festung heran.

Am 25. November 1332 kam es zur Schlacht. Karl schrieb über den Verlauf in seinen Erinnerungen. Zahlenmäßig war er den Streitkräften des Martin von Scala, dem Markgrafen von Ferrara und Azzo Visconti, dem Statthalter Mailands, deutlich unterlegen, er entschied sich dennoch zum sofortigen Angriff. Die Belagerer hatten hierdurch nicht ausreichend Zeit ihre Übermacht zur Entfaltung zu bringen. Auch waren sie durch die monatelangen Belagerungen im Inneren Zusammenhalt beeinträchtigt und dadurch nur eingeschränkt verwendungsfähig für eine offene Feldschlacht. Der Waffengang wurde von beiden Seiten mit aller Heftigkeit geführt. Der Prinz berichtet über sich selbst als im größten Schlachtgetümmel kämpfend wobei ihm ein Pferd unter dem Leib wegstarb. Die Schlacht schien sich seinen Ausführungen nach zu Ungunsten des Luxemburgers zu entwickeln, als er ein neues Pferd bestieg und seine Truppen davon angespornt, der Schlacht die Wende haben und den Gegner zuerst zum weichen brachten, was sich in eine zügellose Flucht verwandelte, bei der zahllose Feinde des Tod fanden oder in Gefangenschaft gerieten. In der Eigendarstellung stellt sich der junge Prinze besonders heroisch heraus, den persönlichen Mut und Opferwillen und Einsatz unterstreichend, sollte er am  Ende gar doch der Sohn seines Vaters sein? Lassen wir diese Frage an der Stelle offen. Dass er einen Sieg errang ist jedoch unstrittig, die Angreifer mussten sich schwer geschlagen zurückziehen und die Situation schien bereinigt. Er und sein Heer zogen mit den Gefangenen und der sonstigen Beute nach Modena wo er die Truppen entließ und weiter nach Parma, wo seine Residenz war, und feierte mit einem Dankgottesdienst den Sieg. Zu erwähnen wäre noch, dass er und zahlreiche seiner tapfersten Mitstreiter sich zuvor auf dem Schlachtfeld, das sie siegreich behaupten konnten, zum Ritter schlagen ließen. Unter den vornehmsten der Ritter waren Umberto Pallavicino, Marsil und Peter von Rubeis, Aldigero von Senaza, Giberto Fojano und Manfred von Pisa.

Weswegen Karl sein Heer abrüstete statt der Schlange jetzt den Kopf abzuschlagen ist nur schwer nachzuvollziehen. Denkbar wären finanzielle Gründe, war der Unterhalt eines Kriegsheeres doch stets ein kostspieliges, die Quellen eines Fürsten oftmals über die Schmerzgrenze hinaus belastendes Unterfangen. Vermutlich statteten ihn die Städte nur zeitlich begrenzt mit den notwendigen Mitteln aus und zogen jetzt, nachdem die akute Gefahr gebannt schien, die finanziellen Unterstützungen zurück. Nur schwer vorstellbar ist, dass er wirklich so blauäugig gewesen wäre und annehmen konnte, die Aufrührer würden nach einer ersten Niederlage in aller Demut ihren ungeheuerlichen Frevel bereuen und ihm erneut huldigen.

Rasch hatten sich die Gegner erholt, Azzo Visconti machte dieses Mal den Anfang als er mit einem neuen Truppenkontingent im Handstreich Pavia nahm. Die dortige Garnison konnte allerdings die Burg halten.

Der Anfang des Jahres 1333 sah Karl in der Absicht gegen Florenz in die Offensive zu gehen, er reiste dazu zunächst nach Lucca um sich der Unterstützung dieser Stadt zu vergewissern, worauf er mit dem Bau einer Burg in den florentiner Bergen begann. An den Kosten, die von den Bürgern der Stadt entrichtet werden mussten, entbrannte ein Streit. Karl, der bei den Städtern zunehmend an Rückhalt verlor, übergab das Kommando vor Ort Simon von Pistorio einem seiner Vertrauten und reiste zurück nach Parma. Aus der Kampagne gegen Florenz wurde nichts mehr, da sich neue, besorgniserregende Dinge ereigneten. Seine Gegner hatten die Zeit genutzt und ein neues und großes Heer ausgerüstet mit dem sie nun gegen Parma selbst zogen und damit gegen das Zentrum der Luxemburger Position in Oberitalien. Sie schlossen die Stadt ein und Karl saß darin gefangen. Hilfe konnte nur noch von außen kommen oder, wie es sich zeigt, vom Wetter. Ein für die Region unnatürlich kalter Winter erzwang den Abbruch der Belagerung und einen vorläufigen Rückzug. Karl, der besonders in jungen Jahren anfällig für den Glauben an Visionen und für ihn übernatürliche, seiner Auffassung nach, göttliche Eingriffe war, sah darin einmal mehr einen Beweis der Vorsehung. Ein weiterer von ihm berichteter Vorfall, bestätigt dies auf anschauliche Weise. Von ihrem Missgeschick zurückgeworfen aber nicht entmutigt suchte Azzo Visconti und Martin von Scala, die beiden hauptsächlichen Köpfe des Aufstands gegen das Dominat der Luxemburger, andere Wege. Sie nahmen im Geheimen Verbindung mit den Statthaltern von Parma, Reggio und Modena auf und konnte sie auf ihre Seite ziehen. Teile seiner bislang tapfersten Anhänger, tragischerweise solche aus dem Kreis der im Vorjahr zu Rittern geschlagenen, lombardischen Edelleute waren darunter. Sie beabsichtigten den Prinzen gefangen zu setzen und als Druckmittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen gegen König Johann von Böhmen zu verwenden. In der Nähe von Reggio versammelten sich die untreuen Verschwörer in einer Kirche um während einer Messelesung ihren Pakt feierlich auf die Hostie, den Leib Christi, zu schwören. Der Überlieferung Karls nach, kam ein heftiger Sturm auf, der durch das Kirchenportal auch nach innen drang, alle Kerzen auslöschte und die erwähnte Hostie vom Altar blies. Als sich die Situation wieder beruhigte, in der Kirche wieder Licht war, fand man das erwählte Symbol ihres Eides, mittels dem sie sich gegenseitig unverbrüchliche Treue und die Ausführung ihres Planes schwören wollten, vor den Füßen des Statthalters Parma’s, des Marsilius von Rubeis wieder. Die Verschwörer waren darüber so erschrocken und werteten es als ein böses Zeichen, einen Hinweis des Himmels von ihrem Vorhaben gegen ihren Herren Karl Abstand zu nehmen. Tatsächlich gingen sie tief erschüttert auseinander und bewiesen Zeichen der Treue und Umkehr gegenüber Karl, dem eingesetzten Statthalter Johanns in der Lombardei. All dies kam ans Tageslicht da der Priester dem Bischof von Reggio über die Ereignisse berichtete und dieser wiederum Karl darüber informierte mit der Mahnung zur Vorsicht. Karl ließ sich nichts anmerken und pflegte weiter Umgang mit den Verschwörern, die jetzt, wir sagten es schon, umkehrten und loyal blieben, so der Bericht Karls gemäß seiner Autobiographie Vita Caroli Quarti.

Wo war Johann in dieser Zeit? Es konnte ihm unmöglich verborgen bleiben, dass die Lombardei ebenso schnell wie sie sich freimütig unterwarf nun, nach seinem Weggang aus Italien, dem Sohn und Statthalter und damit ihm selbst den Rücken kehrten und danach trachteten die Luxemburger Herrschaft so schnell als möglich abzustreifen. Man könnte es sich mit der Antwort leicht machen, denn wie man es von ihm kannte, hatte er zwischenzeitlich erneut einen Krieg geführt. Doch damit lange nicht genug, der unruhige Geist war fast ständig auf Reisen, nie hielt er sich lange an einem Ort auf, überall war in vielfältig beschäftigt. Unmittelbar nach seiner Abreise aus Italien, im Juli 1331 suchte er den Kaiser in Regensburg auf, wo er am 21. Juli wegen seiner lombardischen Aktivitäten mit Ludwig IV. einen Vergleich schloss. Es ging von dort aus weiter nach Prag, das er in der zweiten Augusthälfte erreichte und wo er seine Tochter Anna anwiese nach Luxemburg zu gehen, dass jetzt Johanns tatsächliche Residenz war. Es ging nun Schlag auf Schlag, im September unterwarf er sich das Herzogtum Glogau im Norden Schlesiens. Danach zog er nach Polen, dessen Titularkönig er zwar war aber real keine Macht ausüben konnte und belagerte Posen. Er operierte hier als Unterstützung für den Deutschen Orden mit dem Johann eng verbunden war. Im November kam es zur Schlacht mit Polen, dem König von Ungarn und dem Herzog Otto von Österreich, die ohne einen Sieger ausging. Bereits im Dezember war Johann erneut in Prag. Seine nächste Etappe führte ihn nach Paris. Er traf in Begleitung seiner Tochter Jutta am 2. Januar 1332 am königlichen Hof ein, wo sie den Kronprinzen Frankreichs, den späteren Johann II. heiraten sollte. Im August wurde die Ehe in Melun geschlossen. Sie bildete den Höhepunkt des luxemburgisch-französischen Bündnisses. Aus der Ehe gingen elf Kinder hervor,  von denen sieben das Erwachsenenalter erreichten, darunter der zukünftige Kronprinz und König Frankreichs, Karl.  Zwischen seiner Ankunft in Paris und der Hochzeitsfeier im August, reiste Johann nach Luxemburg um wichtige Amtsgeschäfte zu erledigen. Es folgte zu Ostern der Besuch des Hoftags zu Nürnberg, Verhandlungen mit dem Kaiser und auch den Habsburgern. Im Sommer ging es nach Prag um die dortigen Dinge zu regeln. Mit Beginn des Septembers machte er sich erneut auf den Weg über Luxemburg nach Paris, nahm an einem festlichen Turnier teil und schlug seinen Schwiegersohn dort zum Ritter. Weiter ging es zum Papst nach Avignon, wo er im Namen des Kaisers unterhandelte in der Hoffnung Heiligen Vater davon zu überzeugen den Kirchenbann vom Reichsoberhaupt zu nehmen. Seine Mission schlug fehl. Zwischenzeitlich waren ihm längst die Zustände in der Lombardei bekannt geworden und dass der Sohn auf verlorenem Posten nicht nur gegen den lombardischen Städtebund sondern auch gegen den König von Neapel stand. Er eilte zurück nach Paris, sammelte dort ein Heer und marschierte noch im Winter nach Oberitalien. Anderthalb Jahre waren vergangen seit Johann Italien verließ und wie hatte sich die Lage seither geändert.

Er gelangte am 26. Februar in Parma an, vereinte seine Streitmacht mit den Truppen seines Sohnes und beide zogen gemeinsam nach Pavia, wo die Stadt längst in der Hand der Rebellen war, die Burg aber noch den Angriffen standhielt. Er konnte zwar das gegnerische Belagerungsheer vertreiben, war aber nicht in der Lage die Stadt zurückzuerobern.  Immerhin vermochte man die eigene Burgbesatzung aufzuproviantieren und mit frischen Truppen zu verstärken.
Nach zehn Tagen gab er die Einnahmeversuche auf und wandte sich nach Norden in das Gebiet Mailands, wo er zur Vergeltung schrecklich hausen und brandschatzen ließ, auch in der Hoffnung so den Widerstand der Viscontis zu brechen. Johann wusste, dass er mit den eigenen Kräften den Aufstand nicht niederschlagen konnte, zumindest nicht in einer annehmbar kurzen Zeit. Er zog zur Beratungen mit dem Kardinallegaten des Papstes nach Bologna wo man ein gemeinsames Vorgehen vereinbarte. Aus Frankreich kommend schlossen sich weitere Hilfstruppen unter dem Kommando des Grafen von Armagnac an. So verstärkt glaubte Johann an mehren Stellen zugleich aktiv werden zu können. Während das Gros auf Ferrara marschierte um Stadt und Festung zu belagern, sollte unter dem Kommando von Karl die wichtige Burg Pizzigithone eingenommen werden. Die Besatzung der Festung war zuvor zu den Mailändern übergelaufen womit dieser wichtige Ort kampflos den Feinden in die Hände gefallen ist. Die Bewegungen der Luxemburger und ihrer Verbündeten wurden scharf beobachtet und Gegenmaßnahmen eingeleitet, die sich gegen Karls Streitmacht, bestehend aus 500 Panzerreitern und rund 2.000 Mann Fußtruppen,  richteten. Karl musste auf seinem Weg den Po überwinden, wozu er eine große Anzahl von Booten und Flößen einsetzte. Am anderen Ufer angelangt, ließ er eine geringe Anzahl Truppen zurück um die wichtigen Transportmittel zu bewachen. Der Graf von Mantua, verstärkt von Truppe aus Ferrara führte einen Schlag gegen die Bootsstelle und versenkte diese. Karl war jetzt mit seinen Truppen abgeschnitten. Eingeklemmt zwischen der zu nehmenden Festung und einem unüberwindlichen Flusshindernis. Mit vereinten Kräften hätte man das kleine Heer des böhmischen Kronprinzen leicht vernichten, den Prinzen im besten Fall gefangen nehmen und einen wahrscheinlichen Frieden diktieren können. Doch das Glück, bzw. die Bedrohung Ferraras durch die Truppen des Kardinallegaten und der Franzosen, führte zu Uneinigkeit unter den Verschwörern. Nach einem Hin und Her entschloss man sich nicht den Prinzen Karl anzugehen sondern mit aller Macht zum Entsatz auf Ferrara vorzurücken. Johann nutzt jetzt die Gunst der Stunde, rückte mit seinen Truppen zum Po vor, ließ die Boote bergen und herrichten, setzte über und marschierte vereint mit dem Sohn auf die Festung Pizzigithone um sie im Sturm zu nehmen. Die Besatzung ließ sich weder überrumpeln noch von den ersten Angriffsversuchen überwältigen. Johann konnte es auch hier, wie schon bei Pavia, auf keine lange Belagerung ankommen lassen denn die Festung Pavia lag erneut unter Belagerungszustand und drohte verloren zu gehen. Er musste also erfolglos kehrt machen und zurück nach Pavia, bzw. zu der dortigen Burg, denn die Stadt war ja, wir erwähnten es bereits, in der Hand des Gegners.

Johanns Kriegsglück wendete sich, es begann bei den Streitkräften des Legaten und des Grafen Johann von Armagnac. Sie wurden bei Ferrara vernichtend geschlagen. Die Armee des Legaten wurden was völlig vernichtet, Johann I. von Armagnac geriet mit allen überlebenden französischen Baronen in Gefangenschaft. Die Nachricht wirkte auf König Johann niederschmetternd, er ließ sich, völlig aus der inneren Fassung gebracht, auf Verhandlungen mit dem Mailänder Visconti ein, der die Zeit dann nutzte die Festung Pavia zu erobern. Johann, immer noch tief von der Niederlage seiner Verbündeten vor Ferrara erschüttert, verließ Italien und macht Karl erneut zum Statthalter der Lombardei. Dieser geriet jetzt in Konflikt zum Vater, denn ohne Truppen und ohne Geldmittel war die Position in Oberitalien nicht zu halten und der Abfall oder Verlust der noch verbliebenen Städte nur noch eine Frage der Zeit.
Der König, dem diese Tatsache selbst klar war, begann nun Friedensverhandlungen. Er wollte sich komplett aus Italien zurückziehen, sah ein das der Aufwand eine Hausmacht in Italien zu erhalten in keinem Verhältnis zum Nutzen stand. Die noch verbliebenen Städte wurden unter den treuen Parteigängern verteilt, die italienische Episode der Luxemburger war zu Ende.


Karl kehrt nach Böhmen zurück

Johann vermochte einen ehrenvollen Frieden auszuhandeln, keiner seiner Getreuen am wenigsten er selbst oder sein Sohn mussten aus Italien flüchten oder sich mit Waffengewalt durchschlagen. Ihre Wege sollten sich, wie bisher stets, auch nun wieder trennen. Während der König selbst nach Luxemburg zog, sollte es Karl in das Land und die Stadt seiner Geburt führen. Johann macht Karl zum Markgrafen von Mähren und gleichzeitig, während der Abwesenheit des Königs, zum Landesverweser von ganz Böhmen, wozu auch die schlesischen Herzogtümer sowie die Lausitz gehörten. Sein Weg führte über Tirol wo Karl seinen jüngeren Bruder Johann-Heinrich traf, der mit der Erbgräfin Margarete von Tirol-Görz verheiratet war. Auf dem weiteren Weg reiste er durch Bayern und traf dort seine Schwester Margarethe, die Gemahlin Herzog Heinrichs von Niederbayern.

Im Herbst des Jahres 1333, nach elf Jahren in der Fremde, betrat er zum ersten Mal wieder böhmischen Boden. Das Land muss ihm im Grunde fremd gewesen sein, denn selbst in den frühen Jahren seiner Kindheit, war er auf Geheiß des Vaters mehr oder weniger weggeschlossen worden. Wie es sicher herausstellte, beherrschte er auch die böhmische Sprache nicht mehr ausreichen und musste diese wieder erlernen. In Prag angekommen, besuchte er mit als Erstes das Grab seiner vor drei Jahren verstorbenen Mutter, die er ebenfalls elf Jahre nicht mehr gesehen hatte, wenn nicht länger und vor der er eigentlich nur noch vom Hörensagen wusste. Eine Mutter-Kind-Beziehung gab es spätestens seit den Ereignissen des Jahres 1319 nicht mehr und auch schon davor begleitete die Königin ihren Mann auf verschiedene Missionen so dass der kleinkindlische Kronprinz in der Obhut seiner Pflegerinnen blieb, ein Verfahren wie man es an sehr vielen Höfen beobachtete.

Beim Einritt in Prag läuteten alle Glocken, der lokale Adel, die Geistlichkeit und das städtische Volk war auf den Beinen um den jungen Kronprinzen mit eigenen Augen zu sehen. Der Empfang war herzlich und man darf tatsächlich annehmen, dass sowohl die böhmische wie deutsche Stadtbevölkerung, überhaupt das ganze Volk dem jungen Herren herzlich zugetan war. Karl war von den Szenen gerührt über die Stadt Prag und ihr Aussehen aber wenig erbaut. Wer kann es ihm verdenken, lebte er doch über Jahre in Paris, einer der ganz großen europäischen Metropolen in gesellschaftlicher wie auch wissenschaftlicher Weise und während seiner Zeit in Italien, mit seinen reichen, pulsierenden lombardischen Städten, hatte er sowohl die Luft der Antike wie der Moderne atmen können. Prag war dagegen dörflich, seine Häuser immer noch weitestgehend aus Holz errichtet, die Straßen nicht überall befestigt und die Brücke über die Moldau ein so baufälliges Objekt, dass sie wenige Jahre später bei einem Hochwasser schweren Schaden nahm. Die Stadt verfügte bei seiner Ankunft über kein eigenes Rathaus, die Ratsleute trafen sich mal hier, mal dort um ihre Versammlungen abzuhalten und auch für Karl selbst stand zunächst kein angemessenes Domizil zur Verfügung, weswegen er in der Burggrafenburg von Prag seine Wohnung nahm, da es noch das repräsentativste Wohngebäude der Stadt war.

Vielleicht konnte Karl den Vater, den es bekanntlicherweise immer in die Luxemburger Heimat zog, nun etwas besser verstehen. Aber ganz im Gegensatz zu ihm, entwickelte Karl eine tiefe Anhänglichkeit zu den böhmischen Menschen und dem Land das er vom Vater anvertraut bekam. Von Beginn an war er aktiver, gleichzeitig heimischer als während seiner Statthalterschaft in der Lombardei. Er tat vieles um die Bedingungen zu heben und hierzu gab es wahrlich an allen Enden zu tun, denn Böhmen war seit dem Tod Wenzels II. sehr herabgesunken. Adelsparteien übten regional ein so selbstherrliches Regiment aus, dass es an Autonomie grenzte. Die Handelswege waren unsicher geworden, Fehden des Landadels setzten dem Warenverkehr zu und ließen den Handel schrumpfen. In den Städten wie auf dem Land wurde es schwer und schwerer die Gesetze durchzusetzen, die Menschen begannen sittlich zu verrohen, da ihnen von oben nicht die notwendigen Grenzen aufgezeigt oder ausreichend durchgesetzt wurden, hierzu gab die Obrigkeit des Adles und Klerus oft ein zusätzlich schlechtes Vorbild.

Die erste und zugleich größte Herausforderung war die Sanierung der landesherrlichen Kassen. Zur Finanzierung seiner zahlreichen Kriegszüge verpfändete Johann viel, fast alles vom königlichen Besitz und so waren die Einnahmequellen auf die Karl seine an Vaters statt geführte Regentschaft stützen konnte, mehr als dürftig. Neben dem Versiegen der Einkünfte hatte das Ganze noch eine andere Facette, der Adel, an den die meisten der Krongüter verkauft oder verpfändet waren, besaß bald mehr Mittel und dadurch Macht als der Landesherr selbst. Ein Umstand der im feudalen Europa überhaupt weitverbreitet war und ganz besonders im Heiligen Römischen Reich bis in die Zeit des Absolutismus die Politik der Territorialfürsten ganz wesentlich mitbestimmte. Mancher würde sagen es hat den Ambitionen einer reichssouveränen Politik hierdurch ungewollt einen Riegel vorgeschoben wodurch das Reich, dass ansonsten über keine Mittel verfügte das Auseinanderbrechen der Territorien zu unterbinden, weiterhin als ein Bund seiner Glieder erhielt. Die kulturelle und sprachliche Verwandtschaft alleine konnte als Grund weswegen das Reich weiter bestand, nicht ins Felde geworfen werden, immerhin brachen mit der späteren Schweiz oder den späteren Niederlande kulturell urdeutsche und noch mehr uralte Reichsgebiete aus dem Verbund heraus.

Für Karl galt es die Finanzmisere in den Griff zu bekommen. Steuern zu erheben war heute wie damals wenig populär, zumal seinerzeit die Stände hierzu ein weitreichendes Mitbestimmung hatten. Geregelte Einkünfte jenseits der Einnahmen aus Krondomänen waren begrenzt und nicht kalkulierbar, bestenfalls zu schätzen. Die Regalien, spezielle vom Kaiser einzelnen Territorialherren abgetretene Reichsprivilegien wie das Recht Zölle oder Gerichtsgebühren zu erheben, Münzen schlagen zu lassen oder Bergwerke zu betreiben, wurden ihrerseits zur kurzfristigen Schaffung von Gelder, an eigene Vasallen verpfändet oder ganz veräußert. Einfach so Steuern zu erheben widersprach den Gebräuchen der Zeit, um sich Finanzquellen zu schaffen, musste ein Landesherr dafür entsprechende Leistungen erbringen oder Rechte gewähren für die dann eine regelmäßige oder einmalige Gebühr entrichtet wurde. Steuern, vergleichbar mit einer Lohn- oder Einkommensteuer, kannte man allenfalls im Bezug auf die Kopfsteuer die Juden zu entrichten hatten, wofür sie unter dem besonderen Schutz des Kaisers oder eines Reichsfürsten standen. Um sich jenseits dieser Methoden im Notfall Mittel zu schaffen, blieb einem Fürsten die sogenannte Bete. Besonders in Kriegszeiten  bat, hieraus leitete sich das Wort „Bete“ abder Landesherr die Stände um die finanziellen Mittel die es zu einem Heerzug brauchte. In selteneren Fällen verstand es ein Fürst auch in Friedenszeiten die Stände, gemeint waren hier immer der Adel, der Klerus und die Städte, zu Geldgaben zu überreden. Alles hing vom Argumentationsgeschick, von der Persönlichkeit und sicherlich oft genug auch von entsprechenden Gegenwertsangeboten ab.

Karl gelang es im Rahmen einer solchen Bete erhebliche Gelder zu sammeln die er zum Teil dem königlichen Vater zukommen ließ, teilweise wandte er es für seine eigene Hofhaltung auf, einen dritten Teil nutzte er zur Sanierung von Kirchen, Brücken und anderen, heute würde man sagen, öffentliche Gebäude und den vierten und letzten Teil nutze er zur Auslösung königlicher Burgen und Güter um damit die eigene Einnahmeseite auf Dauer zu bessern.

Die erste Großbaumaßnahme die Karl anging betraf die alte Königsburg. Sie war durch eine Reihe von Bränden und allgemeinem Verfall lange unbrauchbar geworden. Er ließ sie abtragen und wollte an der gleichen Stelle einen Repräsentationsbau nach französischem Vorbild errichten lassen. Natürlich nahm das Vorhaben geraume Zeit in Anspruch und kostet Geld, das durch die geleistet Bete der Stände momentan vorhanden war aber wir wissen aus den Erfshrunge  der Zeit, es verrann oft so schnell zwischen den Fingern wie es erlangt wurde.

Im Mai 1334 feierte Karl seinen achtzehnten Geburtstag, er war nun volljährig und es war durchaus an der Zeit über die Gründung einer Familie nachzudenken. Seine Gemahlin, die noch in Luxemburg residierte ließ er jetzt nach Prag geleiten, wo sie am 12. Juni eintraf. In ihrem Gefolge befand sich auch Karls Schwester Anna, welche im Folgejahr mit Herzog Otto von Habsburg vermählt werden sollte. Der Empfang der beiden hohen Damen in Prag war groß. Ein Gefühl ging durch das Volk dass eine Veränderung der Verhältnisse vor sich ging.  Die Vernachlässigung der böhmischen Nation schien ein Ende zu nehmen. Wir sprachen in früheren Veröffentlichungen davon, dass Begriffe wie Volk, Nation oder Staat nicht mit heutigen Standards zu vergleichen sind, doch war besonders bei den Böhmen, vielleicht darf man sie schon gelegentlich auch Tschechen  nennen, ein starke nationale Volksidentifikation festzustellen. Wir sprachen weiter oben darüber, es lag viel an der Pflege der eigenen Sprache, wodurch eine Differenzierung zu den Deutschen im Land augenscheinlich war. Gerade der Gegensatz zum Deutschtum, dass zwar einerseits in vielen Alltagsbereichen so überaus dominant war, gleichzeitig aber auch auffallend national indifferent, ließ unter den Böhmen eine eigene nationale Identität nicht nur keimen sondern auch koexistieren. Im frühen 20. Jahrhundert und den Zeiten des nationalen Chauvinismus, übrigens auf beiden Seiten, hob man die Gegensätze übergebührend hervor, unterstrich das spezifisch Nationale und vergaß die lange Gemeinsamkeit zweier Volksgemeinschaften die auf tausende Jahre gemeinsamer Geschichte zurückblicken konnten. Die Böhmen entwickelten in diesem Klima eine frühe nationale Gesinnung die schon im kommenden Jahrhundert in gewalttätiger Weise ausbrach. Die Nation, es gab sie ja nicht aber doch das Land, stürzte am Ende ungewollt aber nichtsdestoweniger einer Gesetzmäßigkeit folgend auf lange Zeit in ein Vakuum und Paralyse. Wir werden in Buch 4 darüber berichten.

Für den Augenblick kehren wir wieder zu unserem jungen Kronprinzen und seiner Frau zurück. In Prag, die von Karl in Auftrag gegebene neue Burg, war noch lange nicht fertig, fand sich für seine Ehefrau keine standesgemäße Unterkunft in der so etwas wie ein Hofstaat untergebracht werden konnte. Er wies er daher die Burg Pürglitz zu, die er erst kürzlich wieder mit den Geldern der Bete ausgelöst hatte. Pürglitz, wir erinnern uns, war für drei Jahre der Lebensmittelpunkt des Kindes Karl, bevor er nach Paris an den Hof des Königs von Frankreich und dessen Frau, seiner Tante Maria, gebracht wurde. Man kann aus der Tatsache dass er seiner Frau diesen Ort zuwies sicherlich ableiten, dass er selbst keine allzu traumatischen Erinnerungen an sein kleinkindliches Exil hatte und seine Zeit der Isolation nicht so schlimm war, wie man es vielleicht vermutet hätte.

Im August 1334 reiste er erstmals in seine eigene Markgrafschaft. Seit er von seinem Vater damit belehnt wurde, hatte er seine Zeit dazu verwendet das böhmische Kernland zu beruhigen und die dortigen Zustände auf einen anderen Weg zu bringen. Über die jetzt folgenden Ereignisse werden wir im nächsten Kapitel berichten.


 

Buch 3, Prolog „Die Mark unter neuen Herren“

Das dritte Buch aus der Reihe über die brandenburgischen Herrscher, ihrer Lande und Leute, ist dem Hause Luxemburg gewidmet.
Mit Karl IV. trat 1373 der wohl bekannteste Vertreter dieses Geschlechts die Nachfolge der Wittelsbacher als Regent Brandenburgs an. Er war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Erwählter römisch-deutscher König und vom Papst gekrönter Kaiser, gleichzeitig König von Böhmen, Träger der Eisernen Krone und damit König von Italien, Herzog von Burgund, Markgraf von Mähren, der Lausitz und der Mark Brandenburg. Jede seiner Kronen und Titel hätte ausgereicht, einen Fürsten gänzlich auszufüllen. Er gilt unter Historikern, selbst bei den kritischen dieser Zunft, als der denkwürdigste spätmittelalterliche Monarch auf dem Thron des Heiligen Römischen Reichs. Seine Fürsprecher sehen in ihm geradezu das Ideal eines Herrschers, der sich noch einmal kraftvoll dem Machtzerfall des Kaisertums entgegenstemmte und mit der Goldenen Bulle dem Reich sein auf Jahrhunderte wichtigstes Grundgesetz gab, auf das wir in Buch 2 detailliert eingingen. Ungewöhnlich gebildet, war er  von seinem Vater Johann I. von Böhmen, mit einer respektablen Hausmacht ausgestattet worden, wenngleich nach Johanns Tod, der gängigen Sitte folgend, eine Teilung der Familienbesitzungen vorgenommen wurde. Unter den drei männlichen Nachkommen wurde das Erbe zwar aufgeteilt, allerdings zu ungleichen Teilen. Dem erstgeborenen Karl fiel das Königreich Böhmen zu und damit das Haupterbe. Dem jüngeren Bruder Johann Heinrich wurde die Markgrafschaft Mähren zuteil, jene Markgrafschaft über die Karl bis zum Tod des Vaters selbst als Landesherr regierte. Zuletzt erhielt Halbruder Wenzel die Grafschaft Luxemburg, die später zum Herzogtum erhoben wurde. Wenzels Mutter stammte aus dem französischen Königshaus der Valois. Der französische Einfluss und die vorgenommene Erbteilung entfremdete das luxemburgische Stammland weiter von seinen deutschen Wurzeln und so neigte es zunehmend hinüber in die französische Machtsphäre.

Karl war kein ausgesprochen kriegerischer Herrscher, womit er aus dem Rahmen der Zeit fiel. In Kriegen sah er weder das ehrenvolle und unbedingt mannhafte wie der Vater, noch das hauptsächliche Mittel zur Wahl. Politische Ziele suchte er wenn möglich friedlich zu erreichen, scheute sich jedoch nicht auch militärisch einzugreifen, wenn die Umstände günstig erschienen oder es unvermeidlich wurde. Durch schnelles Vorgehen und schiere Übermacht zwang er seinen zumeist deutlich unterlegenen Gegnern seinen Willen auf und vermied dadurch aufreibende kriegerische Auseinandersetzung. Wirtschaft und Handel schenkte er besondere Aufmerksamkeit. Den Wissenschaften und der Architektur war Karl ein steter Gönner und zuverlässiger Beistand. Das dörflich anmutende Prag, dass zum Regierungsantritt Johanns I. nur aus seiner Altstadt bestand und noch nahezu ausschließlich Holzbauten besaß, wuchs durch Erteilung diverser Privilegien unter diesem ersten Luxemburger in Böhmen erheblich an. Unter Karl erlebte die Stadt schließlich einen wahren architektonischen Höhenflug. Er machte Prag zu einer Metropole. Neben diesen vielen eindrucksvollem Charaktereigenschaften, war er gleichzeitig, heute würde man sagen, ein Karrierist mit nur wenig Skrupel. Er nutzte politische Heiraten wie kaum ein Zweiter und unterwarf hierbei seine zahlreichen Kinder aus insgesamt vier Ehen, völlig seinen Plänen und machtpolitischen Zielen. Kaiser Maximilian I. wird ihn dereinst  Erzstiefvater des Reichs nennen, da er seine Hausmachtinteressen mit großer Rücksichtslosigkeit verfolgte. Man sagte ihm schon zu Lebzeiten nach, er wäre ein übertriebener Frömmler gewesen, was ihm bei seinen Gegnern den Ruf des Pfaffenkönigs einbrachte. Träume hielt er für göttliche Eingebungen oder Omen und maß ihnen hohen Stellenwert bei. Absprachen und Übereinkünfte relativierte er oder machte sie ganz rückgängig, wenn sich getroffene Vereinbarungen zu seinen Ungunsten entwickelten. Für aufwendige Zeremonien und Prunk hatte er eine Schwäche und zelebrierte seine Herrschaft ganz im Stile des französischen Hofs, wo er die prägendsten Jugendjahre verbrachte und Zeuge des dortigen Hoflebens wurde. Anlässlich der im Reich weit verbreiteten Ausschreitungen gegen Juden während der Zeit der grassierenden Pest, tat Karl nichts zu ihrem Schutze, obwohl er als Reichsoberhaupt gleichzeitig erklärter Schutzherr der Juden war, die umgekehrt dafür hohe Abgaben zu leisten hatten. Schlimmer noch als seine Passivität, waren die im Vorfeld der Pogrome von ihm vereinbarten Abkommen, die die Hinterlassenschaft von vertriebenen oder ermordeten Juden regelten. Wir werden auf diese, wie auf andere Aspekte noch einmal später näher eingehen.

Mit dem 1373 geschlossenen Vertrag von Fürstenwalde,  bemächtigte sich Karl IV. endgültig der Mark Brandenburg, nachdem er bereits zwei Jahre zuvor militärisch im Land intervenierte, damals allerdings noch von einem bayrisch-brandenburgischen Heer erfolgreich abgeschreckt. Er gab seinem frevelhaften Tun durch die Zahlung einer außerordentlich hohen Summe von 500.000 Gulden und zusätzlicher Übereignung einiger Gebiete im Nordgau den Anschein von Legalität. Tatsächlich war die Enteignung des vormaligen Herrschers, einem Vertreter aus dem bayrischen Hause Wittelsbach, im Übrigen gleichzeitig sein Schwiegersohn, ein von langer Hand geplanter Akt, der ganz dem polyglotten und gerissenen Herrscher entsprach und seine Tücke und Raffinesse offen ans Tageslicht beförderte.

Wer war nun dieser Karl, der es scheinbar wagen konnte ohne weitere Folgen einem rechtmäßigen Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs de facto dessen Fürstentum zu entreißen, ohne dass dies Folgen hatte?
Wir wollen diesem vielschichtigen Monarchen in den nächsten Kapiteln unsere ganz spezielle Aufmerksamkeit schenken. Die deutlich größere und damit vorteilhafte Quellenlage erleichtert es uns ungemein, ein Bild Karls IV. zu skizzieren, das so bei allen bisher vorgestellten Regenten der Mark nicht möglich war. Wesentliche Großereignisse seiner Zeit, der englisch-französische Krieg, die Pest, die Goldene Bulle etc. wurden schon in Buch 2 erwähnt und teilweise detailliert dargelegt. Wir werden diese wichtigen Meilensteine an passenden Stellen noch einmal anschneiden und gegebenenfalls ergänzen.
Alles in allem wird sein Leben und Wirken in drei Kapiteln vorgestellt. Der erste Teil behandelt die 30 Jahre von seiner Geburt bis zur Kür zum König, zum Gegenkönig Kaiser Ludwigs IV., und deckt den Zeitraum von 1316 – 1346 ab. Der zweite Teil behandelt jene Zeit bis zum Vertrag von Fürstenwalde und damit von 1346 – 1373. Der abschließende dritte und letzte Teil wird sich besonders auf sein Wirken in der Mark Brandenburg konzentrieren und die sogenannten fünf guten Jahre von 1373 – 1378 detailliert beleuchten. Es wird das Kapitel sein, wo wir wieder intensiv die Mark Brandenburg thematisieren.


 

Buch 2, Epilog – „Die Wittelsbacher in der Mark“

Markgräfliches Wappen der Wittelsbacher in Brandenburg

Das Erscheinen der Wittelsbacher in der Mark, war eine nur verhältnismäßig kurze, kaum 50 Jahre dauernde Episode. Insgesamt kamen drei Markgrafen aus diesem Hause in Brandenburg zur Regentschaft, alle drei waren Söhne von Kaiser Ludwig IV. dem Bayer“. Dieser belehnte 1323, nachdem 1320 der letzte askanische Landesherr ohne einen Erben verstarb und das Land dadurch ans Reich zurückgefallen war, seinen noch minderjährigen, gleichnamigen Sohn mit der Mark.

In den vorhergehenden drei Jahren des brandenburgischen Interregnums verkam das Land und zerfiel mancherorts in halbautonome Regionen. Auch angrenzende Fürsten machten sich über die führungslos gewordene Markgrafschaft her und suchten sich einen Teil aus dem märkischen Körper zu reißen.

Nach Beendigung dieser führungslosen Zeit und dem Regentschaftsantritt der Wittelsbacher, hörten die Probleme nicht auf, sie bekamen nur neue andere Gesichter. Die neue Herrschaft stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Zunächst ließ der königliche Vater, die Kaiserwürde erlangte er erst später, das neuerworbene Land von einem seiner Getreuen als Statthalter verwalten, der dabei gleichzeitig als Vormund des jungen Ludwig fungierte. Mit der Mündigkeit des jungen Markgrafen kamen zu den teilweise gelösten inneren Problemen, vor allem mit dem märkischen Adel, zahlreiche Konflikte mit den Nachbarn hinzu.

Ludwig genannt „der Brandenburger“
Erster Wittelsbacher Markgraf Brandenburgs

Markgraf Ludwig, genannt „der Brandenburger“ trat sein Regierung selbstbewusst an und entfesselte fast unmittelbar eine Auseinandersetzung mit seinen nördlichen Nachbarn. Streitpunkt war die aus Sicht Brandenburgs bestehende Lehnsoberhoheit über Pommern. Im Grunde waren es die gleichen Probleme und damit zumeist auch die gleichen Gegner, wie schon zu Zeiten der Askanier. Der junge Markgraf konnte seine Forderungen in den rasch aufziehenden kriegerischen Auseinandersetzungen nicht durchsetzen und musste am Ende die Reichsunmittelbarkeit Pommerns anerkennen. Auf administrativer Ebene zeigte er besseres Geschick. Mit der Einführung eines zentralen Urkundenregisters, schuf er Vorraussetzungen für einen moderne Verwaltung. Besonders die brandenburgischen Städte, die unter den Wittelsbachern mehr Privilegien genossen als unter zuvor unter den Askaniern, konnte er für sich zu gewinnen, wozu schon der Vater den Grundstein legte. Im Rahmen der vom Kaiser betriebenen Heiratspolitik, zur Stärkung der bayrischen Interessen, wandte Markgraf Ludwig seine Aufmerksamkeit mehr und mehr von der Mark ab und überließ das Regiment den vom ihm bestellten Statthaltern. Als der kaiserliche Vater starb, kam es nach nur wenigen Jahren zur ersten Teilung der Wittelsbacher Lande der sich alsbald eine zweite anschloss, womit es in Brandenburg zum Wechsel an der Spitze der Regentschaft kam.

Ludwig genannt „der Römer“
Zweiter Wittelsbacher Markgraf Brandenburgs

Ludwig „der Römer“ übernahm jetzt die Landesführung. Er trat die Nachfolge in einem Fürstentum an, dass durch das Auftreten eines gefährlichen Hochstaplers, der als „Falscher Waldemar“ in die Geschichte einging, tief gespalten und zunehmend wirtschaftlich zerrüttet war. Zusätzlich traten die Folgen der gleichzeitig in Europa wütenden Pestpandemie auf, die auch an Brandenburg nicht spurlos vorübergingen. Europaweit brach der Handel stark ein. Als eine der spürbaren Folgen, ging der Wohlstand in den zaghaft aufstrebenden Städten der Mark merklich zurück. Besonders für die landesfürstlichen Kassen machte sich der Ausfall wichtiger Zolleinkünfte verheerend bemerkbar und Ludwig der Römer war gezwungen viele Landesprivilegien an seine Städte aber auch den Adel zu verpfänden um für den jeweiligen Moment ausreichend Finanzmittel zu schaffen. Schon mittelfristig verschlimmerte es die Geldnot des Landesherren nur noch mehr. In der Folgezeit war dadurch der politische Handlungsspielraum in weiten Bereichen wenn nicht blockiert so doch nachhaltig gehemmt. Das weitaus größte hieraus resultierende Problem dürfte dabei die zunehmende Abhängigkeit des Markgrafen von seinen Ständen gewesen sein und hier besonders von jenen aus den Städten. Das Auftauchen des Falschen Waldemars offenbarte dieses Abhängigkeitsdilemma nur zu deutlich. In Brandenburg existierten keine Reichsstädte, überhaupt war der norddeutsche Raum arm an solchen, keinem Reichsfürsten unterstellten Städten. Die fehlende Reichsunmittelbarkeit hinderte die nach Unabhängigkeit strebenden brandenburgischen Städte keineswegs ihre Freiheiten so weit wie nur möglich auszuweiten und gegenüber dem Landesherren auszutesten. In seiner ausgesprochenen Schwäche, verstanden sie sich mehr und mehr Rechte zu ertrotzen. Mit dem Auftauchen des Betrügers fiel die große Mehrheit der Städte vom Wittelsbacher Regiment ab und huldigte dem vermeintlich alten Markgrafen. Angrenzende Fürstentümer, allen voran der noch wacklig auf dem Thron des Reichs sitzende Karl IV., erkannten trotz der Offenkundigkeit des Betrugs, diesen Scharlatan an. Allen Widrigkeiten trotzend, gelang es dem zweiten Markgrafen die Auseinandersetzung mit dem Hochstapler am Ende zu gewinnen, was wesentlich durch die Einstellung des Widerstands der Wittelsbacher gegen Karl IV., der jetzt seine Unterstützung dem Usurpator entzog, gefördert wurde, womit diesem der wichtigste Rückhalt verloren ging.

Das 1356 in der Goldenen Bulle beurkundete Kurfürstenprivileg für den Markgrafen von Brandenburg, stellte den politischen Höhepunkt Ludwigs „des Römers“ dar. Vermutlich war sich der Markgraf seinerseits der langfristigen Auswirkung dieses Sonderprivilegs für die Mark nicht wirklich in vollem Umfang bewusst. In dieser Hinsicht mag er keine Ausnahme gewesen sein, denn anders wäre es wahrscheinlich zu größeren Widerständen unter den Reichsfürsten zweiter – und dritter Garnitur gekommen, die nun weit unter den sieben Kurfürsten des Reichs standen. Für Ludwig war die Goldbulle Karls IV. eine Investition in eine eigene Abschrift das Geld nicht wert, wodurch Brandenburg aber auch das Herzogtum Sachsen über keine eigene Kopie dieses wichtigen Verfassungswerks verfügten. Zumindest im Falle Brandenburgs war es auf die schwere finanzielle Schieflage zurückzuführen. Es bleibt für die weitere Geschichte Brandenburgs eine traurige Tatsache, dass dadurch dem Land ein zeitgenössisches Exemplar des historisch bedeutsamen Dokuments verwehrt blieb.

In dem Anfang 1363 ausbrechenden Erbfolgestreit um das Herzogtum Oberbayern kommt die Ohnmacht des brandenburgischen Landesfürsten in voller Wirkung zum Ausdruck. Unfähig eine Heer aufzustellen, finanziell zu unterhalten und gleichzeitig ohne landeseigene Autorität die eigenen Stände als Unterstützer zu mobilisieren, musste Markgraf Ludwig dem Rechtsbruch seines herzoglichen Halbbruders machtlos zusehen, der sich somit des bayrischen Teilherzogtums Oberbayern bemächtigte und es behielt. Der Kaiser, dem ein zerrüttetes Verhältnis innerhalb der Wittelsbacher Famile, sehr in die Karten spielte, tat nichts diese Tat irgendwie zu sanktionieren.

Der Weg den Markgraf Ludwig „der Römer“ daraufhin einschlug war später von der größtmöglichen Tragweite für die Wittelsbacher in Brandenburg. Ohne einen Verbündeten, warf er sich März 1363 Kaiser Karl IV. fast buchstäblich vor die Füße indem er mit diesem einen Erbvertrag abschloss und gleichzeitig seine eigenen Brüder, mit denen er sich wegen der oberbayrischen Erbschaft hoffnungslos überworfen hatte, enterbte. Was ihn neben der tiefen Enttäuchung dazu trieb, bleibt weitestgehend nicht nachvollziehbar. Ausgerechnet Karl IV. der nicht das Geringste tat um Ludwig zu seinem Recht in Bayern zu verhelfen, war zum möglichen Nutznießer der geschlossenen Erbschaftsverbrüderung geworden. Welche raffinierten Züge der Luxemburger Karl dazu verwendte ist nicht dokumentiert. Möglicherweise fühlte sich Markgraf Ludwig tatsächlich so ohnmächtig, dass er zu diesem politischen nahezu Offenbarungseid griff. Er sollte nicht mehr viele Jahre haben um über seine Entscheidung nachzudenken. Ohne Hoffnung doch noch einen eigenen Erben zu erlangen, schien er alle Zuversicht in seinen bald volljährigen Bruder Otto zu setzen. Dieser sollte die Wittelsbacher Linie in Brandenburg weiterführen und durch baldige Heirat und männlichem Nachwuchs die schwelende Gefahr die Mark an den Kaiser zu verlieren, verhüten. Wahrscheinlich hielt Ludwig dieses Unterfangen für höchst sicher und so machte er sich wohl in der Tat nie Sorgen, dass seine im Frühjahr 1363 getroffene Vereinbarung je zur Realität werden würde. Wie geschrieben, lange blieb ihm nicht darüber nachzudenken, bereits weniger als zwei Jahre später starb er.

