Buch 1, Kapitel X: Intermezzo – „Klöster, Orden, Ordensstaat“


Die Entstehung früher christlicher Klöster, reicht in die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts zurück. Pachomius der Ältere (um 295 – 346) gründete im oberägyptischen Tabennisi, nahe Theben, das erste Kloster der Christenheit.

Dem Klosterleben ging die Idee des Eremitentums voraus, die älteste Form gottgeweihten Lebens. Überall in Syrien und Ägypten hatte sich diese Bewegung verbreitet. In Nachahmung sowohl der 40-jährigen Wanderung des Volkes Israel, das gemäß biblischem Bericht von Moses aus Ägypten herausgeführt, und in der Wüste für seine Verfehlungen geläutert wurde, wie auch der 40-tägigen Fastenzeit Jesu, der sich vor Beginn seines dreijährigen Predigtwerks fern aller Zivilisation, zum Gebet in die Wüste zurückzog, wo er sich Entsagung und Meditation hingab, lebten auch die frühchristlichen Einsiedler in der Einöde, unter ärmlichen Bedingungen. Absonderung von allem Weltlichen, Ehelosigkeit und ein asketisches Leben, bildeten und bilden bis heute die Säulen klösterlicher Existenz, wobei es darin von Orden zu Orden Unterschiede gibt. Nachdem im dritten und vierten Jahrhundert das Eremitentum zum Massenphänomen wurde, entstanden daraus bald erste Einsiedlerkolonien. Örtliche Gemeinschaften von Gleichgesinnten. Hieraus, man möchte fast sagen, in logischer Folge, entstand der Gedanke des Klosters, dessen Bezeichnung sich vom lateinischen Claustrum ableitet, was soviel wie verschlossener oder abgegrenzter  Raum bedeutet.

Aus dem Orient schwappte die Klosteridee nach Europa über. Benedikt von Nursia, bei Spoleto um das Jahr 480 geboren, gründete um 529 an der Stelle eines alten Apollon-Tempels, das erste abendländische Kloster, die Abtei Montecassino, südlich von Rom. Die Mehrzahl der frühchristlichen Kirchen waren entweder auf den Trümmern alter, heidnischen Gottheiten geweihter Tempel errichtet, oder man hat dazu noch intakte Götzentempel übernommen und einfach umfirmiert. Die Benediktiner, wie sich die Nachfolger Benedikts nannten, wurden zum Vorbild weiterer Bruderschaften und Klostergründungen. Diese bildeten ein funktionales Netzwerk, aus dem sich eine weitverbreitete Ordensgemeinschaft bildete. Mit der Zeit entstanden zahlreiche weitere Mönchs- und Nonnenorden, auf die hier nicht im Detail eingegangen wird.


Eine unsichere Zukunft

Im Vakuum der Übergangszeit von der Spätantike zum Frühmittelalter, war der Fortbestand der in Europa existierenden ersten erheblich Klöster gefährdet. Es war überhaupt fraglich, ob sich der christliche Glaube im damals noch überwiegend heidnischen Europa halten könnte. Kaiser Konstantin (um 280 – 337) erklärte vor einem Jahrhundert das Christentum zur Staatsreligion, nachdem es lange Zeit von Rom unterdrückt wurde. Während dieser letzten, sich schon abschwächenden Hochphase des Römischen Reichs, erlebte das Christentum unter römischer Protektion einen rasanten Ausschwung. Als nun das antike Rom in Trümmer zu sinken begann und das alte Imperium dem Ansturm der entwurzelten germanischen Völkerschaften keinen Widerstand mehr leisten konnte, fehlte der jungen römischen Reichskirche aller weltliche Schutz. Teils kamen die Germanen aus dem Norden Europas, von wo sie auf der Suche nach ertragreichem Land auf ungewisse Wanderschaft gingen, teils aus dem Osten. Möglicherweise hatte eine Serie von Sturmfluten den Zug der Nordgermanen erst ausgelöst. Vor allem aber waren es jene aus dem Osten flüchtenden Stämme, die von den Hunnen, ein nomadisches Steppenvolk aus Zentralasien, förmlich vor sich hergetrieben wurden. Seit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts expandierten die Hunnen nach Westen. Die karge Heimat und wiederholte Verteilungskriege untereinander, ließ sie in alle Richtungen ausschwärmen, so auch nach Europa. Gegen die berittene Kampftechnik der Hunnen vermochten niemand zu bestehen, nicht die Germanen und auch keines der anderen Völker. Alles zog, floh regelrecht nach Westen und Nordwesten, dabei andere Völker vor sich herschiebend, und löste damit eine wahre Kettenreaktion unerreichten Ausmaßes aus. Lieber nahm man den jetzt Kampf mit den Römern auf, zu denen verschiedene westgermanische Volksstämme seit einem halben Jahrtausend wechselvolle Kontakte unterhielten. Goten, Vandalen und Alanen, letztere gehörten nicht zur Völkergruppe der Germanen, doch waren sie seit ihrer Entwurzelung in engem Kontakt mit Vandalen und später Sueben, suchten zunächst friedliche Aufnahme in den Provinzen Roms, boten sich dabei als Alliierte, als Foederaten an, doch gegenseitiges Misstrauen und Missachtung führte wiederholt zu Vertragsbrüchen.  Die römischen Grenzen wurden letztlich regelrecht überrannt, nicht nur im Osten des heutigen Balkans, auch am Rhein, so bei Mainz und andernorts. Das erste bewaffnete Zusammentreffen war es freilich nicht. Die Kämpfe Roms mit den Barbaren, den hochgewachsenen Germanen, hatten fast Tradition. Jeder römische Feldherr der etwas auf sich hielt und erfolgreich in die Politik wollte, hatte einen erfolgreichen Heerzug in Germanien vorzuweisen. Nachhaltig erfolgreich war keiner dieser Feldzüge. Rechts des Rheins vermochte sich das Imperium nie dauerhaft zu etablieren. Der größte Teil Germaniens entzog sich der Unterwerfung und Romanisierung, trotz größter Anstrengungen. Die vielen dutzend Schlachten und Kriege zwischen Rom und verschiedenen Stämmen rechts des Rheins wären eine ausführlichere Betrachtung wert, doch müssen wir darauf verzichten.
Der großen Völkerwanderung im letzten Viertel des vierten Jahrhunderts, ging 105 v. Chr. der Zug der Kimbern, Teutonen und Ambronen voraus, der seinen langen Schatten auf zukünftige Ereignisse warf. Fortan sollte der Schrecken vor den Barbaren aus dem Norden nie ganz aus der Erinnerung der Römer verschwinden. Die römische Republik, damals auf dem ersten Höhepunkt der Macht, konnte nach anfänglich verheerenden Niederlagen, der rast- und ziellosen Invasion Herr werden.

Das Römische Reich umspannte auf dem
Höhepunkt seiner Ausdehnung das gesamte Mittelmeer

Vom Barbarenschock erholt, folgte eine lange Phase römischer Expansion, die nicht nur den Mittelmeerraum einschloss, auch nördlich der Alpen setzte sich die Auqila, die Adlerstandarte der Legionen fest und Rom unterwarf links des Rheins Rätien, Gallien, ja selbst Britannien jenseits des Meeres. Rhein und Donau bildeten die Grenze zu den nicht unterworfenen Völkern des Nordostens. Mit den germanischen Stämmen entlang des Rheins unterhielt Rom einen unsicheren Frieden, betrieb Handel und zog Steuern ein, versuchte es zumindest. Gerade am römischen Steuersystem entzündeten sich fortwährend neue Konflikte. Regelmäßige Abgaben waren den Germanen fremd, sie sahen darin eine ungewohnte Beschneidung ihrer Freiheiten. Rom reagierte auf örtliche Zahlungsverweigerungen mit Repressalien und Strafaktionen, woraus sich eine gegenseitige Gewaltspirale entwickelte. Die Germanen zeigten nur Stellenweise Anzeichen einer schleichenden Romanisierung, doch blieben selbst diese Halbassimilierten halsstarrig. Das Imperium befand sich fortwährend in latentem oder sogar offenem Kriegszustand entlang seiner nordöstlilchen Grenzen. Das römische Desaster 9 n. Chr. im Teutoburger Wald, bei der neben drei vollausgerüsteten Legionen, auch die Hilfstruppen und der gesamte Tross verloren gingen, war ein entscheidender Markstein und setzte der römischen Expansion in Germanien ein Ende. Auch wenn Rom in den Folgejahren umfangreiche Strafaktionen ostwärts des Rheins durchführte, unter anderem entlang von Lippe und Weser, brachten diese in den weitläufigen, waldreichen Gebieten keine dauerhafte Unterwerfung der dort lebenden Stämme.

Jetzt, mehr als dreihundert Jahre später, im späten vierten Jahrhundert, waren die Legionen des einstmals mächtigen, mittlerweile altersschwachen und innerlich ausgehöhlten Roms, den wild entschlossenen Massen nicht mehr gewachsen. Bald ganz Europa war in Aufruhr und in Bewegung geraten. Wer überleben wollte, musste kämpfen und die Germanen, untereinander oft ebenso Feind wie es Hunnen oder Römer waren, fochten in Zweckbündnissen, buchstäblich mit dem Rücken zur Wand. Es gab für sie nur noch ein Vorwärts. Die antike Welt brach unter der verzweifelten Gewalt der heidnischen Heerscharen zusammen. Städte, Kirchen und Klöster, alles Dinge, die den nicht romanisierten Germanen kaum etwas bedeuteten, sogar fremd waren, gingen in Flammen auf, nachdem alles von Wert weggeschafft wurde. Doch die aus dem Osten stammende Not brachte bald seltsame Bündnisse hervor. Die gemeinsame Furcht vor den asiatischen Reiterhorden, schmiedete Römer und die nach Westen geflohenen Ostgermanen für kurze Zeit zusammen und so kam es im heutigen Nordostfrankreich, auf den Katalaunischen Feldern zur Schlacht. Römer unter Aëtius und Westgoten unter Theoderich I., nicht zu verwechseln mit dem Ostgoten Theoderich dem Großen, auf der einen Seite, Hunnen unter Attila, mit ihren ostgotischen Hilfstruppen unter Valamir, Germanen unter hunnischer Oberherrschaft, auf der anderen Seite. Unter entsetzlichen Verlusten auf beiden Seiten, wobei die Germanen hüben wie drüben den größten Blutzoll zahlten, wurde der weiteren Westexpansion Attilas Einhalt geboten. Doch die letzte Kraftanstrengung Roms, vielmehr seines Heerführers in Gallien, denn Rom selbst leistete keinerlei Hilfe mehr, förderte die völlige Erschöpfung des im Zerfall befindlichen Reichs offen zutage. Eine Reorganisation der Provinzen Gallien, Britannien oder Spanien unter Führung eines starken Cäsaren gelang nicht mehr, das Reich zerfiel in zwei Hälften, wobei sich im Osten, in Konstantinopel, das oströmische Reich konsolidieren konnte, während das weströmische Reich bald unter das Regiment neuer Herren geriet. In die Machtlücke stießen die Germanen, allen voran die Franken in Gallien, aber auch Goten und Langobarden in Oberitalien. Sie übernahmen die Herrschaft in den weiten Landstrichen des einstigen Weltreichs. Der christlichen Staatskirche drohte von den heidnischen Barbaren, die ihre nordischen Gottheiten anbeteten, wenn nicht Vernichtung, so doch Unterdrückung und Repressalien. Doch zeigte sich, dass Goten und Franken, zumindest ihre Herrscherhäuser, dem christlichen Gedanken aufgeschlossen gegenüberstanden. Nicht unbedingt aus ehrlicher Überzeugung oder religiösem Eifer, eher aus schierem Pragmatismus. Das auf Ordnung und Unterordnung unter die obrigkeitliche Gewalten ausgelegte Glaubenskonstrukt der Christen, war geradezu ein ideales Instrument, den unabhängigen Volkscharakter der Germanen zu zügeln, deren dauerhafte Renitenz einzuschränken und einer Oberführung zuzuführen. Dass die eingesessene christliche Bevölkerungsmehrheit in Gallien oder Oberitalien von einem christlichen König, ob fremd oder einheimisch, gleichzeitig williger regiert wurde, als von einem heidnischen, leuchtet ein. Die Reichskirche leistete den neuen Machthabern wertvolle Dienste, wenn der Anfang auch schwer war, denn die christianisierten Germanen hingen in der Mehrzahl den Lehren des Arius an und lehnten entsprechend die Trinitätslehre ab, das zentrales Glaubensdogma der römischen Kirche war. Der römische Bischof, gemeint sind hier natürlich Generationen römischer Bischöfe, er stand ursprünglich nicht über den anderen Bischöfen, verstand die Rivalität unter den Germanen, vor allem der Franken und Ostgoten zu seinen Zwecken zu verwenden. Der fränkische Großkönig Chlodwig, ursprünglich auch mit dem Arianismus sympathisierend, ging zum römischen Glaubensdogma über. Er konnte sich hierdurch auf die Unterstützung der alten Reichskirche stützen. Es begann der Aufstieg der Franken zur dominierenden politischen Macht und ebenso der römischen Kirche, die die Deutungshoheit über alle Auslegungsfragen christlichen Glaubens an sich riss.

Ein grüne Insel am nordwestlichen Rand Europas blieb von all diesen Entwicklungen unberührt. Es entwickelt sich dort ein ganz eigentümlich klösterliches Leben, das sich unberührt entfalten konnte. Selbst die Invasion der Angeln und Sachsen im benachbarten Britannien ging an den keltischen Iren vorbei. Dass sich der christliche Glaube in Irland unter den keltischen Ureinwohnern diesseits aber auch jenseits, im Norden Schottlands festsetzen und durchsetzen konnte, stellte eine erstaunliche Ausnahme dar, denn diese Gebiete gehörten zu keiner Zeit zu Rom, womit die römische Reichskirche auch keinen Einfluss nehmen konnte. Hierdurch entwickelte sich eine ganz eigene Kirchenform aus, die iroschottische Kirche.

Keltenkreuz der
iroschottischen Kirche

Irische Mönche hatten zu Beginn des Frühmittelalters großen Anteil bei der Missionierung der europäischen Heiden. Sie brachten den Glauben nach Britannien, wo er auf die Angeln und Sachsen überging und bald darauf aufs Festland überschwappte. Bonifatius, der später sogenannte Apostel der Deutschen, entstammte einem dieser christlich bekehrten angelsächsischen Häuser. Im sächsischen Kleinkönigtum Wessex, im Südwesten Englands als Wynfreht (Winfried) um 673 geboren, begann er in der merowingischen Schlussphase im östlichen Gebiet des fränkischen Königreichs, in Austrien, seine Tätigkeit als Missionar. Bemühungen das von einem Vorgänger in Friesland eingeleitete Missionswerk fortzuführen, scheiterte am zu dieser Zeit unter dem Friesenkönig Radbod ausgebrochenen Gegensatz von  Friesen und Franken. Bonifatius ging daraufhin nach Rom um sich die Hilfe des Papstes zu sichern, wurde päpstlicher Legat für Germanien und kehrte mit umfangreichen Befugnissen zurück. Das Bistum Mainz wurde zum Erzbistum erhoben und Bonifatius erster Metropolit, Erzbischof der neuen Kirchenprovinz. Er gründete zahlreiche Klöster, darunter das Reichskloster Fulda, wo er schließlich seine letzte Ruhestätte fand, nachdem er in hohem Alter auf einer neuerlichen Missionsreise  in Friesland erschlagen wurde.