Otto V. genannt „der Faule“
Dritter Witteslbacher Markgraf Brandenburgs

Otto, genannt „der Faule“ trat die Nachfolge an. Es fehlte ihm zu einer erfolgreichen Regentschaft an allem. Esprit, Visionen, vor allem an Mitteln, darüber hinaus an Einfluss und Beziehungen. Stets im Schatten seiner teilweise Jahrzehnte älteren Brüder, war er beim Regierungsantritt ohne eigene Erfahrungen, Selbstvertrauen und innere Reife. Es standen ihm keine gewogenen Berater in der Anfangszeit zur Hand. In dieser Lage wurde er ein willfähriges Opfer des dominierenden Kaisers, der sich seiner in vermeintlich allerbester Absicht annahm. Otto war den Netzen und Fallstricken Karls IV. völlig ausgeliefert, was sich deutlich verschärfte nach der Hochzeit mit Katharina von Böhmen, einer Tochter des Kaisers. Sie war verwitwet, hatte jedoch aus ihrer zuvor siebjährigen Ehe meine Kinder hervorgebracht. Otto hätte hier auf jeden Fall aufmerksam werden müssen. Die Ehe verlief im Gesamten unglücklich. Der junge Markgraf lebte nach der Eheschließung für mehrere Jahre am Hof in Prag und nahm keine eigenen Regierungshandlungen in Brandenburg vor. Im Gegenteil über einen mit dem Kaiser geschlossenen, sechsjährigen Vertrag, überließ er diesem die Verwaltung der Mark, der hierauf ihm ergebene Verwalter dort einsetzte. Mit dem Ausbleiben von Nachwuchs, begannen erste Zweifel an der Lauterkeit des kaiserlichen Schwiegervaters zu wachsen. Otto nahm nun Verbindung zur bayrischen Verwandtschaft auf und begann auch in der Mark aktiver zu werden. Mit Ablauf des sechsjährigen Verwaltungsprivilegs Karls, machte Otto seine Ansprüche auf die Mark deutlich vor allem den Willen die Regentschaft ungemindert zu übernehmen. In den vorhergehenden Verwaltungsjahren wurde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes und der Handel wieder gehoben. Karl hatte kaum ein Interesse daran, dem Markgrafen Otto ein wieder leidlich funktionierendes Fürsten zu übergeben, dies war jetzt weniger denn je seine Intention noch weniger, nachdem Otto den Sohn seines bayrischen Halbbruders, den nur wenige Jahre jüngeren Friedrich zu seinem Nachfolger und Erben bestimmte. Otto hat selbst wohl keine Hoffnung mehr mit seiner Gattin eigene Kinder zu haben, macht dahingehend dem Schwiegervater nun auch offene Vorwürfe, er habe ihm ganz bewusst eine offensichtlich unfruchtbare Braut unter seinen Töchtern ausgesucht. Ob nicht vielleicht das überhaupt zerrüttete Eheleben ein Grund dafür war, ist schwer im Nachhinein zu beurteilen.
Karl der in Ottos Entscheidung einen eindeutigen Vertragsbruch bezüglich der Vereinbarung vom März 1363 sah, fackelte nun nicht mehr lange. Mit einem Heer rückte er in die Mark ein, ohne es jedoch zum Kampf kommen zu lassen. Es lag ihm wenig daran das mühsam wieder errichtete, durch einen lang anhaltenden Krieg mit den damals üblichen Verwüstungen und Brandschatzungen zu führen. Seine Strategie beruhte auf die Massierung einer numerischen Überlegenheit um dadurch abzuschrecken. Seine Rechnung ging nicht auf, denn es stand bereits ein bayrisch-brandenburgisches Heer im Land und stellte sich ihm in den Weg. Gleichzeitig schloss Herzog Stephan II. von Bayern ein Bündnis mit dem ungarischen König Ludwig von Anjou.
Karl der offene Krieg stets so lange mied wie es nur irgend möglich war, bot einen Waffenstillstand von 18 Monaten an. Nach Ablauf der Zeit erschien Karl im Juni 1373 auf ein Neues in der Mark, Dieses Mal führte er ein kriegsstarkes Heer zu Felde und begann mit der Belagerung verschiedener Städte. Er verließ sich hierbei nicht nur auf die eigenen Kräfte. Die Herzöge von Mecklenburg, Pommer-Stettin, Sachsen-Wittenberg, der Erzbischof von Magdeburg und der Markgraf von Meißen marschierten von Norden, Nordosten, Westen und Südwesten ebenso ein und begannen mit Belagerungen und Verheerungen. Zu einer offenen Feldschlacht reichten die bayrisch-brandenburgischen Truppen nicht aus. Sie hätten wohl in einzelnen Feldzügen die kleineren Kontingente der Verbündeten Karls angreifen können doch am Ende wären die eigenen Kräfte nicht ausreichend gewesen den Streitkräften Karls die Stirn bieten zu können. Im Heerlager zu Fürstenwalde kam es zu Unterhandlungen. Die Friedensbedingungen wurden von Kaiser Karl unmissverständlich diktiert. Er gab sich gönnerhaft, leistet dem Markgrafen Brandenburg eine üppige Ausgleichszahlung sowie etwas Landbesitz im ans bayrische Kernland angrenzenden Nordgau. Otto musste auf Empfehlung seines verbündeten Bruders die Bedingungen annehmen, immerhin wuchs damit das bayrische Kernland geringfügig und auch die 500.000 Gulden taten ihren Beitrag bei der Entscheidungsfindung. Es gelang ihm am Ende wenigstens formal den Titel eines Markgrafen von Brandenburg zu bewahren und den damit verbundenen Kurfürstentitel.


„Abschließende Bewertung“

Ruhmlos ging die Zeit der Wittelsbacher in der Mark am 18. August 1373 mit dem Vertrag vom Fürstenwalde zu Ende. Das Regiment ging an die Luxemburger über. Im gängigen historischen Rückblick kommen die Wittelsbache, bezogen auf  Brandenburg für gewöhnlich wenig positiv weg. In älteren Werken ließt man gelegentlich davon, sie hätten die Mark nur für ihre bayrischen Stammlande finanziell ausgebeutet und die egentlichen Landesgeschicke wären stets den Belangem Bayerns untergeordnet worden. Dieser Pauschalisierung muss man entschieden widersprechen. Wenn überhaupt, so bestand nur unter dem ersten Markgrafen aus diesem Hause überhaupt eine doppelte Verbindung. Dass er sich ungebührlich hohe Summen für seine bayrischen- und Tiroler Ambitionen aus dem Land sog, ist nicht bekannt. Schon dem Nachfolger, Ludwig dem Römer, stand nach dem Luckauer Vertrag ohnehin nur noch die Mark Brandenburg als Fürstentum zur eigenen Verfügung.

Der seit dem Ende der 1340‘er Jahre auftretende starke Rückgang des Wohlstands im Land war zunächst auch die Folge der katastrophalen Pestpandemie die europaweit das wirtschaftliche Gefüge erschütterte. Bereits davor leiteten klimatische Veränderungen einen Abschwung der Agrarwirtschaft ein. Das Wetter wurde allgemein kühler und deutlich niederschlagsreicher. Große, lokal unterschiedlich starke Ernteausfälle waren die Folge. Als zusätzlich mit dem Auftreten des Falschen Waldemar eine Zersplitterung und ein weitreichender Abfall vom Wittelsbacher Fürstenhaus eintrat, hatte dies auf das ganze Landesgefüge einen massiv untergrabenden Charakter. Die landesfürstliche Finanzwirtschaft geriet immer mehr unter Druck in dessen Folge mehr und mehr Privilegien und Regalien verpänder wurden zur kurzfristigen Geldschaffung. Der Zerfall der landesherrlichen Zentralgewalt erfolgte stufenweise und war kaum wirklich positiv von den Markgrafen zu beeinflussen, hierzu spielten von außen herangetragene Faktoren ein zu bestimende Rolle.

Wenn man sich zuletzt immer noch nicht mit den Wittelsbachern in der Mark gefühlstechnisch versöhnen kann, so mag zumindest der Hinweis doch noch erhellend wirken, dass unter einem Wittelsbacher die Mark Brandenburg endültig zum Kurfürstentum erhoben wurde und damit eines der wichtigen Fundamente für Brandenburgs spätere Bedeutung während der Regentschaft dieses Hauses gelegt wurde.


Buch 2, Kapitel VI: „Otto V. der Faule (1346 – 15. November 1379)“


Otto der Faule“, trug einen wenig schmeichelhaften Namenszusatz, der einen stigmatisierenden Schatten auf den dritten Wittelsbacher an der Spitze Brandenburgs wirft. Eines Kaisersohnes, regierenden Markgrafen und Kurfürsten des Reichs in hohem Maße unwürdig. Wir werden sehen wie viel Wahrheit sich dahinter versteckt, ob es das Ergebnis boshafter Schmähungen war oder andere Ursachen hatte.

Er wurde 1346 als vorletztes Kind des kaiserlichen Paares geboren. Bruder Ludwig, der im Jahre 1347 zur Welt kam, es war dies bereits der dritte Sohn des Kaisers der diesen Namen trug, verstarb schon im darauffolgenden Jahr, so dass Otto das jüngste Kind blieb. Seine Mutter war Margarethe von Holland. Wir haben ausführlich über sie im Kapitel über Ottos ältesten Bruder Ludwig, der den Beinamen „der Römer“ trug, berichtet. Zum exakten Geburtsdatum wie auch zum Geburtsort können wir nichts verbindliches sagen, wir wollen aber versuchen Ort und Zeitraum durch Ausschlussverfahren näher einzugrenzen.

Aus dem vorgenannten Kapitel wissen wir, dass Margarethe von Holland, sie war seit 1324 Gattin Kaiser Ludwigs IV., aufgrund des vorzeitigen Todes von Wilhelm IV. im Jahre 1345, er war ihr einziger Bruder, die reichen Besitzungen der Familie in den Niederlanden erbte. Erben ist an der Stelle nicht richtig, wenn dann erbte sie nur den Allodialbesitz und doch gelangte der ganze väterliche Besitz, nach dem Tod des Bruders in ihre Hand. Werfen wir einen kurzen Blick auf die allgemeinen, lokalen Verhältnisse. Die Grafschaft Hennegau war eigentlich ein Lehen des Bischofs von Lüttich. Noch war es fraglich wen dieser belehnen würde, doch standen die Aussichten für die Kaiserin immerhin gut. Durch einen geschickten Winkelzug ihres Mannes, der verfügte dass die Grafschaft nicht von den sonstigen vakanten Grafschaften getrennt werden sollte, war die Belehnung damit abhängig vom weiteren Verbleib der territorialen Hinterlassenschaft des Bruders. Was dies betraf, war die Sachlage einfacher, denn diese Ländereien fielen als erledigtes Lehen an das Reich zurück und damit in die Verfügungsgewalt des Kaisers. Ludwig IV. belehnte kurzerhand die eigene Frau mit den Grafschaften in Friesland, Holland und Seeland, womit auch die Vergabe des Lehen Hennegau vorgezeichnet war. Das diesbezügliches Motiv hinter dieser Entscheidung lag auf der Hand, es ging um die weitere Vergrößerung der eigenen Hausmacht. Der unerwartet frühe Tod des Schwagers, welcher unverheiratet und somit kinderlos blieb, brachte dem Wittelsbacher die einmalige Gelegenheit den territorialen Besitz signifikant zu erweitern und dabei wichtige Vorposten im stellenweise der Krone entfremdeten norddeutschen Raum zu schaffen.

Die Entscheidung wurde dem Kaiser im Reich übel genommen. Nachdem er die 1320 erledigte Mark Brandenburg im Jahre 1323 bereits an seine Familie brachte und damals seinen noch unmündigen, erstgeborenen Sohn damit belehnte, später dieser gleiche Sohn rund 20 Jahre danach, in einer skandalösen Heirat zusätzlich die Erbin der Grafschaft Tirol heimbrachte, wollte man den Wittelsbachern nicht noch mehr Macht zugestehen. Wir haben verschiedentlich über die feine Machtbalance im Reich gesprochen, zumindest über den dahingehenden Anspruch der Reichsfürsten eine zu einseitige Machterweiterung wenn möglich zu begrenzen. Auch haben wir über die Verwerfungen, die durch eine zu starke Verschiebung der Kräfteverhältnisse immer wieder entstanden, an dessen Spitze immer wieder Erbfolgekriege und Thronfolgekriege standen, gesprochen.

Was hat das alles mit dem Geburtsort, vielleicht sogar mit dem Geburtstag des späteren Markgrafen Otto von Brandenburg zu tun? Nun, der Kaiser belehnte seine Frau anlässlich des Nürnberger Hoftags vom 15. Januar 1346 mit den vorerwähnten Gebieten. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihren jüngsten Sohn in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres geboren hätte und in den härtesten Winterwochen die Reise ins, wenn auch nicht übermäßig weit entfernte Nürnberg gemacht hätte. Bereits am 14. März empfängt Margarethe in Mons, in der Grafschaft Hennegau, den Huldigungseid der dort versammelten Stände. Auch hier glauben wir ausschließen zu können, dass Otto während der zwei vorangehenden Monate geboren wurde und die Mutter mit einem Säugling die Reise quer durch das Reich in den Westen angetreten hätte. Obwohl die Zeit damals drängte, denn auch der englische König, der mit einer jüngeren Schwester der Kaiserin verheiratete Edward III., wollte seiner Frau einen Anteil des Erbes verschaffen. Noch war er aber in seit Jahren erbittert geführten Krieg mit dem König von Frankreich verwickelt und plante eine massive Militärintervention auf dem französischen Festland. Einen offenen Konflikt zum Kaiser konnte und wollte er unter diesen Voraussetzungen nicht wagen.

Die bisherigen Annahmen werfen die Frage auf, in welchem Schwangerschaftsmonat sich die Kaiserin befunden haben könnte? Die Ereignisse der folgenden fünf Monate lässt zumindest die Vermutung zu, dass sie zu Beginn noch nicht hochschwanger war. In den Frühlings- und Sommermonaten reiste die Kaiserin durch ihre Grafschaften und nahm die Huldigungen der Stände entgegen und bestätigte die Privilegien des Adels und der Städte. Der Reiseliste nach hatte sie ein straffes Programm und in dieser Zeit kam es wohl eher nicht zur Niederkunft. Die Reisestrapazen für eine frisch entbundene Mutter, deren Leben unter diesen Voraussetzungen für die Dynastie besonders wichtig war aber auch für einen Säugling, wären sicher vermieden worden. In der zweiten Septemberhälfte kehrte sie wieder nach Mons zurück. Mittlerweile ist es wahrscheinlich, dass die angehende Mutter sehr nahe oder zumindest nicht mehr fern der Entbindung stand. Im Oktober sehen wir die Kaiserin bereits wieder auf Reisen. In Ypern traf sie ihre Schwester Philippa zu Absprachen bezüglich eines Bündnisses des Kaisers mit dem englischen König. Es scheint so, als ob König Edward von England, der im Hochsommer 1346 bei Crecy seinen überragenden Sieg gegen Philipp VI. von Frankreich erstritt, vermeiden wollte, dass sich eine Annäherung des französischen Königs an den Kaiser entwickeln könnte. Immerhin kämpfte schon die mächtige Luxemburger Familie an dessen Seite.

Zwischenzeitlich traf der Kaiser Anfang September 1346 Regelungen für den Fall dass seine Frau sterben sollte. In diesem Fall würde ihr Sohn Wilhelm die Herrschaft in den Niederlanden antreten. Wir glauben besonders aus dieser kaiserlichen Verfügung ableiten zu können, dass die Geburt unmittelbar anstand. Entweder noch im September oder spätestens Anfang Oktober. Wir meinen diese Annahme aufstellen zu können, weil Margarethe im November nach Frankfurt abreiste um dort ihren Mann zu treffen. Sie übergab vorher die Statthalterschaft ihrem Sohn Wilhelm und schloss mit ihm eine Vereinbarung hinsichtlich einer an sie zu leistenden Jahresrente. Über diese Regelung kam es später zu einem erbitterten Krieg. In diesem Zusammenhang wurde Wilhelm de facto die  Regentschaft übertragen. Teil der Übereinkunft war ferner die Anwartschaft auf die Burggrafschaft Seeland, die sie für ihren Sohn Otto vorsah, falls der jetzige Amtsträger verstarb. Otto musste zwischenzeitlich geboren sein, die Kaiserin hätte sonst schlechterdings für dessen zukünftiges Auskommen Vorkehrungen treffen können.

Wir wagen an dieser Stelle zwei Hypothesen aufstellen zu dürfen. Entweder dass sich Ottos Geburt zwischen Ende September und Mitte Oktober ereignete und er demgemäß vermutlich in Mons geboren wurde oder als zweite Möglichkeit, dass Otto nach dem Hoftag in Frankfurt geboren wurde, dann vermutlich in den bayrischen Kernlanden und dort dann höchstwahrscheinlich in der Residenz München. Die zweite Annahme halten wir für die unwahrscheinlichere, wegen der erwähnten, mit ihrem Sohn Wilhelm abgestimmten Anwartschaftsregelung der Burggrafschaft Seeland.


„Kindheit und Zeit vor der Regierungsübernahme“

Über der Kindheit Ottos wissen wird im Grunde nichts. Dies bildet bei ihm keine Ausnahme sondern die Regel. Bis auf wenige Ausnahmen, kennen wir von keinem mittelalterlichen Individuum einen Bericht aus dessen Kindheit. Für ein Kind wie Otto, das als letztes überlebendes Kind in die Familie kam, wäre es besonders ungewöhnlich, gäbe es irgendwelche Aufzeichnungen. Wenn Kindern überhaupt diesbezüglich Aufmerksamkeit von den Chronisten geschenkt wurde, dann höchstens den angehenden Thronfolgern. Auf diesen ruhte zumeist die ganze Hoffnung und Erwartung. Dass Otto, der als zwölftes Kind, davon als sechster Sohn zur Welt kam, jemals überhaupt eine Rolle spielen würde, zumal der Altersabstand beispielsweise zu seinem erstgeborenen Halbbruder Ludwig „der Brandenburger“ stolze 31 Jahre betrug, durfte als sehr unwahrscheinlich gesehen werden, somit spielte er die Rolle des Kleinkinds, Kindes und Jünglings im Schatten seiner Brüder, vor allem seines Bruders Ludwig „dem Römer“.

Da uns keine schriftlichen Aufzeichnungen vorliegen, auch keine überlieferten Anekdoten, bleibt nur aus dem historischen Kontext, aus den geschichtlichen Metadaten eine vages Bild einer Kindheit und Jugend zu konstruieren. In manchem wird dieses sehr allgemein gehaltene Skizze auf viele Fürstenkinder der Zeit zutreffen, insbesondere die männlichen unter ihnen.

Als Kaiser Ludwig IV. am 11. Oktober 1347 starb, war sein Sohn, der kleine Otto, erst rund ein Jahr alt. Zu diesem Zeitpunkt dürfte er mit der Mutter in den bayrischen Kerngebieten gewesen sein. Es war sehr wahrscheinlich dass sie mit dem Säugling Otto nach dem Frankfurter Hoftag von November 1346 in die bayrische Residenz München weiterreiste und dort verweilte. Wir dürfen weiter annehmen dass auch der Kaiser seit dem Zusammentreffen auf dem genannten Hoftag, wieder in enger Gemeinschaft mit seiner Gattin verkehrte, nachdem sie zuvor, bedingt durch die erwähnte, sehr strapaziösen Huldigungsreise durch die Niederlande, monatelang getrennt waren.

Mit dem Tod Ludwigs, ergaben sich für die Witwe wie auch für die minderjährigen Kinder die üblichen, durchaus einschneidenden Veränderungen. Dies traf auf die Hinterbliebenen Frauen nahezu aller fürstlichen Häuser zu. Mit dem Tod setzte die Erbfolge auf die männlichen Nachkommen ein. Die Frauen waren in Erbangelegenheiten durch das salfränkische Erbfolgerecht, sofern ein männlicher Spross vorhanden war, massiv benachteiligt. Dennoch war die Absicherung der Witwe, das wirtschaftliche Auskommen, für gewöhnlich gut geregelt und je wohlhabender und einflussreicher der Dahingeschiedene war, je besser. Üblicherweise waren dergleichen Dinge Gegenstand der Eheverhandlungen zwischen den Eltern angehender Brautleute. Die Übereinkunft wurde dann urkundlich fixiert und mit der Zeit eher verbessert als geschmälert. Das Wittum nahm Margarethe in ihrer Grafschaft in Hennegau. Wir erinnern uns, dass sie mit ihrem Sohn Wilhelm darüber hinaus eine Rentenvereinbarung getroffen hatte die ihr jährlich 10.000 Gulden einbringen sollten. Es entzündete sich daran ein langjähriger Streit und Krieg mit dem eigenen Sohn. Darüber berichteten wir im Kapitel ihres ältesten Sohnes Ludwig dem Römer. Wir wollen diese unerfreuliche Episode innerfamiliärer Auseinandersetzungen an dieser Stelle nicht neu aufrollen sondern schenken wieder unserem eigentlichen Protagonisten dieses Kapitels die Aufmerksamkeit.

Otto, der an der Seite seiner Mutter in die Grafschaft Hennegau folgte, war zu diesem Zeitpunkt kaum aus dem Säuglingsalter entwachsen und im frühen Kleinkindalter. Die Nähe zur Mutter oder einer Amme war unerlässlich. Es gibt keine Überlieferungen ob die Mutter sich persönlich intensiv um den eigenen Nachwuchs kümmerte oder tatsächlich eine bzw. mehrere Ammen die Rolle einer Ersatzmutter spielten. Vergessen wir an der Stelle nicht, das der schon erwähnte jüngere Bruder Ludwig mittlerweile sicherlich geboren war. Ob ihn der gleichnamige Vater, der mittlerweile verstorbene Kaiser, noch erlebte oder ob dieser dritte Knabe mit dem Namen Ludwig, nach dessen Tod erst geboren wurde, ist nicht verbrieft, zumindest uns nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich wird das Ereignis  tatsächlich erst nach dessen Tod erfolgt sein und möglicherweise war die Namensgebung als posthume, letzte Ehrerbietung von der kaiserlichen Witwe so verfügt worden.
Wie dem auch sei, das weitere Schicksal des kleinkindlichen Ottos war vorausbestimmt. Sein ältester Bruder, der erstgeborene Sohn Margarethes, Ludwig der Römer, war nach dem Gesetz der Vormund Ottos, dem jetzt nur noch eine kurze Frist in der direkten Umgebung seiner Mutter blieb, bis mit dem Abschluss des dritten Lebensjahrs, der männliche Vormund eine zunehmende Rolle spielte.

Zeitlich fällt es in etwa mit dem Landsberger Vertrag vom 12. September 1349 zusammen. Es waren seit dem Tod des Vaters weniger als zwei Jahre vergangen und weniger als zwei Jahre regierten die sechs Söhne des vormaligen Kaisers die Wittelsbacher Landschaften gemeinschaftlich. Im Landsberger Vertrag teilten sie, im Widerspruch zum väterlichen Wunsch, die Gebiete in zwei Territorialzonen auf, wobei Otto zusammen mit seinem Bruder Ludwig dem Römer und dem erstgeborenen Sohn aus der ersten Ehe des Vaters, dem Halbbruder Ludwig dem Brandenburger, die Gebiete Oberbayern, Tirol und Brandenburg zukam.

Vergessen wir nicht, Otto war noch ein Kleinkind, um die drei Jahre zu diesem Zeitpunkt, er war somit als Unmündiger nichts weiter als ein zukünftiger Mitregent. Das Sagen in den Gebieten hatte der mehr als 30 Jahre ältere Ludwig der Brandenburger, Herzog von Oberbayern, Graf von Tirol und Markgraf von Brandenburg. Otto selbst stand jetzt, wir rissen es an, unter der Vormundschaft des Bruders Ludwig, jenem Ludwig dem man den Namenszusatz „der Römer“ gabum ihn vom älteren Ludwig, „dem Brandenburger“ oder auch „dem Älteren“, unterscheiden zu können. Immerhin hatte er die Aussicht als ein Mitregent einen Teil der Erbschaft zu erhalten. Wie sehr die Dominanz des signifikant älteren Halbbruders und des immerhin gut 18 Jahre älteren, brüderlichen Vormunds ihm für die Zukunft einen wirklichen Landesteil überließen, musste sich erst noch erweisen. Ludwig „der Römer“ hielt sich seit dem Landsberger Vertrag in der engen Umgebung seines gleichnamigen Halbruders auf. Wir wissen nicht ob auch Otto in seinen noch zarten Jahren jetzt schon bei einem brüderlichen Vormund war oder ob er noch am mütterlichen Hof verweilte. Denkbar ist in der Tat beides oder eine Kombination davon.

Ein Jahr vor dem Landsberger Vertrag, trat in der Mark der später als Scharlatan entlarvte falsche Waldemar auf. Für den regierenden Markgrafen, Ludwig den Brandenburger, der gleichzeitig gegen Karl IV., das neue Reichsoberhaupt, in Opposition stand und dessen Wahl nicht anerkannte, diesem auch die Reichsinsignien die sein Vater so lange trug, bislang nicht aushändigte, war dieser zusätzliche Konflikt zunehmend zur Belastung geworden. Die meisten brandenburgischen Städte und nicht wenige des ohnehin widerspenstigen märkischen Adels, fielen von ihm ab, huldigten dem vermeintlich heimgekehrten, alten askanischen Markgrafen Waldemar und ließen den Großteil der Mark Brandenburg in offene Rebellion gegen ihren eigentlichen Landesherren aufstehen. Zu all diesen Ereignissen brach jetzt noch die Pest über das Reich, über den ganzen Kontinent herein.

Der ältere Ludwig resignierte und es kam im Luckauer Vertrag vom Dezember 1351 zu einer weiteren Teilung in den Wittelsbacher Gebieten. Ludwig der Älter, vormals Ludwig der Brandenburger einigte sich mit seinem Halbbruder Ludwig dem Römer auf eine Trennung. Die Mark Brandenburg fiel an Ludwig den Römer und an Otto. Selbiger war zu diesem Zeitpunkt gerade fünf Jahre alt und lebte nun mit dem brüderlichen Vormund in Brandenburg, dessen Anwartschaft nun in den realen Bereich des Möglichen rückte, da dem älteren Bruder bislang noch kein eigener Erbe geboren wurde.

Die Pest war mittlerweile in Europa zwar nicht ausgemerzt aber sie hatte ihre pandemische Verbreitung verloren und langsam stellte ein wirtschaftlichen wie gesellschaftliche Erholung ein. Auch der falsche Waldemar verlor zunehmend seine Anhängerschaft in Brandenburg und das landesherrliche Regiment begann wieder an Kraft zu gewinnen, allerdings auf ökonomisch sehr schwachem Niveau. Die markgräflichen Landeseinkünfte waren kaum ausreichend die Hofhaltungskosten und sonstige Ausgaben zu decken. Man darf daraus nicht ableiten, das Land wäre arm, was, um der Wahrheit genüge zu tun, stellenweise trotzdem zutraf, vielmehr waren viele Domänen, Rechte und Pfründe verpfändet so dass der Landesherr über kaum mehr eigene Einnahmequellen verfügte. Die Situation sollte sich noch von größtem Nachteil erweisen. Beim Streit der Mutter gegen Sohn Wilhelm, stand Ludwig der Römer auf deren Seite und damit gegen den Bruder, er konnte aber nicht ausreichend unterstützen, da die Mittel zur Ausrüstung eines schlagkräftigen Heeres nicht vorhanden waren, worauf sich Wilhelm dauerhaft durchsetzen konnte.

Als 1356 in der Goldenen Bulle der Mark Brandenburg die siebte und letzte Kurstimme des Reichs und einhergehend die Erzkämmererwürde zuerkannt wurde, verzichtete der regierende Markgraf aus finanziellen Gründen auf die Ausfertigung einer eigenen Abschrift der bedeutenden Urkunde. Otto feierte im Jahr der Proklamation dieses wichtigsten Verfassungswerk des alten Reichs, seinen zwischenzeitlich zehnten Geburtstag und wurde von seinem Bruder, Mentor und Vormund, gemäß der Bräuche mit wachsender Intensität ausgebildet. Auch jetzt, fünf Jahre nachdem Ludwig der Römer zum Markgrafen von Brandenburg wurde, hatte sich noch kein Nachwuchs bei ihm eingestellt. Noch war Ludwig in den besten Jahren und konnte einen eigenen Erbe hoffen.

1357 stirbt die Frau des regierenden Markgrafen Ludwig, die Schwägerin Ottos. Erst drei Jahre später heiratete der Bruder ein weiteres mal. Wir hatten es schon im Kapitel über ihn erwähnt, für einen bislang erbenlosen Regenten erscheint diese lange Zeit sehr ungewöhnlich. Kann man aus dem Heiratsunwillen des Markgrafen eine allgemeine Resignation bezüglich der eigenen Hoffnung auf einen Erben herauslesen. Es ist uns nicht Bekanntes über eine etwaige Zeugungsunfähigkeit dokumentiert, von daher wollen wir uns nicht zu weit auf das Glatteis gefährlicher Spekulationen wagen.
Mittlerweile war Otto um die 14 Jahre alt und nun an der Regentschaft in der Mark beteiligt.

1363 kam es erneut zum innerfamiliären Streit bei den Wittelsbachern. Vorweg ging diesem stillen Erbfolgekrieg der Tod von Herzog Ludwig V. von Oberbayern, dem vormaligen Markgrafen Ludwig I. von Brandenburg. Dieser hatte mit Meinhard einen Sohn, der beiläufig erwähnt sogar älter war als des Vaters Halbbruder Otto, dem dieses Kapitel gilt. Besagter Meinhard war zwar alleiniger Erbe von Oberbayern und Tirol, doch machte Herzog Stephan II. von Niederbayern dieses Erbe durch sofortige Intervention streitig. Meinhard floh nach Tirol, wo er schon Januar 1363 verstarb und die Linie des Vaters damit erlosch. Gemäß dem Landsberger Vertrag von 1351 würde Oberbayern nun an die beiden brandenburgischen Brüder Ludwig dem Römer und Otto fallen, doch blieb Oberbayern von Herzog Stephan besetzt. Den brandenburgischen Wittelsbachern blieb nur eine militärische Antwort um ihre Erbrecht zur Geltung zu bringen. Diese musste aber wegen der desaströsen Finanzlage ausbleiben, womit das Erbe letztendlich verloren ging. Es war dies ein vielsagendes Beispiel der schwierigen Rechtslage im Reich. Durch den Mangel jeglicher, ständiger Exekutionskräfte, musste jeder sein Recht mit eigener Kraft oder dem Beistand einer befreundeten Macht oder Koalition durchsetzen. Kaiser Karl IV. griff an keiner Stelle in diesen Erbstreit ein, profitierte er doch maßgeblich von den Zerwürfnissen im Hause Wittelsbach. Auch die benachbarten Habsburger intervenierten nicht, denn auch sie waren am Ende Profiteure des Streits. Mit dem Tod Meinhards, fiel Tirol erneut an die Mutter zurück, über die Tirol überhaupt erst an die bayrischen Wittelsbacher kam. Margarethe von Tirol wollte unter allen Umständen vermeiden, dass Tirol ebenfalls an Herzog Stephan fällt und überschrieb die Grafschaft den Habsburgern, was zu kurzfristigen Spannungen mit dem Kaiser führte, der Sorge hatte dass sein eigenes Projekt dadurch gefährdet werden könnte.
Ludwig und Otto, die beiden brandenburgischen Markgrafen hatten niemanden der sie darin unterstützte ihr rechtmäßiges Erbe aus dem Griff Stephans II. zu reißen. Die eigenen Kräfte reichten dazu nicht aus, die brandenburgischen Städte und der Adel verweigerten die Unterstützung.

Beim eigentlich regierenden Markgrafen Ludwig führte diese Episode und das Gefühl der völligen Ohnmacht zu einem drastischen Schritt. Er enterbte seine bayrisch-niederländischen Verwandten und setzt seinen Bruder Otto als Universalerben ein. Er selbst schien keine Hoffnung mehr auf einen eigenen Nachfolger zu haben. Weiter ging er einen noch folgenschwereren Schritt. Mit Kaiser Karl IV. schloss er am 18. März 1363 eine Erbverbindung. Für den Fall dass er und auch sein Bruder Otto ohne eigene Nachkommen sterben würden, fiele Brandenburg an den Kaiser und zwar nicht als erledigtes Reichslehen, sondern an ihn bzw. seine Familie direkt. Es war eine der vielen Erbverbindungen die Karl IV. im laufe der Zeit einging. Wir werden noch davon hören. Es beschreibt deutliche Züge seines Charakters. Die Brandenburger gingen sehenden Auges, noch dazu freiwillig, in das Netz Karls.

Markgraf Ludwig starb nur wenige Jahre nach dem Abkommen als verbitterter Mann und Otto trat die Herrschaft in Brandenburg an.


„Markgraf Otto V. von Brandenburg“

Otto wird in der Liste der brandenburgischen Herrscher als der V. Markgraf diesen Namens geführt und dies obwohl es mit dem Askanier Otto V. „dem Langen“ bereits einen Markgrafen gab.  Da dieser vermeintlich nur als Mitregent neben dem dominierenden Otto IV., mehr Teilhaber der Macht als eigentlicher Regent war, ist das wohl die einzige plausible Erklärung hierzu. Otto V. von Brandenburg trat Anfang 1365 mit 19 Jahren die Nachfolge in der Mark an. Unter besseren Voraussetzungen hätte er sofort tatkräftig das Regiment zum Wohle des Landes führen können. Er geriet jedoch aus unterschiedlichen Gründen augenblicklich in den Einflussbereich Kaiser Karls. Zur Verwandtschaft in Bayern und den niederländischen Grafschaften blieb auch Otto vorerst reserviert und behielt die vom Bruder eingeleitete völlige Abgrenzung bei. Karl IV., der in der schon vorerwähnten Erbverbrüderung die Mark für seinen ältesten Sohn Wenzel vorgesehen hatte, falls auch der letzte Wittelsbacher in Brandenburg ohne männlichen Nachkommen stürbe, suchte den unerfahrenen, jungen Markgrafen sofort in Beschlag zu nehmen. Wir wissen nicht was Brandenburg seinerzeit als vertragliche Gegenleistung angeboten wurde. Schaut man sich vergleichbare Vereinbarungen Karls an, so ist man fast dazu geneigt zum Schluss zu kommen, dass es nicht viel gewesen sein kann. Wahrscheinlich bot er Brandenburg Schutz gegen äußere Aggressoren an ohne sich übrigens später daran zu halten. Keinesfalls war es Geld oder irgendwelche Verpfändungen, die es Otto ermöglicht hätten auf die Füße zu kommen, denn auch Karl litt immerwieder unter Geldknappheit, hauptsächlich lag es ihm aber fern den brandenburgischen Markgrafen aus seiner Abhängigkeit zu ihm zu befreien.

Akuter Finanzmangel blieb für den neuen Markgrafen die alles bestimmende Konstante. Neben der Regentschaft erbte Otto die landesherrliche Finanzmisere vom Bruder. In den zurückliegenden Jahren hatte sich die Situation nicht gebessert gebessert. Vorhandene Schuldenlast fraß die geringen Einkünfte auf. Vor diesem Hintergrund war das jetzt vom Kaiser tatkräftig betriebene Hochzeitsbündnis zwischen Otto und des Kaisers Tochter junger Elisabeth eine für Otto sehr willkommene Möglichkeit um durch eine hoffentlich reiche Mitgift die ärgsten Finanznöte zu dämpfen und dadurch erhofterweise wenigstens rudimentären Handlungsspielraum in Brandenburg zu erhalten.


„Prager Doppelhochzeit“

Eine Vermählung war für den neuen Markgrafen, der im Laufe des Jahres seinen 20. Geburtstag beging, zur dringenden Angelegenheit geworden. Nach den Verwicklungen um das oberbayrische Erbe und der darauffolgenden Enterbung der bayrisch-niederländischen Wittelsbacher, war Otto der letzte männliche Spross des ehemaligen Kaisers, der noch in Brandenburg lebte und ein Anrecht darauf geltend machen konnte. Sollte er ohne einen eigenen Erben vergehen, würde die Mark laut der geschlossenen Erbverbrüderung an Karl den IV. fallen, den gleichzeitig amtierenden Kaiser und König des an Brandenburg angrenzenden Böhmens.

Es war von Beginn Karl IV. der den Stein ins Rollen brachte. Schon vor dem Tod des vorherigen Markgrafen, wurde das Heiratsprojekt von ihm eingefädelt. Um die Jahreswende 1363/64 kam es in Nürnberg zur Verlobung zwischen dem späteren Otto V. von Witteslbach-Brandenburg und Elisabeth von Luxemburg-Böhmen (1358 – 1373). Elisabeth war die dritte Tochter des Kaisers und entstammte der dritten Ehe Karl mit Anna von Schweidnitz. Aus dieser Verbindung stammte auch der designierte Erbe Karls, der spätere Wenzel IV. (1361 – 1419). Die Braut war bei der Verlobung erst fünf Jahre alt. Wir thematisierten es schon verschiedentlich, politische Heiraten waren das zentrale diplomatische Mittel um langfristige Allianzen zu knüpfen oder Interessenssphären abzugrenzen. Fürstenkinder waren hierbei die Verhandlungsmasse und wurden gelegentlich schon ins Gespräch gebracht, bevor sie überhaupt geboren waren. Unter den bekanntesten Protagonisten mittelalterlicher Heiratspolitik muss hierbei ganz vorne Karl IV. genannt werden. Niemand wandte dieses Mittel mit größerem Selbstverständnis, größerem Erfolg und man möchte fast sagen mit größerer Ruchlosigkeit an, als dieser Herrscher. Er scheute sich selbst nicht solche potenziellen Nachkommen als mögliche Heiratskandidaten ins Spiel zu bringen die vielleicht in Zukunft geboren würden.

Wenn wir in diesem Zusammenhang von ruchlos sprechen, so ist der auffallende Mangel an Vereinbarungstreue bei solchen Angelegenheiten gemeint. Kam es durch Zufälle oder einfach wegen politischer Entwicklungen zu Dynamiken die den Wert eine Vereinbarung dahinschmelzen ließ, kannte Karl keinerlei Skrupel und löste Verlobungen einseitig auf um neue, für den Moment günstigere Arrangements zu vereinbaren. So kam es schon 1366 zur Auflösung der Verlobung, da Karl seine Felle in einer ungarischen Heiratsangelegenheit davonschwimmen sah. Da aber die Mark für die dynastischen und territorialen Erwägungen des Kaisers wichtig blieb, wurde dem geprellten Otto, mittlerweile regierender Markgraf von Brandenburg, alternativ seine zweitälteste, seit Juli 1365 verwitwete Tochter Katharina von Luxemburg-Böhmen (1342 – 1395) zur Braut gegeben. Katharina stammte aus der ersten Ehe Karls mit Blanche von Valois (1316 – 1348) die aus einem Nebenzweig der französischen Königslinie kam.
Die vier Jahre ältere Katharina war von der Vermählung nicht begeistert, wir kennen die Hintergründe dazu nicht, können damit auch nicht beurteilen ob der zukünftige Bräutigam Grund des mangelnden Enthusiasmus gewesen sein könnte. Möglicherweise dachte sie, nachdem sie bereits einmal Spielball der väterlichen Politik war, sie hätte ihren Dienst getan, falls solch ein auf die eigenen Wünsche ausgelegter Gedankengang überhaupt im Bereich des möglich war. Wenn dem so gewesen wäre, hatte sie dabei aber die Rechnung ohne den Vater gemacht, der die Kinder komplett den Bedürfnissen seiner Politik opferte und dies auch, wie im Falle Katharinas, mehrfach, wenn es sich nur ermöglichte.

Am 19. März 1366 fand in Prag die Trauung zwischen Otto V. von Brandenburg, aus dem Hause Wittelsbach und Katharina von Böhmen, aus dem Hause Luxemburg statt. Wie zum Hohn fand noch am gleichen Tag die Vermählung von Ottos ehemaliger Braut statt. Elisabeth, die Halbschwester von Katharina heiratete an ihrem achten Geburtstag Albrecht III. von Habsburg, dessen vorangehende Verlobung mit der ungarischen Erbnichte Karl zuvor hintertrieb um sich diese für einen seiner eigenen Söhne zu sichern. Wir wollen an der Stelle keinen weiteren Kommentar geben, es lässt einen mit Kopfschütteln zurück, wendet man heutige Maßstäbe bei der Beurteilung an.
Ob die Doppelhochzeit zeitgleich oder hintereinander stattfand wissen wir nicht genau zu sagen, es muss aber eine für die Brautleute eher traurige Prozedur gewesen sein. Bei der Braut Ottos aber auch bei der Braut Albrechts, lebten beide Mütter schon nicht mehr, Kaiser Karl war mittlerweile in vierter Ehe mit Elisabeth von Pommern verheiratet, einer Person der nachgesagt wird, sie hätte Hufeisen verbiegen können. Bei Otto sah es noch trauriger aus. Durch den Bruch mit den Brüdern war sicherlich niemand von diesen zugegen. Seine Mutter war vor fast zehn Jahren gestorben und der Vater ohnehin schon seit nahezu 20 Jahren.


„Die Mark unter der Regentschaft Ottos“

Mit der Heirat einer Tochter des Kaisers stieg der Markgraf gesellschaftlich in die höchsten Kreise auf. Dass rein politisch die Verbindung eine enorme Stärkung der eigenen Position bedeutete, steht außer Zweifel, doch blieb eine der Hauptmotivationen hinter der Ehe eines regierenden Fürsten, für gewöhnlich der Nachwuchs. Ein männlicher Erbe war für jede Adelsdynastie von buchstäblich existenzieller Bedeutung und deswegen muss man sich fragen, weswegen Otto eine Braut akzeptierte, die in sieben Ehejahren, bis zum Tod ihres ersten Mannes, der gleichzeitig der Erstgeborene seiner Familie war, bisher  keine Kinder gebahr. Natürlich muss dies nicht an ihr gelegen haben aber immerhin hätte Otto an dieser Stelle zumindest hellhörig werden müssen. Dass er die Absichten Karls nicht deutlicher, in der ganzen Tragweite als gefährlich wahrnahm, kann nur verwundern . Glaubte er das Spiel mitspielen und am Ende womöglich siegreich für sich entscheiden zu können? Wir wissen es nicht, allenfalls haben wir eine leise Vorahnung, ein vages Bauchgefühl.

Wie bestritt Otto seine ersten Jahre an der Spitze der Markgrafschaft? Mit knappen Worten, überhaupt nicht. Fast unmittelbar nach seinem Regierungsantritt, spätestens mit seiner Hochzeit, übertrug Otto die Verwaltung an den Kaiser, der daraufhin Verwalter und Räte ins Land schickte die die Verhältnisse ordnen sollten. Otto selbst lebte in dieser Zeit fast überwiegend in Prag bei seiner Frau und am schwiegerväterlichen Hof. Seine Frau Katharina betrat bis zu ihrem Lebensende nie brandenburgisches Gebiet.

Im direkten Zugriff des Kaisers und damit ständigen, einseitigem Zureden ausgesetzt, entschied sich Otto dazu die Niederlausitz an den Schwiegervater zu verpfänden. Die Landschaft war schon zuvor den wettinischen Markgrafen von Meißen verpfändet gewesen und war den brandenburgischen Kernlanden zunehmend entfremdet worden.

Im Jahre 1368 rückte der polnische König Kasmir III. „der Große“ in das   ostbrandenburgische Grenzgebiet der nordöstlichen- und östlichen Neumark ein und besetzte Deutsch-Krone, Tempelburg im Distrikt Dramburg sowie Zantoch, Driesen und Landsberg an der Warthe. Otto setzte der Aggression keinen nennenswerten Widerstand entgegen. Auch der Kaiser tat nichts, er sorgte nur dafür dass seine schlesischen Ländereien dauerhaft vor dem Zugriff des expansiven Polenkönigs gedeckt blieben. Sollte er sich ruhig an einigen brandenburgischen Landstrichen gütlich tun und dadurch seine böhmischen Kronlande verschonen. Am Ende war er gezwungen einen Streifen Land, mit den Städten Deutsch-Krone und Tempelburg, an der Grenze zum Deutschen Orden, dem übermächtigen Polen zu überlassen. Die Verluste hielten sich noch Grenzen, zeigten aber überdeutlich welch schwache Position der junge Markfgraf von Brandenburg hatte. Die ausgebliebene Hilfe des Schwiegervaters ließ den am Prager Hof lebenden Otto langsam zu dämmern welches Spiel der Kaiser mit ihm spielte. Ein Funken der die Flamme des Zweifels, vielleicht schon der Erkenntnis entzündete, war das fortwährende Ausbleiben eigenen Nachwuchses. Otto bezichtigte jetzt ganz offen den Schwiegervater ihm bewusst eine unfruchtbare Tochter zur Braut gegeben zu haben um dadurch, auf Basis des 1663 geschlossenen Erbvertrags den noch sein Bruder ratifizierte, die Mark an die Luxemburger Familie. Ob Karl wirklich in Kenntnis oder in Unkenntnis über die Fruchtbarkeit seiner Tochter war und ob dieses Wissen eine zusätzliche Rolle spielte, kann abschliessend nicht beantwortet werden, sicher ist, Karl taktierte in der festen Absicht, die Mark an seine Familie zu bringen. Er konnte selbst nicht die Regentschaft als Markgraf antreten, da er als König von Böhmen die mit dem Land verbundene Kurstimme trug und nach der Goldenen Bulle keine zwei Kurstimmen auf einem einzigen Haupt vereint sein durften. Ohnehin hatte Karl die Markgrafschaft und die Kurstimme für seinen Sohn Wenzel vorgesehen.

Otto erschien jetzt öfter in der Mark und knüpfte Kontakte zu den Städten, die dem Kaiser teilweise mit Ressentiments gegenübertraten, vor allem die Doppelstadt Berlin-Cölln. Mit diesem Schritt suchte er sich von seinem Schwiegervater zu emanzipieren und Anhänger im eigenen Land zu gewinnen. Gegen Ende der sechsjährigen Verwaltung durch die Mannen Karls war Otto gewillt das Ruder nun selbst in die Hand zu nehmen. Karl warf nun endgültig die Maske ab und enthüllte seine Absichten.

Jetzt regte sich der Widerstandsgeist in Otto und er begann mit Rüstungen. Besonders die Städte unterstützten ihn mit Geld und Truppen und auch Teile des Adels wurden aufgeboten. Niemand hatte ein Interesse daran unter das geordnete aber strenge Regiment der Luxemburger zu geraten, deren ganzes Streben sich nun auch reichsweit abzuzeichnen begann, wenngleich noch keine Opposition erstand. Für Otto rächte sich, dass er in seinen Prager Jahren nicht früh genug den Ausgleich mit seiner Familie suchte. Ihm war dies zwischenzeitlich klar geworden und er suchte jetzt den Kontakt, vor allem zu seinem Halbbruder Herzog Stephan II., der seit dem Tod Herzog Ludwigs V.  und auch dessen Sohn Meinhard III., außer einem kleinen Landstreifen um Straubing, fast über ganz Bayern regierte. Otto machte dessen zweiten Sohn Friedrich (um 1339 – 1393), genannt „der Weise“, der nur knapp 6 Jahre jünger war als er selbst, zu seinem Erben und Nachfolger. Die Bayernherzöge sandten im Frühjahr 1371 ein Heer in die Mark. Am 17. April 1371 kündigte Otto die 1363 in Nürnberg geschlossene Erbverbrüderung mit Karl. Im Juni ließ er in Stendal ein Anklageschreiben aufsetzen in dem er die vielen Vergehen Karls gegen ihn und die Mark anprangerte. Im gleichen Monat fiel der Kaiser mit einem starken Heer, unterstützt von den Herzögen aus Pommern-Stettin, Sachsen-Lauenburg und Mecklenburg, in Brandenburg ein. Es kam jedoch zu keiner Schlacht sondern schon im Oktober zu einem eineinhalbjährigen Waffenstillstand. Hintergrund dieser überraschenden Wende war ein Bündnis Ottos und seines bayrischen Halbbruders mit König Ludwig von Ungarn und Polen. Karl, der nicht dafür bekannt war die Dinge bevorzugt mit Waffen sondern eher mit der Diplomatie zu regeln, wurde die Situation zu gefährlich.
Ganz seinem gerissenen und staatsmännischen Kalkül entsprechend, nutzte er die Waffenruhe um das Bündnis durch einen geradezu genialen, neuerlichen Hochzeitscoup zu sprengen. Er ließ für seinen zweiten Sohn Sigismund um die Hand der Tochter des Königs ersuchen, was den großen Ungarnkönig zur Abrüstung bewegte, jedoch nicht zum Bruch des Bündnisses.

Pfingsten 1373 erschien Karl mit einer großer Streitmacht erneut in Brandenburg und auch die drei Herzöge des Feldzugs von 1371 unterstützten ihn erneut. Hinzu kamen zusätzlich der Erzbischof von Magdeburg und der Markgraf von Meißen. Der Kaiser belagerte Frankfurt an der Oder, vermochte es jedoch nicht zu nehmen, dafür aber die Stadt Lebus, die er verheeren ließ und damit ein Zeichen für alle brandenburgischen Städte setzte. Pommern fiel in die Neumark ein, besetzte sie, plünderte und brandschatzte. Der Widerstand des brandenburgisch-bayrischen Heeres begann zusammenzubrechen vor der Übermacht des Gegners. Nach wenigen Wochen war der Zauber aus. Otto rettete zwar seine Ehre, indem er sich dem Aggressor nicht völlig kampflos unterwarf aber was half es?


“Fürstenwalder Vertrag“

 

Karl IV. stand vor seinem Ziel, Markgraf Otto gab den Widerstand auf, nicht nur den hoffnungslosen, militärischen Kampf, vor allem den Widerstand und Widerspruch gegen die Pläne ja gegen das nun verhängte Diktat des Kaisers. Er ersuchte den bei Fürstenwalde im Heerlager anwesenden Kaiser um Unterhandlungen. Karl empfing den Fürsten in allen Ehren, man kann ihm nicht unterstellen er hätte ihn demütigen wollen, doch gab er rücksichtslos die Friedensbedingungen vor. Er musste allerdings große Sorge tragen, den Bogen nicht zu überspannen. Seine Ambitionen waren längst offensichtlich im Reich und auch jenseits der Grenzen geworden. Er strebte eine hegemoniale Dynastie der Luxemburger an, mit dem schlussendlichen Ziel einer Erbmonarchie im Reich, getragen zu Beginn von einem schwachen, idealerweise käuflichen, mindestens aber abhängigen Kurkollegium, das zum reinen Marionettendasein herabgewürdigt würde. Für den Moment galt es den sich regenden Unmut im zu besänftigen, er konnte den entmachteten und de facto entrechteten brandenburgischen Markgrafen nicht einfach ohne eine anscheinend ausreichend  großzügige Entschädigung davonjagen.

Am 18. August 1373 kam es im Vertrag von Fürstenwalde zu einer Einigung. Karl IV. bot die enorme Geldsumme von 500.000 Gulden auf, weiter erhielt Otto im Nordgau ein kleines Refugium und auch Herzog Stephan II. von Bayern, der Halbbruder Ottos, bekam als Augenwischerei einige Reichsstädte in seinen Gebieten als Pfandbesitz. Offiziell behielt Otto bis zu seinem Lebensende den Titel eines Markgrafen von Brandenburg sowie die Kurwürde.

Karl IV. war auf dem Zenit seiner Macht und die Wittelsbacher verloren nach Tirol nun auch die Mark Brandenburg als Territorium. Schon schlossen langsam aber stetig mit den Hohenzollern und Wettiner zwei neue Häuser auf. Das eine Hause in konsequenter Anlehnung, seit Generationen, an das jeweilige Königshaus, die anderen durch territorialen und wirtschaftlichen Machtzuwachs. Spätestens mit dem Verlust der Mark traten die Wittelsbacher aus dem Spitzentrio des Reichs endgültig aus und die Habsburger und Luxemburger waren die mächtigsten Familien, mit der größten Hausmacht.

Der Vertrag von Fürstenwalde beendete nach drei Generationen und nicht ganz einem halben Jahrhundert, das Wittelsbacher Intermezzo in der Mark Brandenburg. Das von Kaiser Ludwig IV. seinerzeit Erreichte, wurde von seinen Söhnen, hauptsächlich durch ihren Partikularismus wieder zunichte gemacht.


„Ottos Wirken in Bayern und sein Tod“

Nach den Vereinbarungen Von Fürstenwalde, konnte Otto unbehelligt abziehen und nahm seine Residenz auf Burg Wolfstein bei Landshut. Seine Frau begleitete ihn nicht sondern blieb in Prag zurück, die Ehe blieb zeitlebens so unglücklich, wie sie begann.
Nach dem Tod von Herzog Stephan II. regierte Otto gemeinsam mit seinen drei Neffen das Herzogtum Bayern gemeinsam. Das Herzogtum Bayern wurde 1392 ein weiteres Mal geteilt und es entstanden mit Bayern-Landshut, Bayern-München und Bayern-Ingolstadt drei neue bayrische Herzogtümer, neben denen das ältere bayrische Teilherzogtum Straubing-Holland noch existierte.

All das erlebte Otto V. nicht mehr, er starb viele Jahre vorher, am 15. November 1379 in seiner Residenzburg Wolfstein an der Isar. Er wurde nur etwa 35 Jahre alt und starb wie schon sein Bruder noch vor der Zeit. Er fand im Zisterzienserinnenkolster Seligenthal bei Landshut seine letzte Ruhestätte.

Um auf die einleitende Frage des Kapitels einzugehen, wonach wir über seinen Namenszusatz „der Faule“ am Ende urteilen wollen, hierzu unsere Schlussgedanken.

Otto V. war eine traurig-tragische Gestalt. Spät geboren, mit zahlreichen vor ihm geborenen Geschwistern und Halbgeschwistern , die teilweise Jahrzehnte älter waren, so dass vereinzelt selbst deren Kinder älter waren, wuchs er als förmliches Anhängsel auf. Als der kaiserliche Vater starb, war Otto erst rund ein Jahr alt. Mit Tod des Vaters, verlagerten sich die Machtverhältnisse nicht nur im Reich, auch in den Wittelsbacher Landen kam es zu drastischen Veränderungen. Zunächst zog er mit seiner Mutter in deren niederländische Heimat, in die Grafschaft Hennegau, wo er die ersten Lebensjahre verbrachte. Das Gesetz sah vor, dass sein ältester Bruder Ludwig, genannt „der Römer“ sein Vormund wird. Dieser nahm seine Aufgabe mit dem notwendigen Ernst wahr, konnte wohl aber dem Kind kaum jene wichtigen sozialen Bindungen leisten, die der gesunden emotionalen Entwicklung eines Kindes zuträglich sind. Otto musste, wie überhaupt die meisten Fürstenkinder, schnell erwachsen werden. Das traf bei ihm in besonderem Maße zu, da durch vielerlei familiäre Verwicklungen und wegen der Kinderlosigkeit des im vorstehenden Bruders, bald auf ihm, als brandenburgischem Erbe, großes Augenmerk lag. Mit dem vorzeitigen Tod des Bruders, ging die letzte enge, emotionale Bezugsperson für Otto verloren, die Mutter war zuvor bereits verstorben. Er stand als noch junger Mann und jetzt regierender Markgraf von Brandenburg völlig alleine, der Kontakt zu den bayrischen und niederländischen Brüdern war zu seinem Amtsantritt unverändert unterbrochen. Der mächtige und gerissene römisch-deutsche Kaiser und gleichzeitig böhmische König Karl IV., verstand die Isolation des unerfahrenen Regenten für seine eigenen Pläne zu missbrauchen. Es existierte seit den Zerwürfnissen mit den bayrischen Verwandtschaft, eine Erbverbrüderung mit Karl und diese flankierte der Kaiser jetzt zusätzlich mit einer politisch motivierten Heirat, man möchte fast sagen Possenheirat. Otto geriet dadurch komplett unter den Einfluss Karls, lebte auch die allermeiste Zeit am Hof in Prag und überließ, vertraglich fixiert, in den ersten sechs Jahren die Verwaltung der Mark ganz den bestellten Verwaltern des Kaisers. Spät, zu spät durchschaute Otto das falsche Spiel, bäumte sich dagegen auf, auch militärisch, musste aber bald einsehen, dass Widerstand zwecklos war. Im Vertrag von Fürstenwalde ließ er sich finanziell und mit bescheidenen Landzuweisungen im Nordgau abfinden und trat die Mark Brandenburg auf alle Zeiten an den Luxemburger ab. In den bayrischen Landen waren ihm noch einige wenige, unbeschwerte Jahre vergönnt. Seine Frau blieb ihm auch hier fern und lebte weiterhin in Prag. Einer Anekdote nach hatte Otto ein Liebesverhältnis mit einer Müllerin. Vielleicht war ihm mit diesem Menschen doch noch so etwas wie echte menschliche Zuneigung vergönnt, wir wissen es nicht.

Otto war von frühesten Kindesbeinen an ein entwurzelter Mensch über den von oben verfügt wurde. Eigene Entschlusskraft konnte er im Schatten seiner deutlich älteren Brüder und einer resoluten Mutter zu deren Lebzeiten kaum entwickeln. Nachdem Otto durch das schrittweise Wegsterben in Brandenburg zur Regentschaft kam, übernahm nahtlos der kaiserliche Schwiegervater, Karl IV. die Rolle des Bevormunders. Der noch unerfahrene Otto war diesem in nahezu allen Belangen unterlegen und Karl nutzte sein Überlegenheit skrupellos für die eigenen Zwecke und sein langfristig angelegte Territorialpolitik aus.

Otto war kein Lethargiker im eigentlichen Sinne, er gab sich in seinen jungen Jahren weder dem exzessivem Luxus noch nachweislichem Müßiggang hin, hierzu fehlten in der Zeit der Mark alle notwendigen finanziellen Mittel und auch am Prager Hofe, kam ihm wohl kaum mehr materielle Zuwendung zu als es gebührend war. Otto war ein entscheidungsarmer Mensch, jemand der es erst zu lernen hatte Entscheidungen zu treffen und Initiativen zu ergreifen. Was man über Otto mit Bestimmtheit sagen kann, er war ein einsamer Mensch, vom gängigen Schicksal eines spät in eine kinder- und damit erbenreichen Familie geborenen Fürstenkindes in besonderem Maße geprägt ohne die Kraft zu besitzen aus eigenem Antrieb einen formenden Einfluss zu nehmen. Mit dem Zusatz „der Faule“ belegt ihn die Geschichtsschreibung mit einem in dieser Schärfe unangebrachten Namensmakel, tut ihm dadurch unrecht und rückt ihn in ein tendenziöses Licht.

Otto V. “der Einsame“, war der letzte Wittelsbacher Markgraf in Brandenburg. Ein weiteres mal wird die Mark Brandenburg zum Spielball eines Kaisers.


 

Buch 2, Kapitel V: „Die Goldene Bulle“

Das Wahlkönigtum war die etablierte Herrschaftsform im Heiligen Römischen Reich. Dass seine Häupter gewählt wurden, reichte zwischenzeitlich fast 450 Jahre, bis auf den Franken Konrad I. (881 – 918) zurück. Er wurde nach dem Tod des letzten ostfränkischen Karolingers, Ludwig „dem Kind“ (893 – 911), im Jahre 911 von den germanischen Stammesherzögen zum König gewählt. Statt eines Karolingers aus dem Westfrankenreich, wählten sie mit Konrad einen Fürsten aus ihrer Mitte.
Auf ihn folgte 919 der Sachse Heinrich I., volkstümlich „der Vogler“ genannt. Mit seinem Tod endete das schon längst im Siechtum befindliche ostfränkische Reich endgültig. Heinrich und auch schon dessen Vorgänger Konrad, bildeten bereits die Brücke vom sterbenden fränkischen Reich, zu einem neuen Staatenkonstrukt. Der Sohn und Nachfolger Otto I. „der Große“, gilt als Begründer dieses, aus den Trümmern des ostfränkischen Reichs keimenden neuen Staats. Das „Regnum Teutonicum“, das Reich der Deutschen begann sich sachte zu formen. Mit „deutsch“, „Deutschland“ oder „Deutsches Reich“ muss an der Stelle höchst sorgsam umgegangen werden, keinesfalls sind darunter nationalstaatliche Aspekte oder moderne Staatsformen zu verstehen und selbst von einem deutschen Volk kann zu diesem frühen Zeitpunkt nur begrenzt gesprochen werden. Mit der Erlangung der Eisernen Krone der Lombardei, inkorporierte er das „Regnum Italicum“ 951 in sein Herrschaftsgebiet, womit der Reichsgedanke weiteren Auftrieb erhielt. Der Staufer Friedrich Barbarossa gab im Streit mit dem Papst, dem sich unter den Saliern zur vollen Blüte entfalteten Reich 1157 das Prädikat „sacrum“ oder „heilig“ und im Jahre 1254 erscheint dann erstmals die Bezeichnung „Heiliges Römisches Reich“ in einer Urkunde und gab dem Reich bis zu seiner Auflösung seinen Namen, der Ende des 15. Jahrhunderts um den Zusatz „Deutscher Nation“ erweitert wurde.

Die Entstehung des „Sacrum Imperium Romanum“ war auf kein singuläres Ereignis zurückzuführen oder auf eine einzelne und spezifische Amtshandlung zu reduzieren. Es war ein dauernder Gärprozess, beeinflusst von vielen wechselwirkenden Ereignissen. Zum wachsenden Reichsgebäude gehörten kleine wie große Bausteine. Einer dieser vermeintlich kleineren war die Wahl Konrads, größere wie die Wahl Heinrichs I. folgten und ganz wesentliche und tragende Elemente, wie die Wahl Ottos I. und die Schlacht auf dem Lechfeld vom 10. August 955 gaben dem Haus eine erkennbare Gestalt. Mit dem Sieg Ottos auf dem Lechfeld endeten für alle Zeiten die jährlichen Ungarnüberfälle und das sich jetzt herausbildende Reich nahm ernsthafte Formen an und begann sich zu setzen. Dem siegreichen König bescherte der Sieg das notwendige Prestige um sich über seine inneren Konkurrenten, den herzöglichen Mittelgewalten in den germanisch-deutschen Stammesgebieten, dauerhaft zu erheben und das Königtum im sich konstituierenden neuen Reich zu zementieren. Die auf die Ottonen folgenden Salier sahen das Reich in der Blüte und unter den Staufern entfaltete es seine größte Pracht und Machtvollkommenheit, wenn es auch wiederholt zu großen Konflikten kam, allen voran und immer wieder mit dem Papsttum.

Noch war die Kaiserkrone mit der Königswahl nicht automatisch verknüpft. In zahlreichen Italienzügen waren römisch-deutsche Könige bislang über die Alpen in die Ewige Stadt gezogen, um durch Diplomatie, oft jedoch unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, die höchste weltliche Krone der Christenheit zu erlangen. Manchem gelang es überhaupt nicht. Gut ein halbes Jahrtausend sollte vergehen, bis die Wahl des Königs gleichsam die Wahl des Kaisers bedeutete.

 

War es von jeher das Bestreben der Reichshäupter ihr Königtum auf einen ihrer Nachkommen, vorzugsweise auf einen der eigenen Söhne zu vererben, gelang dies vor allem in der Anfangsepoche. In der hochmittelalterlichen Zeit glückte es zuerst der reichsstiftenden Dynastie der Luodolfinger, besser als Ottonen bekannt. Unter ihnen kamen mit Heinrich I. (876 – 936), Otto I. (912 – 973), Otto II. (955 – 983) und Otto III. (980 – 1002), vier Generationen hintereinander auf den Thron. Selbst Heinrich II. (973 – 1024) gehörte noch den Luodolfingern an, wenn auch bereits aus einer Nebenlinie. Auch den unmittelbar nachfolgenden Saliern gelang es unter den Großen des Reichs genügend Autorität zu entwickeln, um mit deren Stimmen die Krone an die eigene Dynastie zu binden. Konrad II. (990 – 1039), Heinrich III. (1016 – 1056), Heinrich IV. (1050 – 1106) und Heinrich V. (1081 – 1125), wurden nacheinander von den Fürsten, oft schon im Knabenalter und zu Lebzeiten des alten Hauptes, als Mitregenten auf den Thron gewählt. Mit dem Tod Heinrich V. erloschen auch die Salier im Mannesstamme. Es folgte mit Lothar III. (1075 – 1137) erstmals ein Monarch, der ohne einen Nachfolger aus der eigenen Sippe verschied. Er versuchte zwar seinen Schwiegersohn, den Welfen Heinrich den Stolzen in Positur zu setzen, doch wurde dessen Wahl unter anderem vom nachmaligen ersten Markgrafen von Brandenburg, Albrecht dem Bären, hintertrieben.

Bei den Staufern, der dritten großen Dynastie der Anfangsepoche, kam es schon zu Sprüngen und Unterbrechungen in der Erbfolge. Auf den ersten Staufer, Konrad III. (1092 – 1153), folgte der Neffe Friedrich I. „Barbarossa“ (1122 – 1190), diesem sein Sohn Heinrich VI. (1165 – 1197), wobei die Stauferlinie, mit dessen baldigem Tod, durch den Welfen Otto IV. (1175 – 1218) vorerst unterbrochen wurde. Wir lassen die Episode um Philipp von Schwaben (1177 – 1208) an dieser Stelle unerwähnt. Nach Otto wurde mit Friedrich II. (1194 – 1250) wieder ein Staufer zum Haupte des Reichs gekürt. Er war Sohn Heinrichs VI. und Enkel Friedrich I. „Barbarossa“. Als Friedrich II. im Jahr 1250 starb, beerbte ihn Sohn Konrad IV. (1228 – 1254) als letzter Staufer auf dem Thron. Auch er, wie schon der Großvater, regierte bis zu seinem frühen Tode, nur wenige Jahre. Für die nächsten Generationen kürten die wahlberechtigten Fürsten des Reichs nun stetig wechselnde Kandidaten.
Mit dem Ende der Staufer brach über das Reich eine Periode der machtpolitischen Rezession herein. In den Jahrzehnten des Reichsinterregnums wurden zwar Häupter gekürt, doch zeichnete sich zu dieser Zeit, am Anfang des Spätmittelalters, eine spürbare Veränderung des Herrschaftsgefüges ab. Man kann es nicht Reform nennen, denn es fehlte die Programmatik und der zielgerichtete Wille zur Veränderung. Es muss mehr als eine Art Evolution, hervorgerufen durch wechselwirkende Geschehnisse verstanden werden. Der Mangel an königlicher Autorität während der Zeit des Interregnums, korrekt ist der Begriff im Grunde nicht, drückt aber das eigentliche Dilemma sehr gut aus, kein Königtum, trotz Königführte zur rapiden Autonomisierung unter den großen Reichsfürsten.

Äußere wie innere Krisen schüttelten das Reich immer wieder. Der unter den Saliern auf- und abschwellende Streit mit dem Heiligen Stuhl gipfelte unter dem Staufer Friedrich II. in einem totalen Bruch mit dem Papst. Hieraus entstehende Parteiungen zwischen Ghibellinen und Guelfen, förderten bereits vorhandene Unabhängigkeitsströmungen in weiten Teilen Reichsitaliens. Das Fehlen einer starken Zentralmacht, überhaupt der Mangel königlicher- oder kaiserlicher Macht, brachte das Reich in eine gefährliche Position der äußeren Ohnmacht und inneren Schwäche. Der Universalanspruch des Kaisers, als weltliches Oberhaupt der Christenheit, verblasste in der nachstauferschen Zeit zusehends.

Mit der Wahl des bislang eher unbedeutenden süddeutschen Grafen Rudolf von Habsburg ging das Interregnum zu Ende und der fortschreitende Zersetzungsprozess wurde einstweilen gestoppt. Er erwies sich, sicher zur Überraschung der Wahlfürsten, als ein ambitionierter, durchsetzungsstarker und auf dem Schlachtfeld erfolgreicher Monarch, der nicht zum willfährigen Instrument der Kurfürsten wurde, womit speziell die rheinischen Erzbischöfe gemeint waren. Auch erwies er sich als deutlich langlebiger als zum Zeitpunkt seiner Wahl angenommen werden konnte, immerhin war er seinerzeit längst in fortgeschrittenerem Alter. Mit seiner Wahl trat ein Makel akut zu Tage, der sich auf die Dauer noch destruktiver auswirkte, als selbst die Zeit des Interregnums. Es erschienen jetzt regelmäßig Thronprätendenten, so dass das Reich immer wieder vor oder zu Beginn eines Herrscherwechsels, mal mehr, mal weniger, in einen Zustand des latenten oder offenen Bürgerkriegs versank. Neu war das Phänomen freilich nicht. Wir wollen nicht unterschlagen, dass schon Otto I. über viele Jahre seinen Machtanspruch im erst entstehenden Reich mit Waffengewalt durchsetzen musste. Auch der Salier Heinrich IV., selbst Friedrich II., im Kampf gegen den eigenen Sohn aus erster Ehe, mussten ihren Machtanspruch verteidigen oder überhaupt erst durchsetzen, wie im Falle Ottos. Zuletzt der lange Streit während des staufischen, vielmehr nichtstaufischen Zwischeninterregnums, als der Welfe Otto von Braunschweig, der spätere Kaiser Otto IV., mit dem am Ende ermordeten Staufer Philipp von Schwaben, um die Krone rang.

Mit der Wahl Rudolfs von Habsburg flammte unmittelbar die Rivalität zum böhmischen Přemyslidenkönig Ottokar II. auf, der seinerseits die Reichskrone für sich in Anspruch nahm. Der Kampf beider Parteien erreichte ein existenziell gefährliches Ausmaß, das erst mit Ottokars Tod auf dem Schlachtfeld ein Ende fand. Nach dem Tod König Rudolfs, führten zukünftige Wahlen wegen Partikularismen unter den Wahlfürsten, zu unterschiedlichen Parteien und zu mehr als einem gewählten König, woraus wieder neue Kämpfe um die Herrschaft im Reich resultierten. Erwähnt seien die tragischen Konflikte zwischen Adolf von Nassau und Albrecht von Habsburg oder dem Wittelsbacher Ludwig „dem Bayern“ und dem Habsburger Friedrich, genannt „der Schöne“. All diese Konflikte fanden, wie schon zwischen Rudolf und Ottokar, erst in blutigen Schlachten, denen nicht selten langjährige Kriege mit schweren Verwüstungen der jeweiligen Landschaften des Kriegsgegners vorausgingen, ihre Entscheidung. Das Reich war während und oft geraume Zeit danach, im Inneren wie nach außen gelähmt. Zu den Parteiungen im deutschen Reichsteil und den Unabhängigkeitsbestrebungen in Oberitalien, gesellte sich im norddeutschen Raum eine zunehmende Teilnahmslosigkeit und wachsende Entfremdung gegenüber dem Königtum.

An vielen der Zustände trugen die Großen des Reichs, gemeint sind die Wahlfürsten, die Hauptverantwortung. Seit Generationen hatte sich aus dem ursprünglichen Wahlrecht aller Vornehmen und Freien, ein gewohnheitsmäßiges Wahlrecht nur noch weniger, ganz konkret von nur noch sieben prominenten Reichsfürsten entwickelt. Dass es dazu kommen konnte, hatte wesentlich rein ökonomische Gründe. Dauerhaft war es den Kleinadligen oder den Freien, damit sind Bauern die keinem Lehnsherren unterstanden oder städtisches Bürgertum gemeint, wirtschaftlich kaum möglich zu den großen Hoftagen in regelmäßiger Folge zu erscheinen. Es zeigte sich bald, dass eine kleiner und kleiner werdende Gruppe von Adelsfamilien regelmäßiger als andere teilnehmen konnten. Besonders profitierten davon die rheinischen Fürsten, und Erzbischöfe, die geografisch den Reichsmetropolen am nächsten wohnten. Sie und einige wenige andere, verstanden geschickt ihre ureigenen Interessen nach Kräften zu thematisieren und im Laufe der Zeit stellenweise durchzusetzen. Die Kluft im Machtgefüge zwischen Ihnen und dem Rest des Reichs wurde größer. Bald konnten sie ihre Stellung auf Grundlage von Gewohnheitsrechten zum unbestrittenen Vorrecht ausbauen. Schon während des Interregnums war Zahl und Zusammensetzung soweit gefestigt dass allenfalls noch ein einzelner Platz vakant war und der eine kurze Weile zwischen Bayern und Böhmen strittig blieb. Spätestens seit der Regentschaft Kaiser Ludwigs IV. traten diese Fürsten in offener und selbstbewusster Weise als die eigentlichen Wahrer der Reichsinteressen auf und sahen im Reichsoberhaupt kaum mehr als das Repräsentationsinstrument des Reichs aber nicht mehr dessen eigentliche Gewalt. Dem Papst sprachen sie jedes Recht auf Einflussnahme in die inneren Angelegenheiten, besonders in Bezug auf die Königswahl ab. Weil das Reich über keinerlei zentrale Exekutionskräfte und noch weniger über ein Reichsheer verfügte, hierzu auch weder die Mittel vorhanden waren, noch die notwendigen Strukturen bestanden, blieb es ein frommer Wunsch, waren doch die Kurfürsten selbst weder gewillt noch in der Lage, militärisch die außenpolitischen Interessen des Reichs im Bedarfsfall durchzusetzen.

Die Strategie der Kurfürsten, zur Wahrung der eigenen Machtstellung bei Wahlen bewusst auf Fürsten mit geringer Hausmacht zurückzugreifen, worauf eine Serie sogenannter Grafenkönige gekürt wurden, erwies sich als ein gefährliches Spiel und war nur zu gut geeignet, die weitere Schwächung und Unterhöhlung des Reichskörpers zu fördern. Jedoch traten unter den Gewählten einige ambitionierte wie befähigte Monarchen hervor. Wie geschildert, vermochte Rudolf I. von Habsburg der weiteren Erodierung von Reichslanden, besonders im Westen, Einhalt zu gebieten und gleichzeitig im Inneren verlorene Reichsgüter wieder an die Krone zu bringen. Dem Luxemburger Heinrich VII. gelang es darüber hinaus, übrigens erstmals seit vielen Generationen wieder, genau genommen seit dem Welfen Otto IV., die Kaiserwürde zu erlangen. Die Wahl des Wittelsbachers Ludwig IV. fällt schwer einzuordnen. Während ein Teil der Wahlfürsten der alten Strategie folgte, erkannten andere in dem den Zerfall fördernden Modus die Ursache der Reichsschwäche und strebten die Wahl eines starken Monarchen an, zumal eines Hauptes der den bedeutend gewordenen Häusern Habsburg und Luxemburg ein Gegengewicht sein konnte. Interessanterweise wurde Ludwig gewählt, weil er von den einen als ausreichend schwach, von den anderen als ausreichend stark betrachtet wurde. Vielleicht stellt die Wahl des Wittelsbachers schon einen neuerlichen, zaghaften Paradigmenwechsel in der bisherigen Wahlpolitik dar und leitete damit eine neue Epoche ein. Unter Kaiser Ludwig wurden die schriftliche Dokumentation administrativer Aktivitäten des Reichs in erheblichem Maße gesteigert. Dem Schriftwesen wurde jetzt stark vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt.

Zum Ende der Regenschaft Ludwigs formierte sich, stark betrieben vom Papst, eine Opposition rund um den Luxemburger Karl, dem ältesten Sohn des illustren Königs Johann von Böhmen. Doch nicht nur politisch sondern ganz allgemein zeichnete sich seit Anfang des 14. Jahrhunderts eine grundsätzliche Zeitenwende ab. Klimatische Veränderungen, mit äußerst starken, oft über Wochen, vereinzelt sogar über Monate anhaltende Regenfälle, ruinierten die Ernten und Böden. Überregionale Hungersnöte traten gehäuft in  Europa auf. Gab es bessere Jahre, folgten im kommenden, spätestens im übernächsten Jahr noch schlimmere Bedingungen als die bereits erlebten. Eine Teuerung der Getreidepreise führte zu einer zuerst schleichenden, bald rascher werdenden Verarmung auf dem Land. Eine steigende Anzahl freier Bauern geriet in wirtschaftliche Abhängigkeit örtlicher Feudalherren oder sogar in die Leibeigenschaft, so dass der freie Bauernstand fast verschwand. Beim Tod des alten Kaisers, dauerten diese Zustände schon mehrere Jahrzehnte an. Der schwunghaft florierende Handel, in Nordeuropa dominiert von der Hanse und in Italien von den Venezianern und Genuesen, konnte einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Rezession kraftvoll gegensteuern ohne aber die dramatische Wohlstandsverschiebung  zu verhindern. Waren die Städte bereits zuvor durch ihre Handwerks-, Handels- und Marktprivilegien, dem platten Land ökonomisch entschieden überlegen, führte der zusätzliche Geldstrom aus den Handelsgeschäften, zu einer kritischen Schieflage, die nicht nur schwere makroökonomische Verwerfungen mit sich brachte, sondern auch weitreichende politische Implikationen. Das sich schnell verschlechternde Verhältnis vieler nach Autonomie strebenden Städte zu umliegenden Territorialfürsten, ließ zahlreiche Städtebünde entstehen. Als Gegenreaktion fassten sich die Lokalfürsten in entsprechenden Fürstenbünden zusammen.

Auf die oben erwähnte, mittelalterliche Sintflut, folgte die Pest. Hungerperioden und Verarmung auf dem Land folgte jetzt der millionenfache Tod, ganz besonders drastisch in den Städten. Bald nachdem Karl im Reich, nach dem Tod Kaiser Ludwigs, unangefochten regierte, brach das im letzten Kapitel beschriebene Jahrtausendereignis herein. Der Schwarze Tod wurde nach Europa eingeschleppt und warf für mehrere Jahre das Gefüge des Kontinents von Grund auf durcheinander. Die Menschen glaubten fest an den bevorstehenden Untergang der Welt. Die mittelalterliche Gesellschaft begann sich aufzulösen, Handwerk und Handel drohten völlig zu kollabieren.

Als die Pest 1350/51 endlich abklang und in den Folgejahren eine Rückkehr, trotz aller Widrigkeiten, in ein normales Leben gelang, wuchs bei den Menschen auch schnell wieder die Zuversicht. Der Verlust so vieler Menschenleben, der sich nicht zuletzt auf den Arbeitsmarkt auswirkte, ermöglichte es manchen aus der Gruppe der in den Hungerjahrzehnten Verarmten, den Weg zurück in ein wirtschaftlich besseres Leben. In dieser allgemeinen Aufbruchstimmung, gelang es Karl IV. Reformen auf den Weg zu bringen ohne bei den bisherigen Gegnern einer Stärkung der Zentralmacht, im wesentlichen sind die Kurfürsten damit gemeint, auf unüberwindliche Hindernisse zu stoßen. Gestützt wurden seine Pläne durch eine in Böhmen, das von der Pest weitestgehend verschont blieb, stabilen Lage, was ihm den notwendigen wirtschaftlichen, mehr noch aber politischen Rückhalt gab. Seine vorteilhaften Beziehungen zur Kurie und zum französischen Hof, erlaubten ihm das Reich nach außen abzusichern, wenngleich er hierzu umfangreiche Privilegien im Westen zu Gunsten der französischen Krone und Burgunds aufgab und auch in Reichsitalien seine Ambitionen zügelte. Die bereits unter dem verblichenen Kaiser Ludwig stark betriebene schriftliche Dokumentation der Reichsgeschäfte, steigerte sich unter Karls Regentschaft nochmals erheblich und nahm jetzt regelmäßige Formen an.

Im Januar 1356, nachdem Karl im Februar des Vorjahres in Mailand die Eiserne Krone der Langobarten erlangte und damit symbolisch König von Italiens und zu Ostern, am 5. April des selben Jahres, in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, verkündete er beim ersten kaiserlichen Hoftag zu Nürnberg jenes Verfassungswerk, das zum bedeutsamsten des römisch-deutschen Mittelalters wurde und als solches, das wichtigstes Grundgesetz des Heiligen Römischen Reichs repräsentiert.

Zu seinen Lebzeiten von ihm selbst „unser kaiserliches Gesetzbuch“ genannt, wurde es in späteren Zeiten, erstmals im Jahre 1400, als die „Goldene Bulle“ bekannt. Ein in Urkundenform gehaltenes Gesetzbuch, in lateinischer Sprache, gültig für alle Reichsteile. Die spätere Bezeichnung leitete sich aus dem prägnanten, in Gold gehaltenen Prachtsiegel (Bulle) ab.

Wachsbullen wie auch die seltenere Goldbulle

Üblicherweise wurden Urkunden mit einem Wachsiegel versehen. Für wichtigere Dokumente griff man auf Metallsiegel aus Blei zurück. Nur bei den allerwichtigsten Urkunden wurde Gold verwendet, womit man der feierlichen Wichtigkeit besonderer Ausdruck verlieh, die den Auftraggeber aber auch eine entsprechende Summe kostete, weswegen Variante selten blieb.


Vorgeschichte

Die Goldene Bulle, auf die Inhalte gehen wir später detailliert ein, war keine revolutionäre Neuerung. In ihr kamen kaum neue Gesetze zum Ausdruck. Vielmehr finden wir die meisten Gebote in gleicher oder ähnlicher Weise in bereits existierenden schriftlichen Gesetzeswerken des Reichs. Die hierbei bekanntesten waren der Sachsen- sowie Schwabenspiegel. In ihnen war altüberliefertes, rechtliches Brauchtum sowie kanonisches- und römisches Recht kodifiziert. Die „Bulla Aurea“, die Goldene Bulle war in seiner Form, Umfang und Inhalt erstmals unmittelbar vom kaiserlichen Hof, in enger Abstimmung mit den Kurfürsten verfasst und publiziert worden, womit ihr Inhalt einen hochoffiziellen, für das ganze Reich gültigen Charakter erhielt. Es mag dies heute wundern, warum das Oberhaupt des Reiches hinsichtlich der Gesetzgebung bisher so wenig Einfluss nahm. Es entsprach nicht der herkömmlichen Auffassung dass der Kaiser neue Gesetze erließ. Des Hauptes Aufgabe bestand   vielmehr darin, die von alters her gebräuchlichen und über die Jahrhunderte sich verfeinernden Regeln als Schirmherr des Reichs zu bewahren und die Einhaltung zu überwachen.

Das wesentliche Hauptaugenmerk der Goldene Bulle lag auf der ausführlichen Festlegung der Wahlhandlung zum römisch-deutschen Königs, sowie in der Festsetzung der besonderen Rechte und Pflichten der Kurfürsten. Daneben waren weitere Teilaspekte beinhaltet. Sie darf nicht als ein allumfassendes Rechtswerk gesehen werden, wohl aber in seiner gegebenen Form als Blaupause für zukünftige Erweiterungen.

Vorderseite der Goldbulle.
Zu sehen, Kaiser Karl IV.,
zur Rechten der Reichsadler,
zur Linken der böhmische Löwe
als Symbole seiner kaiserlichen
und königlichen Gewalt

Der amtierende Kaiser bezweckte vor allem dem Unwesen, rund um bislang entstandene Verwicklungen im Rahmen eines Thronwechsels, ein Ende zu setzen. Die Zeit um eine Königswahl, besonders die unmittelbare Zeit danach, führte wieder und wieder zu Kriegen unter den Thronkontrahenten. Zahlreiche Beispiele der Vergangenheit, bewiesen, dass ausgebrochene Thronstreitigkeiten die Reichspolitik auf Jahre lähmten und dem Zerfall des Reichs nach außen wie innen Vorschub leisteten. Dem französischen Druck auf seine Westgrenzen vermochte es in diesen Zeiten ebenso wenig zu begegnen, wie dem schleichenden Abfall Reichsitaliens oder Burgunds. Wenn das Reich in seiner Ausdehnung und seinem Einfluss tatsächlich nicht noch mehr beschnitten wurde, war das weniger auf die eigene Reststärke und mehr auf spezifische Faktoren bei den Konkurrenten zurückzuführen. So war Frankreich in seinem Krieg gegen England seit gut 20 Jahren, mit einzelnen Unterbrechungen, mehr oder weniger selbst gelähmt. Die oberitalienischen Separatisten blockierten und stachen sich untereinander aus, so dass ein echter Abfall bislang nicht erfolgte. Neben diesen beklagenswerten Verhältnissen, gab es darüber hinaus zusätzliche Entfremdungen uralter Reichsgebiete, darunter in zunehmendem Maße die Regionen der heutigen Schweiz. Der Mangel einer allgemein anerkannten Zentralgewalt öffnete dem territorialen Abfall an den Rändern des Reichs Tür und Tor.

Eine innere Reform war dringend erforderlich geworden um durch Stärkung des Königtums, die Stärkung des Reichs als Ganzes zu bewirken. Karls Vorstoß war nicht das Ergebnis einer kühnen Vision eines erstmals vorausschauenden Kaisers, denn schon verschiedene Vorgänger strebten immer wieder ein renovatio imperii, eine Restauration oder Reform des Reichs an. Die Ambitionen seines Großvaters, Kaiser Heinrich VII., der in besonderem den italienischen Verhältnissen seine verstärkte Aufmerksamkeit schenkte, mag als Beispiel der jüngeren Vergangenheit genügen. Es standen bisher durchgreifenden Reformen stets Widrigkeiten hemmend entgegen, so dass reformatorische Teilfortschritte nicht mit dem Abbröckeln imperialer Macht Schritt halten konnten.

Die Strategie Karls IV. fußte wesentlich auf Konfrontationsvermeidung. Im Gegensatz zu seinem das Ritterliche und die persönliche Ehre als obersten Grundsatz in den Vordergrund stellenden Vater, war Karl, man ist geneigt zu sagen, mehr ein Realpolitiker. Freilich ist der Vergleich für die Zeit unpassend, drückt allerdings wesentliche Charakterzüge Karls recht gut aus. Zur Erreichung gesteckter Ziele, ging er selten den geraden, offenen und direkten Weg, sondern er bediente sich diplomatischer Winkelzüge vielfältiger Natur um das Angestrebte zu erreichen. Sein unter den Zeitgenossen zu wohlgefällig empfundenes Verhältnis gegenüber Papst und Kirche, gab ihm noch zu Lebzeiten den Ruf eines „Pfaffenkönigs“. Nach dem völlig zerrütteten Verhältnis Kaiser Ludwigs zum Heiligen Stuhl, das eine mittlerweile fast schon lange kaiserliche Tradition darstellte, wirkten die veränderten Beziehungen zur Kurie als scharfer Kontrast, war doch die langläufige Wahrnehmung im Reich und nicht nur dort, dass das geistige Oberhaupt der Christenheit, der Papst und das weltliche Oberhaupt, der Kaiser, per Definition Antipoden sein mussten. Der durch Zugeständnisse im Westen erkaufte Friede mit Frankreich und die defacto Entlassung Burgunds in die Reichsunabhängigkeit, trübte zunächst das Prestige des Monarchen, verschaffte aber die benötigte Atempause um die für das Reich geplanten Reformen auf den Weg zu bringen ohne durch äußere Bedrohungen von seinem Vorhaben abgelenkt zu werden. Die beiden großen Dynastien und Mitbewerber um die Macht, die Habsburger und sogar die verfeindeten Wittelsbacher, vermochte Karl zu neutralisieren. Alles zielte darauf ab eine innenpolitische Konsolidierung des deutschen Reichsteils, im Verband mit Böhmen, den Erblanden Karls, zu erzielen. Zur Not unter Vernachlässigung der außerdeutschen Gebiete.

Die Zeichen dazu standen gut. Es erwies sich, dass erstmals seit langer Zeit, die Kurfürsten in dieser Angelegenheit eng mit dem amtierenden Reichsoberhaupt kooperierten. Wesentlich hatte bei dieser Kursänderung der mittlerweile verstorbene Onkel Karls, der ehemalige Erzbischof Balduin von Trier einen Anteil. Erzbischof Balduin übte während seiner langen Amtszeit einen starken Einfluss auf das Kurfürstenkollegium aus und betrieb intensive Reichspolitik. Die klare Abgrenzung des Reichs als ein vom Papsttum unabhängiges Konstrukt war wesentlicher Inhalt seiner Politik und gipfelte im Rhenser Kurverein von Juli 1338. Sein Parteiwechsel von der Seite des alternden Kaisers Ludwig zu seinem Neffen Karl, brachte seinerzeit die Ereignisse ins Rollen die zur Wahl Karls zum Gegenkönig führte. Der unerwartete Tod des Kaisers bewahrte das Reich vor einem neuerlichen dynastischen Krieg.

Im Dezember 1355 begannen die Verhandlungen mit den Kurfürsten in Nürnberg, wohin der Kaiser zum Hoftag geladen hatte. Das erklärte Ziel des frisch gekrönten Kaisers war die Kodifizierung des Wahlaktes. Es galt für die Zukunft den Auswüchsen im Zuge der Königswahlen entschieden einen Riegel vorzuschieben. Die vorerwähnten Thronfolgekriege mussten durch ein eindeutiges Wahlstatut, das Doppelwahlen vermied und den Konsens im Wahlkollegium förderte, ausgeschlossen werden. Das Werk hatte zwei große Hauptteile die in „Nürnberger Gesetzbuch“ und „Metzer Gesetzbuch“ unterschieden werden.


Das Nürnberger Gesetzbuch

Am 10. Januar 1356 wurde das 23 Kapitel umfassende „Nürnberger Gesetzbuch“ proklamiert. Die Kurfürsten und der Kaiser unterhandelten in Nürnberg nicht, wie man vielleicht erwartet hätte, in der Reichsburg, auch nicht in der vorgelagerten „Grafenburg“ des Nürnberger Burggrafen Johann II. von Hohenzollern, der als kaiserlicher Hofmeister dem Nürnberger Hoftag vorstand, sondern im Gasthof „Zum güldenen Schild“. Es mag dies ein Indiz sein, dass die Lebensqualität auf der äußerlich imposanten Burganlage, nicht mehr den gewohnten Standards der prominenten Fürsten und des Kaisers entsprachen. Von den Nürnberger Burggrafen war bekannt, dass sie selbst die eigene Grafenburg zunehmend selten selbst bewohnten, meist außerhalb der Stadt lebten und nach Erwerb der Cadolzburg nach dorthin ihre Residenz verlegten.

Das Nürnberger Gesetz, jener erste Teil der Goldenen Bulle, regelte in detaillierter Weise das Wahlverfahren, daneben die besonderen Rechte der Kurfürsten. Ein wichtiger Punkt war die Unteilbarkeit der Kurfürstentümer. Ein nur für die weltlichen Kurfürsten relevanter Passus, mit dem die Primogenitur in Böhmen, Kurpfalz, Sachsen und Brandenburg verfassungsmäßig festgesetzt wurde und damit dem typischerweise im Reich angewandten fränkischen Erbrecht erstmalig eine offizielle Absage erteilte, zumindest hinsichtlich der kurfürstlichen Kernlande, nicht aber bezüglich sonstigem Alodialbesitz der Kurfürsten. Rechtsnachfolger war stets der erstgeborene, männliche Nachfolger des dahingeschiedenen Amtsträgers. Ihm wurde die Kurwürde und das mit der Kur verknüpfte Herrschaftsgebiet zuteil, samt der mit der Kur verbundenen, besonderen Regalien, wie das Münz-, Zoll- oder Gerichtswesen. Hinsichtlich der Regalien verfügten die Kurfürsten ohnehin schon lange über weitreichende Rechte, so zum Beispiel das Recht Flusszölle zu erheben oder eigene Münzen zu schlagen und auch in ihren Landen als oberster Gerichtsherr zu wirken. Mit den Bestimmungen der Goldenen Bulle wurden ihnen diese Regalien kraft ihres besonderen Fürstenstandes erstmals als allgemeines, kaiserlich verbrieftes Grundrecht zuerkannt, das automatisch an ihr kurfürstliches Territorium gebunden war. Hier fiel ein entscheidendes Stichwort. Das Kurrecht war gebunden an ein Reichsterritorium und nicht an ein Fürstenhaus per se. Die regierende Fürstenfamilie war selbstverständlich das ausführende Organ. Hierin findet sich die Erklärung, weswegen die bayrischen Wittelsbacher, trotz der 1329 im Hausvertrag von Pavia, festgelegten wechselseitigen Ausübung des Kurrechts, zwischen der älteren Pfälzer Linie und der jüngeren bayrischen Linie, in der Goldenen Bulle nicht berücksichtigt wurden. Das Kurrecht war schon zuvor, durch Gewohnheitsrecht, an die Pfalzgrafschaft zu Rhein gebunden gewesen. Wir müssen an der Stelle transparent sein. Es lag unter keinen Umständen im Interesse des amtierenden Kaisers, dass sein großer Rivale, der erstgeborene Sohn des dahingeschiedenen alten Kaisers, Ludwig V., Herzog von Oberbayern und Graf von Tirol, das wechselseitige Kurrecht gemäß dem Wittelsbacher Hausvertrag von Pavia erlangte. Dass es den Wittelsbacher Vettern der pfälzischen Linie am Rhein ungeteilt zukam, entsprach den persönlichen Wünschen und politischen Kalkül des Kaisers.

Für Herzog Ludwig V., vormals Markgraf Ludwig I. von Brandenburg, sollte es nicht bei dieser einen diplomatischen Schlappe bleiben. Ein gleichartiger Fall, ausgetragen dieses Mal zwischen ihm und seinem Halbbruder, Ludwig II. „der Römer“, ging um die brandenburgische Kurstimme. Erstgenannter wollte trotz der im Luckauer Vertrag besiegelten Aufgabe der Markgrafschaft Brandenburg, das Kurrecht von seinen Ländern in Bayern und Tirol aus wahrnehmen. Der seit 1351 in der Mark regierende Halbbruder machte ihm dies streitig. Die über Jahre enge Beziehung beider Söhne des verstorbenen Kaisers, war über diesen Streit zerbrochen. Karl IV. entschied auch hier, in konsequenter Wahrung der langen Kurrechte die mit der Mark verknüpft waren, dass das Recht zur Königswahl bei Brandenburg verblieb und damit beim brandenburgischen Zweig der Wittelsbacher. Ludwig II. wurde zum Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs und nicht sein älterer Halbbruder und ehemalige brandenburgische Markgraf. Für Karl IV. spielte auch hier der persönliche Wunsch federführende Rolle. Hält man sich nochmals vor Augen, dass mit der Kurwürde die schon beschriebenen Regalien und besonderen Rechte verbunden waren, war es für Herzog Ludwig V. ein empfindlicher Verlust nicht nur an Prestige sondern auch in wirtschaftlicher Weise. Die kaiserlicherseits getroffene Entscheidung, dem alten Gewohnheitsrecht Brandenburgs Rechnung zu tragen, wäre zu Recht nicht anfechtbar gewesen. Und selbst wenn, wer im Reich hätte dies mit Aussicht auf Erfolg tun können, zumal es im Konsens mit den anderen Kurfürsten entschieden wurde? Für Markgraf Ludwig II. sollte es der wichtigste politische Sieg seiner Regentschaft in Brandenburg bleiben.


 Kurfürstentümer und Kurfürsten

Es wurde schon erwähnt, die Goldene Bulle führte kein völlig neues Recht ein, es wurde vielmehr kraft kaiserlicher Macht traditionelles Recht von Reichs wegen verbrieft. Die Zahl und die das Kurrecht ausübenden Fürstentümer, hatten sich seit Generationen längst herausgebildet. Mit der Goldbulle Kaiser Karls IV. wurde aus einem angeeigneten Gewohnheitsrecht, festgeschriebenes kaiserliches Grundrecht.

Die Kurfürstentümer des Reiches waren:

Das Erzbistum Mainz
Das Erzbistum Köln
Das Erzbistum Trier
Das Königreich Böhmen
Die Pfalzgrafschaft bei Rhein
Das Herzogtum Sachsen
Die Markgrafschaft Brandenburg

Alle Kurlande waren als kaiserliche Lehen an einen Fürsten des Reichs gebunden. Wobei die vier weltlichen Kurfürstentümer als unteilbare, erbliche Reichslehen von einer Generation zur nächsten übergingen, was sich bei den geistlichen, katholischen Fürsten durch das Zölibat naturgemäß ausschloss. Mit dem Titel eines Kurfürsten war jedem der ausübenden Fürsten auch ein zeremonielles Amt zugewiesen. Den drei geistlichen Fürsten kam das besondere Amt eines jeweiligen Reichserzkanzlers zu. Der Kurfürst von Mainz für den deutschen Reichsteil, jener von Köln für den italienischen Teil und Trier für die burgundischen Reichsteile. Unter diesen dreien, überhaupt unter allen Kurfürsten, war der Erzbischof von Mainz der Vornehmste und Höchstrangige. Ihm oblagen nach dem Tod des Reichshaupts im Zusammenhang mit den Königswahlen, besondere Aufgaben. Bei offiziellen und öffentlichen Versammlungen oder an der Tafel, stand dem Mainzer Erzbischof der privilegierte Platz zur Rechten des Monarchen zu, außer bei Versammlungen innerhalb des Kölner Erzbistums, wo dann die Ehre dem Kölner zukam. Sonst saß dieser zur linken Seite und dem Kaiser unmittelbar gegenüber, nahm der Erzbischof von Trier seinen Platz ein. Die weltlichen Kurfürsten schlossen sich jeweils rechts und links an die Erzbischöfe von Mainz und Köln an. Unter diesen kam dem König von Böhmen die höchste Ehre zu, gefolgt vom Pfalzgrafen bei Rhein und dem Herzog von Sachsen. Den Abschluss machte der Markgraf von Brandenburg.

Zur Zeit der Proklamation des „kaiserlichen Gesetzbuchs“, waren nachfolgende Reichsfürsten, gelistet nach ihrer Stellung im Kurfürstenkollegium, in Amt und Würden:

  • Gerlach von Nassau (1322 – 1371), Erzbischof von Mainz (ab 1346), Reichserzkanzler des deutschen Reichsteils – „Archicancellarius per Germaniam“
  • Wilhelm von Gennep (? – 1362), Erzbischof von Köln (ab 1349), Reichserzkanzler des italienischen Reichsteils –Archicancellarius per Italiam
  • Boemund II. von Saarbrücken (? – 1367), Erzbischof von Trier (1354 – 1362), Reichserzkanzler des burgundischen Reichsteils – Archicancellarius per Galliam
  • Karl IV. von Luxemburg (1316 – 1378), römisch-deutscher König (ab 1346), König von Böhmen (ab 1347), König von Italien (ab 1355), römisch-deutscher Kaiser (ab 1355), Erzmundschenk – Archicamerarius
  • Ruprecht I. von Wittelsbach „der Rote“ (1209 – 1390), Pfalzgraf bei Rhein (ab 1329), Erztruchsess – Archidapifer
  • Rudolf I. von Askanien (1284 -1356)Herzog von Sachsen-Wittenberg (ab 1298), Erzmarschall – Archimareschallus
  • Ludwig II. von Wittelsbach (1328 – 1365), Markgraf von Brandenburg (ab 1351), Erzkämmerer – Archicamerarius

Die 23 Kapitel des Nürnberger Teils als Zusammenfassung

Die 23 Kapitel des Nürnberger Teils in voller Länge hier auszubreiten, würde den gegebenen Rahmen sprengen und die Geduld der Leserschaft auf eine zu harte Probe stellen. Um einen Hinweis auf den Umfang zu geben sei nur erwähnt, dass schon alleine das erste Kapitel nicht 26 Paragraphen beinhaltet.