Wie wir sahen, war die Zeit der Völkerwanderungen zu Ende gegangen. Im Verlauf des Frühmittelalters kamen auch die letzten germanischen Stämme zur Ruhe, wurden sesshaft und formierten sich zu Großstämmen. Aus ihren  Siedlungsgebieten entstanden die Stammesherzogtümer, von denen an anderer Stelle schon mehrfach die Rede war. Die Franken verbanden mit ihrem allgemeinen Expansionsdrang gleichzeitig die Missionierung der unterworfenen Stämme und Völkerschaften. Als letztes mussten sich nach langen und blutigen Kriegen die Festlandsachsen Karl dem Großen unterwerfen und zwangsbekehren. Der christliche Glaube hatte nicht nur den Niedergang Roms überstanden, er war in der neuen europäischen Ordnung zur Staatsreligion geworden.


Die Rolle der Klöster im Mittelalter

Nach dieser Exkursion in die Zeit der Völkerwanderungen, schauen wir uns das späte Früh- sowie das Hochmittelalter aus klösterlicher Sicht an.
Klosterleben war und ist es noch heute, bestimmt von innerer Einkehr, dem Gebet, der Kontemplation, das heißt dem konzentrierten Nachsinnen über Gott. Jede Ablenkung der Welt könnte sich als störend auswirken. Um von weltlichen Einflüssen abgeschirmt zu bleiben und den Kontakt außerhalb des Klosters auf ein Minimum zu reduzieren, war von Anfang an die wirtschaftliche Selbstständigkeit, idealerweise die Selbstversorgung von größter Bedeutung. Hieraus ergab sich neben den geistlichen Aspekten, bei vielen Orden auch notwendig körperliche Arbeit, sei es in der Landwirtschaft oder im Handwerk.
Je nach Ordensgemeinschaft gab es in dieser Hinsicht unterschiedliche Lebensweisen. Neigten manche Orden mehr zu wissenschaftlichen Tätigkeitsfeldern, fokussierten sich andere mehr auf praktische Aspekte, wie die Erschließung des einem Kloster zugewiesen Landbesitzes und hier der Landwirtschaft oder Fischerei. Die Bandbreite der Orden wurde zunehmend größer und nahmen es manche Orden besonders streng bezüglich der Abtrennung von der Welt und andere waren in dieser Hinsicht offener. Wir gehen an dieser Stelle nicht tiefer auf spezifische Merkmale einzelner Ordensgemeinschaften ein, nur noch soviel am Rande, nicht alle Orden sind an ein festes Kloster in monasticher, in mönchischer Lebensweise gebunden, so lebten die Wanderprediger selten oder gar nicht hinter Klostermauern. Auch unterscheiden sich die Einrichtungen der Ostkirche von jenen im Westen. Letztere waren, sind es noch, in großen Netzwerken zusammengefasst, den Ordensgemeinschaften auch Kongregationen genannt, während Klöster der orthodoxen Kirchen große Autonomie genießen.

Während des gesamten Mittelalters lieferten die Klöster starke Impulse in Bezug auf die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung Europas. Von ihnen ging wie erwähnt die eigentliche Christianisierung des Abendlandes aus. Wanderprediger trugen die Botschaft zu den Heiden, wobei nicht wenige den Tod erlitten. Dieses Missionswerk gab dem europäischen Kontinent seine charakteristische Prägung.
Vielleicht die wichtigste Leistung überhaupt, man kann sie nicht hoch genug bewerten, war die Konservierung, die Erhaltung und Weiterverbreitung, oder soll man sagen Neuverbreitung alten aber auch neuen Wissens. In Klöstern wurde auf Pergamenten und in Büchern das geistige Erbe des Abendlandes aufgezeichnet, vervielfältigt und an die nächste Generation weitergereicht. Manches Wissen konnte dadurch, trotz aller beklagenswerten Verluste, aus der Antike gerettet werden. Es waren Klosterschulen die über Jahrhunderte hinweg praktisch die einzigen, organisierten Bildungsstätten darstellten. Fundiertes Verständnis über Kräuter- und Heilkunde, Ackerbau und Viehzucht, war unbezahlbar und in einigen Orden ebenso Teil klösterlichen Lebens, wie es geistige Einkehr und Gebet waren. Viele Erkenntnisse der Landwirtschaft, egal ob es Getreide- oder Obstanbau betraf, ebenso die Haltung und Zucht von Nutztieren, verdanken wir den aufmerksamen Beobachtungen und Arbeiten der Mönche. Ergebnisse ihrer Arbeiten zeichneten sie gewissenhaft auf, gaben sie an Mitbrüder weiter, die sie planmäßig weiterentwickelten. Auch wenn Klostereinrichtungen einen signifikanten Anteil gerade auf dem Gebiet geistigen Entwicklung hatten, gab es mit der Zeit neue, sehr populäre Orden, die sich  bewusst und aus tiefer Überzeugung aller geistigen Bildung verweigerten. In solchen Orden, die Franziskaner seien hier besonders erwähnt, wurden keine Klosterschulen betrieben, keine Skriptorien (Schreibstuben) unterhalten. Die meisten Franziskaner konnten selbst nicht Lesen und Schreiben und trugen ihre Lehren aus dem Gedächtnis vor. Ihr Erfolg bestand darin, dass sie weder besonders strenge Aufnahmebedingungen hatten, noch sich in Bezug auf den gemeinen Mann durch Bildung oder besondere rhetorische Gewandtheit  differenzierten, sondern nur durch ein selbsterwähltes ärmliches Leben. Beim einfachen Volk war dieser Bettelorden deswegen besonders beliebt und der Papst, er hatte sich längst über seine Amtsbrüder als die maßgebliche geistliche Zentralinstanz erhoben, nutzte die Franziskaner zur Instrumentalisierung und Beeinflussung der breiten Volksmassen. Sehr zum Verdruss der Fürsten.

Werfen wir noch einmal einen Blick nach hinten. Vor den kulturellen und politischen Veränderungen Europas konnten sich die Klöster nicht immer   verschließen. Sie mussten mit lokalen Machthabern kooperieren, in deren Abhängigkeit sie vielerorts gerieten. Mit dem Übertritt der Franken zum Christentum, sie wurden unter Chlodwig wie bereits erwähnt zum ersten Großkönigtum vereint, gewann die römische Kirche und in deren Schlepptau die abendländischen Klöster, nicht nur eine starke weltliche Schutzmacht, es war auch ein großer Schritt hin zur Missionierung der übrigen Germanen, die sich ostwärts des Rheins weiterhin ihren alten Gottheiten verschrieben. Die nordische Götterwelt entsprach dem kriegerischen Wesen der damaligen Germanen mehr, als der Heiland der Christen.
Die Franken waren dabei nicht die ersten christianisierten Germanen. Die Goten glaubten ebenso an die christliche Lehre. Sie unterschieden sich in der Auslegung von der römischen Kirche und hingen der Lehre des Arius (260-327) an, der die Dreieinigkeit als Irrlehre ablehnte, die seit dem ersten großen Konzil von Nicäa (325) eines der zentralen Dogmen der römischen Kirche wurde. Chlodwigs Konvertierung zum Christentum, die vordergründige Abkehr von den alten nordischen Götter und die Wahl der römischen Glaubensinterpretation, basierte auf zwei pragmatischen Gesichtspunkten. Er benötigte in seinen Gebieten die alte römische Reichskirche, um die Bevölkerung seines weitläufigen Reichs zu kontrollieren. Die Franken selbst machten nur etwa 10% der galloromanischen Mischbevölkerung aus. Zum anderen gewann er mit der Kirche Roms eine wichtige Stütze im Wettstreit mit dem ostgotischen Rivalen Theoderich um die Vormacht im germanischen Europa. Die Kirche machte sich spätestens jetzt zum willfährigen Instrument des politischen Ränkespiels, trat dabei gleichzeitig, gemeint ist der römische Bischof, gemeinhin als Papst bekannt, mit Raffinesse für die eigenen weltlichen Interessen ein. Die Klöster konnten sich von alledem nicht fern halten. Zunächst bewahrten sie wo es ging Neutralität, wurden jedoch von beiden Seiten umgarnt, naturgemäß von der Kirche selbst. Wenn wir von Kirche sprechen, meinen wir zu diesem Zeitpunkt immer die römische Kirche, mit dem Papst als geistlichem und weltlichem Oberhaupt. Der Papst als selbsterklärter Vertreter Christi auf Erden, fühlte sich weisungsbefugt hinsichtlich aller klösterlichen Angelegenheiten. Die meisten Klöster lagen, wie im Übrigen die  meisten Bischöfe auch, fern von Rom. Der Einfluss lokaler, weltlicher Machthaber, wirkte sich unmittelbarer und stärker aus, demgemäß saßen Klöster und zumeist Bistümer in gleicher Weise, zwischen zwei Stühlen. Über die Zeit konnten sich die fränkischen Könige kraft ihrer errungenen Macht durchsetzen. Es entstanden, gestützt auf das Wohlwollen dieser Machthaber jenes schon erwähnte Reichskloster in Fulda.