Wir fassen alle wesentlichen Inhalte pro Kapitel nach bestem Vermögen zusammen und hoffen keine wichtigen Aspekte unerwähnt zu lassen, noch mehr hoffen wir, dass uns keine groben Fehlinterpretationen unterlaufen sind. Die jeweilige lateinische Kapitelüberschrift entspricht dem Original und ist in der ursprünglichen römischen Nummerierung wiedergegeben. Mit einer deutschsprachigen Überschrift wird versucht in sehr groben Stichpunkten die Kerninhalte des Kapitels vorzustellen. Den 23 Kapiteln des Nürnberger Gesetzbuchs geht eine Einleitung voraus die wir zum besseren Lesen, so gut es uns möglich war, aus der früneuhochdeutschen Fassung von 1515, ins heutige Neuhochdeutsche übersetzten und in voller Länge wiedergeben möchten.

Wir Karl IV., durch göttliche Gunst und Milde Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs und König von Böhmen, zu ewigem Gedenken.
Ein jedes Reich, das der Zwietracht verfällt, wird in sich zusammenbrechen, weil seine Fürsten sich zu Gefährten von Räubern und Dieben gemacht haben. Gott der Herr hat sie mit dem Geist der Finsternis erfüllt, so daß sie am hellen Tage dahin schreiten wie in dunkler Nacht, und ihnen das Licht genommen, auf daß sie Blinde sind und Führer von Blinden; denn wer da wandelt in der Finsternis, taumelt von Stein zu Stein, und wer blinden Geistes ist, tut Böses in Zwietracht und Streit. Sprich du Hochmut, wie wolltest du in der Art des Luzifer geherrscht haben, wenn du die Zwietracht nicht zum Gehilfen gehabt hättest? Sprich du hässlicher Satan, wie wolltest du den Adam aus dem Paradies vertrieben haben, wenn du ihn nicht zum Ungehorsam verleitet hättest? Sprich du Zorn, wie hättest du das Römische Gemeinwesen ins Verderben gestürzt, wenn du Pompeius und Julius nicht mit grimmigen Schwertern zu innerlichen schweren Kriegen erweckt hättest? Sprich du Unkeuschheit, wie hättest du die Stadt Troja zerstört, wenn du Helena nicht von ihrem Mann entfremdet hättest? Auch du Neid und Hass, hast das christliche Kaisertum, obwohl von Gott und der Heiligen unteilbaren Dreifaltigkeit mit den göttlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und Liebe gestärkt, auf dessen Grundfesten das Reich und die Macht beruhen, mit Gift verunreinigt, das du als Schlange in den Zweigen des Heiligen Reichs böswillig ausgegossen hast, damit die Säulen zerschlagen werden und der ganze Bau zum Einsturz gebracht wird. Gleichermaßen hast du zwischen den sieben Kurfürsten des Heiligen Reiches, durch die als sieben Leuchten das Heilige Reich in Einigkeit des siebenförmigen Geistes erleuchtet werden sollte, mancherlei Zerstörung angerichtet.
Da Wir nun kraft Unseres Amtes, das Wir mit Unserer Kaiserlichen Würde auf Uns genommen haben, die Verpflichtung in Uns fühlen, künftigen Ursachen von Streit und Zwietracht unter den Kurfürsten, zu denen Wir als König von Böhmen, wie allen bekannt, auch gehören, Einhalt zu gebieten, haben Wir, sowohl wegen Unseres hohen Kaiserlichen Amtes als auch wegen der uns auferlegten Wahl, um die Eintracht unter den Kurfürsten zu fördern und die Einmütigkeit der Königswahl zu sichern, ferner um den vorerwähnten schmählichen Zwistigkeiten und den mannigfachen, aus ihnen erwachsenen Gefahren ein Ende zu bereiten, auf Unserem feierlichen Reichstag in Nürnberg in Gegenwart aller geistlichen und weltlichen Kurfürsten und einer großen Zahl von Fürsten, Grafen, Herren, Adligen und Städten, auf dem Throne sitzend, angetan mit den Kaiserlichen Insignien und der Krone nach vorheriger, sorgfältiger Beratung die nachfolgend geschriebenen Gesetze mit Kaiserlicher Gewalt zu erlassen, auszufertigen und zu bestätigen geruht im Jahr des Herrn 1356, dem neunten Tag des Monats Januar, im zehnten Jahr Unserer Regierung als König und im ersten Unseres Kaisertums.

1. Geleitsrecht der Kurfürsten, Wahlaufruf, Wahlort, Größe der Begleitung
I. Qualis esse debeat conductus electorum et a quibus

Das erste Kapitel regelt in 26 Paragraphen sehr detailliert die unanfechtbare Reisefreiheit und Immunität der Kurfürsten anlässlich der Anreise zum Wahlakt und der anschließenden Abreise. Wer für welchen Kurfürst das Geleit zu leisten hat und unter welchen Bedingungen. Weiter wird der Wahlaufruf, Wahlort, der Schutz am Wahlort, selbst die Zahl der Begleiter festgesetzt.

Die wichtigsten Punkte in zusammengefasster Form:

  •  Bei Androhung des Verlusts aller Rechte und Lehen wird jedem Reichsfürsten, Vasallen, jeder Stadt oder geistlichen Institution auferlegt, den Kurfürsten freie und ungehinderte Durchreise durch das jeweilige Territorium zu gewährleisten, ferner alle notwendige Unterstützung zu leisten. Selbst für den Fall dass ein Wahlfürst durch ein verfeindetes Reichsfürstentum zieht.
    Auch bei Kurfürsten die untereinander Krieg führen, müssen alle Feindseligkeiten ruhen
    .
  • Die zur Wahl aufgerufenen Kurfürsten haben sich während einer Frist von drei Monaten am Wahlort persönlich oder in Form eines autorisierten Botschafters einzufinden.
  • Der Kurfürst zu Mainz, als Erzkanzler des Deutschen Reichsgebiets, hat nach Bekanntwerden des Ablebens des Monarchen innerhalb eines Monats die Kurfürsten über den Tag der Königswahl zu informieren.
  • Als Wahlort auf alle Zeit wird die Reichsstadt Frankfurt bestimmt.
  • Den Bürgern Frankfurts obliegt der Schutz der Kurfürsten und ihrer Begleitung.
  • Kein Kurfürst darf mehr als zweihundert Reiter, davon höchstens 50 Mann unter Waffen, in die Stadt führen.

2. Die Wahl des Römischen Königs
II. De electione Romanorum Regis

Das zweite Kapitel regelt in fünf Paragraphen den eigentlichen Wahlhergang.

Die wichtigsten Punkte in zusammengefasster Form:

  • Am Tag der Wahl finden sich die Kurfürsten oder ihre bevollmächtigten Botschafter am Morgen, bei Sonnenaufgang zur heiligen Messe in der Bartholomäus Kirche ein, um für die Führung und Leitung durch den Heiligen Geist in Gesang und Gebet zu bitten.
  • Nach dem Schwur in deutscher Sprache auf das Johannes Evangelium Kapitel 1, einen rechten und gerechten Kandidaten zum Haupt des Reichs zu wählen, schreiten sie direkt zur Königswahl, die nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen entschieden wird.
  • Kommen die Kurfürsten innerhalb von 30 Tagen ab der vorgenannten Eidesleistung zu keiner Entscheidung, werden sie bis zur Findung eines Königs auf Wasser und Brot gesetzt. In all der Zeit dürfen sie die Stadt nicht verlassen.
    (Anm.: Als Vorbild diente hier das Dekret Ubi perculum von Papst Gregor X., der anlässlich des 1274 abgehaltenen Zweiten Konzils von Lyon das zukünftige Verfahren der Papstwahl in Form des Konklave festlegte)
  • Sobald eine Mehrheit zustande kam, können die Kurfürsten, die bislang noch nicht abstimmten, ihre Stimme dem Mehrheitskandidaten geben oder aber ihre Stimme wird symbolisch so angesehen, als ob das zukünftige Reichsoberhaupt einvernehmlich gewählt wurde.
  • Geben drei Kurfürsten für einen Kandidaten aus der eigenen Mitte ihre Stimme ab, so darf ein Kurfürst für sich selbst stimmen und so die Mehrheitsentscheidung bringen. (Anm.: Es entsprach nicht der Sitte, dass einer der Wahlfürsten bis dahin seine Stimme sich selbst gab)
  • Direkt nach der Wahl soll der neugewählte König den Kurfürsten alle ihre angestammten Rechte, Freiheiten und Privilegien mündlich bestätigen, erneuern und alsbald urkundlich besiegeln.

3. Die Sitzordnung der Erzbischöfe
III. De sessione Treverensis, Coloniensis et Maguntini archiepiscoporum

Kapitel drei regelt die Sitzordnung der Erzbischöfe anlässlich offizieller Anlässe unter Beisein des Reichsoberhaupts.

  • Dem Erzbischof von Mainz gebührt als vornehmsten aller Kurfürsten der Platz zur Rechten des Reichsoberhaupts. Die gilt sowohl in seiner Diözese als auch im sonstigen Reichsteil, außer im Gebiet des Erzbischofs von Köln. An des Hauptes linker Seite nimmt der Erzbischof von Köln platz, es sei denn der Hoftag findet auf Kölner Gebiet, in Reichsitalien oder Reichsburgund statt, dann gebührt dem Kölner Erzbischof der Platz zur rechten Seite des Kaisers. Dem Monarchen gegenüber ist der Platz des Erzbischofs von Trier.

4. Sitzordnung der sonstigen Kurfürsten, Reihenfolge der Stimmabgabe
IV. De principibus electoribus in communi

Kapitel vier regelt in fünf Paragraphen die Sitzordnung der weltlichen Kurfürsten. Weiter wird noch einmal, wie schon in Kapitel eins, die Aufgabe des Mainzer Erzbischofs zur Wahl schriftlich die Kurfürsten einzuberufen, erwähnt. Die Reihenfolge der Stimmabgabe und die zeremoniellen Ämter der weltlichen Kurfürsten werden festgelegt.

  • Findet ein Hoftag oder eine sonstige Versammlung unter Teilnahme des Kaiser und der Kurfürsten statt und liegt der Austragungsort im Kirchengebiet des Erzbischofs von Köln, so gebührt diesem der Platz zur Rechten des Monarchen.
  • Die weitere Sitzregelung sieht den König von Böhmen rechts neben dem Erzbischof zur Rechten des Kaisers, gefolgt vom Pfalzgrafen bei Rhein. Der Herzog von Sachsen sowie der Markgraf von Brandenburg schließen sich dementsprechend links des zur Linken des Kaisers nächst sitzenden Erzbischofs an.
  • Ist das Reich verwaist, bestellt der Erzbischof von Mainz zur Wahl eines neuen Hauptes die Kurfürsten ein.
    Er ruft dann in offener Wahl die Kurfürsten zur Abgabe ihrer Stimme in vorgegebener Reihenfolge auf:

Erzbischof von Trier
Erzbischof von Köln
König von Böhmen
Pfalzgraf bei Rhein
Herzog von Sachsen
Markgraf von Brandenburg

Als letzter gibt der Erzbischof von Mainz seine Stimme ab. Im Falle einer Pattsituation war es an ihm die Entscheidung zu bringen.

  • Abschließend regelt das Kapitel IV die Erzämterämter und die zeremoniellen Aufgaben der weltlichen Kurfürsten anlässlich bedeutsamer Zusammenkünfte mit dem Monarchen. Das symbolisch wichtigstes Zeremonienamt übt der Erzbischof von Köln aus, der das zukünftige Haupt des Reichs krönt.

5. Das Recht des Pfalzgrafen und auch des Herzogs von Sachsen
V. De iure comitis palatini et eciam Saxonie ducis

Das fünfte Kapitel regelt in drei Paragraphen die besonderen Privilegien des Pfalzgrafen bei Rhein und des Herzogs von Sachsen während der Thronvakanz.

  • Der Pfalzgraf übt in den Zeiten in denen das Reich über kein Haupt verfügt, die Regentschaft in allen Reichsteilen aus, die nach schwäbischen Recht gerichtet werden.
  • Die gleiche Funktion obliegt dem Herzog von Sachsen für alle Gebiete des Reichs die nach sächsischem Recht gerichtet werden.
  • Der Pfalzgraf bei Rhein hat das Recht gegen den amtierenden Monarchen rechtliche Schritte einzuleiten. Das Reichsoberhaupt kann nur im Rahmen eines Hoftags angeklagt und gegebenenfalls gerichtet werden.


6. Vergleich der Kurfürsten mit den anderen gewöhnlichen Fürsten
VI. De comparatione principum electorum ad alios principes communes

Das sechste Kapitel hebt in einem Paragraphen die bevorzugte Stellung über allen anderen Fürsten des Reichs hervor.

  • Die Kurfürsten stehen in Rang, Würden und Privilegien über allen sonstigen Reichsfürsten. Auf allen Hoftagen oder während der Wahlhandlungen, gebührt ihnen der Vortritt vor allen anderen Fürsten des Reichs. 
  • Dem König von Böhmen gebührt vor allen anderen Königen der Vorrang und Vortritt bei Hoftagen und allen sonstigen zeremoniellen Ereignissen des Kaisers, inklusive während der Wahlhandlungen.

7. Die Erbfolge der Kurfürsten
VII. De successione principum

Das siebte Kapitel ordnet in fünf Paragraphen die Unteilbarkeit der Kurfürstentümer an. Es wird darin der über lange Zeit herrschenden Problematik rund um die Ausübung der Kurstimme innerhalb eines Familienzweigs gedacht. Im Einzelnen regelt es weiter die Erbfolge weltlicher Kurfürstentümer und die Vormundschaft im Falle eines noch unmündigen Erben.

  • Land, Befugnisse und Stimme gehen auf den erstgeborenen, ehelichen Sohn über, sofern er nicht ein geistliches Amt inne hat.
  • Stirbt der Sohn, gehen seine Rechte automatisch auf dessen Sohn über
  • Hat ein verstorbener Sohn keine eigenen männlichen Nachkommen, tritt der älteste Bruder des ursprünglichen Kurfürsten das Erbe an.
  • Ist ein Sohn zum Zeitpunkt des Erbes noch nicht 18 Jahre, übernimmt der älteste Bruder des verstorbenen Kurfürsten die Vormundschaft und übt derweil das Stimmrecht aus und wirkt als Verweser des Kurfürstentums.
  • Sollte ein Kurfürstentum in männlichen Linie erlöschen, steht es dem Reichsoberhaupt als erledigtes Lehen zu neuerlicher Belehnung zur Disposition.
  • Ausgenommen davon das Königreich Böhmen. Im Falle des Aussterbens des Königshauses im männlichen Stamm, wählt sich das böhmische Volk einen neuen König.

8. Die Gerichtsfreiheit des Königs von Böhmen und der Einwohner Böhmens
VIII. De regis Boemie et regnicolarum eius immunitate

Das Kapitel acht bestimmt in zwei Paragraphen die Gerichtsfreiheit den böhmischen Königs wie auch seiner Untertanen.

  • Privilegium de non evocando: Kein Bewohner des Königreichs Böhmen, unabhängig seines Standes, darf vor einem außerböhmischen Gericht rechtskräftig verurteilt noch zu einer Verhandlung gegen ihn geladen werden.
  • Privilegium de non appellando: Den Einwohnern Böhmens ist die Appelation an ein anderes Gericht außerhalb Böhmens untersagt. Etwaige Urteile haben keine Gültigkeit.


9. Gold-, Silber- und andere Bergwerke, das Judenregal, Zollrecht
IX. De auri, argenti et aliarum specierum mineris

Kapitel neun beschreibt in einem Paragraphen die Bergwerks- und Schürfrechte der Kurfürsten in ihren Territorien sowie das Judenregal und Zollrechte.

  • Den Kurfürsten wird das uneingeschränkte Recht auf alle Gold-, Silber-, Kupferbergwerke wie auch auf alle sonstigen Metalle in ihrem Fürstentum verbrieft. Dies beinhaltet ebenso alle Salzvorkommen.
  • Den Kurfürsten ist gestattet nach eigenem Ermessen Juden in ihrem Land anzusiedeln und die entsprechenden Schutzabgaben und sonstigen Erhebungen zu beziehen.
  • Den Kurfürsten haben das Privileg in ihren Landen Zölle und Abgaben zu erheben.

 

10. Das Münzregal
X. De Monetis

Das Kapitel zehn verbrieft in zwei Paragraphen das Münzrecht und das Recht zum Landerwerb.

  • Den Kurfürsten ist es erlaubt innerhalb ihrer Territorien Gold- und Silbermünzen schlagen zu lassen.
  • Es ist ihnen erlaubt durch Kauf oder sonstige Weise ihre Gebiete zu erweitern nach den geltenden Reglements des Privatbesitzes oder Lehnsrechts.

 

11. Die Gerichtsfreiheit der Kurfürsten
XI. De immunitate principum electorum

Kapitel 11 beschreibt analog zur böhmischen Gerichtsfreiheit die gleichen Rechte für die sonstigen Kurfürsten. Insgesamt werden dieses Mal fünf aufgewandt, statt nur zwei Paragraphen, wie im Fall Böhmens. Wir gehen auf die Feinheiten in einem zusätzlichen Kommentar gleich näher ein. Zuvor die Kurzzusammenfassung.

  • Allen geistlichen Kurfürsten wird die Gerichtshoheit verbürgt.
  • Privilegium de non evocando: Kein Untertan vorgenannter Kurfürsten kann vor einem anderen Gericht angeklagt oder verurteilt werden. Etwaig verhängte Urteile sind rechtsungültig.
  • Privilegium de non appellando: Kein Bewohner der vorgenannten Lande kann vor einem anderen Gericht appellieren und seinen Rechtsstreit statt in seinem Heimatterritorium in einem anderen Reichsland austragen.
  • Für den Fall dass das kurfürstliche Gericht einem Kläger nicht zu seinem Recht verhilft, darf dieser an das kaiserliche Hofgericht appelieren, an kein anderes.
  • Alle vorgenannten Rechte gelten auch für die weltlichen Kurfürsten.

Bemerkenswert ist, dass die Vorrechte der geistlichen Kurfürsten gleich in Paragraph eins verbrieft werden, den restlichen drei weltlichen Kurfürsten erst in Paragraph fünf. Weiter erwähnenswert, dass die entsprechenden Vorrechte des Königs von Böhmen schon in Kapitel neun aufgeführt wurden und damit zum einen getrennt von den restlichen Kurfürsten, zum anderen in der Liste früher. In diesem Zusammenhang scheint es erstaunlich, dass im diesbezüglichen Kapitel 9 den böhmischen Untertanen kein explizites Appellationsrecht an das kaiserliche Hofgericht ausgewiesen wurde, wie es scheint, selbst dann nicht, wenn dem Untertan im böhmischen Gerichtskreis keine Gerechtigkeit widerfahren ist, soll heißen ein Fall dort nicht vor Gericht kam.

12. Die Zusammenkunft der Kurfürsten
XII. De congregatione principum

Kapitel zwölf bestimmt in drei Paragraphen turnusmäßige Zusammenkünfte des Kurfürstenkollegiums.

  • Der Kaiser erkennt die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit regelmäßiger Zusammenkünfte der Kurfürsten die als Fundament und Säulen des Reichs gesehen werden. 
  • Jedes Jahr, vier Wochen nach Ostern sollen sich die Kurfürsten in einer Stadt des Reichs treffen. Weiter soll es noch im laufenden Jahre (1356) ein weiteres Treffen in der Reichsstadt Metz geben. Während der Zeit der Zusammenkünfte, der An- und Abreise, stehen die Kurfürsten unter dem besonderen Schutz des Kaisers.
  • Während der kurfürstlichen Treffen ist keinem Reichsfürst gestattet weitere Zusammenkünfte abzuhalten. Ausnahmen gelten für besonders wichtige, die dann das Kurfürstentreffen nicht jedoch beeinträchtigen dürfen.

13. Der Widerruf von Privilegien
XIII. De revocatione privilegiorum

Kapitel 13 beschreibt in einem Kapitel das Widerrufsrecht für erteilte Rechte und Freiheiten.

  • Ein erteiltes kaiserliches Recht, egal an welchen Stand verliehen, darf nicht eines der Rechte eines Kurfürsten beeinflussen.
  • Widerspricht ein erteiltes Privilegium einem der Rechte eines Kurfürsten, gilt es als ungültig und widerrufen.

14. Entzug von Lehen wegen Unwürdigkeit des Lehnsnehmers
XIV. De hiss, quibus ut indignais auferuntur bona feudalia

Kapitel 14 untersagt in einem recht umfangreichen Paragraphen die böswillige Aufkündigung von Lehen von Lehnsmannen und definiert die Folgen.

  • Ein Lehnsmann darf seinem Lehnsherren kein Lehen in feindseliger Absicht aufkündigen um es sich anschließend im Rahmen einer ausgesprochenen Fehde wieder zu erlangen.
  • Ein aufgekündigtes Lehen geht wider an den ursprünglichen Lehnsherren zurück. Der ehemalige Lehnsmann darf weder selbst noch vertreten durch eine andere Person sich das Lehen wieder aneignen, noch anderen hierzu Ratschlag geben. 
  • Ein Lehnsmann der gegen dieses Gebot verstößt, fällt unter den Reichsbann. Ihm wird das Recht auf zukünftige Belehnungen von Rechten, Freiheiten oder Ländereien entzogen.
  • Wer gegen dieses Gesetz verstößt wird soll bestraft werden (ohne Angabe konkreter Strafmaßnahmen)

Kapitel 14 stärkt die Rechte aller Lehnsherren im Reich, nicht nur der Kurfürsten oder des Hochadels sondern bis hinunter auf die unterste Ebene. Jeder Freie der über genug Besitz und Vermögen verfügt und der einen Lehnsmann oder Pächter  verpflichtet, ist in seinen Besitzrechten bestätigt und abgesichert.

15. Über Verschwörungen
XV. De consbirationibus

Kapitel 15 untersagt Städten und Personen Bündnisse wider den Landfrieden zu schließen und definiert das Strafmaß bei Zuwiderhandlungen. Zwei Paragraphen  sind in diesem Kapitel festgehalten.

  • Jeder Stadt, oder Städten, einer Person , gleich welchen Standes sie immer sei und einer Stadt oder Personen untereinander, egal welchen Standes, ist es untersagt ein Bündnis zu schließen dass dazu geeignet ist den Landfrieden im Reich zu stören.
  • Verstößt eine Person gegen dieses Gebot, wird eine Strafe von 10 Pfund in Gold gegen sie erhoben. Eine Stadt oder Gemeinde muss 100 Pfund in Gold als Strafe entrichten. Die Hälfte des Betrags geht zu Gunsten der kaiserlichen Kasse, die andere Hälfte bekommen die jeweiligen Landesfürsten.

16. Über die Pfahlbürger
XVI. De Pfalburgeriis

Als Erläuterung vorweg, ein Pfahlbürger war im ausgehenden Hochmittelalter und früher Spätmittelalter eine Person die sich die Rechte eines Stadtbürgers aneignete, selbst aber nicht innerhalb der Stadt wohnte und selten entsprechende Abgaben an die Stadt entrichtete oder übliche Dienste leistete.
Pfahlbürger lebten oft in ihren ursprünglichen Gegenden auf dem platten Land, verhielten sich gegenüber den Verwaltungsmännern des Landesherren in der Weise eines Stadtbürgers, die über eigene Freiheiten verfügten. Ein Pfahlbürger konnte somit theoretisch als freier Bauer einen Hof bewirtschaften, war damit zu keinen Hand- und Spanndiensten einem Lehnsherren verpflichtet und konnte gleichzeitig noch städtischen Privilegien gemäß ein Handwerk betreiben, wenn auch nicht außerhalb des städtischen Gebiets. Sowohl für die Städte als auch den Feudaladel bis hoch zu den Landesfürsten, stellte dieser bislang legale „Missbrauch“ ein ärgerliches Problem dar, entgingen ihnen doch dadurch Abgaben und Dienstleistungen.

Kapitel 16 regelt das Pfahlbürgertum, es untersagt vielmehr den bisherigen Missbrauch in zwei Paragraphen.

  • Ein Untertan der die Rechte eines städtischen Bürgers genießt muss zukünftig mit all seiner Habe innerhalb einer Stadt wohnen. Bei Verstoß gegen das kaiserliche Gesetz, verliert er seine bürgerlichen Rechte 
  • Wer Untertanen bei ihrem Missbrauch unterstützt, in dem er sie beispielsweise beschäftigt und innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht entlässt, wird mit einer Strafe von 100 Mark Gold belegt. Zu entrichten je zur Hälfte an die kaiserliche Kasse und an die Geschädigten (somit nicht explizit nur an die Landesherren).

Man könnte hinter Kapitel 16 eine Art frühes Anti-Korruptionsgesetz bzw. Anti-Steuerhinterziehungsgesetz sehen.

17. Das Fehdewesen
XVII. De diffidationibus

Das Fehdewesen war ein Grundrecht des Adels. Ehrenstreits unter den Adelshäusern waren längst reichsweit dazu missbraucht mittels Plünderungen in den befehdeten Gebieten die eigenen, versiegenden Einkünfte aufzubessern.

Kapitel 17 sollte mit drei Paragraphen das ausufernde Fehderecht regulieren. An der Formulierung wird man ablesen können, dass es bei einem ersten Versuch blieb. Noch mehr als 200 Jahre wird das Unwesen im Reich anhalten und Land aus Land ab unermessliche Schäden und Zerstörungen anrichten.

  • Eine nach Recht und Gesetz ausgesprochene Fehde darf nicht abseits eines Ortes verkündet werden an denen ein Fehdegegner diese nicht mitbekommen kann. 
  • Fehdeansagen dürfen nicht dem Zweck von Raub und Brandschatzung dienen.
  • Die Fehde muss am Wohnort des Fehdegegners ausgesprochen werden im Beisein von glaubhaften, unbescholtenen Zeugen.
  • Zwischen Fehdeansage und dem Beginn der Feindseligkeiten müssen mindestens drei Tage liegen. 
  • Eine Fehde darf nicht gegen jemanden ausgesprochen werden in dessen guter Gemeinschaft man lange lebte, die zu den guten Freunden gehörte oder in dessen Dienste man stand.
  • Alle Fehden die nicht nach Recht und Gesetz ausgesprochen und durchgeführt werden sind unter Verlust der Ehre und richterliche Strafe verboten.

18. Beispiel eines Einladungsbrief zur Königswahl
XVIII. Littera intimationis

In Kapitel 18 ist ein Formbrief hinterlegt wie ihn alle Kurfürsten als Einladung zur Königswahl erhalten. Das hinterlegte in der Bulle hinterlegte Beispieldokument, ist auf den Kurfürsten von Brandenburg ausgestellt. Abgesehen von der Ansprache, die jeweils auf den geladenen Fürsten angepasst wird, ist der weitere Teil für alle Geladenen verbindlich gleich. Ob der Erzbischof von Mainz, der stets einladender Absender war, pro forma ein eigenes Exemplar bekam, ist nicht belegt.

Nachfolgend die ungekürzte Version wie sie in der Goldenen Bulle festgelegt wurde:

Dem Hochgeborenen Fürsten, Herren N. Markgrafen von Brandenburg, Erzkämmerer des Heiligen Reiches, Unserem Mitkurfürsten und liebsten Freund, teilen wir hiermit die Notwendigkeit der Wahl eines Römischen Königs mit und fordern Euch pflichtgemäß auf, zu dieser Wahl wie vorgeschrieben innerhalb von drei Monaten, von dem Tag dieser Verkündigung an gerechnet, persönlich oder vertreten durch einen oder mehrere, mit genügender Vollmacht ausgestatteten Botschafter oder Anwälte in der ausgewählten Stadt zu erscheinen, gemäß den Vorschriften der einschlägigen Gesetze zu wirken, mit den weiteren Kurfürsten zu beratschlagen und gemeinsam mit ihnen über die Wahl eines Römischen Königs und künftigen Kaisers zu verhandeln und bereit zu sein, dort bis zum Ende dieser Wahl zu bleiben und sich so zu verhalten, wie es in den heiligen Gesetzen sorgfältig niedergeschrieben ist. Im Falle Eures Nichterscheinens würden Wir und Unsere Mitkurfürsten abschließend so verfahren, wie es in den Gesetzen vorgesehen ist.

 

19. Kurfürstliches Bevollmächtigungsformular zur Königswahl
XIX. Forma procuratorii mittendi per eum principem electorem, qui nuncios suos ad eletionem faciendam duxerit destinandum

Das 19 Kapitel gibt in einem Paragraphen das Bevollmächtigtenformular in der Form wieder, wie es von einem Kurfürsten auszustellen ist, für den Fall dass er selbst nicht an der Königswahl persönlich teilnehmen kann. Er kann hierzu eine oder mehrere autorisierte Personen namentlich benennen, die dann in seinem Namen die Stimme abgeben.

 

20. Über die Unteilbarkeit der Kurlande und der damit verknüpften Rechte
XX. De unione principatuum electorum et iurium eis connexorum

Kapitel 20 regelt in einem längeren Paragraphen die Unteilbarkeit des kurfürstlichen Territoriums und der verliehenen kaiserlichen Rechte.

  • Die mit dem Kurrecht unverbrüchlich verbundenen kaiserlichen Privilegien dürfen nicht veräußert oder getrennt von einander ausgeübt werden. 
  • Territorium und Rechte bilden eine unteilbare Einheit

 

21. Rangordnung der Erzbischöfe bei feierlichen Prozessionen
XXI. De ordine processionis inter archiepiscopos

In drei Paragraphen bestimmt Kapitel 21 die Prozessionsordnung im Beisein des Kaisers.

  • Der Erzbischof von Trier geht bei allen offiziellen Aufzügen, Prozessionen, dem Kaiser voraus. 
  • Werden während des Aufzugs die Reichskleinodien mitgeführt, gehen zwischen dem Erzbischof von Trier und dem Kaiser, die Träger der Reichsinsignien, womit die mit einem Erzamt versehenen Kurfürsten gemeint sind.
  • Die weitere Reihenfolge welcher Erzbischof rechts oder links des Kaisers einherschreitet, verhält sich gemäß den Regeln der Sitzordnung aus Kapitel drei.

 

22. Prozessionsordnung der weltlichen Kurfürsten und Insignienträger
XXII. De ordine processionis principum electorum, et per quos insignia deportentur

Kapitel 22 regelt in logischer Folge die Reihenfolge in der die weltlichen Kurfürsten bei offiziellen Anlässen einschreiten sollen. Hierzu wurde ein Paragraph aufgewendet.

  • Werden die Reichsinsignien mitgeführt, so trägt der Kurfürst von Sachsen als Erzmarschall das Reichsschwert und geht zwischen dem Erzbischof von Trier und dem Kaiser.
  • Der Pfalzgraf bei Rhein trägt an der rechten Seite des Erzmarschall gehend, als Erztruchsess den Reichsapfel.
  • Der Markgraf von Brandenburg geht zur Linken des Erzmarschalls und führt als Erzkämmerer das Reichszepter mit sich.
  • Sofern die Insignien des Reiches mitgeführt werden, geht der König von Böhmen direkt hinter dem Kaiser.

Kapitel 22 beschreibt nur die Reihenfolge für den Fall dass die Reichskleinodien mitgeführt werden. Es erwähnt nicht explizit die Reihenfolge wenn keine der Reichsinsignien bei einem festlichen Aufzug mitgetragen werden. Wir können unter Berücksichtigung der bisherigen Regelungen von Kapitel drei und Kapitel 21 davon ausgehen, dass die Reihenfolge in der Gestalt realisiert wurde, dass der Erzbischof von Trier allen vorangeht, gefolgt vom Kaiser, gefolgt von einem der beiden Erzbischof aus Mainz oder Köln, je nach dem Austragungsort. Diesen folgen dann der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und den Schluss bildet der Markgraf von Brandenburg.

 

23. Segnungen der Erzbischöfe im Beisein des Kaisers
XXIII. De benedictionibus archiepiscoporum in presentia imperatoris

Das Kapitel 23 beschließt das Nürnberger Gesetzbuch und somit den ersten Teil der Goldenen Bulle. Mit zwei abschließenden Paragraphen wird die Reihenfolge der segensspendenden Erzbischöfe bestimmt.

  • Die Reihenfolge welcher Erzbischof am ersten, am zweiten Tag usw. während der Messen oder zu den Mahlzeiten den Segen ausspricht richtet sich nach der Dauer der jeweiligen Amtszeit. Der Erzbischof der am längsten im Amt war, führt den ersten Tag, gefolgt vom zweiten Erzbischof der Reihe und dem dritten. 

 

Noch war die Goldene Bulle von 1356, im Vergleich zu modernen Gesetzeswerken holprig und ungleichförmig. Die Paragraphen variieren in Zahl und Größe stark von Kapitel zu Kapitel. Vereinzelt werden zahlreiche Positionen in nur einem Paragraphen zusammengefasst und ein anderes Mal trivialere Sachverhalte oder beschreibende bzw. einleitende Umstände in einem eigenen Paragraphen beschrieben.


„Das Metzer Gesetzbuch“

Der zweite Teil der Goldenen Bulle, das sogenannte Metzer Gesetzbuch, wurde am 25. Dezember 1356 zum kaiserlichen Hoftag in der Reichsstadt Metz bekanntgegeben. Es beinhaltete acht weitere Kapitel.

Nachfolgend fassen wir diese wieder in der vorhergehenden Form zusammen und versehen sie von Fall zu Fall mit einem kurzen Kommentar.

24. Über den Verrat wider Kurfürsten
XXIV. Kein offizieller Titel im Original vergeben 

Das erst Kapitel des Metzer Gesetzbuchs, in der laufenden Liste das Kapitel 24, wurde erstmals ohne einen eigenen Titel versehen. Die von uns verwendete deutsche Überschrift dient nur der besseren Übersicht. Inhaltlich behandelt das Kapitel den Passus Hochverrat gegen die Kurfürsten. In nicht weniger als 13 Paragraphen, die bislang höchste Zahl von Einzelparagraphen innerhalb eines Kapitels, werden die zur Verantwortung zu ziehenden Personen und Personenkreise beschrieben sowie deren Bestrafung. Noch vor dem ersten Paragraphen wird einleitend das Strafmaß für den oder die Hauptverantwortlichen definiert.

  • Wer boshafte Taten gegen die Kurfürsten, welche als Teil des Reichskörpers betrachtet werden, begeht, plant oder sich auch nur verpflichtet daran teilzunehmen, gleich ob er Fürst, Ritter, Freier oder ein sonstiger Gemeiner ist, wird mit dem Schwert hingerichtet. Der gesamte Besitz fällt an das Reich 
  • Selbst die Kinder, gemeint sind im vorliegenden Fall die männlichen Nachkommen, werden wegen ihrer Blutes als eigentlich schuldig gesprochen und nur aufgrund kaiserlicher Güte nicht mit dem Tode bestraft. Sie werden hinsichtlich jeglichen Erbanspruchs gegenüber der Mutter, Großeltern, Verwandten oder wem auch immer, vollständig enterbt und als ehrlose Person betrachtet. 
  • Wer Fürbitte oder Fürsprache leistet, wird betrachtet wie einer der vorgenannten.
  • Töchter der Verräter werden weniger hart bestraft, erhalten von ihrem gesetzlichen Erbanspruch immerhin noch den vierten Teil und gelten auch nicht als ehrlos.
  • Die Ehefrauen behalten zunächst die ihnen vom Mann zugekommen Zuwendungen so lange sie lebt. Nach ihrem Tod, geht oben genannten Viertel an die Töchter, der Rest fällt an das Reich.
  • Vorgenannte Strafen und Verfügungen können selbst dann zur Anwendung kommen, wenn der oder die Missetäter zwischenzeitlich verstorben sind. Bezüglich ihrer Hinterbliebenen, ja selbst bezüglich ihrer Diener und Knechte, wird das jeweilige Strafmaß angewandt.

Das erste Kapitel des Metzer Gesetzbuchs drückt nochmals deutlich die hervorragende Stellung der Kurfürsten aus. Ein Verbrechen gegen einen Kurfürsten entspricht einem Majestätsverbrechen und wird mit größter Härter bestraft. Schlussendlicher Nutznießer ist im vorliegenden Fall das Reich selbst, an den Güter und Besitzungen eines Verschwörers oder einer Verschwörungsgruppe fallen.

Die angewandte Form mit einer einleitenden Erläuterung gefolgt von einer Serie Einzelparagraphen welche bestimmte Sachverhalte bedient, entspricht im Stil bereits modernen Gesetzesformen.

25. Über die Unteilbarkeit der Kurfürstentümer
XXV. Kein offizieller Titel im Original vergeben 

Kapitel 25 regelt in zwei Paragraphen die territoriale Integrität der weltlichen Kurlande.

  • Der erstgeborene Sohne des amtierenden Kurfürsten ist der rechtmäßige und alleinige Erbe aller Territorien, Rechte und Privilegien. Ihm folgte der nächstgeborene Bruder oder sonstige, nichtgeistliche nächste Verwandte aus der väterlichen Linie. Der Nachfolger wird auferlegt in bürgerlicher Liebe seinen Brüdern und Schwestern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Besonders für die weltlichen Kurfürstentümer war das Kapitel 25 von großer Wichtigkeit. Verbunden mit der in Kapitel sieben de jure festgelegten Primogenitur für weltliche Kurlande, war dies ein wesentlicher Faktor zukünftiger, weitestgehender Territorialdominanz über die sonstigen reichsunmittelbaren Mitfürsten.

In der Form weicht man wieder vom vorangehenden Kapitel ab, verzichtet auf eine einleitende Formel bzw. fasst diese im ersten Paragraphen zusammen.

 

26. Über die Umsetzung kaiserlicher Hoffeierlichkeiten
XXVI. Kein offizieller Titel im Original vergeben 

Kapitel 26 beschreibt in insgesamt fünf Paragraphen das Reglement das bei einem festlichen Besuch, beispielsweise einer Stadt zur Anwendung kam. Es bedient sich hier im Wesentlichen der in Kapitel 21 und 22 bereits vordefinierten und beschriebenen Verhaltensformen.

  • An Neuerungen zu den oben beschriebenen Kapiteln 21 und 22 kommt der Passus, dass die Kurfürsten am Tage der Feierlichkeit, um ein Uhr am Mittag vor dem Wohnhaus des Kaisers erscheinen sollen um das Reichsoberhaupt abzuholen.
  • Er wird auf einem Pferde sitzend von den Kurfürsten gemäß der vorbestimmten Reihenfolge zu Fuß geleitet wird.
  • Die Krone des Reichs, gefolgt von der langobardischen Krone Reichsitaliens, die sogenannte Eiserne Krone, wird dem Prozessionszug von zwei Fürsten, die das Haupt zuvor auserwählte und nicht zu den Kurfürsten gehören, vorweg getragen.

Nachdem die Kapitel 24 und 25 in teilweise drastischer Weise die besonderen Privilegien der Kurfürsten herausstellten, wirken die zeremoniellen Anweisungen in Kapitel 26 fast ein wenig albern, zumal bereits das Nürnberger Gesetzbuch auf die Formalismen bezüglich Sitzordnungen und Prozessionsfolge ausführlich einging. Wir müssen uns zum ermessen der Wichtigkeit dieser Dinge, in die Sichtweise der Zeit hineinversetzen. Allem Zeremoniellen wurde die allerhöchste Aufmerksamkeit geschenkt.

 

27. Über die Dienste der Kurfürsten bei Hoffeierlichkeiten
XXVII. De officiis principum electorum in solempnibus curiis impertorum vel regum Romanorum

In logischer Folge beschreibt Kapitel 27 in sechs Paragraphen sehr ausführlich die zeremoniellen Ämter die von den Kurfürsten anlässlich kaiserlicher Festivitäten durchgeführt werden. Die beschrieben Handlungen reichten weit in die Frühgeschichte des Reichs und darüber hinaus zurück.

  • Die Reihe zeremonieller Handlungen eröffnet der Erzmarschall des Reiches, der Herzog von Sachsen eröffnet. Seine Aufgabe besteht in die symbolische Versorgung des kaiserlichen Pferdes.
  • Ihm folgt, abhängig davon in welcher Erzdiözese der feierliche Austragungsort war, einer der drei Erzbischöfe.
  • Auf die Handlungen der geistlichen Erzbischöfe folgte der Erzkämmerer des Reichs, Markgraf von Brandenburg. Er reichte dem Kaiser eine Schüssel mit klarem Wasser so dass dieser sich vor dem Mahl die Hände reinigte.
  • Der Erztruchsess in Person des Pfalzgrafen bei Rhein reicht dem König während des Mahls die Speise.
  • Den Abschluss der Kurfürsten bildet der Erzschenk des Reichs, der König von Böhmen. Er reicht dem König den Kelch mit dem ersten Trunk.
  • Damit die Kurfürsten selbst am kaiserlichen Festakt teilnehmen konnten, übergaben sie alsbald ihre silbernen Zeremoniengegenstände an eine festgesetzte Gruppe von Personen, die die weiteren Aufgaben vornehmen. Auch diese Gruppe von niedrigerem reichsunmittelbarem Adel, reichte , gleich ihr erbliches Amt an den erstgeborenen Sohn weiter, wie es bei den Kurfürsten der Fall war.

 

28. Über die Zubereitung der kaiserlichen Tafel
XXVIII. Kein offizieller Titel im Original vergeben

Kapitel 28 ordnet in sechs Paragraphen weitere Formalitäten rund um die Tischordnung und reiht sich ein in die Serie von Anweisungen für das höfische Zeremoniell.

  • Der Tisch des Kaisers soll sechs Fuß höher stehen als alle sonstigen, normal Tische im Saal. An ihm soll darf neben dem Kaiser keine weitere Person sitzen.
  • Der Tisch der Kaiserin soll am Rand des Saals aufgebaut werden und drei Fuß niedriger als jener des kaiserlichen Gemahls sein. 
  • Neben dem Kaiser sollen die Tische der Kurfürsten vorbereitet werden. Gemäß Kapitel drei aus dem Nürnberger Gesetzbuch, drei zur Rechten und drei zur Linken des Kaisers und wie im dortigen Kapitel bestimmt, der Erzbischof von Trier dem Kaiser genau gegenüber.
  • Solange nicht alle Kurfürsten ihre zeremoniellen Aufgaben abgeschlossen haben, warten die anderen stehend an ihren zugewiesenen Tischen.
  • Sofern einer der Kurfürsten verhindert ist, darf er Beauftragte bestimmen die an seiner statt die zeremoniellen Symbolhandlungen durchführen. Ihnen ist allerdings der Sitz an der kurfürstlichen Tafel, nach Verrichtung ihrer Aufgeben, untersagt.

 

29. Wahlort, Ort der Krönung und Ort des ersten Hoftags
XXIX. Kein offizieller Titel im Original vergeben

Kapitel 29 legt Wahl- und Krönungsort fest sowie den Ort des ersten kaiserlichen Hoftags.

  • Als Wahlort wurde die Reichsstadt Frankfurt am Main bestimmt
  • Ort der Krönung ist die Reichsstadt Aachen
  • Der erste Hoftag eines neu gekürten Kaisers soll stets die Reichsstadt Nürnberg sein.

 

30. Gebührenordnung bei kaiserlichen Belehnungen an Kurfürsten oder sonstige Fürsten
XXX. De iuribus officialium, dum principes feuda sua ab imperatore vel rege Romanorum recipiunt.

Das vorletzte Kapitel bestimmt in drei Paragraphen die zu entrichtenden gebühren anlässlich kaiserlicher Belehnungen.

  • Die Kurfürsten sind von der Gebührenordnung freigestellt. Sie müssen für die Ausstellung einer Belehnungsurkunde den damit beschäftigten Beamten keine Entlohnung entrichten, es sei denn sie tun dies freiwillig.
  • Alle sonstigen Fürsten müssen 63 und ein Viertel Mark Silber als Gebühr für die Ausstellung der kaiserlichen Urkunde entrichten. Weiter wurde der Verteilungsmodus beschrieben.

 

31. Bestimmung über Fremdsprachenfertigkeiten der kurfürstlichen Nachfolger
XXXI. Kein offizieller Titel im Original vergeben

Das letzte Kapitel des Metzer Gesetzbuchs, das gleichzeitig das letzte Kapitel der Goldenen Bulle darstellt, ordnet in drei abschließenden Paragraphen für die späteren kurfürstlichen Nachfolger gewisse Sprachkenntnisse an.

  • Den weltlichen Kurfürsten wird nahe gelegt dass ihre designierten Nachfolgern ab dem siebten Lebensjahr, neben ihrer Muttersprache deutsch, des Weiteren in Latein, italienisch und böhmisch unterrichtet zu werden und dies bis zum vierzehnten Lebensjahr abgeschlossen sein soll. 

Das letzte Kapitel sticht geradezu als ein Novum heraus. Von Karl IV. selbst war bekannt, dass er ein sprachliches Multitalent und überhaupt für seine Zeit außerordentlich gebildet war. Neben seiner Muttersprache böhmisch, sprach er selbstverständlich deutsch, das einer zweiten Muttersprache gleichkam, weiter französisch, er wuchs weitestgehend am französischen Hof auf sowie Latein das er fließend beherrschte, schlussendlich noch italienisch. Nach seinem Selbstverständnis, war es für Kurfürsten, die als die Säulen des Reichs galten, nicht nur opportun sondern geradezu eine unverzichtbare Notwendigkeit, die im Reich gängigen Sprachen in Wort und Schrift zu beherrschen. Noch war es unüblich dass regierende Fürsten über eine umfangreiche Bildung verfügten, auch wenn Karl IV und bereits dessen Vorgänger, Ludwig IV., dahingehend schon so etwas wie eine Wende einleiteten. Kapitel 31 muss wohl als die früheste staatliche Bildungsverordnung im Heiligen Römischen Reich gesehen werden und schon alleine deswegen verdiente es die Goldene Bulle besonders erwähnt zu werden.


Abschließende Gedanken, Vergleich & Verbreitungsformen

Das Metzer Gesetzbuch hatte nach unserer Auffassung vier größere Themenblöcke.

Zum ersten war es unerlässlich die Art und Weise der Wahlhandlung zum römisch-deutschen König in einer staatsrechtlichen Form verbindlich niederzulegen. Dies fiel nicht übermäßig schwer, da sich längst ein Modus Vivendi etablierte, dem es nun galt den letzten Interpretationsspielraum zu nehmen und unmissverständlich zu regeln. Ziel war es vor allem dem Unwesen von Doppelwahlen und Gegenkönigen ein Ende zu setzen und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Wahl des Reichsoberhaupts gegenüber dem Papst herauszustellen, ohne dass dies explizit erwähnt wird. Der Kontext machte es dennoch offensichtlich unterließ aber eine förmliche Brüskierung des Heiligen Stuhls.

Zum zweiten wurde stärkstes Augenmerk auf protokollarische Aspekte gelegt. Sakral anmutende, zeremonielle Handlungen der leitenden Fürstenschicht, war wichtiges Ausdrucksmittel des als „heilig“ hochstilisierten Reichs. Auch wenn es im Vergleich zu heutigen Gesetzeswerken zweifellos anachronistisch wirkt, war es seinerzeit nur konsequent diese althergebrachten Amtshandlungen im kaiserlichen Gesetzbuch, der Goldenen Bulle, zu kodifizieren und ausreichend gebührenden Raum zu geben.

Als drittes wurden die außerordentlichen Privilegien der Kurfürsten untermauert. Spezielle, bisher ausschließlich kaiserliche Regalien, gleichwohl die meisten davon aufgrund erteilter Sonderprivilegien mit der Zeit von den Kurfürsten ohnehin schon in Anspruch genommen wurden, gehörten jetzt zu den verbrieften, unverbrüchlichen Grundrechten der Kurfürsten. Neben diesen ökonomischen Vorrechten, kamen Regelungen der Erbfolge für die weltlichen Kurfürsten wie auch territoriale Anweisungen hinzu.