Nachdem sich der christliche Glaube bis zum Beginn des Hochmittelalters in großen Teilen Europas verbreitet hatte, die muslimische Invasion auf der iberischen Halbinsel an der Stelle ausgeklammert, schien der Missionsbeitrag der Klöster eine kleiner werdende Rolle zu spielen und drohte am Ende ganz zu verschwinden. Mit dem zwölften Jahrhundert gewann dieser Aspekt wieder an Bedeutung. An den östlichen Rändern des jungen Reichs, das im zehnten Jahrhundert zwischen Rhein und Elbe aus dem verwaisten ostfränkischen Reich hervorgegangen war, schickten sich regionale Fürsten an, in den heidnischen Lebensraum der dort lebenden Slawen rechts der Elbe zu expandieren. Hintergründe und Verlauf haben wir in den ersten beiden Kapiteln über  Albrecht den Bären erläutert. Wieder waren es Klöster, die bei der Erschließung der heidnischen Gebiete als kulturelle Keimzelle dienten. Sie leisteten beim Landesausbau unschätzbare Dienste und schufen als Wirtschaftsmittelpunkt einer Region, die notwendigen Infrastrukturen, die der parallelen Besiedlung und Kolonisierung starken Vorschub leisteten. Die Askanier bedienten sich bei  der Erschließung der ostelbischen Landschaften sehr erfolgreich allerlei Klöster, die dabei als Anker und Wegbereiter ankommender Siedler fungierten. Wie im Schlussteil von Kapitel III geschildert, war das von Markgraf Otto I. 1180 gestiftete Kloster Lehnin in der Zauche, ein Musterbeispiel landesherrlicher Verwendung klösterlicher Einrichtungen zur Hebung wirtschaftlich rückständiger Gebiete. Die Stiftung durch den Markgrafen unterstreicht die politische Abhängigkeit von neuangelegten Klöstern, die mindestens in einem Loyalitätsverhältnis zu den stiftenden Landesherren standen. Johann I. und Otto III., Enkel Ottos I., ihnen waren die drei zurückliegenden Kapitel gewidmet, machten sich nicht nur als Städtegründer einen buchstäblichen Namen, sie stifteten ebenso eine beachtliche Zahl Klöster unterschiedlicher Ordensgemeinschaften. Am erwähnenswertesten Chorin im nordöstlichen Barnim, aber auch Gründungen in Ruppin, Strausberg, Seehausen, Ziesar, Prenzlau, Görlitz oder Bautzen. Überall wo durch territoriale Erweiterung und Zuzug frischer Siedler, ein Verwaltungsmittelpunkt zu schaffen war, wurden Klöster errichtet und von den jeweiligen Landesherren großzügig mit Land und Privilegien versehen.


Das Kloster als Arbeitgeber, Schule und Seelsorger

Im Hochmittelalter stieg durch Geburtenüberschuss in Europa und im Reich die Bevölkerung spürbar. Es führte zu einem allgemeinen Wachstum in den Städten und auf dem Land. Noch war kein grundlegender Mangel an Land, wenngleich der größte Teil weiterhin unerschlossen war. Der steigende Bedarf an urbarem Land, wurde durch Erschließung bisher ungenutzter Landschaften, durch Rodung der Wälder, Trockenlegung von Flussniederungen und Sümpfe kompensiert. Einige Generationen konnte so die dadurch eine Vermehrung der Höfe verkraftet werden, ohne dass die bewirtschaftete Fläche so kleine wurde, dass die Familie nicht mehr zu ernähren war.
Für die Adelskreisen stellte üppiger Nachwuchs Segen und Fluch in gleicher Weise dar. Einerseits war der Fortbestand der eigenen Sippe, der eigenen Dynastie gesichert, andererseits war es eine Hypothek im Erbfall und ständige Herausforderung. Bekam jeder der Söhne einen Anteil, so war die Zersplitterung, die Minderung des Familienbesitzes, nach wenigen Generationen so dramatisch, dass selbst einflussreiche Dynastien an Bedeutung verloren. Es musste Abhilfe geschaffen werden. Die Primogenitur war im Grunde unbekannt, bis auf wenig, wenngleich prominente Beispiele begrent. Der alte salfränkische Brauch, wonach alle Erbberechtigten einen Anteil erhielten, war die gängige Praxis. Mit zunehmendem Einfluss der Kirchen und Klöster, die vielerorts über umfangreichen Territorialbesitz  verfügten, stellte sich eine neue Sitte in Adelskreisen ein. Wenigstens einer der nachgeborenen Söhne, zumeist der jüngste davon, wurde frühzeitig für eine geistliche Karriere vorgesehen. Hiermit wurde Druck von der Erbfolge genommen und gleichzeitig dem jungen Sprössling eine sicher Auskunft gewährleistet. Gelang es ihm, die Konkurrenz war groß, in die höchsten Kreisen des Klerus vorzustoßen, Probst, gar Bischof zu werden oder Abt eines einflussreichen Klosters, war der politische Nutzen für die Familie gleichzeitig von höchstem Wert.

Die Kirche, im Schlepptau die Klöster, gerade letztere übernahmen neben ihren ohnehin vielfältigen Aufgaben, die weiter oben kurz angerissen wurden, zusätzlich die Funktion eines quasi lukrativen Arbeitgebers, wenn man es so modern ausdrücken will. Das traf nicht nur auf den männlichen Nachwuchs zu, auch Frauenklöster bildeten Auffangbecken für junge Frauenzimmer aus vornehmem Haus. Die Frauenklöster erfüllten zunächst die Rolle einer Erziehungsanstalt für heranwachsende höhere Damen, bevor diese verheiratet wurden. Alle jene aber, deren Familien es nicht gelang sie vorteilhaft zur Ehe zu gegeben, entweder weil die notwendige Aussteuer nicht aufgebracht werden konnte, oder aus anderen Gründen, blieben gewöhnlich den Rest ihres Lebens im Kloster. Jungfern die alleinstehend lebten, waren im Grunde undenkbar. Das Los der Frau war wesentlich auf die zukünftige Rolle als Ehefrau und Mutter fokussiert, wobei sie in dieser Rolle nach ihren Begabungen gleichwohl großen Einfluss auf die Geschicke der Familie und auch Einfluss auf die Politik nehmen konnte. Ohne Privilegien, gar rechtlos, waren Frauen keinesfalls.

Klöster blieben bei alledem nicht ausschließlich aristokratischen Kreisen vorbehalten, wenngleich die Führungsschicht, es gab  nur sehr wenige Ausnahmen, hauptsächlich von Personen diesen Standes besetzt wurden, aus den schon genannten Gründen. Für das gemeine Volk blieben im Umfeld eines Klosters trotzdem viele Möglichkeiten der direkten Anstellung oder indirekten Beschäftigung. Sie waren Zuarbeiter, lieferten Rohstoffe oder bewirtschafteten die klösterlichen Ländereien, welche von Fall zu Fall gewaltig waren. Klöster, in deren Einflussbereich gleich mehrere dutzend Dörfer lagen, waren keine ausgesprochene Seltenheit. Die Möglichkeit der Aufnahme in den Kreis der Mönche, allerdings zumeist in untergeordneter Stellung, war immerhin nicht völlig unmöglich. Der Standesunterschied machte aber, es muss eingestanden werden, auch gerade vor den Toren der Klöster nicht halt. Eher noch war es einem Gemeinen möglich durch besondere Tapferkeit auf dem Schlachtfeld die Aufmerksamkeit seines Herren zu erwecken, um dadurch sozial aufzusteigen, als dass die strengen Hierarchien im Kloster übergangen werden konnten. In der Regel blieben die Menschen niedriger Geburt dementsprechend als Knechte, Küchenhilfe oder in sonstiger Aushilfsfunktion eingesetzt, was in den allermeisten Fällen immer noch besser war, als das Leben vieler Standesgleichgesinnter.

Einfluss und Größe der Klöster stieg von Jahr zu Jahr, von Generation zu Generation. Wir haben in den zurückliegenden Kapiteln immer wieder von den umfangreichen Zuwendungen der Askanier und untergeordneter Vasallen zugunsten der Klöster berichtet. Man darf hierbei keinesfalls von einem spezifisch brandenburgischen Phänomen ausgehen. Großzüge Spenden an klösterliche Einrichtungen war dem Zeitgeist geschuldet. Zur Vorsorge für das eigene Seelenheil, und das der Angehörigen, beauftragte man gegen reiche materielle Gaben Klöster sogenannte Seelenämter abzuhalten, um den Verstorbenen Erlösung zu verschaffen. Die Sorge um das ewige Heil, die allgegenwärtige Furcht vor Fegefeuer oder gar ewiger Verdammnis, bestimmte die Gedankenwelt des mittelalterlichen Menschen völlig. Nach der Überzeugung der Zeitgenossen, konnte nur die Fürbitte Berufener, das heißt geweihter Personen aus dem Klerus, Erlösung und Eintritt ins Himmelreich bewirken. Der Ruf der Mönche, die durch ihr abgeschiedenes, ganz dem spirituellen Dienste Gottes geweihten Lebens, besonders hoch im Kurs der Menschen stand, kam eine bevorzugte Rolle zu. Ungeheuerliche Summen wurden damals dafür aufgewandt, das Leben der Verstorbenen im Jenseits zu beeinflussen und sie durch die bezahlten Fürbittgebete der Geistlichen aus ihrer Drangsal im Fegefeuer zu befreien. Für die Existenz und Not der Lebenden wurde bisweilen weniger investiert, als für das Wohl der Toten. Es war anerkannt, dass die Geschicke des irdischen Lebens, vermeintliche Schicksalsschläge verdient waren oder zumindest eine göttliche Prüfung, die es zu durchleiden galt. In der Annahme, der durch und durch sündige Mensch könne nur durch Gebet, Schmerz und Entsagung Sühne leisten, waren allerlei Art der Selbstgeißelung im Hoch- und Spätmittelalter weit verbreitet und gerade in den Klöstern wurde diese Praktiken betrieben und dienten damit als Vorbild für die Menschen der Zeit.

Durch die nicht bezifferbaren Unsummen, die den Klöstern im Rahmen der Seelenpflege und zuflossen, wuchsen die allermeisten Klostereinrichtungen so erheblich, dass sie schon bald zu den reichsten Institutionen überhaupt gehörten. Ihr Reichtum und weitreichender Landbesitz weckte vielfälltige Begehrlichkeiten und machte Klöster bei Fehden oder Kriegen zu bevorzugten Zielen einfallender Truppen und so hatte alles durchaus zwei Seiten.

Klöster und Kirchen waren so ziemlich die einzigen Bildungseinrichtungen der Zeit. Die Orden der Zisterzienser und Franziskaner ausgenommen, unterhielten alle Klöster eine Schule. Hinsichtlich der Kirche war es nur in den Städten möglich eine derartige Einrichtung zu betreiben. Auf den Dörfern mangelte es an den Mitteln und überhaupt am zahlungsfähigen Schulpublikum. Lesen und Schreiben, Grundrechenarten und Religion waren die Lehrfächer, und schon beim Lesen gab es mannigfaltige Hürden zu überwinden. Alles war handschriftlich verfasst, dazu überwiegend in Latein. Wer es nicht fortwährend gebrauchte, verlernte das beigebrachte Wissen in Ermangelung von Übung schnell wieder. Wer in deutsch schrieb, tat dies in phonetischer Weise, er schrieb wie er sprach. Grammatikalische Regeln gab es nur für die lateinische Schriftsprache, nicht aber für die deutsche.

Nur langsam entwickelte sich eine frühe Bildungsschicht außerhalb des Klerikerstandes. Bis dahin waren es überwiegend Kleriker die die schriftlichen Angelegenheit der Fürsten besorgten. Sie fertigten Urkunden an, machten Kopien,  entwarfen Verträge. Die besten unter ihnen konnten nicht nur Lesen und Schreiben und beherrschten Latein, sie verstanden sich auch auf die rechtlichen Aspekte des Vertragswesen und waren in dieser Hinsicht wertvolle Rategeber.

Wir gingen in unserem Abriss, der nur oberflächlich bleiben konnte, nicht auf unterschiedliche klösterliche Organisationsarten wie Abtei, Propstei, Priorate usw. ein. Grundabsicht war, die herausragende Rolle der Klöster ganz allgemein zu unterstreichen. Stark vereinfacht könnte man sagen: Was in der jungen Mark durch das Schwert unterworfen wurde, erschlossen die Klöster im Konzert mit den Siedlern und formten daraus einen Staat.