Ein vierter Themenblock waren verschiedene Bereiche wie die Regelung des Pfahlbürgertums und andere Punkte. Streng genommen hatten sie mittelbar mit den drei vorgenannten Blöcken zu tun und möglicherweise kann man sie daher nicht selbstständig betrachten.

Da die Goldene Bulle noch keiner festen Ordnung und, wie wir gesehen haben, keiner einheitlich geordneten Themenliste folgt, bleibt es im Auge des Betrachters ob man drei, vier oder noch mehr Themenbereiche herauslesen möchte.

Das Stichwort ist gefallen, kommen wir zur Bewertung der Gliederung. Ein klarer roter Faden springt einem noch nicht zweifelsfrei ins Auge. Trotzdem sind strukturelle Merkmale zu erkennen die einer modernen, nach heutigen Maßstäben geordneten Gesetzessammlung gerecht wird. Der Metzer Teil zeigt dabei bereits deutlich geordnetere Formen als noch der Nürnberger Teil, wo teilweise sehr lange Paragraphen verschiedene Teilaspekte in einem einzigen Block zusammenfassen, worunter die thematische Übersichtlichkeit stark leidet. Gleichzeitig und das mag überraschen, erhielten die meisten Kapitel im Metzer Teil, ganz im Gegensatz zum Nürnberger Teil, keine eigene Überschrift, was wiederum einer inhaltlichen Zuordnung abträglich war.

Vor dem Hintergrund bisheriger Gesetzeswerke des Reichs, war die Goldene Bulle ein wichtiger Meilenstein hin zu einer einheitlichen Reichsverfassung und als solche eine entscheidende Innovation um nicht zu sagen ein Novum. Die, wenn auch noch nicht optimale Form, war als Blaupause für Erweiterungen bestens geeignet und als solches bleibt die Goldene Bulle das mit weitem Abstand wichtigste Verfassungswerk des römisch-deutschen Mittelalters und darüber hinaus. Seine Gültigkeit bis ins Jahr 1806, dem Ende des Heiligen Römischen Reich (Deutscher Nation), ist einer der augenscheinlichen Indikatoren für die Wichtigkeit.

Die Wahrnehmung der Zeitgenossen war zunächst noch gering. Vielleicht war es auch gut so, denn die jetzt verfassungsmäßig überragende Stellung der Kurfürsten, weit über alle anderen Fürsten des Reichs, müsste zwangsläufig Gegenstand heftiger Reaktionen sein. Dass eine wirkliche Opposition dagegen ausblieb, war wohl im wesentlichen dem sehr einfache Umstand geschuldet, dass das Lesen und Schreiben schlicht und ergreifend noch nicht verbreitet war unter den hohen Herrschaften. Vielleicht war der Mangel an Bildung im vorliegenden Fall ein Segen, ersparte es dem Reich doch eine vermutlich lange innere Auseinandersetzung, gab ihm aber gleichzeitig seine Struktur. Bewerten ob diese Struktur gut oder schlecht war, möchten wir uns hier nicht anmaßen. Die föderale Form, die dem Wesen des Reichs schon seit den Zeiten der germanischen Stammesherzogtümer in die Wiege gelegt war, wurde spätestens jetzt gesetzlich verankert und ist bis heute zentrale, innere Staatsstruktur Deutschlands.

Erst mit der Zeit bekam die Goldene Bulle jenen wichtigen Verfassungscharakter. Wir erwähnten es auch bereits, selbst ihren bezeichnenden Namen erhielt sie erst gut 50 Jahre später.

Prunkvoll verzierte und illustrierte Abschrift König Wenzels

Es existierten zunächst sieben mehr oder weniger Originale. Jene Exemplare für die Kurfürsten aus Mainz, Köln, Trier, Böhmen und der Kurpfalz sowie zwei, für den diplomatischen Gebrauch gedachte Dokumente der Reichsstädte Frankfurt und Nürnberg. Die Nürnberger Version erhielt nur ein Wachssiegel und war eine Abschrift des böhmischen Stücks. Alle sieben Originale sind noch heute erhalten und in unterschiedlichen Archiven Deutschlands und Österreichs bewahrt. Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche Abschriften angefertigt und in den Archiven der allermeisten europäischen Höfe zu finden.

Am optisch bemerkenswertesten ist jene Abschrift die auf Geheiß König Wenzels in dessen böhmischer Kanzlei im Jahre 1400 angefertigt wurde.


Bedeutung für die Mark Brandenburg

Es wurde vom Leser einiges an Geduld und Lesedisziplin abgefordert. Alle Verordnungen der 31 Kapitel der Goldenen Bulle durchzuarbeiten, selbst in zusammengefasster Form, ist eine immerhin beachtliche Leistung.

Vielleicht noch vorweg, der Kurfürst von Brandenburg ließ sich kein eigenes Exemplar der Goldenen Bulle anfertigen. Der notorisch unter Geldmangel leidende Markgraf Ludwig II. schien die Kosten für das aufwendig und wertvoll versiegelte Libellus (Urkunde in Buchform) zu scheuen. Für die spätere Geschichte des Landes ein äußerst bedauernswerter Umstand.

Für die Mark Brandenburg bedeutete die verbriefte Bestätigung ein Teil der „sieben Säulen des Reichs“ zu sein, den endgültigen Aufstieg in die leitenden Fürstenkreise. Die geistlichen Kurfürsten aus Mainz, Köln und Trier hatten wohl die prestigeträchtigeren Ämter aber die weltlichen Kurfürsten konnten durch die Weitergabe ihrer Landschaften, Rechte und Privilegien innerhalb der Familie von Generation zu Generation an dynastischem Einfluss zulegen. Führt man sich weiter vor Augen, dass bei der Wahl eines Erzbischofs, zur Überzeugung des entsprechenden Domkapitels oft große Geldsummen flossen, um sich dadurch eine Partei zu schaffen und letztendliche eine Mehrheit gefällig, kann man erahnen welche Investitionen mit der Erlangung eines solchen Amtes zunächst verbunden waren. Selbst nach erfolgreiche Wahl war der designierte Würdenträger noch nicht am Ziel, die Bestätigung durch den Papst galt es ebenfalls zu erlangen und auch hier mussten meist finanzielle Aufwendungen erwogen werden. Es wird deutlich, der Übergang von einem weltlichen Kurfürsten auf seinen erstgeborenen Sohn verlief für gewöhnlich ohne schwerwiegende finanzielle Hypotheken, ganz im Gegensatz zu den vorerwähnten geistlichen Kurfürsten, die ihr Amt in aller Regel mit einer schweren Schuldenlast begangen und dann die eigenen Landschaften zur Tilgung der Schulden, schwer zur Ader ließen. Als Resultat stagnierten die geistlichen Kurfürstentümer in Ausdehnung und Einfluss oder verschmälerten sich sogar. Umgekehrt expandierten die weltlichen Kurfürsten und gewannen an realer Macht fortlaufend hinzu, zumindest standen die Vorzeichen dazu wesentlich besser.

Für Brandenburg waren die kaiserlichen Verfügungen, die im Konsens mit dem Kurfürstenkollegium getroffen wurden, ein wahrer Segen und Grundvoraussetzung für seinen weiteren Aufstieg im Reich. Doch bis dahin sollte noch viel passieren und manch Krise und existenzieller Rückschlag erschütterte die Mark.


 

Buch 2, Kapitel IV: „Der Schwarze Tod“

An der Wende zur zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, brach über Europa, ja über die damals bekannte Welt, eine Seuche von bisher ungekanntem Ausmaß herein. Neben Europa, traf es in noch verheerenderem Maße den Orient, Nordafrika und Regionen bis weit in den zentralasiatischen Raum.

Im Jahr 1346, es war das Jahr als im Heiligen Römischen Reich Karl IV. als Gegenkönig zu Kaiser Ludwig IV. gewählt wurde, brach in Zentralasien jene Seuche aus, die einer ganzen Epoche ihren Stempel aufdrückte. Sie breitete sich über die Fernhandelswege in die Seemetropolen aus und von dort, über Landwege und Flüsse, bis in die entlegensten Gebiete Europas.

Zeitgenossen sprachen vom „großen Sterben“. Spätere Generationen werden der Krankheit den berüchtigten Name der Schwarze Tod“ geben. Er wurde auf Jahrhunderte zur Geisel der Menschheit.

Die Pest, denn um nichts anderes handelte es sich, war keine neue Erscheinung, schon zuvor kam es zu verschiedentlichen Ausbrüchen, besonders erwähnt sei hierbei die Justinianische Pest (527 – 565). Diesmal sollte die Seuche jedoch alle bisherigen Epidemien weit in den Schatten stellen. Um das Jahr 1347 erreichte die Krankheit die europäischen Küsten entlang des Mittelmeers. Heute geht man davon aus, dass Genueser das Erregerbakterium auf ihren Handelsschiffen, von der Krim kommend, nach Europa einschleppten. Zuerst waren nur die Küstenregionen der großen Handelsmetropolen betroffen. Venedig, das sich zwischenzeitlich zu einer einflussreichen Kaufmannsrepublik entwickelte und sich erfolgreich der Inkorporation ins Reich erwehren konnte, erkannte frühzeitig und folgereichtig, dass die Krankheit mit den Handelsschiffen eingeführt wird und ergriff Maßnahmen zur Eindämmung und zum Schutz von Stadt und Bewohnern. Einlaufende Schiffe wurden für 40 Tage abgesondert. Aus der vierzigtägigen Zeitdauer leitete sich der bis heute hierfür bekannte Begriff der „Quarantäne“ ab. Die Schiffe, vielmehr ihre Besatzungen, wurden unter Quarantäne, gemeint war eine Isolation, gestellt. Da über den eigentlichen Verbreitungsweg und auch über die Art der Krankheit als solche, keinerlei Wissen existierte, verhinderte diese eigentlich zweckmäßige Maßnahme die Einschleppung dennoch nicht. Es war den unter Quarantäne stehenden Besatzungen zwar untersagt von Bord zu gehen, doch die Schiffe lagen oft so dicht unter Land vor Anker, dass infizierte Ratten, auf sie werden wir gleich näher eingehen, verhältnismäßig einfach an Land gelangen konnten. Oft wurde die wertvolle Ladung, die Quarantäne bezog sich ja nur auf die Menschen an Bord der Schiffe, unvorsichtigerweise vorzeitig gelöscht, da der zu erwartende Profit aus dem Erlös der wertvollen Ladungen aus Fernost, einfach zu verlockend war. Auch auf diesem Weg, versteckt zwischen Ballen von Seide, Säcken mit Gewürzen und anderen exotischen Luxuswaren, gelangten infizierte Ratten aufs feste Land, verbreiteten sich schnell in der Lagunenstadt und von dort weiter aufs Festland.


„Infektionsweg und Verbreitung“

Die Ratten waren eigentlicher Seuchenträger und gleichzeitig Wirt des Überträgers. Als Seuchenursache weiß man heute, dass ein Bakterium mit der Bezeichnung Yersinia pestisAuslöser der Pestinfektion ist. Überträger der Krankheit war der sogenannte Rattenfloh (Xenopsylla cheopis). Auch wenn diese Flohart Menschenblut verschmähte, zwang ein sukzessives Aussterben der befallenen Rattenkolonie zum notgedrungenen Wechsel des Wirts.

Als sogenannte Kulturfolger (hemeros philos) sind zwei Rattenarten besonders bekannt. Die Wanderratte (Rattus norvegicus)  und die heute in Deutschland vom Aussterben bedrohte Hausratte (Rattus rattus). Beide Gattungen waren schon seit Jahrtausenden im engen Gefolge der Menschen zu finden. Sie profitierten stark von den landschaftlichen Veränderungen die Menschen in ihren Siedlungsgebieten vornahmen, wodurch natürliche Jäger in solchen Gebieten verdrängt bzw. ganz ferngehalten wurden. Hierdurch konnten sich Rattenpopulationen stark vermehren. Gleichzeitig partizipierten die Nager durch von Menschen angelegte Nahrungsmittellager, insbesondere Kornspeichern. Wo es Menschen gab, gab es auch immer Ratten.

Kam es in Folge der Infektion zum Aussterben der befallenen Rattenkolonie, musste sich der Rattenfloh einen Ersatzwirt suchen und der Mensch drängte sich als Zwischenwirt geradezu auf. Über den Mensch suchte sich der Floh wieder Zugang zu einem neuen Rattennest. Wie bereits erwähnt, war der Mensch nicht der bevorzugte Wirt des Rattenflohs, dennoch musste er als Zwischenstation und dann auch als vermeintliche Nahrungsquelle dienen.

Ein mit dem Erreger der Pest verseuchter Floh übertrug die Seuche auf den Menschen aufgrund einer im Vormagen (Proventriculus) des Flohs auftretenden Anomalie. Das von der Ratte angesaugte Blut, vielmehr die darin hochkonzentrierten Pestbaktieren, verklumpten und erzeugten einen zeitweisen, meist über viele Tage andauernden Magenverschluss, wodurch eine schleichende Dehydrierung des Flohs einsetzte. Der zunehmend unter Flüssigkeitsmangel leitende Parasit, versuchte nun unter großer Kraftanstrenung, Blut aus dem Menschen zu saugen. Durch den mechanischen Kraftaufwand öffnet sich der Vormageneingang, wodurch über den Saugapparat infizierte Flüssigkeit durch den Stichkanal in den Menschen gelang. Der Floh, der jetzt in akutem Nahrungsnotstand war, und wegen des Magenverschluss wieder und wieder zustach aber letztlich keine Flüssigkeit aufnehmen konnte, übertrug auf diese Weise, durch wiederholtes Stechen, eine ausreichend hohe Menge Bakterien auf den Menschen. In Folge der jetzt auftretenden Erregeranreicherung, gelang es den körpereigenen Abwehrkräften nicht mehr eine Infektion erfolgreich zu bekämpfen und es kam rasch zu den ersten Krankheitssymptomen.


„Verlauf der Infektion“

Ein infizierter Mensch reagierte teilweise bereits nach wenigen Stunden, je nach Konzentration der in den Körper eingedrungenen Bakterien, vereinzelte auch erst nach einer Woche. Die zu Beginn auftretenden Symptome waren Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und somit Erscheinungsformen die man an sich als nicht ungewöhnlich einstufte und für bekannte Erkrankungsformen hielt, über deren Ursachen man freilich auch nichts wusste. In aller Regel verschlechterte sich der Zustand des Patienten nach Ausbruch der Krankheit rasend schnell und führte bald zu Bewusstseinsstörungen. Zu den vorgenannten Symptomen gesellten sich jetzt auffallende Körpermerkmale. Große Beulen am Hals, in der Leistengegend oder den Achselhöhlen bzw. generell in Bereichen der Lymphknoten bildeten sich aus. Diese schwollen in extremen Fällen, bis zu einem Durchmesser von 10 cm an und bereiteten den Patienten starke Schmerzen. Sie waren, hervorgerufen durch innere Blutungen im Bereich der Lymphgefäße, blau bis schwarz gefärbt und füllten sich im Verlauf der Infektion zunehmend mit Eiter. Auf dem Höhepunkt riss das stark überdehnte Hautgewebe ein oder platzte regelrecht auf und die sogenannte Pestbeule fiel in sich zusammen.

Die prägnanten Beulen gaben dieser Form der Pest schließlich auch den bis heute verwendeten spezifischen Namen, die „Beulenpest“. Gleichzeitig sprach man wegen der auffallend blauschwarzen Verfärbungen vom „Schwarzen Tod“, ein Name der Angst und Schrecken für viele hundert Jahre in ganz Europa auslöste. Es sollte erwähnt werden, dass dieser Begriff tatsächlich erst seit Anfang des 16. Jahrhunderts verwendet wurde. Zeitzeugen sprachen einfach vom großen Sterben.

Trat die Erkrankung in die letale und letzte Phase ein und ein Genesen ausgeschlossen war, waren zuvor Pestbakterien in den Blutkreislauf gelangt worauf über diesen Weg praktisch der gesamten Organismus infiziert wurde. In einigen, wenn auch selteneren Fällen, wird dabei unter anderem die Lunge befallen. Diese spezifische Erscheinungsform wird als Lungenpest bezeichnet. Ein Sterbender, der an dieser besonderen Form der Erkrankung litt, stellte für seine unmittelbare Umgebung eine hohe Gefahr dar, denn tatsächlich ist diese Form der Pest die einzige Variante,  bei der eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch möglich wird. Die Verbreitung erfolgt ähnlich der Grippe durch die Luft. Bei erfolgter Ansteckung, wobei ein sehr enger, räumlicher Kontakt notwendig ist, da der Pesterreger an der Luft schnell abstirbt, bricht die Erkrankung nach nur wenigen Stunden als primäre Lungenpest aus und führt nach ein bis höchstens drei Tagen zum Tod des Patienten durch akutes Lungenversagen oder Blutstau. Üblicherweise tritt der Pesttod ansonsten als Folge einer sogenannten Pestsepsis ein. Die Erreger die mit dem Ende des eigenen Lebenszyklus im Körper des befallenen Menschen absterben, verursachen eine Vergiftung die zum schrittweisen Zusammenbruch der Lebensfunktionen des Patienten führt.

Die Überlebenschance eines mit dem Erreger befallenen Patienten dürfte im Mittelalter deutlich unter 10 % gelegen haben. Gelangte das Bakterium in die Blutbahn, so war keinerlei Überlebenschance, da die unvermeidlich auftretende Sepsis durch nichts heilbar war.

Der allgemeine Stand der medizinischen Erkenntnisse im Spätmittelalter war im Bezug auf das Auftreten einer Krankheit wie sie die Pest darstellte, völlig unzureichend. Die Ärzte waren über jedes denkbare Maß hinaus überfordert und ratlos. Es herrschte nicht die geringste Vorstellung hinsichtlich Ursache oder Behandlungsart der Krankheit. Aberglaube und die weitverbreitete Meinung, dass die Krankheit eine göttliche Strafe war, der man aus eigener Kraft nicht entrinnen konnte, trug zu einer Verbreitung von bis  dahin unvorstellbarem Ausmaß bei.


„Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben“

Die Krankheit wuchs sich schnell von einer lokalen Epidemie zu einer europaweiten Pandemie aus. Menschen, quer durch alle Schichten und Stände wurden zu Opfern. Besonders schwer traf es Italien und weite Teile Frankreichs. Die bevölkerungsreichen Stadtrepubliken Oberitaliens waren so stark betroffen, dass beispielsweise in Florenz nur eine von fünf Personen die Pestwellen der Jahre 1348 – 1351 überlebte. Aus Florenz stammt auch der wichtigste schriftliche Augenzeugenbericht über das Ausmaß und die Auswirkung der Seuche auf das gesellschaftliche Leben der Zeit.

Dem Bericht des Giovanni Boccaccio (1313 – 1375), der in seinem Meisterwerk „Das Dekameron“ (Il Decamerone) detailreich und realistisch die Auswirkungen der Pest in Florenz beschrieb, entnehmen wir eine plastische Darstellung, die das Leben und Sterben in seinen vielen Facetten beschreibt. Die festgehaltenen Szenen werden in vielen Aspekten so oder ähnlich auch auf die meisten anderen, von der Pest heimgesuchten Städte und Regionen Europas angewendet werden können. Er beschreibt ein Bild des teilweise völligen Zusammenbruchs aller gesellschaftlichen Ordnung. Selbst die enge Bande in Familien, unter Eheleuten ja sogar zwischen Eltern und ihren hilfsbedürftigen Kindern, löste sich unter Umständen auf. Aus Furcht vor Ansteckung flüchteten Angehörige von ihren Nächsten und ließen dabei alles zurück. Mancher Zeitgenosse gab sich jeder Form der Freizügigkeit hin und wieder andere einer verschärften Enthaltsamkeit. Zwischen Geselligkeit und Isolation fand man alle Formen des Sein oder Nichtsein. Versuchte man noch zu Beginn den geliebten Verstorbenen, der Sitte entsprechend, eine angemessene Bestattung zuteil werden zu lassen, so hörten diese Bräuche mit explodierender Sterberate zusehends auf. Die Geistlichkeit, unter denen der Tod ebenfalls reiche Ernte hielt, war nicht mehr in der Lage allen Sterbenden selbst die letzte Ölung zu spenden und wenn doch, so taten sie es oft selbst schon in erkranktem Zustand oder voll zitternder Furcht in Erwartung einer baldigen Ansteckung. Die Berge von Leichen wurden auf dem Höhepunkt nur noch in Massengräbern übereinander geschichtet und verscharrt. Oft lebte kein Angehöriger mehr der hiergegen hätte protestieren können oder auch nur wollen. Viele Häuser standen leer, selbst städtische Paläste. Wer noch lebte, verschaffte sich heute hier, morgen dort Zugang und lebte von einem Augenblick zum nächsten. Recht und Ordnung war weitestgehend zusammengebrochen.

Auszugsweise möchten wir den Autor an dieser Stelle selbst zu Wort kommen lassen: 

„… vom März bis zum nächsten Juli seien, teils von der Gewalt dieser bösartigen Krankheit, teils wegen des Mangels an Hilfe, den manche der Kranken leiden mussten, weil die Gesunden sie aus Furcht vor der Ansteckung in ihrer Not verließen, über hunderttausend Menschen innerhalb der Mauern von Florenz dem Leben entrissen worden, während man vor diesem verheerenden Ereignis der Stadt vielleicht kaum so viele Einwohner zugeschrieben hätte. Ach, wie viele große Paläste, wie viele schöne Häuser und vornehme Wohnungen, die einst voll glänzender Dienerschaft, voll edler Herren und Damen gewesen waren, standen jetzt bis auf den geringsten Stallknecht leer! Wie viel denkwürdige Geschlechter blieben ohne Stammhalter, wie viele umfassende Verlassenschaften und berühmte Reichtümer ohne Erben! Wie viel rüstige Männer, schöne Frauen und blühende Jünglinge, denen, von anderen zu schweigen, selbst Galen, Hippokrates und Äskulap das Zeugnis blühender Gesundheit ausgestellt hätten, aßen noch am Morgen mit ihren Verwandten, Gespielen und Freunden, um am Abend des gleichen Tages in einer anderen Welt mit ihren Vorfahren das Nachtmahl zu halten!“

Und noch ein weiter Auszug:

„Wir wollen darüber schweigen, dass ein Bürger den anderen mied, dass fast kein Nachbar für den anderen sorgte und sich selbst Verwandte gar nicht oder nur selten und dann nur von weitem sahen. Die fürchterliche Heimsuchung hatte eine solche Verwirrung in den Herzen der Männer und Frauen gestiftet, dass ein Bruder den anderen, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Ehemann verließ; ja, was noch merkwürdiger und schier unglaublich scheint: Vater und Mutter scheuten sich, nach ihren Kindern zu sehen und sie zu pflegen – als ob sie nicht die ihren wären (…) Viele starben, die, wenn man sich um sie gekümmert hätte, wohl wieder genesen wären. Aber wegen des Fehlens an ordentlicher, für den Kranken nötiger Pflege und wegen der Macht der Pest war die Zahl derer, die Tag und Nacht starben, so groß, dass es Schaudern erregte, davon zu hören, geschweige denn es mitzuerleben.“

„… es waren genug derer, die auf offener Strasse bei Tag wie bei Nacht starben, und von vielen die in ihren Häusern gestorben waren, erfuhren die Nachbarn erst durch den Gestank ihrer verwesenden Leichname, dass die tot waren … Sie selbst, oder mit Hilfe von Trägern, zogen die Leichen aus den Häusern und legten sie vor die Tür, wo man Morgens zahllose mengen davon sehen konnte. Man ließ Tragbahren kommen, und wo es keine gab, legte man die Toten auf ein Brett …“

Das Zeugnis das uns Giovanni Boccaccio in seinem Bericht hinterlässt, ist von solch niederschmetternder Beklemmung, dass man nur staunen kann, dass eine Gesellschaft die in manchen Landstrichen zu 80% und mehr von der Seuche ausgelöscht wurde, jemals wieder auf die Beine kommen konnte.


„Ausbreitung nach Norden,Westen und Osten“

Durch ein weitläufiges Handelsnetz, quer über den ganzen europäischen Kontinent, wurde die Krankheit von Italien und Frankreich schnell in andere Regionen Europas verbreitet.

Anfang 1349 erreichte der Erreger über verschiedene Weg den nördlichen, deutschsprachigen Teil des Heiligen Römischen Reichs. Über Südfrankreich gelangten infizierte Flöhe im Gepäck der Händler oder deren Kleidung in die heutige Schweiz. Im Sommer erreichte die Seuche die Stadt Basel. Von hier aus verbreitete sie sich in nur wenigen Wochen entlang des Rheins bis in die Niederlande. Gleichzeitig trugen andere Händler über die Alpenpässe den Erreger nach Tirol, in die Steiermark, nach Österreich und Bayern. Mai 1349 zeigten sich in Wien die ersten Erkrankungen, worauf dort wie überall der Tod in kürzester Zeit reiche Ernte hielt.
Schon Ende des Jahres war die Krankheit bis in die deutsche Tiefebene vorgedrungen und hatte im Frühjahr 1350, bis auf Ausnahmen, alle Gebiete des Heiligen Römischen Reichs erreicht. Weniger betroffen als andere Reichsregionen, waren die Provinzen der Mark Brandenburg, und wenn, dann solche Landesteile die vorzugsweise mit Lübeck und anderen großen Hansestädten in Kontakt standen. Böhmen war nur vereinzelt von der Pest betroffen, in Prag trat die Krankheit überhaupt nicht auf.  Auch Polen konnte sich durch Schließung und scharfe Kontrolle seiner Grenzen weitestgehend vor einer Einschleppung bewahren. Die Folge war aber auch der übergangsweise Zusammenbruch des Fernhandels.

Bis Ende 1351 war die Pest über den gesamten Kontinent hinweggerast. Durch harte Abschottung konnten sich einige europäische Enklaven vor der Pest bewahren. Dazu gehörte das bereits erwähnte Polen, Teile Böhmens, Mailand und Umgebung, Brügge und Umgebung sowie Gebiete in den Pyrenäen. Hinzu kamen auch hier und da einzelne kleinere Regionen die entweder durch lokale Maßnahmen oder durch Abgelegenheit, nicht in Berührung mit Infizierten kamen.

Eingangs wurde es bereits erwähnt, die Pest war kein rein europäisches Phänomen, der Orient bis weit nach Zentralasien hinein sowie Nordafrika in seiner gesamten Ausdehnung, wurde ein Opfer des Schwarzen Tods.


„Opferzahlen und Folgen“

Bezüglich der Opferzahlen existiert bis heute Streit unter den Fachleuten. Sicher ist man, dass in den asiatischen Gebieten und Nordafrika die prozentuale Sterberate deutlich über Europa lag und zwischen 60% und 80% der Bevölkerung ausgerottet wurde.

Es ist weithin verbreitete Auffassung, dass in Europa etwa 1/3 der Bewohner dahingerafft wurden. Man geht von geschätzt 25 Millionen Toten aus. Vereinzelt werden höhere Werte genannt, die bis über 50% hinaus gehen. Tatsächlich ist es schwierig Angaben zu machen, da die Bevölkerung Europas zu dieser Zeit nur unzureichend beziffert werden kann. Interessant ist das Beispiel der Stadt Florenz. Man schätzt dass bis zu 100.000 Einwohner innerhalb der Stadtmauern oder im unmittelbaren Einzugsgebiet der Stadt ihr Leben verloren. Tatsächlich war diese Zahl höher, als die bis dahin angenommene Bevölkerungszahl. Es zeigt, dass Metropolen solcher Größenordnungen kein ausreichendes Wissen von ihrer wahren Bevölkerungsgröße hatten. Hinzu kommt der schon angedeutete Niedergang öffentlicher Ordnung und Organisation. Es wurden die Toten ohne jeden Vermerk verscharrt, was auf die ärmsten der Armen in besonderem Ausmaß zutraf. Dei Geistlichkeit war außerhalb der Städte Hauptinstanz die einen Einblick in die Größe ihrer Gemeinde hatte und auch dokumentierte. Die Geistlichen waren allerdings anteilig die mit am schwersten von der Pest betroffene Gruppe. Somit ging mit Ihnen oftmals das Wissen über ein seelsorgerisch betreutes Dorf oder Landflecken verloren. Schriftliche Aufzeichnungen wie es die Taufregister darstellten, bestanden zwar aber wer all das überstanden hatte, machte sich kaum Gedanken über die Zahl der Verstorbenen. Aus Angst vor Ansteckungsgefahr wurden viele Gebäude, wenigstens aber deren Hausrat verbrannt, auch jene von Geistlichen, womit natürlich alle schriftlichen Aufzeichnungen verloren gingen, und damit auch so manches Taufregister. Aus all diesen Gründen kann das wirkliche Ausmaß nur geschätzt und allenfalls hochgerechnet werden.

Für den deutschen Reichsteil wird geschätzt, dass rund 10% der Gesamtbevölkerung ihre Leben verloren, wobei auch hier Zahlen bis zu einem Viertel genannt werden. Regional kann das Ausmaß noch höher gewesen sein.

Von der gesellschaftlichen Struktur her, traf es alle Schichten, jedoch die Ärmsten am schwersten weshalb sie in Relation höhere Opferzahlen hatten. Je höher die Bevölkerungsdichte war, je wahrscheinlicher war eine Infektion. Hierdurch waren die Menschenverluste in Städten in der Gesamtsumme höher als auf dem platten Land auch wenn es Dörfer gab, die restlos ausstarben. Brach die Krankheit in einer Familie aus, war es sehr wahrscheinlich das mehrere Individuen, möglicherweise die gesamte Familie erkrankte und starb.

Durch das massenweise Sterben litt nicht nur die allgemeine Ordnung, auch das ökonomische System war stark betroffen. Handwerk und Handel kamen zum erliegen oder wurden wesentlich behindert. Städte in denen die Krankheit noch nicht ausgebrochen war, schotteten sich gegenüber dem Umland ab wodurch der der Warenstrom versiegte und die lokalen Preise explodierten.

Brach die Krankheit auf dem Land aus, stand den einfachen Menschen, jenseits von lokalen Klöstern oder den eigenen Heilkünsten, keinerlei medizinische Hilfe zur Verfügung. Die Sterblichkeit der Erkrankten war allgemein besonders hoch, da wegen ausbleibender Betreuung, entweder aus Ansteckungsangst oder weil alle anderen Familienmitglieder ebenfalls bereits angesteckt waren, der Pesterreger über offene Wunden, zumeist der geplatzten Pestbeulen, in die Blutbahn geriet und dadurch die unausweichlich entstehende Pestsepsis nach wenigen Tagen den Tod brachte.

Mit dem großen Sterben in einzelnen, ländlichen Regionen, wurde die Nahrungsmittelversorgung in diesen Einzugsgebieten beeinträchtigt. Felder und Vieh blieben sich selbst überlassen, ausgestorbene Höfe verwilderten. Mancher Hof und sogar manches Dorf wurde nach Abklingen der Pest nicht wieder besiedelt und verödete.

Wie zu allen Zeiten gab es auch Gewinnler. Jene die die Seuche überlebten und dann Nutzen aus brachliegenden Höfen auf dem Land oder leerstehenden Häusern in den Städten zogen. So mancher kleine Landadlige konnte seinen Landbesitz auf günstige Weise signifikant vergrößern und war doch anschließend ärmer als zuvor, denn der wahre Reichtum bestand stets in den Menschen selbst, die als Arbeitskraft, als Steuerzahler, als Frohnleistende, als Handwerker oder Kaufleute im Räderwerk der mittelalterlichen Ökonomie die zentrale Rolle spielten. Gab es niemanden der das Land bestellte, nutzte das Land auch niemandem etwas.

Am Ende trug der akute Mangel an Arbeitskräften auch zum Niedergang des Feudalsystems auf dem Land und sogar zu einem Aufweichen des äußerst restriktiven Zünftewesens in den Städten bei. Wer die Pest überlebte, dessen Wert als Arbeitskraft war erheblich gestiegen. Er fand jetzt in den Städten Zugang zu Handwerksberufen, die zuvor unter dem eifersüchtigen Protektionismus alteingesessener Familien standen und die das Zunftwesen zu einem Monopol einer verschworenen Handwerkselite machten.

Auch auf dem Land vermochte der Adel die Menschen nicht mehr in gleicher Weise unter einer harten Knute zu halten. Wollte man verhindern, dass die wenigen Bauern abwanderten, musste man ihnen bessere Bedingungen zuerkennen. Die Zeit des wohlhabenden Feudaladels neigte sich dem Ende zu. Viele vermochten ihren Lebensstandard unter den veränderten Bedingungen nicht mehr aufrechtzuerhalten und verarmten zusehends.


„Wahrnehmung unter den Zeitgenossen“

Für die meisten Menschen der Zeit, war die Pest eine Strafe Gottes und eine Prüfung der Gläubigen. Die Kirchen wurden mehr denn je der zentrale Zufluchtsort der Menschen die, wenn sie schon nicht ihr Leben zu retten vermochten, zumindest ihr Seelenheil sichern wollten.

Die Ohnmacht gegenüber einer grassierenden Krankheit, die über Nacht aus einem Gesunden eine Leiche machen konnte, führte zu allerlei gesellschaftlichen Auswüchsen. Eines der prägnantesten Massenphänomene war das Wiedererscheinen der Geißlerbewegung. Die Anhänger dieser religiösen Laiengemeinschaft, fanden sich zu Menschenzügen von 200 bis 300 Gläubigen zusammen und zogen singend, betend und sich mit Peitschen und Ruten selbst züchtigend, durch das Land. Die Bewegung fand mit Fortschreiten der Pest immer mehr Zulauf und radikalisierte sich zum Fanatismus. Bald schon wurde von kirchlicher Seite offiziell gegen die Bewegung interveniert und selbst der Papst schaltete sich ein.

Viele Menschen lebten in der festen Erwartung der Apokalypse und all die Ereignisse galten als untrügliche Vorzeichen des Weltuntergangs.

Schon früh nach Erscheinen der Seuche suchten regierende Fürsten nach rationalen Erklärungen. So forderte beispielsweise der französische König Philipp VI. schon im Oktober 1348 die Pariser Universität auf, ein Gutachten über die Ursachen der Pest zu erarbeiten. Man kam dort zu dem hochoffiziellen Urteil, dass eine unglückliche Planetenkonstellation aus Saturn, Jupiter und Mars zu ungünstigen „Miasmen“, also krankmachenden Winden und Ausdünstungen, führte.

In einer Bevölkerung die von Aberglaube und Kirchendogmen geprägt war, zu dem sich noch altüberlieferte Ritualen vielerlei Art beimischten, fielen derartige mystifizierte, pseudowissenschaftliche Feststellungen auf fruchtbaren Boden. Allerlei Verhaltensregeln und Thesen kursierten. So galten stehende Gewässer überhaupt sumpfige Gebiete als Hort von Krankheiten. Vereinzelt traf diese in der Realität sogar zu, hatte aber im vorliegenden Fall keinen Beitrag an der Pandemie. Könnte man derartige Annahmen noch nachvollziehen, so wundert man sich doch spätestens dann, wenn man hört dass es Regeln gab, die davon abrieten über Tag zu schlafen da dies der Krankheit Vorschub leistete. Auch schweres arbeiten galt als ein Risiko dass die Ansteckungsgefahr erhöhte.
In Skandinavien waren viele Menschen davon überzeugt, dass aus dem Mund eines Pesttoten eine kleine blaue Flamme entweicht, die dann in ein bislang uninfiziertes Haus eindringt und sich dort neue Opfer suchte.
Junge, besonders attraktive Frauen galten in Oberitalien als diejenigen die auf die Pest anziehend wirkten.

All diese Praktiken und Erklärungen waren Ausdruck einer von Mystifizismus geprägten Gesellschaft, wo selbst führende wissenschaftliche Köpfe, in Ermangelung rationaler Erklärungen, in stumpfe Esoterik flüchten.

Der Scharlatanerie war Tür und Tor geöffnet. Heil- und Wundermittel, Kuren und Therapien aller Arten wurden angepriesen und wieder verworfen. Da die Betrogenen oder Enttäuchten in den seltensten Fällen im Nachhinein noch protestieren konnten, weil sie schlichtweg zu einem der ungezählten Opfer dieser schrecklichen Krankheit wurden, galt das Prinzip, „Wo kein Kläger, da auch kein Richter“.


„Schauprozesse und Judenprogrome“

Wie schon geschildert, ging in Städten und Regionen mit hoher seuchenbedingter Sterblichkeit, ein Rückgang, mancherorts sogar der völlige Zusammenbruch, jeglicher Ordnung einher. Die gesamte Bandbreite von irrationaler Angst mit Aktionismus in alle Richtungen bis hin zu völliger Selbstaufgabe und Lethargie war vorhanden.

Die Suche nach einem wirksamen Heilmittel blieb erfolglos. Versuche die Ausbreitung einzudämmen reduzierten sich, wenn überhaupt, auf zufällige Erfolge. Nur die Maßnahme der völligen Abschottung, zur Not unter Einsatz von Waffengewalt, versprach für Regionen in denen die Seuche noch nicht zum Ausbruch kam, eine gewisse Chance auf Erfolg.  Hierzu sei nochmal das von der Pest weitestgehend verschonte Polen, der Großraum Mailand und Brügge sowie weite Teile Böhmens und der Pyrenäenraum genannt.

Da buchstäblich kein Kraut gegen den Schwarzen Tod gewachsen war, wurde rasch an höhere Fügung geglaubt. Der göttliche Fluch musste über die Menschheit gekommen sein.

Bald kam eine Menschengruppe in Verdacht, die sich durch ihre Lebensweise bewusst von den Zeitgenossen distanzierte. Juden wurde unterstelle sie könnten eine ursächliche Rolle spielen. Sie wurden verdächtigt aus Hass auf Christen, deren Brunnen und Gewässer zu vergiften. Dass der Verdacht schon aus ganz rationalen Erwägungen heraus unhaltbar war, zeigte sich nicht nur daran, dass auch Juden an der Pest erkrankten, sondern dass die Krankheit auch dort zum Vorschein kam, wo überhaupt keine Juden lebten. Die Kirche versuchte den Übergriffen gegen jüdische Gemeinden entgegenzutreten. Papst Klemens VI. kritisierte in zwei päpstlichen Bullen die Gewaltexzesse heftig und wies die Bischöfe an, in ihren Diözesen den Gewalttaten ein Ende zu setzen. Er drohte bei weiteren Zuwiderhandlungen schwerste Kirchenstrafen an. Auch weltliche Fürsten, unter deren besonderem Schutz die Juden in aller Regel standen, versuchten nach Kräften Progrome zu verhindern. Über das sogenannte Judenregal, waren Angehörige des mosaischen Glaubens, eine feste Steuereinnahmequelle für die Landesherren und dadurch besonderem Schutz gewärtig.

Mit fortschreitender Zahl an Infektionen und der damit meist einhergehenden, raschen Degeneration landesherrlicher Autorität, war es in vielen Fällen schlichtweg nicht mehr möglich, auftretenden Zusammenrottungen und Übergriffen gegen Juden Einhalt zu gebieten. In zahlreichen Städten des Reichs, in denen größere jüdische Gemeinden angesiedelt waren, kam es zu Ausschreitungen, die teilweise schwerste Ausmaße annahmen. Unter der Folter erpresste Geständnisse machten noch schneller die Runde als der Schwarze Tod selbst. In einigen Fällen kam es zu Gewaltaktionen gegen lokale jüdische Gemeinden, obwohl die Krankheit überhaupt nicht ausgebrochen war.

Habgier spielte als Ursache der Gewaltexzesse eine ganz wesentliche Rolle. Den Juden war, abgesehen von wenigen Ausnahmen, der Besitz von eigenem Land untersagt. Der Betrieb von Landwirtschaft war gänzlich im Reich ausgeschlossen. Auch durften sie kein Handwerk ausüben. Die Bandbreite der Möglichkeiten um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, war sehr stark eingeengt. Kleinhandel und noch mehr der verzinste Geldverleih, wurden bald zu den zentralen Einnahmequellen der Juden. So kam es, übrigens nicht nur anlässlich der großen Pestpandemie, sondern auch immer wieder später und regional über das ganze Reich verteilt, dass Schuldner dankend irgendwelche fingierten Anlässe nutzten um sich ihrer Gläubiger, vielmehr ihrer Schulden zu entledigen. Oft gehörten die Verschuldeten dabei zu den maßgeblichen Initiatoren, wenn es darum ging angebliche Verstöße der Juden zu konstruieren.

Die mittelalterliche Gesellschaft war tief gefangen im Glauben an übernatürliche Phänomene, Hexerei, Zauberei und war zugänglich für alle Formen des Aberglaubens. Es brauchte daher nicht viel um das gemeiner Volk aufzuhetzen. Dass dies alles diametral zur christlichen Glaubensethik stand, lässt es besonders paradox und surreal wirken. Der Glaube der allermeisten Menschen des Mittelalters war geprägt vom rituellen Kodex welcher sich in den wiederholenden Liturgien der Kirchen manifestierte. Ein auf eigenes Studium der Heiligen Schrift basierendes Werteverständnis der Gläubigen schloss sich gänzlich aus. Die Analphabetenrate lag bei über 90%.  Hinzu kam, dass religiöse Schriften selten in Landessprachen existierten. Die Messe wurde in Latein gehalten und allenfalls die Predigt in der einfachen Sprache des Volkes. Man muss es wohl so ausdrücken, der durchschnittliche Gläubige hatte kein eigenes Wissen über seinen Glauben, er folgte der Herde und dem jeweils aktuellen Kirchendogma, das sich an bischöfliche Order oder das Credo der Kurie hielt.

Progrome gegen Juden waren anlässlich der Pest keine Neuheit, gleichwohl die sogenannten Pestprogrome einen bisherigen Höhepunkt darstellten. Die Juden als bekannteste Opfergruppe, waren bei weitem nicht alleine in der Reihe der Sündenböcke. Alle Randgruppen oder gesellschaftlich stigmatisierte Kreise wurden im Bedarfsfall als vermeintlich Schuldige herangezogen, seien es Leprakranke, Personen die den christlichen Glauben anders auslegten bis hin zu einfachen Menschen, die über das Trivialwissen der Allgemeinheit hinaus, beispielsweise kräuterkundig waren.
Die Exzesse gegen Juden sind in der Geschichte am besten dokumentiert, was ihren Leidensweg damit in der Gesamtwahrnehmung auch am prominentesten hervorhob. Hierzu trug sicherlich eigene chronologische Niederschriften der Juden selbst bei. Sie verfügten über einen für die Zeit ungewöhnlich hohe Bildungsgrad. Üblicherweise konnten städtische Juden alle Lesen und Schreiben. Allein das reichte oft schon sie in den Augen des gemeinen Volkes anrüchig zu machen. Viele jüdische Gemeinden zeichneten ihren langen Leidensweg eigenhändig auf und reichten das Erfahrene von Generation zu Generation weiter. Zum anderen waren die Ereignisse der Pestjahre auch außerhalb der Leidensgemeinschaft der Juden wahrgenommen und schriftlich festgehalten worden. Wir erwähnten dass sich sowohl die Kirche und hier der Papst persönlich, wie auch weltliche Fürsten bemühten, die Rechte der Juden, zu denen die Unversehrtheit von Leib und Leben wie auch des Besitzes gehörte, zu erhalten und zu gewährleisten. Die Dynamik des seuchenbedingten Zerfalls der öffentlichen Ordnung, machte es bald nicht mehr möglich den aufwallenden Zorn des Mobs niederzuhalten. Am Ende war das Opfer der Juden größtenteils billigend von der Obrigkeit hingenommen worden als ein hinnehmbarer Preis, wenn dadurch des Volkes Zorn sich wieder beruhigte und das Vertrauen in den Klerus und die Landesherren nicht weiter untergraben würde.

Wir wollen auf konkrete Ereignisse nicht im Detail eingehen. Namentlich erwähnt sollen jedoch zumindest die im deutschen Reichsteil weitreichend bekannt gewordenen Ausschreitungen werden. Zu ihnen gehörten die Progrome in den Reichsstädten Basel, Straßburg, Mainz, Nürnberg und Speyer. Hier kam es zu besonders schweren Übergriffen, Massenmorden und Vertreibungen kam.

Geschah den Juden europaweit in der Zeit der Pest großes Unrecht, so gab es gleichzeitig Landesherren und Könige, die sich persönlich einsetzten nicht nur die Rechte der ansässigen Juden zu wahren sondern auch Vertriebenen Asyl zu gewähren. So zum Beispiel der Habsburger Herzog Albrecht II. von Österreich, ein Sohn des ehemaligen römisch-deutschen Königs Albrecht.

Marmorstatue Pfalzgraf Ludwigs I., Stiftskirche Neustadt

Weiter der Wittelsbacher Ruprecht I. aus der pfälzischen Linie, Pfalzgraf und Kurfürst zu Rhein. Obwohl selbst, der Sitte der Zeit, über keine eigene Bildung verfügend, war er ein Mäzen der Wissenschaften und modern denkender Landesfürst, man möchte fast sagen ein Frühhumanist. Sein Onkel war Kaiser Ludwig der Bayer. Er war somit ein Vetter der bayrischen Herzöge, der brandenburgischen Markgrafen und niederländischen Grafen, über die wir in den vorherigen Kapiteln laßen. Die Ruprecht Universität, heute Ruprecht-Karls Universität in Heidelberg, wurde 1386 unter seiner Regentschaft gegründet. Er gab den aus Worms und Speyer vertriebenen Juden, gegen Zahlung eines hohen Kopfgeldes in seinem Herrschaftsgebiet freimütig Asyl und stellte sie unter seinen fürstlichen Schutz. Hierzu auszugsweise eine schriftliche Anweisung an den Magistrat der Stadt Heidelberg: „Alle inwohner, so zu Heidelberg wohnen, es seind Christen, pfäffen, laien oder Juden, zu schützen oder schirmen.

Neben diesen beiden bekanntesten Schutzpatronen der Juden im Reich, gab es auch andernorts in Europa Regenten, die den Juden Zuflucht gewährten. Namhaft waren hierbei König Peter IV. von Aragon und im besonderen Maß König Kasimir der Große von Polen. Letzterer siedelte die massenhaft aus den deutschen Reichsteilen nach Polen flüchtenden Juden in den neueroberten Gebieten Podoliens, Wolhyniens, Halytschs, Wlodymyrs, im Südosten des damaligen polnischen Königreichs an. Jene Gebiete waren durch wiederholte Tatareneinfälle teilweise stark entvölkert. Den Juden wurde bescheidener Landerwerb zugestanden. Land- und Viehwirtschaft gesellte sich zu Handel und Kreditgeschäften, die bislang nahezu die alleinigen Erwerbsmöglichkeiten darstellten. In den folgenden Jahrhunderten wuchs in diesen Regionen die größte Konzentration von Menschen jüdischen Glaubens in Europa heran.

Allen vermeintlichen Schutzherren war ein hauptsächliches Motiv gemein, sie sahen in der Gewährung der Juden einen wirtschaftlichen Vorteil der sich monitär in ihren landesherrlichen Kassen unmittelbar bemerkbar machte. Menschengüte oder christliche Nächstenliebe waren, wenn auch nicht gänzlich in Abrede zu stellen, im Bezug auf die Juden nicht der Primärantrieb.


„Nachwirkungen und Aufarbeitung“

Ein Ereignis der Tragweite wie sie die Pandemie der Jahre 1346 – 1351 darstellte, hinterließ schon bei den Zeitgenossen den nachhaltigsten Eindruck. Man darf es ohne Bedenken als tiefgreifendes Trauma bezeichnen.

Neben den weitreichenden Folgen auf die mittelalterliche Ökonomie, hierauf sind wir weiter oben eingegangen, zeigten sich rasch individuelle Nachwirkungen. Kaum war die Seuche in einer Region abgeebbt und nicht auf erneut ausgebrochen, kehrte die zwar öffentliche Ordnung auf wundersame Weise Zug um Zug wieder ein, doch konnten die erlittenen Erlebnisse nicht spurlos auf den Seelen der Menschen bleiben. Mit der Rückkehr zur vermeintlichen Normalität, machte sich unter den Überlebenden tiefe Gewissensnot breit. Das geschilderte Unrecht gegen Juden war für die meisten Überlebenden weitestgehend untergeordnet und allenfalls eine der vielen apokalyptischen Facetten.

Mehr als solche, zwar offensichtlichen, aber regional und weitestgehend auf die Städte reduzierbaren Verbrechen, drückten andere Geschehnisse auf die Gewissen der Menschen. Dem Bericht aus Florenz, die uns der Zeitzeuge Giovanni Boccaccio eindrucksvoll festhielt, entnehmen wir den Überlebenskampf einer Gesellschaft, die sich einer tödlichen Seuche, gleich einem Gottesurteil, hilflos ausgeliefert sah. Beim Versuch das eigene Leben zu erhalten, überließ man selbst engste Familienangehörige beistandslos ihrem Schicksal. Man darf hier zwar nicht pauschalisieren, es traf dies nicht für alle Überlebenden zu, doch war es kein seltenes sondern tendenziell weitverbreitetes Phänomen. Die Sterbenden wurden am Abend auf die Straßen gelegt, wo die Pestknechte sie am Folgetag ohne jede Achtung auf Karren, Bahren, Bretter oder sonstige, primitive Tragen packten, oft regelrecht stapelten und außerhalb der Städte verscharrten. Auf dem Land, wo die Menschen mehrheitlich sich selbst und ihrem eigenen medizinischen Wissen überlassen waren, muss es ähnlich, wenn nicht noch schlimmer gewesen sein. Wo die Krankheit auftrat wurden mitunter ganze Dörfer und Landstriche völlig entvölkert. Wer konnte, der floh oft kopflos in Wälder oder einsame Gegenden und ließ alles und jeden zurück. All diese Handlungen entsprangen nicht einem Mangel an Menschlichkeit oder einer Pietätlosigkeit sondern panischer Angst um das eigene Leben.

Man täte der mittelalterlichen Gesellschaft in Europa Unrecht, würde man unterstellen dass Mitleid, Hilfe oder ein enger Bezug zu Familienmitgliedern und Freunden nur rudimentär oder oberflächlich ausgebildet gewesen wäre. Unzählige Fürbittgottesdienste, Fürbitten allgemein sowie andere Dinge mehr, bezeugen eine enge soziale und moralische Bindung untereinander, die üblicherweise weit über den Tod der Angehörigen hinaus ging. Der Schrecken den der Schwarze Tod verbreitete, erschütterte die Menschen der Zeit so umfassend, dass viele der althergebrachten Konventionen und selbst engste soziale Bindungen einbrachen und gelegentlich völlig auflösten.

Die Zeit nach dem großen Sterben war nicht nur geprägt durch das Zurückfinden der Überlebenden in ein normales Leben, nicht nur angefüllt davon, die Folgen eines kollabierten Waren- und Wirtschaftskreislauf oder den weitverbreiteten Mangel an Fachkräften zu bewältigen, sie war vor allem auch gekennzeichnet vom Gefühl des eigenen moralischen Versagens und einem daraus resultierenden Schuldgefühl. Ein spezifischer Aspekt zeigte sich besonders schmerzvoll. Konnte Verstorbenen, in Gegenden mit ganz besonders hiher Sterblichkeit, kein christliches Begräbnis, selbst nicht die Grablege in geweihte Erde ermöglicht werden, traf dies das stark spirituell geformte Volk in Mark und Bein. Der anschauliche Bericht aus Florenz darf auch hier als Beispiel eines in dieser Form verbreiteten, aus akuter Not ergebenden Phänomens genommen werden. Die Hinterbliebenen, sollte es sie denn überhaupt geben, litten nachträglich unter der Last, ihren Angehörigen keine christliche Bestattung ermöglicht zu haben. Die gängige Deutung der Zeit war, dass den Toten damit der Einzug ins Himmelreich verwehrt bliebe. Da in der Anfangszeit seelsorgerischer Beistand durch die hohe Zahl verstorbener Geistlicher eine weitere Mangelfacette des Neuanfangs war, blieben viele bei der Aufarbeitung dieser Nachwirkungen auf sich gestellt. Das allgemeine Vertrauen in die Kirche war nach der Pest deutlich belasteter als während dieser. In Nachhinein betrachtet, erwies sie sich in den Augen vieler weder in der Lage die Seuche zu verhindern, noch eine Erklärung über die Herkunft zu geben. Den Wünschen Hinterbliebener, nachträglich die Massengrabstellen zu weihen, wurde vielerorts nur nach der Leistung von Geldzahlungen an die regionalen Bischöfe Folge geleistet. Der Klerus, dessen Einnahmen in Form des Kirchenzehnten als Folge des Massensterbens eingebrochen waren, suchte mit solchen Methoden nach finanziellen Kompensationen und zeigte sich im Anschluss an die Pest besonders erfinderisch, wenn es darum geht gebührenpflichtige seelsorgerische Dienstleitungen zu kreieren. Viele Gläubige beschlich ein Gefühl der Ohnmacht, sowohl im Leben als auch im Sterben und ein allgemeines Ausgeliefertsein.

Neben diesen schmerzlichen Gefühlen, die doch privater Natur blieben, gab es die geschilderten Übergriffe gegen Juden. Zweifelsfrei gehörten hauptsächlich diese zu jenen Vergehen, an denen sich vielerorts größere Gruppen beteiligten und woraus sich so etwas wie ein Gefühl der Kollektivschuld ableiten ließ. Das Gewissen mag auch hier den einen oder anderen nachträglich geplagt haben doch spielte die profane Angst vor Repressalien durch die sich wieder regende Landesherrschaft eine meist realere Rolle. Nicht überall wurden die Vorkommnisse ohne Folgen einfach so hingenommen. Es kam zu Untersuchungen, zu Fragen, zu Verhören. Immerhin entging jetzt vielen Landesherren die lukrative Judensteuer. Was nützte das Privileg des Judenregals, wenn keine oder deutlich weniger Juden im eigenen Herrschaftsbereich lebten. Unter den Initiatoren, speziell den nachweislichen Nutznießern der Morde und Vertreibungen, ging Angst um. Es brauchte dringend eines neuen Sündenbocks, den man in der Geißlerbewegung als solches glaubte gefunden zu haben. In dieser Laiengemeinschaft, die reichsweit aktiv und in Zusammensetzung und Form, bis auf Ausnahmen, überwiegend anonym und gesichtslos blieb, schien der ideale Zweckschuldige gefunden. Der Bewegung wurde schnell unterstellt, sie hätte das Volk gegen die Juden aufgehetzt und die Pogrome, wenn nicht selbst betrieben, so doch zumindest erst ermöglicht. Ist es auch in einzelnen Fällen erwiesen, dass Glieder aus dieser Gruppe tatsächlich Teilnehmer, ja selbst Wortführer waren, so gilt es nach heutigen Stand der Geschichtswissenschaft als erwiesen, dass die wahren Schuldigen, dieser Bewegung die Vorgänge zumeist nur in die Schuhe schoben. Die maßgeblichen Hintermänner kamen aus dem Großbürgertum, den Zünften und mancherorts aus dem Adel. In den meisten Fällen waren rein wirtschaftliche Motive Motor der Agitation gegen Juden. Dass jetzt ein weiterer Sündenbock vorgeschoben wurde, rundete die Heimtücke der Tat am Ende erschwerend ab. Leider kamen die Urheber, bis auf Ausnahmen, gewöhnlich ohne Bestrafung davon. Die Untersuchungen verliefen vielerorts mit der Zeit im Sand oder man nahm den angebotenen Köder, in Form der Geißlerbewegung auf und stigmatisierte diese als zentrale Urheber und gleichzeitig Akteuere. Schlussendlich war man heilfroh einen Schuldigen benannt zu haben um die Angelegenheit damit zu den Akten zu legen.


„Auswirkungen der Pest auf Brandenburg“

Auch wenn die Pestauswirkungen in Brandenburg bei weitem nicht das Maß erreichten, wie in den Städten und Regionen entlang des Rheins oder den großen Wirtschafts- und Handelsmetropolen Nürnberg und Lübeck, blieb die Mark nicht ganz verschont. Die Handelsstädte in der Alt- und Mittelmark, entlang Elbe und Havel, waren durch ihre enge Bindung an das weitverzweigte Netz der Hanse um den Herbst 1349 erstmalig in Kontakt mit dem Pesterreger gekommen. In Summe blieb die Zahl der Todesfälle deutlich unter jenen aus den westlichen Teilen des Reichs und allemal unter den erschreckenden Zahlen aus Italien und Frankreich. Die allgemeine Größe des Landes, seine stark ländliche Prägung und die geringe Bevölkerungsdichte, erschwerte die Verbreitung des Erregers wesentlich. Je weiter es nach Osten ging, je unwahrscheinlicher wurde ein Auftreten der Pest, ostwärts der Oder dann kaum mehr.

Der Einbruch des Handels, als Folge verschärfter städtischer Quarantänen sowohl innerhalb eigener Landesgrenzen wie auch der Handelspartner, traf das ökonomisch nur wenig entwickelte Fürstentum besonders hart. Die Ausfuhr von Agrarüberschüssen, welche die hauptsächlichen Handelsgüter des spätmittelalterlichen Brandenburgs darstellten, kam mancherorts völlig zum erliegen. Hieraus ergaben sich für das markgräfliche Regiment, damals noch unter Ludwig I. „dem Brandenburger“ oder „der Ältere“, bald erhebliche finanzielle Verlegenheiten. Zur Herrschaftskrise wurde es in Kombination mit dem im Vorjahr in Erscheinung getretenen, sogenannten „falschen Waldemar“, der vorgab, wir berichteten bereits, der ehemalige, angeblich 1319 nicht verstorbene askanische Markgraf Waldemar zu sein. Wir lasen, dass sich ihm schon frühzeitig viele brandenburgische Städte anschlossen. Im Zuge des flächendeckenden Handelsniedergangs in der Alt- und Mittelmark, schlossen sich weitere, in Gänze fast alle Städte Brandenburgs dem offensichtlichen Betrüger an. Ludwig I., der sich seit seiner skandalösen Heirat im Februar 1342 mit Margarete von Tirol, überwiegend durch Landeshauptmänner in den Regierungsgeschäften der Mark vertreten ließ, drohte zu einem brandenburgischen Titularfürsten zu werden, ein Herr ohne Land und Leute.

In dieser Zeit erwieß sich sein jüngerer Halbbruder Ludwig „der Jüngere“ als tatkräftiger Beistand in der Mark. Spätestens die Auseinandersetzungen um den Betrüger wie auch der wirtschaftliche Niedergang durch die Pest, der daraus resultierenden landesherrlichen Finanznot und nicht zuletzt der Streit um die römisch-deutsche Krone mit dem neuen römisch-deutschen König Karl IV., ließ Ludwig I. von Brandenburg resignieren. 1351 übernahm sein Halbruder als Ludwig II. das Regiment in Brandenburg. Wir schrieben darüber im letzten Kapitel davon.

Wirtschaftlich war Brandenburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts am Boden liegend. Besonders die Kassen des Landesherren litten darunter, da durch den eingebrochenen Handel die Erlöse aus Zöllen, Markt- und Wegerechten etc. zu großen Teilen wegfielen. Das Landesregiment war zur Schaffung notwendiger Finanzmittel gezwungen, Besitz aber auch Vorrechte zu verpfänden, was die Position des Regenten nur noch weiter untergrub. Die noch immer populären Auffassung vieler Geschichtswerke, nach denen die Landesherren das Land ausbeuteten, ist unzutreffend. Die Wittelsbacher sogen Brandenburg nicht für ihre bayrische Hausmachtspolitik aus, das ergibt sich schon aus den Spezifikas der jeweiligen Teilungsakte des Erbes Kaiser Ludwigs IV. von 1349, 1351 und 1353. Dass Brandenburg wirtschaftlich am Boden lag, war die Folge eines seit 1319 fast ununterbrochenen Niedergangs dauerhafter landesherrlicher Regentschaft. Nach dem Tod des askanischen Markgrafen Waldemar und dem brandenburgischen Interregnum, brach der Landeszusammenhalt zusammen worunter auch die ökonomische Basis, zuvorderst der Handel litt. Wenn auch keine Kassenbücher vorliegen, unter den Askaniern wurde, der Sitte der Zeit, nur wenig Wert auf Akten gelegt, muss man anhand verschiedener Entscheidungen Waldemars den Rückschluss ziehen, dass schon unter seiner Administration die Kosten für Hofhaltung usw. nicht mehr immer durch sie landesherrlichen Einnahmen gedeckt werden konnten.
Zeitweise Entfremdungen von Landesteilen, darunter die Prignitz, die Ucker- und Neumark belastete wesentlich die Integrität eines Landes und einer Bevölkerung, die erst zaghaft begann sich märkisch oder brandenburgisch zu betrachten und deren Landadel und Städte sich nur dem jeweiligen Huldigungseid an einen Landesherren verpflichtet sahen, keinesfalls aber einem übergeordneten, symbolischen Ganzen. Das mittelalterliche Feudalsystem war ein auf Personen bezogenes Lehnswesen. Eine Eidesformel auf eine Landesverfassung, ein Staatswesen oder ein Staatsvolk war unbekannt.
Nachdem die Mark an die Dynastie der Witteslbacher ging, verwüsteten Kriege mit Mecklenburg und Pommern, die brandenburgischen Grenzgebiete teilweise bis zur Havellinie. Mit dem Tod Kaiser Ludwigs IV. und den verschiedenen Teilungen des großen Erbes, traten bald tiefe Zerwürfnisse unter den Brüdern und Halbbrüdern auf. Nach nur wenigen Jahren trat das in Erscheinung, was der dahingeschiedene Kaiser zu Lebzeiten stets zu verhindern suchte, ein Zerfall der bayrischen Hausmacht und damit einher, der Machtverlust der Wittelsbacher im Reich. Brandenburg war in den Übergangsjahren nach dem Tod des Kaisers zum Anhängsel geworden.
Mit dem Erscheinen des falschen Waldemars und der bald im Anschluss ausbrechenden Pest, setzte sich der ökonomische Zerfall des Landes fort. Als der erste Markgraf aus dem Hause Wittelsbach 1351 bald darauf resignierte, folgte mit Ludwig II. wieder ein Markgraf der gewillt war landesfürstliche Gewalt auszuüben und für den Brandenburg Kerninhalt dieser Ambitionen war. Allein ihm fehlten schon in dramatischer Weise die finanziellen Mittel seine Vorhaben zu realisieren.

1351 gilt gleichzeitig als das Jahr, in dem die große Pest in Europa weitestgehend abgeklungen war. Menschen in nahezu ganz Europa, von der iberischen Halbinsel bis tief in den russischen Raum hinein, von der südlichsten Spitze bis in den weitesten Norden, wurden Opfer dieser bislang beispiellosen Pandemie. Die Pest wird in den folgenden Jahrhunderten ein steter Begleiter der Menschen sein. Immer wieder wird es zu schweren regionalen Epidemien mit zehntausenden von Opfern kommen doch sie wird nie mehr diese Dimensionen erreichen.

Das Leben im Reich und in Brandenburg nahm wieder einen kontrollierten Gang. Die Folgen blieben jedoch lange spürbar und wurden in Prosawerken und der Malerei aufgearbeitet.

 

Buch 2, Kapitel III: „Ludwig II. der Römer (7. Mai 1328 – 27. Februar 1365)“


Drei Ludwigs in der gleichen Familie, es kann deswegen nicht schaden, um Verwechslungen zuvorzukommen, noch einmal eine kurze Auflistung zu machen. Begonnen wird mit dem Vater, gefolgt von seinem ältesten Sohn aus dessen erster Ehe und als drittes, dem ältesten Sohn aus zweiter Ehe.

  • Ludwig IV., genannt „der Bayer“, Kaiser des Heiligen Römischen Reichs
  • Ludwig I., erstgeborener Sohn des Kaiser, genannt „der Brandenburger“ auch gelegentlich Ludwig „der Ältere“, der spätere regierende Herzog Ludwig V. von Oberbayern.
  • Ludwig II., genannt „der Römer“, auch als Ludwig „der Jüngere“ bekannt, zeitweise als Ludwig VI., Herzog von Oberbayern.

Vollständigerweise müsste mit Ludwig von Ungarn, Ludwig „dem Frommen“, Sohn Karls des Großen und dessen Sohn, Ludwig „dem Deutschen“, Enkel Karls des Großen, die Liste fortgeführt werden. Alle drei werden später noch inhaltlich kurz angerissen. Da sie durch den Kontext nicht allzu schwer von den drei Wittelsbachern zu unterscheiden sind, ist es nicht nötig jetzt schon näher auf sie einzugehen. Und nehmen wir es ganz genau, dann muss noch ein siebter Ludwig erwähnt werden, noch dazu ein weiterer Sohn des Kaisers, der im Jahre 1347, somit im Todesjahr des Kaisers geboren wurde, allerdings bereits im Folgejahr starb.


Ludwig der Römer

Ludwig „der Römer“ wurde als ältester Sohn Kaiser Ludwigs IV. und dessen zweiter Ehefrau, Margarethe von Holland, am 7. Mai 1328 in Rom geboren. Sein Namenszusatz ergab sich augenscheinlich aus dem Geburtsort und wurde als Abgrenzung zum Vater und zum älteren Halbbruder, zu Lebzeiten bereits benutzt. In Bezug auf die Markgrafschaft Brandenburg, war er auch als Ludwig „der Jüngere“ bekannt. In der Liste brandenburgischer Markgrafen wird er als Ludwig II. geführt.

Mit dem Tod Kaiser Ludwigs 1347, wurde das Erbe auf Wunsch des Vaters zu Anfang von den sechs Söhnen gemeinschaftlich regiert. Das Ansinnen des Verstorbenen war es, hierdurch einen Zerfall der erworbenen Gebiete zu verhüten und die Position der bayrischen Wittelsbacher im Reich dauerhaft zu festigen und auf Augenhöhe mit den Habsburgern und Luxemburgern zu halten. Schon 1349 kam es, vermutlich auf Hauptinitiative des erstgeborenen Ludwigs, im Vertrag zu Landsberg zur Teilung der Besitzungen. Jenem ersten Teilungsvertrag folgte mit dem Luckauer Vertrag schon Ende 1351 eine zweite Neuordnung des Erbes, die auch für Brandenburg von Bedeutung war.

Auf Grundlage der zweiten Teilung,  übernahm Ludwig „der Römer“ als Markgraf die Regentschaft in Brandenburg. Sein jüngerer, noch minderjähriger Bruder Otto, blieb dabei an seiner Seite während sich der vorherige Markgraf Ludwig, „der Brandenburger“ oder „der Ältere“, in die bayrischen Stammlande zurückzog und dort als Herzog Ludwig V., die jetzt ungeteilte Herrschaft über das Herzogtum Oberbayern und die Grafschaft Tirol ausübte.


 „Der anglo-französische Krieg“

Bisher wurde gewöhnlicherweise nach dem einleitenden Abschnitt eines neuen Kapitels, ein Blick auf die Zustände im Reich oder außerhalb der Reichsgrenzen geworfen. Die zum Zeitpunkt des Regierungswechsels in der Mark vorgefundene Reichssituation wurde schon im vorangehenden Kapitel tiefergehend erörtert. Karl IV. aus dem Hause Luxemburg, Sohn König Johanns von Böhmen, war seit 1346 neues Reichsoberhaupt, die Kaiserkrone hatte er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erworben.

Da sich reichsintern vorläufig keine erwähnenswert neuen Ereignisse ergaben, wenden wir unseren Blick auf die Vorkommnisse jenseits der Grenzen. Aufgrund seiner Zentrallage im Herzen Europas, grenzten notwendigerweise zahlreiche Königreiche und vornationale Staatskonstrukte ans Reich an. Bei der Verwendung des Begriffs „Grenze„, darf nicht von scharf sich abhebenden, klar von allen anerkannten Übergängen ausgegangen werden. Grenzen waren in damaligen Zeit ein insofern dehnbarer Begriff, als dass sie oftmals noch unstet waren, zumal die Reichsgrenzen im Westen. Ein Teilfürst konnte unter Umständen Vasall gleich zweier, äußerst selten Vasall von noch mehr Herren sein, was die Zuordnung eines Landstrichs durchaus diffus machte. Es ist mitunter sinnvoll sowohl von Grenzen als auch von überlappenden Interessensphären zu sprechen.

Hierzu mag ein fiktives und sehr vereinfachtes Beispiel zur Veranschaulichung geeignet sein. Nehmen wir einen Vasallen des römisch-deutschen Königs oder Kaisers an. Des Vasallen Besitzungen, vielmehr sein Reichslehen liegt an der Westgrenze des Reichs. Er verheiratet einen seiner Söhne aus dynastischen Erwägungen, mit einer guten Partie eines nicht allzu weit entfernten Fürsten und Lehnsmann des französischen Königs. Als Mitgift bringt die Braut einen Flecken Land aus dem Lehnsbesitz des Vaters mit in die Ehe. Der Bräutigam war über seinen eigenen Vater, dessen Erbe er einst wird, ein Vasall des Heiligen Römischen Reichs und dessen jeweiligem Vertreter auf dem Thron. Bezogen auf die Mitgift der Braut wurde er gleichzeitig zu einem Vasallen des französischen Königs. Letzterer hatte als oberster Lehnsherr französischen Territoriums, kein Interesse an einer Erosion des französischem Staatsgebiet und daher war das Recht auf das in die Ehe eingebrachte Land nur über einen zusätzlichen partikularen Lehnseid auf den französischen König möglich. Vorsicht auch hier bei der Verwendung des Staatsbegriffs. Zu einem so frühen Zeitpunkt der mitteleuropäischen Geschichte, muss der Staatsbegriff eingeschränkt gewählt werden, er darf insbesondere nicht in nationalstaatlichem Kontext verstanden werden. Im feudalistisch geprägten Europa konnte man nur sehr wenig von Staaten im späteren Sinne des Begriffs sprechen, wenn wir es dennoch tun, dann deswegen, weil es die Veranschaulichung vereinfacht.

Das konstruierte Beispiel, so stark vereinfacht es war, leitet zu einem Konflikt über, des Ursachen gewisse Ähnlichkeiten zu unserem Beispiel aufwies. Frankreich, das im Westen ans Reich angrenzte und sich seit Philipp IV. anschickte eine europäische Großmacht zu werden, wurde in Folge dieser auftretenden Verwerfungen auf Generationen tief erschüttert. Letztendlich führten die Auswirkungen, gleichsam einem Geburtshelfer, zu seiner späteren, zentralstaatlichen sowie frühen nationalstaatlichen Ausprägung.

Gehen wir dazu in der Zeit zurück. Aus den bisherigen Veröffentlichungen von Buch 1 war zu entnehmen, dass sich westlich des Reichs eine kraftvolle Staatsmacht entwickelte. Aus den alten westfränkischen Gebieten formte sich  dort sukzessiv das französische Königreich heraus. Spätestens seit Philipp IV. „dem Schönen“, entwickelte sich Frankreich zu einer europäischen Großmacht und begann seine Fühler auch nach Osten auszustrecken. Hier stieß es bald an die unsteten Grenzen des Reichs. Philipp verstand sich darauf die außenpolitische Schwäche des Reichskörpers anlässlich diverser innerdeutscher Thronstreitigkeiten auszunutzen und verschiedene Reichslehen in französische Abhängigkeit zu zwingen. Dem Reich, gelähmt durch interne Machtkonflikte unter den großen Dynastien, war es nicht möglich einzuschreiten oder später zu revidieren. Ein nachhaltiges Gesunden und Erstarken des Reichs ereignete sich erst wieder unter den Kaisern Heinrich VII. und Ludwig IV., doch auch diese vermochten den im Westen verloren gegangenen Einfluss nicht oder kaum wiederzuerlangen. Immerhin kam es auch schon unter König Rudolf I. vorläufig zu einem Stillstand der französischen Expansion nach Osten. Als Erläuterung was mit Expansion gemeint war. Es musste nicht notwendigerweise Annektion eines Landstrichs bedeuten, ein solch kriegerischer Akt wäre auch vom innerlich geschwächten Reich nicht völlig tatenlos hingenommen worden, oft war es eher, wir deuteten es an, eine Ausweitung des eigenen Einflusses. Hieraus leiteten sich für gewöhnlich Verschiebungen von Zugehörigkeiten ab, die dauerhaft einer Grenzveränderung gleichkamen. Dass es zu einem weitestgehenden Stillstand, mindestens aber zu einer signifikanten Verlangsamung der französischen Einflusserweiterung nach Osten kam, hatte eher eingeschränkt mit der Erholung des Reichs zu tun. Ein wesentlicher anderer Grund verlagerte das Augenmerk der französischen Krone von seinen östlichen Grenzen auf seine eigenen, inneren Angelegenheiten.

Seit langem schon schwelte ein Konflikt, dessen kriegerischer Höhepunkt in der Geschichte zumeist als „Hundertjähriger Krieg“ bekannt wurde. Betrachtet man die Ursachen dieser Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich, die eine sich durch eine halbe Epoche zog, so wird es notwendig mehr als 300 Jahre in die Vergangenheit zurückzugehen. Die Wurzeln des späteren Hauptkonfliktes lagen schon in Ereignissen des Jahres 1066 begründet. Damals machte sich der normannische Herzog Wilhelm der Eroberer daran, die politisch instabile Lage Englands, anlässlich des dortigen Thronübergangs, zu seinen Gunsten auszunutzen. Er unternahm eine sorgsam vorbereitete Invasion der seit dem sechsten Jahrhundert angelsächsisch dominierten, vormals britischen Insel.

Wilhelm war Vasall des französischen Königs aber selbstständig und stark autonom in seinen Aktivitäten. Seine Herkunft und jene seiner normannischen Gefolgsleute macht es notwendig näher beleuchtet zu werden. Hierzu müssen wir gedanklich noch einmal weitere rund 150 Jahre in der Geschichte zurückreisen. Wir befinden uns jetzt in der Enkelgeneration Karls des Großen. Das fränkische Großreich war nach Karls Tod, am 28. Januar 812, an seinen Sohn Ludwig übergegangen. Ludwig konnte einen Zerfall abwenden, seine Autorität und Einfluss reichte aber lange nicht mehr an die Macht und den Glanz des Vaters heran. An den Rändern des fränkischen Großreichs, begannen die unterworfenen Völker und Stämme zunehmend an Autonomie zurückzugewinnen. Unter den Söhnen Ludwigs, den Enkeln Karls, wurde das Reich schließlich dreigeteilt. Lothar, der älteste Sohn Ludwig „des Frommen“, folgte dem Vater als Kaiser nach und herrschte über ein sogenanntes Mittelreich auch als „LotharingischeReich“ oder „Lotharii Regnum“ bekannt. Er konnte seine Machtstellung fast von Beginn an nicht zur Entfaltung bringen und damit weder an das Erbe des Vaters und noch weniger an jenes des Großvaters anknüpfen. Seine beiden Brüder, Karl „Karl der Kahle“ und Ludwig „der Deutsche“, die westlich und östlich von ihm ebenfalls bedeutende Gebiete erbten, verbündeten sich gegen den Bruder. Als Folge kam es zu einer neuerlichen Reihe von Teilungen aus denen sich am Ende ein karolingisches West- und Ostfrankenreich ergab. Aus dem abgespaltenen westlichen Reichsteil sollte sich später Frankreich, aus dem östlichen Teil, das deutsche Kerngebiet des Heiligen Römischen Reichs entwickeln.

Das westfränkische Reich litt Ende des neunten Jahrhunderts unter einer Serie schwerer Plünderfahrten nordischer Stämme aus Skandinavien. König Karl „der Kahle„, Urenkel Karls des Großen, entschloss sich als Reaktion im Jahr 911 den Invasoren die Landschaft in der Normandie als Pfand zu verleihen um dadurch weiteren Plünderungen vorzubeugen. Ein progressiver Schritt der sehr gewagt war, holte man sich damit doch quasi die Schlange als dauerhaften Bewohner in seinen eigenen Vorhof. Doch der König spekulierte auf ein zu erwartendes Assimilationsmomentum als auch auf das Faktum, dass die Nordmänner, waren sie nicht auf gemeinsamer Feindfahrt, untereinander traditionell rivalisierend und zerstritten waren. Es sollte sich erweisen, dass des Königs Rechnung aufging. Schon mittelfristig unterblieben weitere Plünderungen der nordischen Vettern. Die Nordmannen oder Normannen in der neugeschaffenen Grafschaft Normandie, wurden zu Vasallen der westfränkischen Krone. Ihr Bezug zur ursprünglichen Heimat in Skandinavien ging zusehends verloren, das Band zu den Familienclans des Nordens löste sich auf. In den folgenden Generationen fand eine zunehmende Akkulturation statt und die Nachfahren der Nordmänner eigneten sich die franco-gallo-romanische Lebensweise, ihre Sitten und Sprache an. Vom nordischen Erbe schien unter der Hülle selbstangelegter, frühfranzösischer Kultur, nur noch die Eroberungslust geblieben zu sein.

Mit Herzog Wilhelm, einem direkten Nachfahren des ersten normannischen Grafen, entbrannte die Eroberungswut aufs Neue. Er machte sich, wie schon erwähnt, den Thronwechsel in England zunutze. Am 5. Januar 1066 starb dort der angelsächsische König Eduard ohne einen eigenen Erben zu hinterlassen. Die Krone ging auf eine andere angelsächsische Familie über. In dieser Phase, in der ein neue König auf noch unsicheren Regierungsbeinen stand, sah Wilhelm die Gelegenheit zum zuschlagen. Nach geglückter Landung in England, kam es zum Zusammentreffen beider Streitmächte. In der Schlacht von Hastings konnte sich sein Heer durchsetzen so dass er am Weihnachtstag 1066, in Westminster zum König von England gekrönt wurde.

Die neuen normannischen Herren Englands, sahen sich bald auf gleicher königlicher Augenhöhe mit den westfränkischen Königen. Durch ihre Besitzungen im westfränkischen Reich, waren sie noch gleichzeitig Vasallen der franco-gallischen Krone. Man kann erahnen, dass dies Zündstoff zukünftiger Verwicklungen war. Zunächst lokal ausgelöste Interessenskonflikte gingen bald in anhaltende Rivalitäten über, die zuletzt in offene Feindschaft mündete. Das für die Zeit übliche Mittel eine politische Entspannung zu erzielen, die dynastische Verbindung zweier Familien durch Heirat, verkomplizierte im vorliegenden Fall auf Dauer die Situation jedoch noch beträchtlich. Aus sich später ergebenden Erbansprüchen, entzündeten sich stets neue Konflikte. Die Besitzungen der englischen Krone auf dem Kontinent wuchsen fortlaufend. Bald war das englische Königshaus größter Landbesitzer in Frankreich und damit, obwohl eigentlich Vasall, mächtiger als der König Frankreichs selbst.

In den fast 300 Jahren seit 1066 kam es, wen kann es noch überraschen, zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen um die kontinentalen Besitzungen der englischen Krone. Dem weiteren Machtzuwachs eines französischen Kronvasallen konnte keinesfalls mehr tatenlos zugesehen werden. Schlussendlich führte dies im Jahr 1337 zum Krieg. König Philipp VI. von Frankreich erklärte Edward III. von England am 30. April 1337 den Kampf und rückte in dessen französisches Lehen in Guyenne, an der französischen Westküste ein.

Der jetzt losgebrochene Kampf verlief in Phasen und und darf nicht als ein ununterbrochener Konflikt, mit permanenten Kampfhandlungen gesehen werden. Da es aber zu keinem allgemeinen Frieden kam, zählen alle Konfliktabschnitt Abschnitte zum gleichen Krieg, dem sogenannten „Hundertjährigen Krieg“.

In der ersten Phase zwischen 1337 und 1340, konzentrierten sich die Kampfhandlungen maßgeblich auf das Meer, mit dem Ziel, die Seeherrschaft im Kanal zu erringen. Für Edward III. war die Beherrschung des Seewegs zwischen England und Frankreich vital um dadurch ungehindert Truppen nachführen zu können und gleichzeitig eine französische Invasion auszuschließen.

1340 ernannte sich Edward III. zum französischen König, was den Konflikt in die zweite Phase überführte. Diesen Schritt hatte er bereits 1337 in einem offiziellen Schreiben an den französischen König angekündigt, woraus dieser die oben beschriebenen Feindseligkeiten begann. Es folgten bis 1346 eine Reihe von Landschlachten in der Normandie und der Casgogne.  Für beide Seiten ergaben sich sowohl Niederlagen als auch Siege ohne dass es zu einer Entscheidung kam.

Im Sommer 1346 griff Edward III. erstmals persönlich in das Kampfgeschehen ein. Am 12. Juli 1346 schiffte er sich mit einem Heer ein und landete er an dessen Spitze unweit von Cherbourg auf französischem Festland. Seine Armee bestand aus rund 15.000 Mann, mehrheitlich aus England, Wales sowie kleineren Söldnerkontingenten aus der Bretagne und Deutschland. Normannische Adelshäuser aus der Normandie unterstützten in ihn größerem Umfang und stellten einen erheblichen Teil der berittenen Truppen.

Am 26. Juli erreichten seine Truppen die Stadt Caen, eroberten diese in den darauffolgenden Tagen und richteten unter der Bevölkerung ein furchtbares Massaker an. Sie plünderten und brannten die Stadt nieder, bevor sie sich abwärts der Seine Richtung Paris in Marsch setzten. Beide Heere belauerten sich zwischen den Flüssen Seine und Somme. Die Franzosen brannten die weite Umgebung nieder so dass dem englischen Heer die Möglichkeit der Versorgung genommen wurde. Ein ausgedehntes Nachschubwesen kannte die mittelalterliche Kriegsführung nicht. Kriegführende Heere ernährten und versorgen sich aus dem Gebiet das sie durchzogen. Es kam dabei nicht immer zu großräumigen Plünderungen, wenngleich es doch in der Mehrzahl so war.

Ende August ereignete sich die erste Feldschlacht zwischen Teilen beider Armeen. Edward III. vermochte mit seinen Truppen das Schlachtfeld zu behaupten. Der Sieg und die damit verbundene Überwindung der französischen Verteidigungslinie an der Somme öffneten dem schwer an Hunger leidenden englischen Heer die nordöstlich liegenden, noch unberührten Gebiete. Sie rückten dort ein und verproviantierten und reorganisierten sich. Wenn von reorganisieren gesprochen wird, ist gemeint, dass ein unter Versorgungsmängeln leidendes Heer seine Formation auflockerte um in der weiten Gegend nach Nahrung zu suchen. In einer solche Phase, in der der Zusammenhalt für den Moment weitestgehend verloren ging, bestand die Gefahr von einem Angreifer ganz zersprengt und grüppchenweise aufgerieben zu werden. Dies setzte voraus, dass man über die Bewegungen des Gegners ausreichend informiert war und als Angreifer selbst genügend Versorgungsmittel besaß um ein gegnerisches Heer fortlaufend mit der Masse seiner Kräfte beschatten zu können. Oft sah eine Beschattung so aus, dass zwei sich observierende Heere gegenseitig weniger militärisch bedrohten als vielmehr einander gegenseitig das Operationsgebiet buchstäblich leer fraßen. In späteren Jahren sollte dies in Kriegen zur Regel und die eigentliche Schlacht zur Ausnahme werden.

Das französische Heer Philipps VI. war Zuzug weiterer Verstärkungen, darunter verbündete Truppen aus Genua und Deutschland, zahlenmäßig den englischen Truppen weit überlegen. Philipp setzte es jetzt darauf  Edwards in einer Schlacht auf offenem Gelände zu attackieren und zu vernichten.

Für Edward III. durfte sich unter keinen Umständen das Schlachtfeld vom Gegner diktieren lassen. Seine nominelle Unterlegenheit musste durch geeignetes, vorteilhaft zu verteidigendes Gelände kompensiert werden. Bei Crécy bezog er eine günstige Verteidigungsposition, angelehnt an einen Fluss. Die Truppenmoral in den Reihen der Engländer war durch die bisherigen Erfolge gestärkt. Die bislang eingebrachte Beute bestärkte die Zuversicht der einfachen Männer bei erfolgreicher Fortführung des Feldzugs, als gemachte Leute nach England zurückzukehren. Edward sah die Situation freilich realistischer, die Lage war kritisch. Ihm war klar, dass der einzige Vorteil seiner Truppen in der hohen Feuerkraft und Feuergeschwindigkeit seiner Langbogenschützen bestand. Rund 6.000 seiner insgesamt noch 12.000 verbliebenen Mann, bestanden aus diesen Bogenschützen.

Edward of Woodstock, Prince of Wales

Sollte Edward die Schlacht verlieren, was nur zu wahrscheinlich war, stand nicht nur sein eigenes Leben auf dem Spiel sondern auch das des Kronprinzen Edward of Woodstock, dem 16-jährigen Prince of Wales. Der junge Kronprinz ging aufgrund seiner geschwärzten Rüstung in die Geschichtsbücher als der „Schwarze Prinz“ ein. Er befehligte den rechten englischen Flügel, welcher während der Schlacht den schwersten Angriffen ausgesetzt war.

Die übliche Taktik eines in der Defensive stehenden Heeres bestand darin, dem heranrückenden Angreifer einige Pfeilsalven entgegenzuschicken worauf sich die Bogenschützen in Sicherheit brachten und den eigenen Fußtruppen und der Reiterei für gewöhnlich den weiteren Verlauf der Schlacht überließ. Da Philipp hinsichtlich gepanzerter Reiterei und auch an gerüsteten Fußtruppen massiv überlegen war, mussten die effektive Kampffähigkeit der englischen Bogenschützen so lang als nur möglich erhalten bleiben. Er musste gewährleisten, dass sie während der gesamten Schlacht im Feuerkampf blieben bzw. am Kampf Mann gegen Mann teilnähmen, sollte dies erforderlich werden und dies trotz ihrer unzureichenden Bewaffnung und Panzerung. Aus diesem Notstand heraus, beschloss Edward die Reiterei und damit den Adel komplett defensiv einzusetzen und den Schützen und Fußtruppen als eine Art Korsettstange beizustellen. Neben dem grundsätzlich taktischen Gedanken hatte diese Maßnahme eine stark psychologische Wirkung auf die Verbände. Der hohe Herr, auf seinem sprichwörtlich gewordenen hohen Ross, stand jetzt auf gleicher Augenhöhe mit dem gemeinen Mann von niederer Herkunft. Dass der Adel, welcher vor allem in der berittenen Attacke das Ideal eines ehrenhaften Kampfes sah, sich dieser Anordnung fügte, mag einiges über das Charisma des englischen Königs aussagen sowie über die straffe Befehlsdisziplin im Heer Edwards.

Während der Schlacht erwies sich der englische Langbogen geradezu als Wunderwaffe. Ein gut disziplinierter und geübter Schütze, war in der Lage pro Minute zwischen 15 und 20 Pfeile abzufeuern. Bei geschätzten 6.000 Bogenschützen ergab sich dadurch ein theoretischer Pfeilhagel von bis zu 120.000 Pfeilen pro Minute, immer unter der Annahme, dass genügend Pfeile zur Verfügung stünden und die Schützen nicht vorzeitig ermüdeten.

Karl II. von Valois

Die Franzosen versäumten von Beginn an eine koordinierte Großattacke zu entwickeln und griffen zumeist in unzureichenden Kontingenten an, die auf freiem Feld schwerste Verluste durch das englische Bogenfeuer erlitten. Wesentlich an diesem Umstand werden sicherlich die örtlichen Gegebenheiten gewesen sein. Die Stellung der Engländer war mit Weitsicht und Klugheit gewählt, eine Flankierung nicht möglich. Sobald die Angreifer stark dezimiert die englischen Reihen erreichten, konnten sie von der abgesessenen englischen Reiterei und dem sonstigen Fußvolk leicht niedergemacht werden. Bereits bei einem der anfänglichen Attacken fiel Karl II. von Valois, der Bruder des französischen Königs.

Mit großer Tapferkeit aber mit wenig taktischem Sachverstand, wenn man diese wenig schmeichelhafte Beschreibung verwenden darf, griffen die Franzosen immer wieder an und blieben stets im mörderischen Pfeilhagel liegen. Die Verluste waren enorm ohne dass die englischen Reihen ins Wanken gerieten. Es war dies eine wiederkehrende Eigentümlichkeit des mittelalterlichen, französischen Adels. Das stete Muster war, sich in wilder Entschlossenheit frontal auf den Feind zu stürzen, immer das Prinzip des ehrenwerten Kampfs Mann gegen Mann im Sinn. Anlässlich der Kreuzzüge ins Heilige Land war dies schon auffallend, zeigte sich auch immer wieder bei Preußenfahrten größerer französischer Kontingente ins heidnische Baltikum und es sollte sich auch in späteren Schlachten, auf wechselnden Schauplätzen und anderen Gegnern zeigen. Der ritterlich geführte, tapfere Frontalangriff zu Pferd, war getragen von einer, man kann es kaum anders formulieren, ausgeprägt überheblichen Denkweise. Das Selbstverständnis und übersteigerte Selbstbewusstsein unter den französischen Aristokraten war, dass man, allein aufgrund seines höheren Standes, einem jeden Gemein auf dem Schlachtfeld überlegen war. Französische Kontingente waren geradezu berüchtigt dafür und verrufen, in multinational gemischten Heeren einem nichtfranzösischen Heerführer kaum Beachtung, noch weniger Gehör und praktisch keinen Gehorsam hinsichtlich taktischer Anweisungen zu schenken. Dass ihre Kampfkraft, getragen von einem Eiltegefühl, allgemein sehr hoch war, darf nicht unterschlagen werden. Es soll nicht der Eindruck vermittelt werden, die Franzosen verstünden sich nicht aufs kämpfen. Es mangelte vielmehr oft an einer Flexibilität zur situationsbedingten Anpassung auf eine sich veränderte Ausgangslage. Ein gewisses Dogma bezüglich der Vorgehensweise anlässlich einer Schlacht machte sie unnötig berechenbar.

An der Seite Frankreichs kämpfte eine große Abordnung deutscher und böhmischer Truppen, unter dem Befehl des böhmischen Königs Johann von Luxemburg, der zwischenzeitlich nahezu erblindet war. Er litt an einem, unter dem Begriff Ophthalmie  bekannten Gendefekt, bei dem zunächst ein Auge durch chronische Entzündung befallen wird. Entfernt man das erkrankte Auge nicht frühzeitig, so greift es schon mittelfristig auf das andere Auge über und der Betroffene erblindet gänzlich. 1337 wurde dem König das rechte Auge entfernt, dennoch war das andere Auge bereits infiziert und erkrankte ebenfalls, worauf er um 1340 praktisch erblindet war. Johann war ein Kindsfreund des französischen Königs und nahm aufgrund eines persönlichen Bündnisses an der Schlacht teil. Mit Johann, war auch sein ältester Sohn, der erst vor wenigen Wochen zum römisch-deutschen Gegenkönig gewählte Karl IV. auf dem Schlachtfeld zugegen.

Johann versuchte in einem persönlich geführten Angriff, wir möchten hier nochmal auf seine Erblindung hinweisen, gegen den rechten englischen Flügel, die Situation zu wenden und die englischen Linien zum Einsturz zu bringen. Gegen alle Erwartung gelang ihm tatsächlich in die englischen Reihen einzubrechen und diese zurückzuwerfen. Die Feuergeschwindigkeit der englischen Schützen begann nachzulassen. Man darf die kräfteraubende Belastung beim spannen der Bogensehne während eines langen Gefechts nicht unterschätzen. Auch mag bereits ein zwischenzeitlicher Mangel an Pfeilen eine weitere Rolle bei der Feuergeschwindigkeit gespielt haben. Unterstützt von Herzog Rudolf von Lothringen und Graf Ludwig von Blois griffen sie die Position von Kronprinz Edward, des englischen Kronprinzen, an. Unter Heranführung von Reserven, gelang es ihm den beherzten und kritisch gewordenen Angriff abzuschlagen.

Der blinde böhmische König, Herzog Rudolf von Lothringen und Graf Ludwig von Blois sowie nahezu alle sonstigen Angreifer, fielen bei dieser mutigen aber letztendlich kopflosen Attacke.

In einer allerletzten, großen Kraftanstrengung versuchte der französische König nun persönlich die Entscheidung zu erzwingen. Unter Zusammenfassung aller verfügbaren Reserven, wurde ein weiterer konzentrierter Reiterangriff durchgeführt. Auch dieser blieb unter schrecklichen Verlusten im Feuer der englischen Bogenschützen liegen. König Philipp wurde dabei das eigene Pferd unter dem Leib weggeschossen, was einerseits zwar Ausdruck seiner Tapferkeit war, andererseits auch bei ihm einen tiefen Mangel an Weitsicht aufdeckte. Nach den Erfahrungen des bisherigen Schlachtverlaufs, war es geradezu tollkühn sein eigenes Leben, das des französischen Monarchen, aufs Spiel zu setzen. Eine Erklärung hierfür kann allenfalls die an ihn gestellte Erwartungshaltung gewesen sein, gemäß dieser ein mittelalterlicher Feldherr sein persönliches Leben in die Waagschale werfen musste. Alles andere hätte ihm zur Unehre gereicht und seinen Status schwer untergraben. Wäre Philipp bei der Attacke gefallen, wäre die französische Krone vermutlich an den Engländer Edward gefallen. Ein westeuropäisches Großreich wäre entstanden das dem Gesicht Europas wohl gänzlich andere Züge verliehen hätte.

Mit dem abschließenden englischen Gegenangriff, wurden die Reste der französischen Truppen vom Schlachtfeld vertrieben und die Schlacht entschieden.

Die Tragödie an diesem Tag war nahezu vollkommen. Das französische Heer verlor gut die Hälfte seines Bestandes. Die Verluste unter den Aristokraten war außerordentlich hoch. Insgesamt verloren über 1.500 Adelsherren an diesem Tag ihr Leben. Frankreich war eines großen Teils seiner Adelselite beraubt wodurch das Land in eine tiefe Führungskrise stürzte.

Crecy war von geradezu niederschmetterndem Ausmaß. Die englischen Verluste fielen dagegen, je nach Quelle, verschwindend gering aus. Zahlen zwischen 100 und 1.000 Mann stehen mehr als 10.000 Gefallene auf französischer Seite gegenüber.

Wappen des Prince of Wales

Bis zum heutigen Tag ist besonders der Opfergang des blinden böhmischen Königs Johann von Luxemburg, Inbegriff ritterlicher Bündnistreue und Mut. Edward of Woodstock, der englische Kronprinz soll der Überlieferung nach auf dem Schlachtfeld den Leichnam des Königs gesucht haben. Als er ihn tot auf der Wallstatt fand, war er tief vom Anblick des gefallenen Königs beeindruckt. Voller Anerkennung soll er den deutschen Wahlspruch des Königs, „Ich dien„, in sein eigenes Wappen aufgenommen haben. Seither ziert er das Wappen des jeweiligen englischen Thronfolgers.

Der Krieg zwischen beiden Kronen erreichte einen ersten Höhenpunkt. Er wird noch mehr als hundert Jahre andauern und viele blutige Schlachten folgten noch.

Frankreich blieb noch für rund hundert Jahre in diesem epochalen Konflikt gefangen, sehr zum Wohle aller seiner Nachbarn.

Dass das Reich die französische Schwäche nicht ausnutze die verlorenen Gebiete wieder an sich zu binden, ist ein Indikator, dass das Wesen des Reiches nicht oder nur wenig expansionistisch ausgelegt war. Die Nähe der Luxemburger im Sinne eines engen, fast familiären Verhältnis zum französischen König spielte eine weiterer, wesentliche Rolle, dass es zu keinem revanchistischen Ausgleich mit Frankreich kam. Eine andere Dynastie, zumal die zuvor regierenden Wittelsbacher, die wiederum enge Verbindungen zu England und König Edward pflegten, hätten möglicherweise anders gehandelt, gleichwohl auch diese für gewöhnlich ein gutes Verhältnis mit dem französischen König pflegten.

Frankreich hatte, wie oft in seiner langen Geschichte, in Phasen eigener Schwäche, das Glück nicht heimtückisch von seinen Nachbarn überfallen zu werden, obwohl einige dieser Nachbarn mitunter berechtige Gründe dazu gehabt hätten.


„Polen, Böhmen und der Deutschen Orden“

Nach diesem Abstecher jenseits der Westgrenze des Reichs, ist es notwendig auch die sich veränderte Lage im Osten zu betrachten. Dort hatte sich nach langen inneren Zerwürfnissen endgültig das polnische Königtum unter einem starken König dauerhaft gebildet.