Ritterorden – kämpfende Kleriker

Im Verlauf des Hochmittelalters gesellte sich zu den bisherigen, eine neue Ordensform hinzu. Eine Sonderform, die sich aus den besonderen Bedürfnissen der Kreuzzüge ins Heilige Land entwickelte. Ende des 11. Jahrhunderts gelang es einem Kreuzritterheer Jerusalem aus den Händen der Muslime zu reißen. Der darauf neu einsetzende Pilgerstrom zu den heiligen Städten der Christenheit, beförderte schnell eine ganze Anzahl großer Schwierigkeiten zutage. Viele Pilger litten sehr unter dem trocken-heißen Klima, dem Wassermangel, den allgemein schlechten hygienischen Bedingungen auf der Reise, und den hieraus resultierenden Krankheiten vielfältiger Art, besonders was Infektionen betraf. Hinzu kamen unsichere Straßen. Die Region war seit Generationen  Schmelztiegel von Völkern und Religionen.  Wechselnde Herrschaftsverhältnisse leisteten anarchischen Verhältnissen abseits der wenigen Städte größten Vorschub. Die unbedarften Pilgergruppen waren willkommene Beute, weswegen sich bewaffnete Söldner zum Schutz anboten, deren Ruf selten über jeden Zweifel erhaben war. Als Antwort auf all diese Missstände, bildete sich Anfang des zwölften Jahrhunderts (1118) aus den Reihen vor Ort gebliebener Kreuzritter eine Gemeinschaft, die sich sowohl den Prinzipien des Ritterstandes verschrieben, als auch dem Mönchtum. Etwas in der Christenheit ganz neues entstand, die Verschmelzung aus Mönch und Kämpfer. Der Templerorden war geboren, dessen volle Bezeichnung „Pauperes commilitones Christi templique Salomonici Hierosolymitanis“ (Arme Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem) lauteteDer Name leitete sich aus ihrem ersten Domizil zu Jerusalem ab. Im königlichen Palast Balduins II. wurde dem Orden am östlichen Teil des Tempelbergs eine Niederlassung eingerichtet, woraus der Name Templer sich ableitete. Der Orden übernahm den Schutz, wie auch die Pflege erkrankter Pilger. Die Ränge füllten sich, der Einfluss vor Ort wuchs und aus einem bescheiden und still wirkenden Orden, wurde ein lokaler Machtfaktor mit eigenen politischen Zielen. Als mit den Johannitern 1120 eine zusätzliche, artgleiche Gruppierung entstand, schürte es die Konkurrenz in der Region, woraus sich bald ernste Konflikte entspannten. Als Hospitalerorden existierten die Johanniter, in voller Länge Ordo Hospitalis sancti Johannis Ierosolimitani (Orden vom Hospital des Heiligen Johannes zu Jerusalem). Als Hospitalorden existierten sie sogar länger als die Templer. Aus den schwarzen Mönchskutten zu Beginn ihrer Tätigkeiten, entwickelte sich der schwarze Waffenrock mit weißem Kreuz. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts legten sie in Kriegszeiten den schwarzen Rock ab und trugen stattdessen einen roten Waffenrock mit weißem Kreuz. Das heute typische Malteserkreuz, ein an den Enden eingekerbtes Kreuz, entstand erst, als sich der Orden nach wechselvoller Geschichte auf Malta niederließ. Mit der Reformation unterteilte sich der Orden, so dass heute ein katholischer Malteserorden und ein evangelischer Johanniterorden existieren.

Es sollte im Heiligen Land nicht bei diesen beiden Orden bleiben, einen weiteren haben wir im Kapitel über Markgraf Albrecht II. erwähnt. Während der mehrjährigen Belagerung Akkons von 1189 bis 1191, im Rahmen des großangelegten Dritten Kreuzzuges, gründeten deutsche Kreuzfahrer aus Bremen und Lübeck ein deutsches Feldhospital. Sie kümmerten sich nicht nur um verletzte christliche Kämpfer, ebenso um Pilgerreisende. Eine Analogie zu den Templern und Johannitern. Die aus den gemäßigten Breitengraden Europas kommenden Menschen, waren weder an das örtliche Klima gewohnt, noch an die Tücken im Vorderorient vorkommender Krankheiten, die oft durch verseuchtes Wasser hervorgerufen wurden. Am wenigsten waren die Neuankömmlinge mit dem kulturellen Schmelztiegel der Region vertraut.
Das Hospital erlangte rasch einen vortrefflichen Ruf in der Region und gewann durch Schenkungen in der Folgezeit an Einfluss. Der Aktionsradius nahm zu, die Aufgaben wuchsen. Eine zunehmende Professionalisierung der ursprünglich zeitlich begrenzten Behelfslösung setzte ein. Die entstandenen Hospitalbrüder, welche sich ganz dem Werk christlicher Nächstenliebe verschrieben, gaben sich folgende Bezeichnung:

Ordo fratrum domus hospitalis Sanctae Mariae Teutonicorum Ierosolimitanorum –
(Orden der Brüder vom Deutschen Hospital Sankt Mariens in Jerusalem)

Ordenskreuz

Kaiser Heinrich VI. überzeugte Papst Clemens III., das Hospital offiziell anzuerkennen, was dieser dann am 6. Februar 1191 tat. Bereits im Vorjahr konnte der Passauer Bischof Wolfger von Erla (um 1140 – 1218)  beim Papst die Genehmigung zur Umwandlung des Hospitals in einen Ritterorden einholen. Der Kaiser hatte große Pläne, dazu gehörte ein eigener nationaler Kreuzzug, der nicht auf die Hilfe anderer Könige angewiesen war. Erinnern wir uns an den treuen und einflussreichen Gefolgsmann von Heinrichs Vater, den Kölner Erzbischof Rainald von Dassel, der in den europäischen Monarchen der Zeit Friedrich Barbarossas, gemessen an seinem Herrn dem Kaiser, nur Kleinkönige sah. Heinrich VI. war sich im Klaren, dass er bei einem Zug ins Heilige Land, vor Ort nicht oder bestenfalls unzureichend auf die Unterstützung der dort existierenden Orden, wie den Templern oder Johannitern hoffen konnte. Umso mehr lag ihm an der Gründung eines nationalen Ordens, welcher für die Ziele des Reichs und die politischen Interessen des römisch-deutschen Kaisers eintrat. Die Befreiung Jerusalems war nur eines der hochgesteckten Ziele Heinrichs VI., dem es um die universelle Macht in Europa und Kleinasien ging.

Typisches Schildwappen

Unter diesen Vorraussetzungen, war ein reiner Hospitalerorden nicht zielführend. Die Umwandlung zu einem waffenführenden Ritterorden, analog der Templer oder Johanniter war Ziel der kaiserlichen Bestrebungen. Sieben Jahre später, im März 1198, während des Deutschen Kreuzzugs, formte sich der Deutsche Ritterorden vor Akkon, bestätigt von Papst Innozenz III. am 19. Februar 1199.
Wenn auch der Kreuzzug mit dem überraschenden  Tod des Kaisers zusammenbrach, bevor die erfochtenen Anfangserfolge in Syrien ausgenutzt werden konnten, war mit der Schaffung dieses eng ans Reich gebundenen Ritterordens, der Grundstein der späteren Erfolgsgeschichte dieser Bruderschaft gelegt. Niemand konnte damals ahnen, zu welchem Machtfaktor dieser Orden weit jenseits des Heiligen Lands einmal würde.


Frühe Territorialbestrebungen des Deutschen Ordens

Die beiden deutlich länger existierenden Orden verfügten mittlerweile über ein umfangreiches Netzwerk an Hilfsquellen, sowohl im Heiligen Land, als auch in Europa, wobei die Templer die wesentlich größere Macht besaßen. Da sie direkt dem Papst unterstanden, konnte kein weltlicher Fürst Einfluss auf deren Geschicke nehmen, wodurch sie auch keine Steuern abführen mussten, stattdessen autorisiert waren, ihrerseits Steuern innerhalb ihrer territorialen Besitzungen zu erheben. Begehrlichkeiten waren schnell geweckt, doch war die Macht beider Bruderschaften, besonders der Templer so groß, dass niemand irgendwelche Übergriffe wagte. Nicht lange, und es brach zwischen Templern und Johannitern Rivalität aus, die sich regelrecht zu offener Feindschaft auswuchs, bis hin zu blutigen Kämpfen, wodurch die Stellung der Christen in Palästina unnötig geschwächt wurde.

Mit Erscheinen des vorerst noch unbedeutenden deutschen Hospitalerordens, trat ein weiterer Spieler hinzu. Mit wachsender Präsenz, schwenkte die Rivalität beider Seniororden um, ohne dass deren Schwierigkeiten untereinander deswegen je erloschen wären. Einig waren sich beide darin, keinen weiteren Konkurrenten im Heiligen Land groß werden zu lassen. Die Nähe des Deutschen Ordens zum römisch-deutschen Königtum, schürte in gleicher Weise die Ressentiments einiger Fürsten, hier besonders solcher aus Frankreich, die vielfach den Templern zugetan waren und diese förderten und fast die gesamte Führungselite des Ordens im Heilige Land stellte. Obwohl Templer und Johanniter keine national ausgerichteten Gemeinschaften waren, zeigte sich neben den hauptsächlich wirtschaftlich motivierten Rivalitäten, auch Facetten national geprägter Differenzen. Frankreich als aufstrebende europäische Großmacht, streckte längst die Finger nach Osten aus, wo es mit dem Reich zwangsläufig kollidieren musste. Im Outremer, dem Land jenseits des Meers, im Heiligen Land, setzte sich die Konkurrenz zwischen den Nationalitäten zwangsläufig fort. Galt es keinen äußeren Feind zu bekämpfen, war man sich untereinander größter Feind. Die Ritterorden, obwohl direkt dem Papst unterstehend und damit dem Gedanken nach supranational, konnten sich durch die spezifisch national geprägte Zusammensetzung der Glieder, solchen Tendenzen nicht entziehen. Nationaler Gegensatz trat als konkreter Auslöser örtlicher Auseinandersetzungen gewöhnlicherweise in den Hintergrund. Es waren schlichte Verteilungskämpfe um lokale Ressourcen, die maßgeblich die Konflikte förderten.

Beispiel einer
Templermontur

Bislang verfügte der Deutsche Orden nur im Heiligen Land über rudimentären Territorialbesitz. Im Reich und in Unteritalien, dass durch Heirat staufisch wurde, existierten erste frühe Niederlassungen, die von Heinrich VI. gestiftet wurden, so beispielsweise in Halle. In Palästina vergrößerte sich derweil der Ordensbesitz rasch, in Folge von Schenkungen, womit das bisher unbehelligte Schattendasein ein Ende fand. Der Orden erhielt jetzt die Aufmerksamkeit, hauptsächlich vom mächtigen Templer Orden.

Beispiel einer Montur
des Deutschen Ordens

Der populärer und einflussreicher werdende, gleichzeitig immer noch schwache Deutsche Orden, konnte diese gesteigerte Aufmerksamkeit gar nicht wollen. Die Templer, die schon die Johanniter bekämpften und zu verdrängen suchten, nahmen vorerst eine halb geringschätzende, halb feindliche Haltung ein. Der vermeintliche Auslöser, der bald zum offenen Streit führte, mutet dabei kleinlich, geradezu lächerlich an und war letztendlich ein konstruierter Streitfaktor. Beide Orden trugen als äußeres Erkennungszeichen einen weißen Mantel.

Fahne des Deutschen Ordens

Der ältere Templer Orden beanspruchte das Tragen des weißen Mantels als alleiniges Vorrecht. Unterschied beider Gewandungen war nur die Farbe des Kreuzes. Während die Templer ein rotes Kreuz trugen, wobei das Rot als Symbol des Blutes Christi diente, benutzten die Deutschritter ein schwarzes Kreuz. In der Regel in der Form eines einfachen Balkenkreuzes. Ab den 1230’er Jahren wurde am Kreuzpunkt zusätzlich der Reichsadler des Heiligen Römischen Reichs hinzugefügt zusätzlich zweier goldener Kreuzbalken über dem schwarzen Kreuz. Beide Varianten wurden seither zeitgleich getragen. Der Reichsadler sollte die besondere Verbundenheit und Nähe des Deutschen Ordens zum Reich sichtbar zum Ausdruck bringen. Daneben trugen die aus allen Teilen des Reichs stammenden Ordensmeister ihr eigenes Wappen.

Die nicht abreißenden Schwierigkeiten mit den Templern und Johannitern, stellten den jungen Orden vor eine harte Bewährungsprobe. Mit dem frühen Tod Kaiser Heinrich VI., verloren die Deutschherren vorerst einen mächtigen Gönner. Vom Papst war keine Hilfe zu erwarten, er verhielt sich gegenüber allen drei Orden neutral. Im Heiligen Land war die Position des Deutschen Ordens die schwächste. Sollte sich nicht entscheidend etwas an den Zuständen vor Ort ändern, war kaum mit einem weiteren Aufblühen zu rechnen. Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Kreuzzugs, nach dem Tod des Kaisers, waren kaum deutsche Einflüsse in Palästina vorhanden geblieben, der Orden stand weitestgehend alleine. Im Reich selbst rangen mit dem Staufer Philipp von Schwaben und dem Welfen Otto, zwei gewählte Könige über Jahre hinweg um die Macht, ohne das ein Ende absehbar war. Bevor die  Thronfrage nicht geklärt wurde, konnte aus dem Reich mit keiner wirksamen Hilfe gerechnet werden. Wenn auch die Güter und finanziellen Mittel des Ordens außerhalb Palästinas weiter wuchsen und dort ein personeller Zulauf existierte, reichte es nicht aus, die exponierte Lage im weit entfernten Heiligen Land ausreichend zu stützen.

Der Fortbestand des Ordens musste aus eigener Kraft gelingen und die Führung schaute infolgedessen außerhalb des Heiligen Landes nicht nur nach weiteren Niederlassungen, wie die Balleien im süditalienischen Barletta oder in Halle an der Saale, sondern nach Möglichkeiten ein größeres, zusammenhängendes Territorium zu erwerben.


Bestrebungen in Siebenbürgen (1211 – 1225)

Zu den frühen Versuchen sich ein unabhängiges Ordensgebiet großen Umfangs aufzubauen, gehörte die Episode in Siebenbürgen, im damaligen Ungarn. Heute in Rumänien liegend.

Nicht zeitgenössisches Portrait
Hochmeister Hermanns von Salza

König Andreas II. von Ungarn rief um 1211 den Deutschen Orden zur Unterstützung ins Land. Die Deutschritter sollten im Kampf gegen nomadisierende Turkstämme aus dem Osten, den Kumanen (Kiptschak), behilflich sein. Diese überfielen seit Jahren ungarische Gebiete im Südosten, raubten, mordeten und plünderten, bevor sie oft genug völlig unbehelligt wieder abzogen. Dem Orden unter Hochmeister Hermann von Salza (1162 – 1239) wurde neben großzügigen finanziellen Versprechungen, allem voran territoriale Zusagen gemacht. Gerade darin bestand die hervorragende Gelegenheit, einen eigenen Ordensstaats umzusetzen. Die geografische Lage war dabei besonders günstig, siedelten doch seit einigen Generationen deutsche Kolonisten in der Nähe, die dort ein halbautonomes Leben führten und großen Einfluss auf den  überregionalen Warenverkehr hatten.

Der Orden nahm erfolgreich den Kampf gegen die immer wieder einfallenden Kumanen auf und errichtete zur Sicherung erste, anfänglich noch einfache Besfestigungswerke. Die vielversprechenden Bemühungen um ein eigenes Territorium, erfuhren durch die Errichtung derl ersten großen Burganlage einen Höhepunkt. Im siebenbürgischen Burzenland, bei Feldioara (dt. Marienburg), unweit vom damaligen Kronstadt, heute Brasov, wurde 1211 eine starke Ordensburg errichtet. Sie sollte geistliches und politisches Zentrum des eigenen Staatsgebildes werden, doch es kam anders.

Ruine der 1211 erbauten Festung in Feldioara, im heutigen Rumänien

 

Mit zunehmender Stärke und Einfluss des Ordens, kam es auch in Ungarn zu Verstimmungen, hauptsächlich ausgelöst von höfischen Intriegenspielen zu denen die Königin gewissermaßen den Anlass gab.