König Kasimir I. (1310 – 1370) trug als einziger polnischer König den Namenszusatz „der Große“. Er folgte 1333 seinem Vater Władysław I. „Ellenlang“ (1260 – 1233) als König des vereinigten Polens auf den Thron. Während seiner Regentschaft wurde das Königreich stark nach Südosten erweitert.

Die schon seit dem 10. Jahrhundert mit Böhmen bestehenden Konflikte um Schlesien wurden endgültig im „Vertrag von Trentschin“ am 24. August 1335 geregelt. Gegen eine Ausgleichszahlung von 20.000 Schock (1.2 Millionen) böhmische Pfennige, verzichte König Johann auf die böhmischen Ansprüche bezüglich der Krone Polens. Im Umkehrschluss verzichtete Polen auf seine Rechte hinsichtlich Schlesiens. De Facto hatte Polen seinen Einfluss auf die schlesischen Teilfürstentümer spätestens seit 1329 nahezu komplett eingebüßt. Dieser Prozess begann schon im Jahr 1289 als der oberschlesische Herzog Kasimir II. von Beuthen-Cosel sich freiwillig unter die Lehnsoberhoheit Böhmens stellte. Ihm folgten die restlichen Herzogtümer Oberschlesiens, darunter Oppeln, Ratibor, Teschen, Auschwitz. Als die Herzogtümer Niederschlesiens sowie Glogau und Sagan im Norden folgten, waren nahezu alle schlesischen Gebiete formal unter böhmischer Lehnsherrschaft. Eine Verbindung zu Polen bestand nur noch aus vereinzelten verwandtschaftlichen Beziehung der schlesischen Piasten mit dem königlich polnischen Zweig der Piasten.

Der geschlossene Vertrag hatte für Polen den wichtigen Nebenzweck das gute böhmische Verhältnis zum Deutschen Orden zu unterlaufen. König Johann unterhielt zum Ordensstaat ausgesprochen freundschaftliche Beziehungen. Zweimal nahm er persönlich an Preußenfahrten teil, jeweils begleitet von seinem Sohn Karl. Mit der nun erzielten Einigung, war Polen in der Lage seine Forderungen gegenüber dem mächtig gewordenen Ordensstaat schärfer zu platzieren ohne unmittelbar Sorge zu tragen, dass es sofort zum neuerlichen Zerwürfnis mit Böhmen käme.

Worum ging es in diesen Forderungen an den Orden?

Kasimirs Vater führte zahlreiche Kriege während seiner Regierung. Unter anderem kam es im Sommer 1327 zwischen Polen und dem Deutschen Orden zum Krieg. Ursache war ein alter Streit hinsichtlich polnischer Ansprüche auf die Erbmasse des erloschenen Herzogtums Pommerellen. Über den vorausgegangen Erbfolgekrieg wurde in Buch 1 in den Kapiteln über Otto IV. und Waldemar den Großen ausführlich berichtet. Im Jahr 1309 fielen gemäß dem Vertrag von Soldin große Teile Pommerellens an den Orden, besonders die bedeutsame Stadt Danzig mit dem wichtigen Weichseldelta. Polen trachtete nicht nur danach die Auswirkungen dieses Vertrags zu revidieren sondern gleichzeitig das Culmerland zurückzuerlangen. Jenes Gebiet das zum Kristallisationspunkt des späteren Ordenslandes wurde. Die Region um Thorn an der Weichsel, wurde 1250 von Herzog Konrad von Masowien dem Orden übergeben mit der Abmachung dass die Deutschritter die bisher unbesiegten Pruzzen vertreiben würden. Dies gelang dem Orden nicht nur mit vollem Erfolg, in den folgenden fünf Jahrzehnten eroberten die weißgewandeten Ritter sogar das komplette Pruzzenland und unterwarfen alle 12 Pruzzenstämme restlos. Ein parallel eingeleitetes Kolonisierungswerk erschloss das weitläufige Gebiet entlang des baltischen Meers dem Deutschtum und schuf dem klerikalen Staat ein eigenes Staatsvolk.

Für Polen stellte der Ordensstaat jetzt eine ernstzunehmende Herausforderung im Norden dar. Nicht nur dass dieser Staat sich wider erwartend dauerhaft etablieren konnte, er stand dem selbst expandierenden, neuerstarkten und geeinten Polen, bezüglich eines Zugangs zur Ostsee im buchstäblichen Sinne des Wortes im Wege. Für Polen war es von größtem Interesse dieses für den Handel so überaus wichtige Meer zu erreichen, wozu die östlichen Provinzen Pommerellens, mit der Stadt Danzig sowie der Unterlauf der Weichsel das das erstrebte Hauptziel waren.

1327 brach darüber der bereits erwähnte Krieg aus. Der Orden, militärisch stets gut gerüstet, drang schnell entlang der Weichsel nach Süden vor und besetzte die Landschaften um Dorin sowie große Teile Massowiens, die in der Folge schwer gebrandschatzt wurden. Der Höhepunkt der Feindseligkeiten war in den Jahren 1330 und 1331 erreicht. In der Schlacht von Plowce kam es am 27. September 1331 zum Zusammentreffen, bei der Polen einen taktischen Sieg davontrug. Der polnische König wurde bei diesem Waffengang von seinem Sohn, Kronprinz Kasimir begleitet.

5.000 polnischen Truppen standen rund 7.000 Mann des Deutschen Ordens gegenüber. Der Orden war in drei unabhängig operierenden, und schlecht abgestimmten Treffen organisiert. Diese fehlende Abstimmung war was letztlich den Ausgang der Schlacht maßgeblich beeinflusste. Der Gesamtverlauf der Schlacht war wechselhaft und bezüglich der Verluste für beide Seiten ungewöhnlich blutig. Die Kämpfe wurden erst mit Einbruch der Dunkelheit abgebrochen worauf sich der Orden, welcher zu diesem Zeitpunkt etwa 2.600 Gefallene hatte, absetzte. Die Polen, die ebenfalls etwa 1.700 Mann verloren, setzten dem angeschlagenen aber zahlenmäßig immer noch überlegenen Gegner nicht nach. Polen konnte im Moment den weiteren Vormarsch des Ordens zum Stehen zu bringen aber dessen Heer nicht kriegsentscheidend schwächen. Bereits im Folgejahr ging der finanziell gut aufgestellte Orden, verstärkt durch Zuzug neuer Ordensritter und angeworbener Söldner, erneut zur Offensive über und besetzte das gesamte Herzogtum Kujawien. Im Sommer des selben Jahres wurde auf Vermittlung eines päpstlichen Legaten ein einjähriger Waffenstillstand ausgehandelt. Noch während des Waffenstillstandes starb der König im März 1333, worauf sein Sohn als Kasimir I. den Thron Polens bestieg.

Im Gegensatz zu seinem kriegerischen Vater, verfolgte Kasimir Jetzt hauptsächlich den Weg diplomatischer Verhandlungen, wenngleich auch er über ein bekanntermaßen aufbrausendes Gemüt verfügte. Vermutlich fehlten ihm die Geldmittel, so dass er die Fortführung des Krieges nur schwer hätte finanzieren können. In der weiteren Auseinandersetzung um die Erbsache Pommerellens, rief er die päpstliche Kurie an. Im sogenannten Warschauer Prozess von 1339 wurde ein für Polen sehr günstiges Urteil verkündet, das jedoch von Papst Benedikt XII. nicht bestätigt wurde und somit rechtlich unwirksam blieb. Hochmeister Dietrich von Altenburg hatte im Anschluss an das Warschauer Urteil Einspruch beim Papst eingelegt und Urkunden aus dem Jahr 1309 sowie Abschriften aus den Zeiten Kaiser Barbarossas und Friedrich II. vorgelegt. Diese Dokumente bezeugten, dass die 1309 seitens Brandenburg an den Orden abgetretenen Rechte an Pommerellen, auf Basis eines zweimal kaiserlich bestätigten Oberlehnsrechts über Pommern beruhten. Das vermeintliche polnische Anrecht auf die Erbfolge im Herzogtum Pommerellen war von vornherein unhaltbar und der Orden war nach päpstlicher Ansicht alleiniger Rechtsnachfolger der brandenburgischen Erbanrechte auf Pommerellen. Die 1309 zwischen Brandenburg und dem Orden im Vertrag von Soldin vereinbarte Übertragung dieser brandenburgischer Anrechte auf den Orden, machte den Erwerb der Gebiete Ost-Pommerellens unzweifelhaft rechtskräftig.

König Kasimir I. wollte und konnte sich in seiner momentanen Situation keine Verwerfung mit dem Papst erlauben und begann notgedrungen einzulenken. Auch wenn es noch mehrere Jahre zu heftigen diplomatischen Schlagabtäuschen kam, wurde im Juli 1343 im Frieden von Kalisch der Krieg zwischen Polen und dem Orden offiziell beendet. Darin verzichtete Kasimir I. für alle Zeiten auf Pommerellen und das Culmerland. Der Deutsche Orden übergab im Umkehrschluss das im Krieg besetzte Herzogtum Kujawien sowie das Dobriner Land. Weiter verpflichtete sich der König zu Entschädigungszahlungen gegenüber dem Orden als auch zur Entfernung der pommerellchen Titularien aus der Titularliste der polnischen Krone. In beiden letztgenannten Punkten blieb der König und die Krone Polens vertragsbrüchig, dennoch blieb der Frieden zwischen Polen und dem Deutschen Orden bis ins Jahr 1410, ungewöhnlich lange erhalten.

Kehren wir zu Ludwig dem Römer zurück.


„Politische Lehrjahre und Heiratspläne“

1335 knüpfte der kaiserliche Vater engere politische Kontakte zu König Kasimir von Polen. Die bald nach der Schlacht von Mühldorf auftretenden Spannungen zwischen dem Wittelsbacher Reichsoberhaupt und dem Luxemburger König Johann von Böhmen, förderten diesen Entschluss. Die traditionell konfliktgeladene Rivalität zwischen Böhmen und dem polnischen Thron trug dazu bei, dass auch polnischerseits eine Annäherung mit dem römisch-deutschen König vorteilhaft erschien. Eine Heirat zwischen der polnischen Kronprinzessin Elisabeth und Ludwig „dem Römer“ sollte die Grundlage eines Bündnisses sein. Die Sache ging sich gut an und das Heiratsprojekt spielte bei den außenpolitischen Erwägungen König Ludwigs eine zentrale Rolle. Ziel des Bündnisses war es, Böhmen und mit ihm seinen ambitionierten König zu neutralisieren. Polen lag wegen Grenzstreitigkeiten und gegenseitigen Kron- wie auch Territorialansprüchen  seit langem im Streit mit Böhmen auch wenn es 1335, im schon erwähnten Vertrag zu Trentschin, zu einem Vergleich kam. Schon mittelfristig war damit zu rechnen, dass der alte Gegensatz wieder ausbricht. Das Vorhaben war dem kaiserlichen Vater wirklich wichtig und er setzte einiges daran dass Heiratsprojekt realisiert zu sehen. Mit einer Neutralisierung seines im Reich schärfsten Rivalen, hätte Ludwig IV. seine Pläne in Reichsitalien, die ihn schon jetzt in krassen Gegensatz zum Papst brachten, weiter verfolgen können. Blieb König Johann allerdings ein gefährlicher Stachel im kaiserlichen Fleisch, so war den Ambitionen in Oberitalien, zumindest indirekt, ein äußerst hemmendes Hindernis in den Weg gelegt.

Der Kaiser hatte daneben noch familienintern eine maximal ausgleichende Regelung zu treffen die es verhinderte, dass die Söhne nach seinem einstmaligen Ableben in Erbstreitigkeiten versänken. Einem Bruch in der Familie galt es unter allen Umständen vorzubeugen. Zur Prävention strebte er daher einen erbtechnischen Ausgleich an, durch den es später zu keinen Verwicklungen um das Erbe käme, zumindest sollte die Wahrscheinlichkeit dadurch maximal minimiert werden. Wir erinnern uns hierbei an ähnlichen Sorgen wie sie die askanischen Brüder Johann I. und Otto III. hatten. Sie standen seinerzeit vor der herausfordernden Aufgabe, ihre insgesamt elf erbberechtigten Söhnen so zu berücksichtigen, dass der Fortbestand der Mark gesichert bliebe und nicht in Einzelteile zerbrach.

Die lange begründete Hoffnung auf einen erfolgreichen Abschluss des Eheprojekts zerschlug sich jedoch. Nicht nur der Kaiser suchte mittels Heiratspolitik seine Ziele zu verwirklichen, auch Kasimir I. von Polen nutzte das Mittel einer Heirat, um seine diplomatischen Winkelzüge zu untermauern.

Wir rekapitulieren noch einmal. Der von Kasimirs Vater gegen den Deutschen Orden begonnene Krieg, führte nicht zu den erwünschten Erfolgen. Der Orden konnte im größere polnische Landstriche im Verlauf der Kämpfe besetzen und hatte damit die bessere Position. Kasimir der als Nachfolger des 1333 verstorbenen Vaters nun die Krone Polens trugt, suchte eine außermilitärische Lösung. Der für Polen günstig ausgefallene Warschauer Schiedsspruch, veranlasste den Orden beim Papst dagegen zu appellieren. Dieser erkannte gemäß den vom Orden vorgelegten Urkunden, den Schiedsspruch nicht an. In der weiteren Folge musste Kasimir im Frieden von Kalisch auf die vermeintlichen Ansprüche Polens gänzlich verzichten, erhielt dafür aber die vom Orden besetzten Gebiete wieder zurück.

Der Ausgang, der am Ende des Status Quo herstellte, führte dazu dass Polen der strategisch und ökonomisch so wichtige Zugang zur Ostsee verwehrt blieb. Militärisch konnte man auf absehbare mit dem Orden nicht wieder in Konflikt geraten. Hätte Kasimir die Feindseligkeiten gegen den Ordensstaat wieder begonnen, wäre er ohne Zweifel in einen ernsthaften Konflikt mit Böhmen geraten. Auch wäre es sehr wahrscheinlich gewesen, dass er seitens des Papstes mit kirchlichen Sanktionen belegt würde. Die finanzielle Situation hatte sich zwar gebessert, wäre aber durch einen möglicherweise langjährigen Krieg erneut zerrüttet worden. Eine militärische Option schloss sich daher gänzlich aus, womit andere Möglichkeiten erwogen werden mussten.

Kasimir disponierte deswegen hinsichtlich seiner ältesten Tochter um. Statt den eingeschlagenen Weg zu verfolgen und das Hochzeitprojekt mit den Wittelsbachern zum Abschluss zu bringen, vermählte er seine älteste Tochter Elisabeth (1326 – 1361) am 28. Februar 1343 mit Herzog Bogislaw V. von Pommern (um 1318 – 1373/74).

Stammwappen des Hauses Greif

Ihr Gemahl stammte aus dem pommerschen Greifenhaus, der herzöglichen Herrscherlinie Pommerns. Das weite Land entlang der Ostseeküste, zwischen Mecklenburg im Westen und dem Deutschen Orden im Osten, war unter mehreren Linien dieses Geschlechts geteilt. Herzog Bogislaw V. war zunächst Regent von Pommern-Wolgast und seit den Teilungen von 1368 und 1372 von Pommern-Stolp und damit ein unmittelbarer Nachbar des Deutschen Ordens.

Kasimir verfolgte mit seinem Plan zwei wesentliche Ziele. Zum einen durch die Verbindung seiner ältesten Tochter mit einem der Greifen-Herzöge einen Zugang zur Ostsee zu erlangen, zum anderen eine Abriegelung des Deutschen Ordens nach Westen. Beides war natürlich nicht garantiert aber es war eine Ausgangslage geschaffen, auf deren Basis aufgebaut werden konnte. Hierzu wurden die aus der Eheverbindung hervorgegangenen beiden Kinder, Kasimir und Elisabeth, am Krakauer Hof des Großvaters erzogen. Es war abzusehen, dass der Enkel zu einem Parteigänger polnischer Interessen gemacht werden sollte. Nachdem auch in dritter Ehe dem polnischen König kein legitimer Sohn geboren wurde, adoptierte er daraufhin im Jahre 1365 den eigenen, gleichnamigen Enkel, um diesen zum Nachfolger zu bestimmen. Mit dem Tod des Königs im Jahre 1370, wählte der polnische Adel mit Ludwig dem Großen allerdings den ungarischen König zum Nachfolger auf dem polnischen Thron und nicht den Enkel.

Ludwig von Ungarn war ein Sohn Elisabeths von Polen, der Schwester des dahingeschiedenen Kasimirs von Polen.

Um der Namensverwirrung an dieser Stelle zu begegenen, zu viele Kasimirs & zu viele Elisabeths auf einen Schlag, hier die Namen in chronologischer Darstellung und mit dem Bezug zueinander.

  • Kasimir I. „der Große“, König von Polen  
  • Elisabeth von Polen (1), Schwester des polnischen Königs
  • Elisabeth von Polen (2), Tochter des Königs von Polen, Nichte von Elisabeth (1)
  • Ludwig „der Große“, König von Ungarn, Sohn Elisabeths von Polen (1)
  • Kasimir von Wolgast-Stolp, Sohn Elisabeths von Polen (2) und Enkel Kasimirs I.

Mit der Wahl Ludwigs von Ungarn zum König von Polen, entstand ostwärts und südostwärts des Reichs scheinbar eine neue europäische Supermacht. Tatsächlich war die Verfügungsgewalt des ungarischen Ludwigs über Polen nur gering. Ludwig gestand dem Adel bereits 1355, für den Fall seiner Wahl, nicht nur allgemein das Wahlrecht zu sondern befreite diesen vom Kriegsdienst außerhalb Polens. Weiter verzichtete er auf die Erhebung außerordentlicher Steuern, womit dem König aus den polnischen Gebieten, neben der Einkünfte der polnischen Krondomänen, praktisch keinerlei Einkünfte zuflossen. Im Grunde war Ludwig kaum mehr als ein Titularkönig ohne besondere Autorität über den polnischen Adel, der mit den zugestandenen Privilegien stark autonom wurde. Man könnte geneigt sein und einen Vergleich mit den Verhältnissen im Reich vornehmen, jedoch lassen die spezifischen Unterschiede, trotz gewisser Analogien, einen Vergleich nicht wirklich zu.

Das unter Kasimir I. erstarkte und zentralisierte Polen, fiel unter Ludwig von Ungarn zunächst in eine Art Dornröschenschlaf zurück. Bald brachen Aufstände polnischer Magnaten gegen den als fremd empfundenen König aus, der die Regentschaft in Polen zuerst nicht selbst ausübte sondern durch seine Mutter Elisabeth vornehmen ließ. Einfallende litauische Plünderhorden ließ der König nicht bekämpfen, was den Unmut im polnischen Adel noch vergrößerte.

Polen versank zwar nicht in völliger Unordnung, auch nicht in einen allgemeinen Bürgerkrieg aber die Zustände reichten um das Land nach außen zu schwächen und den bereits beschrittenen ambitionierten Weg zu einer Großmacht wieder zu verlassen. Wirtschaft und Handel wurden unter Ludwig weiter stark gefördert, doch profitierten davon weitestgehend nur die alten Landeszentren.

Kommen wir für den Moment zum Ende mit unserem Ausflug nach Polen jedoch nicht ohne die Abschlussinformation, dass es für unseren brandenburgischen Ludwig doch noch zu einer Heirat mit einer polnischen Prinzessin kam. Auch wenn mit Elisabeth die Kronprinzessin, wie schon berichtet, an den Herzog von Pommern-Stolp verheiratet wurde, hatte diese noch eine jüngere Schwester. 1352 heiratete er somit Kunigunde, die zweite Tochter aus erster Ehe des polnischen Königs. Die polnische Verbindung bescherte den Wittelsbachern zwar nicht die erhoffte Erweiterung dynastischer Machtbasis nach Osten, sie sicherte aber Brandenburgs Ostgrenze gegen das unruhig pochende Polen ab.

Kehren wir wieder zurück ins Reich und ins Todesjahr des alten Kaisers.


„Gemeinsame Regentschaft über alle Landesteile“

Am 11. Oktober 1347 starb der Kaiser während einer Jagdveranstaltung. Vermutlich erlag er einem Schlaganfall. Nach seinem Tod schien es vorerst so, als ob die Brüder, gemäß väterlichen Disposition, in Eintracht die Ländereien gemeinschaftlich verwalten könnten. Wir sahen Ludwig den Römer in dieser Zeit oft am Hof seines gleichnamigen älteren Halbbruders, dem Markgrafen von Brandenburg. Als Mitte 1348 der „falsche Waldemar“ in der Mark erschien und es in diesem Zusammenhang zu massenweisen Abspaltungen märkischer Städte und Landschaften kam, half der jüngere Ludwig seinem Bruder aktiv bei der Erhaltung seiner landesherrlichen Regentschaft. An der Seite des märkischen Landeshauptmanns Friedrich von Lochen nahm Ludwig der Jüngere starken Anteil an der politischen und militärischen Bekämpfung des von König Karl IV. unterstützten Betrügers. Die Angelegenheit war ernst, der weitaus größte Teil der Mark schien abgefallen zu sein. Man darf davon ausgehen, dass Ludwig in dieser Zeit wichtige Einblicke in Regierungsaspekte erhalten hat.

Das Verhältnis der beiden Ludwigs schien zu dieser Zeit vertrauensvoll gewesen zu sein. Es erweckt den Eindruck, dass der jüngere Ludwig schon früh zu seinem Halbbruder eine tiefere Bindung hatte als zu seinen beiden nächstjüngeren, direkten Brüdern, Wilhelm und Albrecht. Zu Otto der damals noch ein Kleinkind war, bestand das engste Verhältnis, weswegen dieser auch an seiner Seite blieb und zu dessen Vormund er nach dem Tod des Vaters wurde. Ob die leibliche Mutter, Margarethe von Holland, überhaupt noch einen Einfluss nahm, ist ungewiss, sogar eher unwahrscheinlich.

Mit der ersten Teilung der Wittelsbacher Landschaften, im Herbst 1349, anlässlich des Landsberger Vertrags, wurde das erst seit 1340 wiedervereinte Herzogtum Bayern, erneut in Ober- und Niederbayern aufgeteilt. Ludwigs direkter Einflussbereich reduzierte sich in dieser Zeit auf das Herzogtum Oberbayern mit der Residenz München. In der Mark war er als Unterstützer des markgräflichen Bruders tätig ohne jedoch Regentschaftstätigkeiten auszuüben. Diese überließ der Markgraf zu diesem Zeitpunkt überwiegend seinem eingesetzten Bregenzer Landeshauptmann Friedrich von Lochen.

Zum Jahresende 1351 kam es zwischen ihm, seinem ältesten Bruder und dem jüngsten Bruder im Luckauer Vertrag zu einer völligen Neuregelung der bisherigen Besitz- und Regierungsverhältnisse. Es wurde darin vereinbart, dass der bisherige Landesherr im Austausch gegen die alleinige Regentschaft in Oberbayern, die Mark an den jüngeren Ludwig und dessen Bruder Otto abtritt.

Für alle Beteiligten erwies sich der Vergleich vorteilhaft. Für den älteren Ludwig eröffnete es die einmalige Möglichkeit sein oberbayrisches Herzogtum mit seiner durch Heirat erworbenen, benachbarten Grafschaft Tirol administrativ zu vereinigen. Dem jüngeren Ludwig wiederum verschaffte es eine eigene Regentschaft als Markgraf von Brandenburg ohne dass ihm dabei ein älterer Bruder vorstand.

Mit nunmehr 23 Jahren war er jetzt Ludwig II., Markgraf von Brandenburg. Er war im besten Mannesalter um sofort tatkräftig den Regierungsgeschäften nachzugehen. Sein erst sechs Jahre alter Bruder Otto, lebte als Mündel an seinem Hof. Die gemeinsame Mutter hatte ihren Witwensitz, seit dem Tod des Vaters in ihrer niederländischen Heimat genommen.

Mit der jetzt vollzogenen Trennung von Bayern, trat sofort die Frage nach dem Kurrecht zu Tage. Ludwig der Ältere, wir werden ihn fortan mit seiner bayrischen Titulatur als Herzog Ludwig V. bezeichnen und den jüngeren Ludwig als Markgraf Ludwig II., betrachtete trotz der Abtretung der Mark, die Kurwürde an seine Person gebunden und damit verknüpft mit Bayern. Aus dieser Frage entstand ein jahrelanger Streit der erst 1356 vom frischgekrönten Kaiser Karl IV. und den Kurfürsten entschieden wurde. Was zu dieser Entscheidung beitrug, wird wegen der wichtigen Bedeutung für das Reich, in einem separaten Beitrag ausführlich erläutert.


„Streit in den Niederlanden“

Über die Aufteilungen anlässlich der Verträge von Landsberg 1349 und Luckau 1351, haben wir insoweit berichtet, als wir die Besitzverhältnisse für Oberbayern und die Mark Brandenburg beleuchtet haben. Wir sollten den Landsberger Vertrag zum tieferen Verständnis noch einmal kurz zusammenfassen.

1347 starb Kaiser Ludwig IV. und die sechs hinterbliebenen Söhne herrschten für zwei Jahre über alle ehemaligen Ländereien des Vaters.

Das Herzogtum Oberybayern und die Mark gingen an Ludwig „der Ältere“ auch Ludwig „der Brandenburger“, den nachmaligen Herzog Ludwig V. von Bayern, sowie an den jüngeren Ludwig auch Ludwig „der Römer“ genannt, den späteren Markgrafen Ludwig II. von Brandenburg, und an dessen jüngsten Bruder Otto.

Das Herzogtum Unterbayern und die niederländischen Grafschaften gingen an die Brüder Stephan, Wilhelm und Albrecht. Hier hatte der verstorbene Kaiser aber bereits verfügt, dass nur die aus zweiter Ehe stammenden Brüder Wilhelm und Albrecht ein Anrecht auf das niederländische Erbe ihrer Mutter hatten und Stephan nur Teilanrecht auf Niederbayern besaß, wenn auch das Vorzugsrecht. Zur klareren Abgrenzung, analog dem Beispiel des Luckauer Vertrags der drei erstgenannten Brüder, kam es am 3. Juni 1353 zwischen den zweitgenannten Brüdern im Regensburger Vertrag. Es wurde darin das Herzogtum Niederbayern nochmals geteilt und zwar in die Teilherzogtümer Bayern-Landshut, das fortan von Herzog Stephan II. regiert wurde und Bayern-Straubing, welches den beiden Brüdern Wilhelm und Albrecht zusätzlich zu den vier niederländischen Grafschaften als Herrschaftsgebiet zugestanden wurde. De facto regierte Wilhelm in den niederländischen Gebieten und Albrecht im sogenannten Straubinger Ländchen.

Der Friede unter den Nachkommen des verstorbenen Kaisers blieb wohl bewahrt aber die Zersplitterung der Wittelsbacher Lande konnte kaum schlimmer ausfallen. Sechs Brüder, wovon der sechste Bruder, das Kind Otto, noch geraume Zeit unmündig blieb, regierten fünf in sich autonome Gebiete. Alle väterlichen Dispositionen schienen in den Wind gesprochen und verhallt. Die bayrischen Wittelsbacher fielen im Reich an Bedeutung weit hinter die regierenden Luxemburger und die in Wartestellung stehenden Habsburger zurück und spielten in den nächsten Generation eine untergeordnete Rolle.

Werfen wir einen Blick in die Niederlande. Wie schon bemerkt, hatte die Kaiserinwitwe Margarethe, den Alterssitz in ihrer niederländischen Heimat genommen. Dort sollte sie von ihrem regierenden Sohn Wilhelm eine Witwenrente erhalten. Über diese Rente und das angebliche Ausbleiben, entbrannte zwischen der Mutter und Wilhelm ein heftiger Streit, der sich nach kurzem zu einem buchstäblichen Krieg entwickelte.

Wilhelm konnte aufgrund einer Reihe von Faktoren den vereinbarten Forderungen nicht immer gerecht werden und die Mutter wollte nicht auf den ihr zustehenden Beitrag verzichten. Hinsichtlich der Kaiserinwitwe wäre allerdings noch manches zu sagen, vielleicht genügt das dem Leser sich selbst ein eigenes Urteil zu bilden. Dazu ist ein Rückblick, um wenige Jahre notwendig. Nach dem Tod ihres Bruders im September 1345, war sie de facto Alleinerbin der im männlichen Stamm erledigten niederländischen Grafschaften. Genau genommen konnte sie allerdings nur in der Grafschaft Hennegau als wirklich Erbin auftreten, da nur dieses Territorium als ein sogenanntes Frauenlehen galt. Die restlichen Grafschaften fielen als erledigtes Lehen ans Reich zurück. Der kaiserliche Gatte belehnte sie am 15. Januar 1346 kurzerhand mit diesen drei Grafschaften, womit er sich über gültige Sitten hinwegsetzte. Im Reich führte dieses Vorgehen zu Kontroversen und die Luxemburger Partei gewann daraufhin massiv Zuspruch.

Margarethe war nicht säumig, sobald die härteste Winterzeit abklang, machte sie sich auf den Weg in die Niederlande um von den Ständen die Huldigung zu empfangen. Ihr erst neunjähriger Sohn Albrecht begleitete sie dabei. Vermutlich war das Risiko für den noch jüngeren Otto zu groß und so blieb dieser zurück. Der bereits fünfzehnjährige Wilhelm blieb ebenfalls zurück. In seinem Alter war die Ausbildung und abschließende Erziehung ohnehin nur noch von Männern vorgenommen worden. Wahrscheinlich hatte er auch bereits vereinzelte Aufgaben inne. Ihr ältester Sohn Ludwig „der Römer“, war ohnehin schon volljährig und bedurfte des mütterlichen Schutzes und Beistandes schon eine Weile nicht mehr. Möglicherweise begann schon zum jetzigen Zeitpunkt die Einflussnahme des Vaters hinsichtlich der Ansprüche des Sohnes auf ein späteres Erbe in den Niederlande. Ludwig „der Römer“ verzichtete früh auf seine Ansprüche. Hiervon profitierte die jüngeren Brüder Wilhelm und Albrecht. Otto, dem vierten Bruder, sollte die Burggrafschaft Seeland zufallen.

Ludwig schien der große Verlierer zu sein, obwohl er als der Erstgeborene allen Gebräuchen nach, das höchste Anrecht auf die Nachfolge seiner Mutter hatte. Nachvollziehbar ist das Motiv hinter seiner Entscheidung somit nicht. Den meisten Historikern zufolge, wird für gewöhnlich auf das Heiratsprojekt mit der polnischen Kronprinzessin Elisabeth, der ältesten Tochter König Kasimirs verwiesen. Allerdings war Elisabeth zum Zeitpunkt, als das niederländische Erbe völlig überraschend an die Kaiserin fiel, bereits mit dem Herzog von Pommern-Wolgast vermählt. Weswegen also sollte man also diese erloschene Option als ein Motiv ins Rennen werfen können? Es bleibt offen welche Pläne der Kaiser mit seinem ältesten Sohn aus zweiter Ehe verfolgte.

Margarethe bereiste von Mitte März bis Anfang August 1346 die großen Städte ihrer Territorien, empfing die Huldigungen und leistete ihrerseits den Eid als Landesherrin.

Ganz unproblematisch war der Amtsantritt nicht. Die schnelle Reaktion des Kaisers schaffte zwar für den Moment vollendete Tatsachen aber das diplomatische Gleichgewicht konnte rasch aus der Balance geraten. Margarethe war immerhin nicht die einzige Schwester des verstorbenen Bruders, sie war nur die Älteste von insgesamt Vieren. Ähnlich wie bei männlichen Nachkommen, wo es die Primogenitur noch ein kaum verbreitetes Mittel zur Verhütung von Landeszersplitterungen war, wurde auch unter weiblichen Nachkommen ein Erbe verteilt. So lange Brüder vorhanden waren, fielen diese Ansprüche sehr klein aus und reduzierten sich für gewöhnlich nur auf das war sie in eine Ehe als Mitgift mitbrachten. In unserem vorliegenden Fall, gab es aber keinen männlichen Nachfolger mehr, nur noch Margarethe und ihre drei Schwestern, Philippa, Johanna und Isabella.

Die beiden jüngeren, letztgenannten verzichteten zunächst auf einen Anspruch am Erbe. Philippa, die nächstältere Schwester, war jedoch mit niemand geringerem als König Edward III. von England verheiratet. Wir haben über ihn im Zusammenhang mit dem anglo-franzöischen Krieg berichtet. In den entscheidenden Monaten nach der kaiserlichen Entscheidung bezüglich der niederländischen Grafschaften, kämpfte Edward mit seinem Heer bei Crécy, wo er seinen überwältigenden Sieg über den französischen König Philipp IV. errang und bei dem der böhmische König Johann auf französischer Seite kämpfend, den Tod fand. Der englische König war nicht ohne weiteres geneigt auf das Recht seiner Frau zu verzichten und wollte Seeland als Erbteil seiner Frau geltend machen. Trotz seines vorgenannten Sieges, konnte er es sich allerdings nicht erlauben in Konfrontation mit dem Kaiser zu geraten. Frankreich war zwar in diesem Sommer mehrfach schwer geschlagen worden allerdings nicht zu Boden geworfen. Es galt für Edward Verbündete zu finden und wenn er mit dem Verzicht auf Seeland den Kaiser als einen solchen gewinnen könnte, so war das ein vielfaches wertvoller als der Erwerb einer, wenn auch wohlhabenden Grafschaft an der niederländischen Küste.

Philippa, seine Ehefrau wurde in dieser Angelegenheit als Unterhändlerin zur eigenen Schwester, der Gemahlin des Kaisers geschickt. Man traf sich hierzu im Herbst 1346 bei Ypern in Flandern. Die Kaiserin wollte sich gemäß des englischen Angebots bei ihrem kaiserlichen Gemahl verwenden und reiste hierzu im Spätherbst nach Frankfurt ab. Es kam in der Folge zu keiner Einigung und somit zu keinem Bündnis, vielmehr einer Erneuerung eines Bündnisses zwischen dem Heiligen Römischen Reich und England. Die Gründe hierzu sind vielfältig und haben mit den im Reich mittlerweile entstandenen Parteiungen maßgeblich zu tun. Das wichtigste Ziel des Kaisers, im Herbst seines Lebens angekommen, bestand jetzt darin, neben der Bewahrung der Integrität seiner Landschaften, einen seiner Söhne als Nachfolger zu positionieren. Der schon beschriebene Kirchenbann verhinderte dieses Vorhaben jedoch.

Der englisch König wagte, obwohl auf dem Zenit seiner Macht, keine gewaltsame Aktion und lenkte letztendlich in den Status Quo ein.

Margarethe, wie wir gelesen haben, Interessenvertreterin eines englischen Bündnisses, setzte während ihrer Abwesenheit den mittlerweile sechzehnjährigen Sohn Wilhelm als Statthalter in Holland, Seeland und Friesland ein. Die Grafschaft Hennegau überließ sie ihrem Onkel zur Verwaltung.

Ihr Sohn sicherte noch vor ihrer Abreise eine jährliche Rentenzahlung von 10.000 Goldgulden. Eine beachtliche Summe, zumal die Goldwährung, nach dem Zusammenbruch des antiken römischen Reichs in Europa nahezu verschwand, da aus kaum ausreichende, erschlossene Goldvorkommen gab. Erst nach dem Ende der Kreuzzüge begann der Orienthandel wieder zu „florieren“ und es floss wieder ausreichend Gold nach Europa, so dass man daraus Münzen schlug. „Florieren“ steht hier in direktem Zusammenhang mit der Zirkulation der neuen Goldwährung in Europa und damit auch mit dem Gulden als güldene, goldene Münze. Die ersten Goldmünzen dieser Art wurden in Florenz geschlagen, die sogenannten Florentiner oder Fiorino d’oro, lateinisch „florenus aureus“. Im deutschen Sprachgebrauch entstand daraus der Begriff Floren sowie gleichzeitig in den Gebieten der bayrischen Wittelsbacher, also in Bayern oder überhaupt in Süddeutschland sowie in den Niederlanden der Begriff „Gulden“, „güldene Florenen“.

Wie dem auch sei, es schien als ob es dem Sohn nicht ganz leicht gefallen ist diese Summen regelmäßig und pünktlich aufzubringen. Die resolute Mutter zeigte hier keine Nachsicht, zumal sie seit 1347 Witwe war und wohl glaubte ihren Herrschaftssitz, im Hennegau, sollte es zu einem Krieg gegen einen der Nachbarn kommen, vor allem durch eine einträgliche Geldbasis auf leichtesten verteidigen zu können. Kriege wurde auch im Mittelalter in der Regel auf der ökonomischen Basis gewonnen. Sollte es nicht zu einer Entscheidungsschlacht kommen, so blieb am Ende immer der Sieger, dem als letzter der Geld ausging.

An dem Streit entbrannte der schon angedeutete Konflikt. Natürlich spielten hier zusätzliche Faktoren eine beitragleistende Rolle. So waren in den Grafschaften Holland und Seeland, die durch den Seehandel aufstrebenden Städte, zunehmend republikanisch eingestellt, was zu Rivalitäten mit dem Adel führte. Wilhelm hatte infolgedessen zahlreiche innere Kämpfe auszutragen, die ihren finanziellen Tribut forderten, was wiederum die hohen Zahlungsforderungen der Mutter belasteten und sich so ein gewisser Teufelskreis entwickelte. Ohne ins Detail zu gehen, war der familiäre Konflikt Ursprung eines auch noch lange danach weitergeführten Kampfes zweier Parteiungen, als der letzte Wittelsbacher Zweig in den Niederlanden schon vergangen waren.

An der Seite seiner Mutter mischte sich 1351 der brandenburgische Markgraf Ludwig „der Römer“ in die Auseinandersetzungen ein. Es ist anzunehmen, dass er sich davon eine teilweise Revidierung seines Erbverzichts versprach. Gleichzeitig trat König Edward III. auf ihre Seite, was allerdings zu Verwicklungen mit Frankreich führte, wo mittlerweile Philipp VI. verstorben war und dessen Sohn, Johann II. auf dem Thron saß.

Trotz einer allgemeinen Überlegenheit durch die Vielzahl ihrer Verbündeten, vermochte Wilhelm ihr die Stirn zu bieten. Im Sommer des Jahre 1351 kam es zu zwei Seeschlachten der verfeindeten Fronten. Während die erste und kleiner von beiden zu Gunsten von Margarethe entschieden wurde, folgte im Juli ein zweites Seegefecht bei der ihre aus England verstärkte Flotte vernichtend geschlagen wurde. Seegefechte im Mittelalter wurden für gewöhnlich mit starken Truppenkontingenten geführt. Eine Niederlage, das heißt der Verlust einer Anzahl von Schiffen, ging zumeist mit dem Verlust vieler Truppen einher. Die oft in fast gleicher Weise gerüsteten Kämpfer gingen schlichtweg unter wie ein Stein.

Die Niederlage bedeutete für Markgraf Ludwig, dass seine Hoffnungen auf einen Teil des niederländischen Erbes sich endgültig zerschlugen. Wir sehen ihn auch in der Folgezeit zunehmend weniger am weiter schwelenden Konflikt beteiligt.

Letztlich kam es erst am 7. Dezember 1354 unter Vermittlung eines Onkels von Margarethe zu einem Vergleich der Parteien und zu einem symbolischen Akt der Versöhnung. Die Ursachen des Krieges, Verlauf und erbitterte Form wie er geführt wurde und schließlich die Art und Weise wie die eigentlich unterlegene Mutter den Versöhnungsakt diktierte, indem der Sohn um Vergebung ersuchen musste, formt das Bild einer Frau die mit großem Eifer ihre Rechte in Anspruch nahm, eifersüchtig gegen jedermann verteidigte und hierbei selbst vor dem eigenen Sohn keinerlei Rücksichten nahm. Selbst in der Niederlage blieb sie fordernd und gebieterisch. Man muss unter Umständen den Schluss ziehen, dass die Kinder mit nur wenig persönlicher Fürsorge heranwuchsen.


„Die Brandenburger Jahre“

Wir hatten schon davon berichtet, Ludwig „der Römer“, lebte nach dem Tod des Vaters, bei seinem gleichnamigen, älteren Halbbruder Ludwig „dem Brandenburger“. Möglicherweise war hier ein unterschwelliger Wunsch nach familiärer Nähe verborgen. Der jüngere Ludwig war zwar nach dem Gesetz nicht nur mündig, er war sogar voll erwachsen, dennoch erleben wir ihn als einen loyalen Helfer in den brandenburgischen Angelegenheiten des Bruders. Initiative bezüglich einer eigenen Regentschaft erkennt man nicht notwendigerweise. Das Verhältnis zum Bruder erlebte erst später einen tiefen Einschnitt, als mit der neuerlichen Teilung von 1351 ein Streit um die Ausübung des Kurrechts zwischen den beiden Ludwigs ausbrach und mehrere Jahre ungelöst blieb. Alles in allem scheint das Jahr 1351 für den jüngeren Ludwig, dem jetzigen Ludwig II., Markgraf von Brandenburg, eine Verhaltenswende einzuleiten. Er griff wie oben erwähnt in den Konflikt der Mutter mit seinem nächstälteren Bruder ein. Gleichzeitig griff er in der Mark energisch gegen die immer noch vorhandenen Anhänger des „Falschen Waldemars“ durch und gewann hierbei zusehends die Oberhand.

Die Mark war in den Jahren unter den Wittelsbachern wirtschaftlich stark herabgesunken. Besonders der Handel litt nicht nur unter den Eindrücken verschiedentlicher päpstlicher Maßnahmen über die wir beispielhaft für Berlin im letzten Kapitel berichtet hatten, sondern auch unter den Konflikten mit Mecklenburg und Pommern und auch an den Ereignissen im Zusammenhang mit dem Erscheinen des angeblich verschollenen, letzten askanischen Markgrafen, dem „Falschen Waldemar“. Viele Althistoriker führten an, dass die Wittelsbacher die Mark nur als ein Lehen sahen um dieses finanziell auszubeuten und die Erlöse für ihre Reichspolitik und die bayrischen Stammlande zu benutzen. Dem muss man allerdings widersprechen. Sicherlich war vor allem der ältere Ludwig, der sogenannte „Brandenburger“ in der Phase seiner Brautschau und in den ersten Ehejahren überwiegend in Tirol zugegen, allerdings erhielt die Mark für diese Zeit stets zuverlässige Statthalter, die das Land verwalteten.

Mit dem Regierungswechsel vom älteren Ludwig auf den jüngeren, bekam die Mark einen Landesfürsten, der außerhalb der märkischen Grenzen über keine sonstigen Besitzungen verfügte und der somit märkisches Geld nirgendwohin hätte transferieren können. Die Konfliktteilnahme in den Niederlanden, an der Seite der Mutter, hat natürlich die finanziellen Ressourcen des Landes belastet aber dies taten alle Konflikte der bisherigen Markgrafen. Von einer diesbezüglich außergewöhnlichen Last, die spezifisch für die Wittelsbacher gewesen wäre, kann man daher sicherlich nicht sprechen.

Der Streit um das Kurrecht wurde 1356 von den Kurfürsten und Kaiser Karl IV. entschieden. Das Recht zur Königswahl wurde Brandenburg zugesprochen und nicht Bayern. Überhaupt kann man den Begriff Kurfürst korrekterweise erst seit dem Jahre 1356 verwenden. Wir haben wohl auch zuvor diesen Titel angewandt, jedoch immer wieder den Hilfsbegriff eines Wahlfürsten herangezogen. 1356 wurde anlässlich eines kaiserlichen Hoftags in Nürnberg, das Reglement zukünftiger Königswahlen in seinen Abläufen und Formalismen rechtsverbindlich in der sogenannten „Goldenen Bulle“ festgehalten. Wir werden auf diese besondere Bulle im nächsten Kapitel detailliert eingehen.

Ludwig II. wurde somit der allererste, echte brandenburgische Kurfürst. Wohl übten auch schon seit mehreren Generationen vor ihm, brandenburgische Markgrafen das Königswahlrecht aus, doch war dieses Recht noch nirgends rechtsverbindlich niedergeschrieben. Bislang war es ein reines Gewohnheitsrecht das mit der Goldenen Bulle von 1356 zu einem unbestreitbaren Privileg Brandenburgs wurde. Seine Markgrafen waren Kurfürsten und als solche die höchsten Fürsten im Reich. In diesem Zusammenhang war der Markgraf von Brandenburg gleichzeitig Erzkämmerer des Heiligen Römischen Reichs. Die anderen Kurfürsten hatte ihre eigenen zeremoniellen Hochämter und Titel, auch hierzu mehr im kommenden Kapitel.

1357 starb Ludwigs Frau Kunigunde im Alter von rund 29 Jahren. Die Ehe blieb kinderlos und Ludwig war in Sorge ohne Erben zu bleiben. Trotz des fehlenden Erben, blieb Ludwig etwa drei Jahre unvermählt, was unter den gegebenen Umständen ungewöhnlich erscheint. Wir wissen nicht ob es aus Trauer war, da wir über seine erste Ehe nichts sagen können. Für gewöhnlich verheirateten sich regierende Fürsten welche noch ohne Nachfolger waren, sehr rasch wieder. Es mangelte für einen Landesfürsten üblicherweise nicht an Heiratsoptionen, daher bleibt es offen was die Hintergründe der dreijährigen Witwerzeit waren.

1360 heiratet er in zweiter Ehe, Ingeborg von Mecklenburg (1340 – 1395), eine Tochter von Herzog Albrecht II. von Mecklenburg und Eufemia von Schweden.


„Tod Herzog Ludwigs V. von Bayern“

Am 18. September 1361 starb Herzog Ludwig V., der vormalige Markgraf von Brandenburg wo er unter den Namen Ludwig „der Brandenburger“ oder Ludwig „der Ältere“ bekannt war.

Ludwig V. hatte mit seiner Ehefrau, Margarete von Tirol unter anderem zwei Söhne, wovon zu Ludwigs Todeszeitpunkt nur noch Meinhard lebte. Dieser Sohn erbte als Meinhard III. das Herzogtum Oberbayern und von der Mutter die Grafschaft Tirol.

Meinhard stand nach dem Tod des Vaters augenblicklich unter dem starken Einfluss seines Onkel, des Herzogs Stephan von Bayern-Landshut, dem er sich durch buchstäbliche Flucht nach Tirol entzog. Der Eichstädter Fürstbischof Berthold von Hohenzollern, zweiter Sohn Nürnberger Burggrafen Friedrich IV. von Hohenzollern und Bruder von Johann II. von Hohenzollern, über die wir beide bereits berichteten, gab ihm dabei Unterschlupf und Unterstützung. Eine für den Bischof durchaus riskante Maßnahme, die aber ohne weitere Folgen blieb.

Meinhard gelangte glücklich nach Tirol, wo er jedoch schon anderthalb Jahre später, am 13. Januar 1363 mit nicht einmal 19 Jahren starb. Damit war die männliche Nebenlinie der Wittelsbacher sowohl im Herzogtum Oberbayern wie in der Grafschaft Tirol erloschen.

Sofort entbrannten Erbfolgestreitigkeiten. Herzog Stephan von Bayern-Landshut eignete sich unverzüglich das Herzogtum Oberbayern an, wo er rasch in Konflikt zum Halbbruder, dem Markgrafen Ludwig II. von Brandenburg und dessen mittlerweile fast volljährigen Bruder Otto geriet. Beide machten auf Basis des Landsberger Vertrags ihr Anrecht auf Oberbayern geltend. Stephan wiederum berief sich auf seine nähere Verwandtschaft zum verstorbenen Bruder und damit ebenso als näher verwandten und damit, seiner Auslegung nach, bevorzugt erbberechtigten, bezüglich des jung verstorbenen Meinhards.

Letztendlich verfügte Markgraf Ludwig II. und mit ihm sein Bruder Otto, nicht über die Mittel dem wirtschaftlich überlegenen Halbbruder Stephan die oberbayrische Sukzession militärisch streitig zu machen. Hierzu stand Herzog Stephan auch mit zu vielen Verbündeten in einer Allianz, darunter König Ludwig von Ungarn.

Markgraf Ludwig II. verbitterte ob dieser Ungerechtigkeit und seiner eigenen Ohnmacht. Dem Reichsoberhaupt, Kaiser Karl IV., waren durch Stephans Bündnis mit dem mächtigen Ungarn die Hände gebunden so dass er nicht wirklich intervenierte. Päpstlicherseits war ohnehin mit keinem Beistand zu rechnen. Wie wir gelernt haben standen die Nachkommen Kaiser Ludwigs IV. alle unterschiedlich lange unter dem mehr oder weniger kollektiven Kirchenbann. Was konnte dem aggressiven Herzog daher noch von der Kirche drohen? Gebannt was gebannt. Dass Karl IV. nicht doch seinen Einfluss und seine kaiserliche Autorität in die Waagschale warf, hatte wie stets bei diesem kühl kalkulierenden Monarchen, auch politische Gründe. Es kam ihm nur gelegen, dass die bayrischen Wittelsbacher untereinander zerstritten und regelrecht verfeindet waren. Es lag nicht in seinem Interessen, dass die beiden bayrischen Herzogtümer, die Grafschaft Tirol, die niederländischen Grafschaften, die Mark Brandenburg und schlimmstenfalls noch die verwandte, wittelsbachische Pfalzgrafenlinie am Rhein, einmütig zueinander stünden.

Nachdem Herzog Stephan II. auch noch seine Finger nach Tirol ausstreckte, ergriff die Mutter des verstorbenen Meinhards die Initiative. Ihr Sohn war seit 1359 mit Margarethe von Habsburg verheiratet. Zu Beginn des Kapitels haben wir zur Entwirrung die verschiedenen Ludwigs aufgelistet. Zwei davon sind mittlerweile verstorben, der Kaiser Ludwig IV. und Herzog Ludwig V. der vormalige brandenburgische Markgraf, über dessen Erbe sich nun der nächstältere Bruder ohne jedes Anrecht hermachte. Es ist nicht nur angemessen sondern höchst angebracht auch über die vielen Margarethes ein Wort zu verlieren.

Zunächst gab es Margarethe von Holland, zweite Ehefrau des verblichenen Kaisers Ludwig. Über sie haben wir in den Abschnitten zuvor geschrieben. Sie war eine resolute und politisch aktive Frau und Fürstin, der eine Affinität zur Macht nicht abgesprochen werden kann.

Als zweites müssen wir uns Margarethe von Dänemark ins Gedächtnis rufen. Sie war die erste Frau Herzog Ludwig. Nochmal zur Erinnerung, der ehemalige Markgraf Ludwig I. von Brandenburg und seit der zweiten bayrischen Teilung, Herzog von Oberbayern. Sie spielte keine signifikante Rolle und verstarb vor der Zeit. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, von der nichts weiteres bekannt ist, vermutlich starb sie noch im Kindesalter.

Zum dritten wäre Margarethe von Tirol zu erwähnen, die zweite Frau des vorgenannten Herzogs. Über sie schreiben wir im aktuellen Abschnitt. Sie war Erbgräfin von Tirol und Herzogin von Kärnten. Letzteres allerdings nur noch als Titularherzogin, da Kärnten bereits an die Habsburger gefallen war. Margarethe von Tirol hatte nicht den ausgeprägten Regierungswillen ihrer kaiserlichen Schwiegermutter, wenngleich gewisse Parallelen zu erkennen waren.

Schlussendlich kommt noch eine vierte Margarethe ins Spiel. Margarethe von Habsburg, Ehefrau Mainhards III., dem kürzlich verstorbenen Herzog von Oberbayern und Graf von Tirol und somit Schwiegertochter der vorerwähnten Margarethe von Tirol.

Nachdem es um die Habsburger in der Reichspolitik seit dem Tod des Mitregenten, König Friedrich dem Schönen, relativ ruhig geworden war, sie in ihren ursprünglichen Schweizer Stammlanden mit eidgenössischen Aufständen auch vollauf beschäftigt waren, ansonsten ihre neuen Kernlande in Österreich, der Steiermark und Kärnten konsequent ausbauten und förderten, waren sie wieder auf dem Stand um in das Geschehen auf der politischen Bühne des Reichs einzugreifen. Mit dem unmittelbar benachbarten Tirol, dass eine treffliche Landbrücke zwischen den alemannischen Besitzungen im Südwesten und jenen im Südosten bildete, war ein strategisch wichtiges Zielobjekt gegeben, für das auch eine langwierige, kriegerische Auseinandersetzung gerechtfertigt wäre.

Herzogin Margarethe von Tirol, über ihren verstorbenen Sohn, neuerliche Erbin Tirols, sah in dem Vorgehen des bayrischen Schwagers hinsichtlich Oberbayerns in sich ein schimpfliche Tat, wenngleich sie auf dieses Herzogtum keine Ansprüche geltend machen konnte. Sie hatte nicht vergessen, wie der Schwager ihren Sohn zu dessen Lebzeiten massiv beeinflusste und das Herzogtum abspenstig zu machen suchte, was zur Flucht des Sohnes aus dem eigenen Herzogtum führte. Einen zusätzlichen Übergriff auf Tirol, wie er sich schon abzeichnete, nahm sie selbstbewusste Regentin der Grafschaft nicht tatenlos hin. Hier zeigte sie eine ähnliche Verbissenheit wie man bei ihrer Schwiegermutter in der niederländischen Fehde erkennen konnte. Ihre Mittel waren allerdings sehr begrenzt. Auf eine starke Position in Tirol konnte sie sich nicht stützen. Schon zu Zeiten als ihr Mann noch lebte und ganz akut in der kurzen Zeit der Regentschaft ihres Sohnes Meinhard, gab es schwere kriegerische Verwerfungen mit dem Tiroler Adel. Herzog Stephan, unterstützt von seinem Halbbruder Albrecht von Bayern-Straubing und einem Mailänder Söldnerkontingent, rückte in Tirol ein. In dieser unhaltbaren Lage, überschrieb sie die Grafschaft an den ältesten Bruder ihrer Schwiegertochter, jener Margarethe von Habsburg, die wir oben kurz anschnitten. Unter Rudolf IV. wurde Tirol für die nächsten rund 550 Jahre habsburgisch. Sie musste jedoch erst aus den Händen Herzog Stephans entrissen werden.

Am 23. November 1363 kam es bei Ötting zur Hauptschlacht beider Heere. Der Waffengang brachte keine Entscheidung worauf sich der Krieg in Form von Scharmützeln und Plünderungen über die kommenden Jahre fortsetzte.

Am 27. Mai 1365 verstarb Rudolf IV. von Habsburg in Mailand, anlässlich einer Reise. Seine beiden jüngeren Brüder Albrecht III. und Leopold III. übernahmen gemeinschaftlich die Regierung über den weitreichenden Länderkomplex im Süden des deutschen Reichsteils. Beide führten den Krieg fort, suchten allerdings auch gleichzeitig unter Vermittlung eine Regelung mit den bayrischen Kriegsgegnern zu erreichen. Schlussendlich kam es 1369 im „Frieden von Schärding“ zu einem Vergleich. Bayern verzichtete gegen ein Abfindung von 120.000 Gulden auf Tirol so dass die Grafschaft jetzt formal Teil der Habsburger wurden.

Habsburg überflügelte spätestens jetzt die Wittelsbacher in Sachen Einfluss im Reich und trat wieder auf Augenhöhe mit den Luxemburgern.


„Die letzten Jahre“

Kommen wir wieder auf Markgraf Ludwig II. und Brandenburg zurück. Es wurde schon erwähnt, Ludwig konnte sein Anrecht auf Oberbayern nicht geltend machen. Halbbruder Stephan setzte sich darüber hinweg und sicherte den räuberischen Erwerb. Seine seit dem Tod des Vaters schwelende Verbitterung über die bayrischen Brüder, entfachte sich zu offenem Hass. Noch im gleichen Jahr der Annektion Oberbayern, im Jahre 1363, enterbte er bis auf seinen Bruder Otto, der bei ihm am Hofe lebte, seine drei verbliebenen Brüder und schloss mit Kaiser Karl IV. einen Erbvertrag. Für den Fall dass er und auch sein Bruder Otto ohne Erben stürben, würde die Mark Brandenburg an ihn fallen und zwar nicht als erledigtes Lehen und somit Heimfall ans Reich sondern als direktes Erbe an Karl und dessen Familie.

Tief verbittert starb Ludwig II., der Römer, nach 14 Jahren Regentschaft, im Alter von erst 36 Jahren. Aus den Ehen mit Kunigunde von Polen und Ingeborg von Mecklenburg ergaben sich keine Kinder womit die Markgrafschaft und die Kurwürde an seinen Bruder Otto überging.

Er wurde neben seiner Frau Kunigunde in Berlin, im „Gauen Kloster“ beigesetzt.


„Zusammenfassung des Wirkens Ludwig II.“

Ludwig II. hatte 1351 die Mark Brandenburg von seinem Halbbruder Ludwig I., dem nachmaligen Herzog Ludwig V. übernommen. Man kannte sie als Ludwig den Jüngeren und Ludwig den Älteren, bzw. Ludwig der Römer und Ludwig der Brandenburger. Er trat die Herrschaft zu einer Zeit an, als der Stern der Wittelsbacher am sinken war. Nach dem Tod des kaiserlichen Vaters, begann trotz gegenteiliger Disposition von Ludwig IV., in Etappen das Zersplittern der väterlichen Ländereien in fünf unterschiedliche Fürstentümer.

Die Besitzstandsverteilung sah im Jahre 1353 folgendermaßen aus:

  • Herzogtum Oberbayern mit der Grafschaft Tirol: Ludwig V.
  • Herzogtum Bayern-Landshut: Stephan II.
  • Markgrafschaft Brandenburg: Ludwig II.
  • Grafschaften Holland, Seeland, Friesland & Anwartschaft Hennegau: Wilhelm I.
  • Herzogtum Bayern-Straubing: Albrecht I.

Sein Vorgänger zermürbte sich in Kriegen gegen Mecklenburg und Pommern, kirchlichen Auseinandersetzungen mit den Bischöfen von Brandenburg und Havelberg, die vom Papst motiviert waren sowie dem fruchtlosen Kampf gegen Teile des märkischen Adels. Als 1348 der „falsche Waldemar“ auftrat und sich als der ehemalige askanische Markgraf Waldemar ausgab, neigte sich die Regentschaft des ersten Markgrafen aus dem Haus Wittelsbach dem Ende zu.

Ludwig II. übernahm im jungen Mannesalter die Leitung. Er konnte nach zähen Auseinandersetzungen den falschen Waldemar zum Verzicht zwingen und wieder die formelle Herrschaft über ganz Brandenburg erlangen. Das Verhältnis zum rebellischen Adel blieb gespannt. Ernüchternd erwies sich die Treulosigkeit vieler brandenburgischer Städte in der Zeit des Ringens mit dem betrügerischen Waldemar. Gerade die Städte waren all die Zeit zuvor, eine Hauptsäule der Wittelsbacher in der Mark. Durch das Ausbleiben der städtischen Unterstützung und deren Finanzmittel, geriet Ludwig II. in erhebliche Geldnot und musste viele landesherrliche Privilegien und Güter verpfänden, was langfristig die Finanzlage noch verschlimmerte.

1356 beschlossen die Kurfürsten anlässlich des Hoftags zu Nürnberg, dass die siebte Kurwürde fest mit Brandenburg verknüpft ist und somit Ludwig II. von Brandenburg und nicht Herzog Ludwig V. von Oberbayern zum Kurfürsten und Erzkämmerer des Heiligen Römischen Reichs wurde. Das urkundlich in der Goldenen Bulle verbriefte Privileg der Kurwürde bildete den Höhepunkt der Landesherrschaft Ludwig II. und machte aus der Mark Brandenburg die Kurmark oder auch Kurbrandenburg. Der Entscheidung ging ein langjähriger Streit mit den bayrischen Halbbrüdern Ludwig und Stephan voraus.

1361 stirbt Herzog Ludwig V. von Oberbayern, sein Sohn Meinhard tritt das Erbe an, stirbt aber selbst nach schon wenigen Jahren ohne eigenen Erben. Rechtlich wäre Ludwig II. und sein Bruder Otto die berechtigen Nachfolger, allerdings übervorteilt sie der ältere Halbbruder Stephan II. und bemächtigt sich des verwaisten Herzogtums. Finanziell nicht in der Lage ein Heer auszustatten, musste Markgraf Ludwig II. diesen Raub hinnehmen. Die Folge war ein unüberwindbarer Bruch mit den Brüdern Stephan, Wilhelm und Albrecht. Nur zu Otto, der seit dem Tod von Kaiser Ludwig IV. an der Seite seines Bruders blieb, behielt er sein enges und brüderliches Verhältnis bei.

Tief verbittert stirbt der zweite Markgraf in Brandenburg, aus dem Hause Wittelsbach Ende Februar 1365 ohne eigene Kinder. Zuvor hatte er seinen Bruder Otto zum Erben und Nachfolger in der Mark bestimmt.


Buch 2, Kapitel II: „Aussatz im Mittelalter“


Aussatz in der mittelalterlichen Gesellschaft

Als die Kreuzzugsheere Palästina erreichten, um das Heilige Land von den Kriegern Mohammeds zu befreien, fanden sie dort eine weitverbreitete Krankheit einheimisch, die schon in der Bibel Erwähnung fand. Die Hygienebestimmungen des mosaischen Gesetzes gaben den Israeliten strenge Anweisungen im Bezug auf den Umgang mit dieser Krankheit und davon betroffener Personen. Lepra, vom griechischen Wort Lepis (λεπις), was soviel wie Schuppe bedeutet, gehört demnach zu den ältesten schriftlich dokumentierten Krankheiten überhaupt. Im deutschsprachigen Raum war sie bis ins 19. Jahrhundert überwiegend als Aussatz bekannt, veraltet im Niederdeutschen auch als Mieselsucht bezeichnet. Heimkehrende Kreuzfahrer schleppten die Krankheit in größerem Umfang in ihre jeweiligen Heimatregionen ein. Eine neue Erscheinung war Aussatz bzw. Lepra in Europa allerdings nicht. Schon lange vor den Kreuzzügen trat die ansteckende Infektionskrankheit auf. Moderne paläopathologische Forschungen weisen dies zweifelsfrei nach. Der bislang älteste genetisch nachweisbare Fund unserer Breitengrade datiert auf die Zeit um das fünfte Jahrhundert und wurde auf dem angelsächsischen Friedhof in Great Chesterford, Essex, in Groß Britannien nachgewiesen. Wenn die Krankheit somit auch schon lange vorher bekannt war, blieb sie doch zumeist auf regionale Ausbrüche begrenzt und nahm keine epidemischen Ausmaße an. Sie wurde zwar von Mensch zu Mensch übertragen, hierzu mussten aber eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein. In den Köpfen der abergläubischen Menschen grassierte dennoch die Furcht vor Aussatz und wer konnte es ihnen verdenken? Die Betroffenen litten im Verlauf der Infektion an schwersten Entstellungen der Extremitäten und besonders des Gesichts. Selbst wenn lange Zeit die wenigsten Zeitgenossen je einen Erkrankten von Angesicht zu Angesicht sahen, verbreitete sich die Kunde davon in Erzählungen und Schauermärchen und wurde so zum Schreckgespenst der Zeit. Im Verlauf des späten Hochmittelalters, mit den erwähnten heimkehrenden Kreuzfahrern, wurde die Krankheit erstmals  wirklich in größerem Stil verbreitet und von einer breiten Masse erlebt. Indem es sogar Vertreter aus dem populären Kreis der Kreuzfahrer traf, von Fall zu Fall waren auch Angehörige aus dem hohen Adel darunter, bekam die Wahrnehmung für diese tückische Krankheit eine völlig neue Qualität.


Typisierung und Diagnose

Mit den Mitteln damaliger Heilkunst galten betroffene Personen als unheilbar. Selbst mit den zunehmenden medizinischen Erkenntnissen durch die Jahrhunderte, kam man der Krankheit nicht bei. Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden wirksame Therapien gegen Lepra entwickelt. In den 1970’er und 80’er Jahren gab es schließlich entscheidende Durchbrüche in der medikamentösen Behandlung und Bekämpfung des eigentlichen Auslösers. Ausgerottet ist die durch das Mycobacterium leprae Infektionskrankheit bis heute dennoch nicht, wenngleich die Zahl der gemeldeten Infizierten von 1985 bis heute stark zurückgegangen ist, gibt es zu Beginn des 21. Jahrhundert immer noch rund 200.000 Neuinfektionen pro Jahr.
Die allgemeine Angst vor Ansteckung war in der mittelalterlichen Gesellschaft so tiefsitzend, dass viele Arten von nicht ansteckenden bzw. nicht letalen Hautausschlägen, z.B. Lupus (Schmetterlingsflechte) oder Psoriasis (Schuppenflechte) zum Aussatz gerechnet wurden. Es ist unbekannt, wieviele auf diese Weise irrtümlich mit Lepra in Verbindung gebracht wurden und sich erst in Folge mit Lepra infizierten. Die Krankheit begann mit einer auffallenden Rötung der Haut, damals arge Röte genannt, der allerlei Formen von Hautausschlägen folgten, besonders Flecken, Flechten und Grind.
Trotz großer Furcht vor Übertragung, beschäftigte sich die mittelalterliche Medizin relativ intensiv mit dem Thema und gewann dadurch immerhin einige diagnostische Erfahrung. Seit 1953 klassifiziert man die Krankheit in sechs Formen und schon im Mittelalter unterteilte man sie anhand optisch erkennbarer Variationen, in drei Hauptformen:
1.) Der sogenannte räudige (schorfige) Aussatz, Lepra oder Psora (ψώρα) bei den Griechen, wobei die Haut ausgeprägt rot bis regelrecht und schuppig wurde.
2.) Der weiße Aussatz, Zaraat (צרעת) oder Baras bei Moses genannt, Leuke (Λευκὴ) bei den Griechen. Die Haut war bedeckt mit einem feinen, weißen, staubigen Schorf. Beide Formen waren mit starkem Juckreiz und Hautbrennen verbunden.
3.) Der knollige Aussatz oder die Elephantiasis, wie sie bei den Griechen und Römern hieß. Sie war die schlimmste und schwierigste von allen bekannten Varianten. Es entstanden weniger Hautschuppunogen und Grind, das Jucken und Brennen war wesentlich geringer. Auf der Haut erschienen, besonders im Gesicht, dicke Knollen, die es mittelfristig ganz bedeckten, wodurch die Augen oft scheinbar ganz verschwanden und bald starke anatomische Entstellungen entstanden. Man nannte diese Form in Europa den ruhigen Aussatz, da er durch massive Nervenschädigungen, den Betroffenen nur wenig Leiden in Form von Schmerzen bereitete. Oft gingen die unterschiedlichen Formen ineinander über, was allein schon durch die Natur der aufgezwungenen totalen Isolation von Gesunden und Zusammenlegung mit anderen Erkrankten, zu wechselseitigen Folgeansteckungen untereinander führte.
Bereits in der Antike wusste man, dass die Krankheit bei Berührung ansteckend sei, woraus sich das bei den Israeliten von Moses vorgeschriebene Absonderungsgebot ableitete, das im Mittelalter auch im christlichen Abendland fortan streng befolgt wurde. Man ging zur vollständigen Trennung der Kranken von Gesunden über. Selbst ihre Leichen wurden nicht auf gewöhnlichen Kirchhöfen bestattet und wenn doch, dann nur an dafür deutlich ausgewiesenen Stellen. Anfangs baute man den Aussätzigen eine Hütte auf freiem Felde, wohin sie buchstäblich ausgesetzt wurden, woraus im deutschen Sprachgebrauch der Begriff Aussatz entstand. Der Erkrankte wurde unter Androhung schwerster Bestrafung verpflichtet, alle Berührung mit Gesunden zu vermeiden und sich fortan größtenteils selbst überlassen. Als sich im Verlauf des 13. Jahrhunderts die Zahl der Kranken jährlich erhöhte, gab man diese primitive Art der Absonderung durch einfache Hütten auf und errichtete eigene, nun fest gemauerte Häuser, woraus bald ganze Gebäudekomplexe wurden. Sie waren als Siechenhäuser oder auch Lazarus-Häuser bekannt, denn die Krankheit war ebenfalls als Lazarus-Krankheit geläufig. Übrigens leitet sich das Wort Lazarett indirekt von Krankenhauseinrichtungen dieser Art ab. Vorsteher eines solchen Hauses war der Siechenmeister, der für gewöhnlich selbst ein Infizierter war.
Aus Furcht vor Ansteckung und um der Absonderung willen, wurden alle Aussatzhäuser in einiger Entfernung von Städten und Dörfern angelegt, mit einer hohen Mauer umgeben, jenseits derer sich kein Aussätziger ohne die strengsten Vorsichtsmaßregeln zu beachten, sehen lassen durfte. In sehr seltenen Fällen waren das oder die Gebäude innerhalb der Stadtmauern. Jeder in ein solches Gebäude gebrachte, musste von der übrigen Welt Abschied nehmen, was nicht notwendig hieß, dass er dort eingesperrt war, aber immerhin doch sozial ausgegrenzt von seinem bisherigen Leben. Die härtesten Strafen drohten, wenn er sich in die Gesellschaft der Gesunden mischte. Eine Ehe wurde nicht dadurch getrennt, dass einer der Ehegatten den Aussatz bekam. Es war dem Gesunden freigestellt, dem Kranken an seinen künftigen Aufenthaltsort zu folgen und bei ihm zu wohnen. Papst Gregor IX. († 1241) machte es Ehepartnern später sogar zur Auflage, dem Erkrankten zu folgen, was im Falle von gemeinsamen Kindern, das immerhin die Regel war, dazu führte, dass der gesunde Elternteil bei den Kindern blieb und sich um diese kümmerte. Scheiden lassen durfte man sich von einem Aussätzigen nicht. Theoretisch durften sich Aussätzige in Siechenhäusern oder Leprosorien verheiraten, in der Praxis war dies jedoch selten, denn die Geschlechter wurden für gewöhnlich voneinander getrennt, zumal jeglicher sexuelle Kontakt streng verboten war und hart sanktioniert wurde.
In den Augen des Volkes galt jeder Erkrankte als von Gott verstoßen. Schon Hildegard von Bingen († 1197) vertrat die weitverbreitete These, dass Lepra die Folge eines  gesteigerten Geschlechtstriebes sei. Betroffenen warf man Unzucht vor, wofür Gott sie nun mit dieser Krankheit bestrafte. Damit ein Leproser sofort erkannt werden konnte, erhielt er eine eigene Kleidung von schwarzer Farbe und grobem, sackartigem Stoff. Die Haare wurden ihm abgeschoren. So kenntlich gemacht, war er Gegenstand des Entsetzens für Jedermann.
Wegen der schweren Auswirkungen in Folge der totalen sozialen Ausgrenzung und Stigmatisierung, war die Diagnose ein mehr oder weniger öffentlicher Akt, dem großes Augenmerk geschenkt wurde der man für damalige Verhältnisse mit möglichster Gewissenhaftigkeit nachging. Bei einer städtischen Lepraschau nahm ein Wundarzt (Bader, Barbier, Feldscher), assistiert von drei Beisitzenden, die Untersuchung vor. Gutes, helles Tageslicht war erforderlich, weswegen der Vorgang für gewöhnlich im Freien, in aller Öffentlichkeit vorgenommen wurde.   Ausscheidungen und Haut wurden auf typische Leprazeichen hin untersucht. Im frühen Stadium war die Krankheit schwer erkennbar und von anderen Hautleiden unterscheidbar, weswegen Fehldiagnosen möglich waren. Sicher gab es auch Fälle von Korruption und Bestechung, indem Angehörige oder etwaige Erben ein Interesse hatten, diese oder jene Person aus dem Verkehr gezogen zu sehen. Die mit Aussatz infiziert diagnostizierte Person wurde nach einstimmigem Urteil der Beschauer auf rituelle Weise aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und verlor, war er städtischer Bewohner, alle bürgerlichen Rechte.


Das Ritual der Aussetzung

Die Art, wie ein von dieser Krankheit heimgesuchter Mensch aus der Gesellschaft seiner bisherigen Mitmenschen ausgeschlossen wurde, war vom Prozedere  her folgendermaßen:
Der Priester, im Messgewand und mit Weihwasser versehen, begab sich zum Haus des Beklagenswerten, der ihm in seiner vorgeschriebenen Krankenkleidung folgte und in einer Prozession zur Kirche geführt wurde. Ganz zu Anfang geleitete man ihn in seinen Sterbekleidern. Der Priester besprengte während des Ausgangs das Haus mit Weihwasser und wiederholte den Vorgang beim Eingang in die Kirche. Der Kranke begab sich in einen Winkel des Gotteshauses, oder in eine Vertiefung des Chors, abgesondert von den Gesunden, und hörte hier die Messe. In den frühesten Zeiten wurde er mit Lichtern umstellt, wie ein Verstorbener. Es wurde eine Totenmesse und das Requiem für ihn abgehalten. Später wurde dies abgestellt,  er erhielt keine Lichter mehr, statt des Requiem wurde eine normale Messe gehalten, weil man es nicht mit einem Verstorbenen, sondern mit einem Kranken zu tun hatte. Anlässlich dieser Messe wurde der Kranken gedacht und für sie gesammelt. Wollte der Kranke beichten, geschah dies, indem der Pfarrer in einiger Entfernung zu ihm stand.
Nach geendigter Messe gab der Priester dem Kranken das Weihwasser, führte ihn, wenn es nicht regnete, zur Kirche hinaus zum Aussätzigenhaus, oder davor zu jenen erwähnten Hütten der Anfangszeit. Er ermahnte ihn mit christlicher Liebe zur Geduld und stellte ihm das Beispiel Christi und seiner Heiligen vor Augen, sowie die dereinstige Seeligkeit, wenn er seine Leiden mit Ergebung ertrüge. Hierauf empfahl ihn der Geistliche dem anwesenden Volk, dass es ihn mit Almosen bedenke und für ihn bete. Bei kaltem Wetter brauchte der Priester nicht mit über das Feld zu gehen, sondern sprach seine Ermahnungen beim Ausgang aus der Kirche.
Stand der Kranke nun vor der Tür des Hospitals, wo er künftig wohnen sollte, so sprach der Priester ihm die zehn Gebote des Aussätzigen vor:

  • Ich verbiete dir, daß du niemals in eine Kirche gehest, in ein Münster, auf einen Jahrmarkt, in eine Mühle, auf einen Marktplatz, noch in Gesellschaft von Leuten.
  • Ich verbiete dir, daß du dich niemals außerhalb dem Hause ohne
    deine Aussätzigenkleidung sehen lassest, damit man dich erkenne, und du niemals barfuß gesehen werdest.
  • Ich verbiete dir, dass du jemals deine Hände, oder was um oder an dir ist, waschest in einem Bache, oder einem Brunnen, und daß du nie aus ihnen trinkest, und wenn du Wasser zum Trinken willst, so schöpfe es mit deiner Kelle in dein Fäßchen.
  • Ich verbiete dir, dass du nie eine Sache, die du kaufen willst und feilschest, eher berührst, als bis sie dein ist.
  • Ich verbiete dir, dass du nie in eine Schenke trittst; verlangst du Bier, du kaufest dasselbe oder es werde dir geschenkt, so laß es in dein Fäßchen gießen.
  • Ich verbiete dir, einer andern Frau beizuwohnen, als der deinigen.
  • Ich gebiete dir, wenn du auf einen Weg gehest, und begegnest einer Person, die dich anredet, dass du dich unter den Wind stellest, ehe du antwortest, und dass du durch keine enge Gasse gehest, damit wenn du einer anderen Person begegnest, du nicht mit ihr zusammenstößt.
  • Ich verbiete dir, wenn du durch einen Gang gehest, Geländer oder den Strick anzufassen, wenn du keine Handschuhe an hast.
  • Ich verbiete dir Kinder anzufassen oder ihnen etwas zu geben.
  • Ich verbiete dir aus anderen Gefäßen zu essen oder zu trinken, als aus den deinigen, oder in Gesellschaft von andern zu essen oder zu trinken, sie seien denn ebenfalls Aussätzige.

Vorkehrungen für Erkrankte

In den frühesten Zeiten dieser Einrichtungen, als man dem Unglücklichen noch eine Hütte auf freiem Feld baute, bestand die Vorschrift, dass diese mit folgenden Dingen ausgestattet wurden:
Einem Brunnen. Ein Bett, Kissen und Decke, zwei Paar Bettlaken, eine Strohmatte. Eine Axt, ein mit einem Schlüssel verschließbarer Schrank, ein Tisch, ein Stuhl, ein Licht. Näpfe zum Essen, ein Becken, ein Fleischtopf, eine Klingel, Schuhe, Strümpfe, ein Gewand, eine Pferdedecke, eine Kappe, zwei Paar Tücher. Ein Fäßchen, ein Riemen, ein Löffel, eine Holzkelle.
In den später geschaffenen Aussätzigenhäusern wurde noch für mehr Ausstattung  gesorgt. Das Mitleid mit den Betroffenen aus ihrer eigenen Mitte, es betraf ja für gewöhnlich immer irgendjemandes Vater, Mutter, Geschwister, einen Freund oder Nachbarn, animierte die von der schrecklichen Krankheit verschonten Zeitgenossen zu allerlei Hilfen.
Im vierzehnten Jahrhundert behandelte man das Ganze mit wachsender Einfühlsamkeit. Erfuhr der Pfarrer, dass eines seiner Gemeindemitglieder erkrankt war, mußte er sich Gewißheit darüber verschaffen, entweder durch einen Spruch des geistlichen Richters, oder sonst auf gesetzliche Weise. Er begab sich zu ihm, versuchte ihn zu trösten und moralisch aufzurichten, gab ihm zu bedenken, dass keine körperliche Krankheit zugleich Krankheit der Seele sei. Er verwies ihn auf Gottes Vorsehung und ermahnte ihn, sein Gemüt nicht zu ängstigen, wenn aus Vorsorge, gemäß löblicher christlicher Gewohnheit diejenigen, welche Gott mit dieser Krankheit heimzusuchen beliebte, von der Gesellschaft der Gesunden abgesondert werden. Nachdem ihm schließlich der Tag seiner Absonderung mitgeteilt wurde, machte er dies in der Kirchenvorhalle der Gemeinde bekannt und forderte sie auf, zahlreich zu erscheinen, und dem Unglücklichen ihre Gebete zu widmen.
An dem bestimmten Tage ging der Priester von der Kirche aus mit Superpellicium und Stola angetan, mit vorgetragenem Kreuze und Weihwasser, von der Gemeinde begleitet, zum Hause des Aussätzigen, begrüßte ihn milde, besprengte ihn mit Weihwasser, ermahnte ihn, ihm zu folgen, um die heilige Messe anzuhören, den priesterlichen Segen zu empfangen und die Heilsmittel der Kirche. Während er ihn in Prozession, begleitet von seinen Verwandten und Freunden, zur der Kirche führte, ließ er etwas singen, zumeist Bußpsalmen und  andere Responsorien, welche zur Buße und zur Betrachtung der Barmherzigkeit Gottes anregten. Wenn er dann mit ihm zur Kirchentür kam, besprengte er ihn mit Weihwasser und wies ihm einen Platz außerhalb, zuweilen innerhalb der Kirche an, wenn es sicher geschehen konnte, dass er getrennt von den Gesunden die Messe knieend hören konnte. In gewöhnlichen Kleidern, das Gesicht mit der Kapuze bedeckt, die sich damals an allen Oberkleidern befand, wartete er das Ende ab, beichtete, wenn er es wollte, doch durfte er kein Opfer auf den Altar legen oder sich ihm nähern. Unweit vom Kranken war ein Tisch, auf dem folgende Dinge entweder auf seine Kosten oder auf Kosten des Kirchspiels angeschafft lagen: Kleider, die Lazarus Kleider hießen, eine Klingel, Schelle oder Klapper, ein Handeimer, Handschuhe und ein Quersack, alles vom Priester gesegnet, indem er sprach: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn. Gelobet sei der Name des Herrn. Der Herr sei mit euch. Lasset uns beten. Gott, durch dessen Wort alle gesegnet und geheiliget werden, segne und heilige dies Kleid der Demut samt dem übrigen Geräte, dass dein Knecht es gebrauche zur Ehre deines Namens und zum Heile seiner Seele und seines Körpers.“
Darauf überreichte er ihm das Kleid und sprach: „Empfange dieses Kleid, bekleide dich damit zum Zeichen der Demut. Ich verbiete dir von jetzt an ohne dasselbe das Haus zu verlassen, im  Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Nimm diesen Eimer, in welchem du empfangen sollst, was man dir zu trinken reichen wird. Bei Strafe des Ungehorsams verbiete ich dir, aus Bächen, Quellen und gewöhnlichen Brunnen zu trinken, dich nicht darin zu waschen, auf welche Weise es sei, so wenig als deineTücher, Hemden und andere Dinge, welche deinen Körper berührt haben. Nimm diese Klingel als Zeichen, dass dir verboten ist, zu andern Personen zu reden, wenn sie nicht deines Gleichen sind, es sei denn die höchste Nothwendigkeit, und wenn du etwas nötig hast, so fordere es durch diese Klingel, indem du dich von den Leuten zurückziehst unter den Wind. Empfange diese Handschuh, durch welche dir verboten wird, etwas mit bloßen Händen anzufassen, wenn es nicht dir gehört, und unter die Hände Anderer kommen soll. Nimm diesen Queersack, um das hinein zu tun, was dir von wohlhabenden Leuten gespendet wird und trage Sorge, Gott für deine Wohlthäter zu bitten.“
Der Priester spendete ihm nun ein Almosen, worauf er die Umstehenden ermahnte es ihm gleich zu tun. Nun führte er den Erkrankten zum Haus der Aussätzigen, indem er sich das Kreuz und Weihwasser vorweg tragen ließ, gefolgt von der Gemeinde. Auf dem Weg wurde die Litanei gesungen und am Ende Miserere ei und Orata pro eo. Daran knüpften sich Gebete, die üblicherweise bei der letzten Ölung gesprochen werden. Kam die Prozession zum Eingang des Leprosoriums, sprach der Priester: „Hier ist meine Ruhe in Ewigkeit, hier werde ich wohnen, weil ich ihn erwählt habe. Siehe da den Ort, der dir von jetzt an zum Aufenthalt bestimmt ist. Ich verbiete dir, ihn zu verlassen, um dich auf Plätzen und öffentlichen Versammlungsorten treffen zu lassen, wie Kirchen, Märkte, Mühlen, Backöfen, Schenken und ähnlichen Orten. Betrübe dich jedoch nicht, auf solche Weise von den Andern gesondert zu sein, da diese Sonderung nur körperlich ist. Was den Geist, als das Vorzüglichste betrifft, so bist du so oft mit uns, als du betest, und hast Anteil an allen Gebeten unserer Mutter der heiligen Kirche, als wenn du persönlich mit allen Andern beim Gottesdienst zugegen wärest.  Was deine geringeren Notwendigkeiten betrifft, so werden wohlhabende Leute dafür sorgen. Gott wird dich nicht verlassen. Hüte doch wohl, habe Geduld. Gott bleibe bei dir.“
Darauf stellte der Priester das hölzerne Kreuz vor den Eingang des Leprosoriums, sprach zum Volke, empfahl ihm Gebete und Barmherzigkeit gegen alle Kranken, verbot ihnen, dass sie sie weder durch Wort noch  Tat beleidigen, sondern eingedenk des menschlichen Zustandes und des Gerichtes Gottes, diese freigebig unterstützen. Zuletzt erinnert und ermahnt er die Kirchenvorsteher, dass sie dem Kranken wenigstens 30 Stunden lang fleißigen Beistand leisten, damit er nicht wegen des neuen Lebens, der ungewohnten Einsamkeit und gar zu großer Betrübnis in irgend eine schwere Gefahr des Leibs oder Gemüts verfalle.
Die Bräuche und Vorgehensweisen waren nicht überall völlig gleich und wichen in Teilen voneinander ab, namentlich was der Geistliche vor dem Leprosorium zu sagen pflegte, variierte von Gegend zu Gegend. Was die strengen Regeln, Verbote und Ermahnungen bezüglich dem Umgang mit Gesunden betraf, war die Anwendung und Beachtung überall gleich. In den meisten deutschen Ländern, so wahrscheinlich auch in der Mark, sprach der Priester, so wie er das Haus erreicht hatte, die Gebete Memorare novissima tua und In aeternum non peccabis, worauf er ausrief: „Leicht verachtet der alles, welcher sich selbst als sterblich erkannt hat. Hierauf fasste er etwas Erde vom Boden, segnete sie, streute sie dreimal auf den Kopf des Kranken, und sprach: „Sei für die Welt tot, aber lebe wiederum in Gott.“ Er spendete ihm daraufhin Trost mit den Worten aus Jesaja 53, 4: „Jedoch unsere Leiden, er hat sie getragen, und unsere Schmerzen, er hat sie auf sich geladen. Wir aber, wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt.“ Zum Abschied gab ihm der Priester noch die tröstenden Worte mit: „Wenn du so wegen der Krankheit deines Körpers dich Christum näherst, so darfst du um so sicherer hoffen, dass dich Gott im Geist erfreuen werde. Das verleihe dir der Allerhöchste, und schreibe dich mit allen Gläubigen in das Buch des Lebens. Amen.“
Die Vorschriften bezüglich des Verhaltens der Kranken blieben gemäß den oben aufgelistete Geboten. Der Text aus Jesaja Kapitel 53, den wir im vorliegenden Fall aus der Elberfelder Übersetzung entnommen haben, wurde im Mittelalter so übersetzt und ausgelegt, dass  alle Aussätzigen von Gott als verstoßen und gedemütigt betrachtet wurden und so bezeichnete man sie selbst in fürstlichen Urkunden, so auch in der Mark. Hatte der Geistliche ihm die Vorschriften gegeben, mindestens mündlich, gegebenenfalls auch in schriftlicher Form, sofern der Betroffene überhaupt des Lesens mächtig war, sagte er ihm nun die zehn Gebote Gottes auf, damit er einst im Himmel mit den Heiligen leben könne. Beides musste öffentlich, in Gegenwart der Gemeinde getan werden. Schließlich erinnerte er ihn daran, dass ein guter Christ angehalten sei, täglich mit Andacht Pater noster, Ave Maria, Credo in Deum , Credo in Spiritum sanctum zu beten, sich zu bekreuzigen und oft zu sagen: „Benedicite Deum, adorate, et gratias Deo reddite.“ Dann rief er dem Kranken zu: „Habe Geduld, wohne in Frieden und Gott sei mit dir.“ Es wurde wohl auch dem Kranken versprochen, wenn er sich lauter halten würde, dass er alsdann schon in dieser Welt die Strafe des Fegefeuers abgalt und in der künftigen sofort ins Paradies eintreten würde, ohne das Fegefeuer durchmachen zu müssen.


Tagesablauf

Die Inkubationszeit, die Zeit bis zum Krankheitsausbruch, konnte Jahre dauern und selbst nach Ausbruch lebten die Erkrankten mitunter längere Zeit unbemerkt unter ihren Familienmitgliedern und Freunden. War ihr Zustand offensichtlich geworden und hatte die Isolation beginnen, ging das Siechtum durchaus noch lange, denn Krankheitsverlauf war langwierig und zumeist starben die Infizierten an begleitenden Erkrankungen vielfältiger Natur. Tuberkulose trat bei einer Großzahl auf und führte dann erst zum Tod. So lange es ihr körperlicher Zustand zuließ, durften sie in abgelegenen Winkeln, entfernt von den bevölkerten Straßen sitzen, und das Mitleid Vorrübergehender durch Benutzung ihrer Klingel oder Klapper erflehen, ohne das sie das Wort ergriffen. Es wurde schon gesagt, bei Nichteinhaltung der Vorschriften, erwartete sie härteste Bestrafung. Es konnte so weit gehen, dass sie bei Zuwiderhandlungen für vogelfrei erklärt wurden, was bei ihrer Lage für gewöhnlich einen alsbaldigen gewaltsamen Tod bedeutete.  Sein persönliches Eigentum verlor ein Aussätziger nicht, doch wegen seiner jetzt vorherrschenden Lebenssituation, nur wenig davon mitnehmen oder anderweitig nutzen. Erben konnte er von einem Verstorbenen nichts. Sollte er ein Edelmann sein, war er unfähig ein Lehn zu empfangen oder eines zu behalten. Öffentliche Ämter verlor er nach einer positiven Diagnose sofort. Die Mehrzahl der Erkrankten stammte jedoch aus den Unterschichten, Fragen ndh Besitz, Erbe, Lehen oder Ämtern stellte sich nicht, denn sie besaßen kaum mehr als das zum Leben notwendige. Es kam zu zahlreichen Fällen, dass sich Mittellose als Aussätzige ausgaben, sich hierzu präparierten, in der Hoffnung als Leproser diagnostiziert zu werden und einen Leprabrief zu erhalten, womit sie Aufnahme in einem der Leprahäuser erhielten, wo sie immerhin regelmäßig Nahrung erhielten, ein beständiges Dach über dem Kopf hatten und allemal besser lebten, als bislang.
In den Leprosorien, den Krankenhäusern der Aussätzigen, bildeten sich regelrechte Gesellschaften von Kranken, die, den Tod vor Augen, von der Welt ausgeschlossen, nur auf sich angewiesen, ein Leben führten, das durchaus mit dem monastischem Leben der Klöster vergleichbar war. Mit der Zeit wuchsen die  Anlagen an und erinnerten mit ihren Kirchen oder Kapellen, den Wirtschaftsgebäuden, Wohnzellen und  Friedhöfen tatsächlich mehr einem Kloster, als einem Krankenhaus. Die Insassen wurden als Brüder und Schwestern bezeichnet, ihre Tracht war schlicht, gleichförmig und nicht zeitgenössischer Mode folgend. Festgelegte Gebete regelten den Tagesablauf.  Wenn auch ein zölibatäres Leben erwünscht war, kam es dennoch zu Geburten unter den verheirateten Paaren, aber auch unter unberheirateten. Die in den Leprosorien geborenen Kinder durften nicht an gewöhnlichen Brunnen getauft werden, wo die Kinder der  Gesunden getauft wurden. Sie hatten hierzu eigene Vorrichtungen. Oftmals wurde ein künstlich angelegter Teich innerhalb ihrer Mauern dazu benutzt. Verlangte ein Sterbender die Sterbesakramente, durfte der Pfarrer es nicht verweigern und musste sie umsonst erteilen. Ihre Toten wurden auf dem eigenen Begräbnisplatz beerdigt, aber die Seelenmessen wurden wie für die sonstigen Glieder der Gemeinde, in der Pfarrkirche gehalten. Trotz der streng auferlegten Abgeschiedenheit ihrer Lebensweise, gab es immer wieder Übertretungen, so dass nach Maßregeln zur Beseitigung der vielen Missstände gesucht wurde. Schon auf dem Dritten Laterankonzil März 1179 unter der Leitung Papst Alexanders III., wurde im 23. Kanon beschlossen, dass neben jedem der Aussätzigenhäuser eine Kirche gebaut und ein Geistlicher dafür angestellt werden sollte. Durch die Belehrung und Zucht eines Kirchenmanns, sollte den vielfachen Problemen begnet werden. Tatsächlich zeigte diese Vorgehensweise eine heilsame Wirkung. Demgemäß erhielt jedes Leprosorium eine eigene Kirche. Ursprünglich bestand die männliche Bevölkerung dieser Häuser nur aus erkrankten Kreuzfahrern, die aus Palästina  zurückgekehrt waren und in diesen ihr Leben beschlossen.
Der Patron der Kreuzzüge und aller Kreuzfahrer war der heilige Georg, wovon das alte Lied Zeugnis gibt (auszugsweise): „O Georgi, miles Christi! Palaestinam devicisti manu tua valida. Ortus tuus generosus, actus tuus bellicosus, fides erat fervida ...“). Eben darum wurde er auch der Patron aller Leprosorien und ihrer Kirchen, denn die kranken Kreuzfahrer behielten ihren Heiligen bei. Später, besonders als die Bestimmung dieser Gebäude eine andere wurde, hießen alle diese Kirchen Georgenkirchen, und die Krankenanstalten Georgs-Hospitäler. Zwar war das Aussätzigenhaus in Spandau anfangs dem heiligen Lazarus gewidmet, da der im Evangelium erwähnte Lazarus aber kein Kalenderheiliger war, wurde es später ebenfalls ein Georgshospital. All Leprosorien, mit sehr wenigen Ausnahmen, lagen außerhalb der Städte.
In der Mark Brandenburg hatte folgende Stadtkommunen eine derartige Einrichtung: Osterburg, Tangermünde, Salzwedel, Bezendorf, Stendal, Seehausen, Werben, Gardelegen, Perleberg, Pritzwalk, Wittstock, Putlitz, Kyritz, Neu Ruppin, Nauen, Berlin, Spandau, Bernau, Strausberg, Neustadt-Eberswalde, Freienwalde, Mittenwalde, Müncheberg, Frankfurt an der Oder, Templin, Königsberg in der Neumark, Soldin, Friedeberg, Falkenburg, Arnswalde, Drossen, Crossen, Züllichau. Fast von keinem dieser Hospitäler wissen wir, wann es erbaut wurde. Die Entstehung muß aber nach allem Angeführten, in die Zeit der Kreuzzüge oder bald danach fallen.
An der Städteliste, die praktisch alle größeren Städte der Mark erwähnt, erkennen wir sowohl die flächendeckende Verbreitung der Krankheit einerseits, wie andererseits die getroffenen Vorkehrungen der Kommunen, den Betroffenen, trotz ihrer Trennung und Isolation vom bisherigen Leben, Versorgung und Unterbringung bereitzustellen. Die Zeiten, wo ein Leprakranker  in eine Hütte ausgesetzt wurde, wo man ihn seinem Schicksal überließ, waren vorbei. Man erlaubt ihnen zwar zur Bestreitung ihres Unterhalts, damit sie nicht dem Hungertod ausgesetzt waren, an bestimmten Wochentagen und wie schon erwähnt, in abgelegenen Straßen der Städte zu betteln, doch musste sie unter allen Umständen jede Berührung, selbst jedes Wort vermeiden. Durch ihre vorgeschriebene Kleidung, ihre Klingel, Rassel oder Klapper, waren sie in jeder Stadt leicht zu erkennen und zu hören.


Lepra verschwindet in Europa

Mit Errichtung der Leprosorien verschwanden die Erkrankten dennoch nicht völlig aus dem Stadtbild, doch waren sie nun nicht mehr zum Betteln gezwungen, gleichwohl es ihnen, mit Ausnahmen, weiterhin gestattet blieb. In den Hospitälern erhielten sie drei Mahlzeiten am Tag, zweimal die Woche wurden sie gebadet, womit es ihnen materiell weitaus besser ging als vielen ihrer gesunden Zeitgenossen, die mit Tagelöhnerarbeiten oder ganz mittel- und obdachlos, buchstäblich vom Hand in den Mund lebten. Es wundert nicht, dass es unter den Ärmsten zu allerlei verzweifelten Versuchen kam, sich als vermeintlich Erkrankte in die Sanatorien einzuschleichen, um dadurch der eigenen wirtschaftlich Not zu entfliehen. Erstaunlich genug, fanden sich freiwillige Helfer, die in den Leprosorien Arbeit an den Kranken taten. Sie verstanden es als Dienst an Christus.
Für die städtischen Kommunen war der Betrieb der Leprosorien eine nicht zu vernachlässigende finanzielle Belastung und doch nahm man die Kosten auf sich, um hierdurch die Isolation der Erkrankten zu gewährleisten und eine Verbreitung einzudämmen und tatsächlich war die Krankheit durch diese restriktiven Maßnahmen seit dem 15. Jahrhundert rückläufig und im Laufe des 16. Jahrhundert in Mitteleuropa weitestgehend ausgerottet. Komplett trugen die Städte die Kosten für gewöhnlich nicht und so blieb stets die Abhängigkeit von mildtätigen Spendern, weswegen die meisten Einrichtungen entlang von bekannten Pilgerwegen entstanden. Die Angst vor neuen Ausbrüchen blieb auch nach Rückgang und praktischem Verschwinden der Krankheit lange Zeit bestehen, und so hielten sich die erbauten Einrichtungen noch eine Weile, bevor sie Zug um Zug einer neuen, meisten nur geringfügig modifizierten Bestimmung übergeben wurden. Aus dem Leprahäusern wurden allgemeine Sanatorien, gelegentlich auch städtische Armen- und Altenhäuser.