Die deutsche Ehefrau des Königs, Gertrud von Andechs-Meran (1185 – 1213) begünstigte den Zuzug deutscher Siedler, die sich überwiegend in Siebenbürgen nieder ließen. Hier siedelten schon seit Mitte des 12. Jahrhunderts rheinische Kolonisten, womit sich eine starke deutsche Enklave auf ungarischem Territorium ausbreitete und erblühte.  Wiederholte Auseinandersetzungen zwischen den aufstrebenden deutschen Siedlungen und  lokalem ungarischen Adel, weckte antideutsche Ressentiments. Der von deutschen Kaufleuten  spürbar dominierte Handel, trug zur weiteren Trübung der Stimmung im ungarischen Adel bei. Die ausgesprochen deutschfreundliche Politik des Königs, worin er von seiner Frau beeinflusst war, heizte das gegnerische Klima weiter auf, das letztendlich in offenen Widerstand mündete. Der Zorn des Adels konzentrierte sich dabei in vollem Maße auf die Königin, die ihren deutschen Günstlingen großzügige Zuwendungen und Lehen über ihren königlichen Gemahl verschaffte. Im September 1213 kam es zu einer Tat, die das ganze Ausmaß des aufgestauten Hasses blutrünstig entlud. Eine Abordnung des ungarischen Adels überfiel anlässlich einer Jagdgesellschaft die Königin und ihr deutsches Adelsgefolge. Sie ermordeten sowohl die Königin, wie auch den Großteil ihrer Begleiter. Dem Bericht nach wurde ihr Leichnam schwer geschändet und verstümmelt. In der Folge übte der ungarische Adel zunehmenden Druck auf den ungarischen König aus, wodurch sich das Verhältnis der Krone zum Deutschen Orden zusehends verschlechterte. Bald blieben kämpferische Auseinandersetzungen zwischen Aufgeboten des örtlichen Adels und dem Orden nicht mehr aus. Gegen Mitte der 1220’er Jahre war die allgemeine Situation für den Orden in Ungarn unhaltbar geworden, so dass die Deutschritter das Land auf königliche Anweisung verlassen mussten. Das große Ziel, die Errichtung eines eigenen Staates, war in weite Ferne gerückt.

Trotz dieses Rückschlags, breitete sich der Orden durch eine stetig wachsende Zahl kleinerer oder größerer Niederlassungen im gesamten Reich aus und nicht nur im deutschen Reichsteil. Die Besitzungen blieben allerdings weithin zerstreut, was der großen Vision des Hochmeisters von einem geschlossenen und unabhängigen Ordensstaates nicht entsprach.


Sechster Kreuzzug, Rückgewinnung Jerusalems

In der Zwischenzeit hatte sich die Lage im Reich völlig verändert. Der Thronstreit zwischen Philipp von Schwaben und Otto von Braunschweig endete 1208 mit der Ermordung des Staufers, worauf der welfische König als Otto IV. für einige wenige Jahre an der Spitze des Reichs stand und dabei sogar die Kaiserkrone erwarb. Er fiel, man möchte fast sagen naturgemäß, beim Papst in Ungnade, welcher seinerseits den heranwachsenden Friedrich, Sohn des verstorbenen Kaisers Heinrich VI., auf dem Thron setzen wollte und ihn animierte, aus seinem sizilianischen Königreich über die Alpen zu ziehen, um im Reich die römisch-deutsche Krone zu erwerben. Wir haben über die Zeit des deutschen Thronstreits zwischen Philipp und Otto sowie über Friedrich II. recht ausführlich in vorhergehenden Kapiteln berichtet, konzentrieren wir uns daher nur auf Friedrichs Kreuzzug und hierbei auf die Rolle, die dem Deutschen Orden hierbei zukam.

Kaiser Friedrich II. unternahm 1228/29 den vorher mehrfach aufgeschobenen Kreuzzug ins Heilige Land. Ob Friedrichs Expedition abschließender Teil des Fünften Kreuzzugs war oder als Sechster Kreuzzug eine völlig eigenständige Operation darstellte, ist in Historikerkreisen umstritten, beide Varianten gelten heute als zulässig. Da Friedrich II. eigene Motive verfolgte und der Verlauf des Kreuzzugs ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten folgte,  erscheint die Annahme eines Sechsten Kreuzzugs durchaus naheliegender.

Friedrich II. stand zum Zeitpunkt seines Zugs nach Palästina unter Kirchenbann und die verschiedenen Kräfte vor Ort verweigerten ihm entsprechend jede Unterstützung. Nur auf die Unterstützung des Deutschen Ordens bauend, gelang ihm in zähen Verhandlungen, was mehreren vorhergehenden Kreuzzügen, trotz aller Anstrengungen, nicht gelungen war. Die heilige Stadt Jerusalem wurde völlig kampflos von den Muslimen ausgehändigt, ebenso eine Reihe weiterer, den Christen heiliger Orte, darunter Bethlehem. Dass der Kaiser glücklich von den zerfahrenen Verhältnissen im muslimischen Lager profitierte, nur am Rande erwähnt. Wie die Christen in Palästina und Syrien, konkurrierten  auch die muslimischen Regionalfürsten untereinander, so dass Uneinigkeit herrschte. Friedrich II. wusste dies geschickt zu seinen Gunsten zu nutzen.

Während der kritischen Wochen, in dene es völlig offen war, welchen Ausgang der Kreuzzug nehmen würde, bot der Deutsche Orden alle Kraft und alle Mittel auf, den Kaiser in jedweder Form zu unterstützen. Fast noch wichtiger als die aktive Hilfe in Palästina, war die diplomatische Rolle, die der Hochmeister Hermann von Salza als Vermittler zwischen Papst und gebanntem Kaiser hinter den Kulissen spielte. Die Enthebung vom Kirchenbann war besonders dem Wirken des Hochmeisters zu verdanken und Friedrich II. zeigte sich in der Folgezeit auf vielfältige Weise erkenntlich.

Mit der Heirat Isabellas von Brienne (1212 – 1228), wurde Friedrich II.  König von Jerusalem. Er trug nun neben der Kaiserkrone, der Krone des römisch-deutschen Königtums, jener des Königs von Sizilien auch die der heiligsten aller Stätten der Christenheit. Die Krone Jerusalems war ein sogenanntes Frauenlehen, analog der Krone Siziliens, konnte sie von weiblicher Seite weitervererbt werden, wodurch der Königstitel auf Friedrich überging. Im Reich, das in dieser Hinsicht dem altüberlieferten salfränkischen Erbrecht folgte, wäre dies undenkbar gewesen.

Die exponierte Lage seines neuen Königtums, mitten in einer der am schwersten umkämpften Regionen der bekannten Welt, war ihm der kräftige Beistand des Deutschen Ordens von besonderer Wichtigkeit. Der Orden sollte eine tragende Säule darstellen, um seine Herrschaft zu unterstützen, wenn nötig mit Waffengewalt. Zur Stärken seiner Stütze, gewährte Friedrich dem Orden weitreichende Privilegien zu, sowohl im Heiligen Land als auch überall wo sein königlicher oder kaiserlicher Arm hinreichte. Der Orden erblühte in dieser Phase, doch verlor der visionäre, auf dem diplomatischen Parkett besonders versierte Hochmeister Herrmann von Salza, nicht sein großes Ziel aus dem Auge.

Nach Abschluss des kaiserlichen Kreuzzugs, der alle realen Erfolgserwartungen weit übertraf, verfolgte der Deutsche Orden mit zunehmender Energie an einer ganz anderen Stelle eine Gelegenheit, die abermals die Möglichkeit zur Schaffung eines eigenen, unabhängigen Staatsgebiets bot.


Ein neuer Versuch

Im Jahr 1226 erreichte den Orden ein Hilferuf von Herzog Konrad I. von Masowien (1187 – 1247). Der Herzog, aus dem weitverzweigten polnischen Herrschergeschlecht der Piasten stammend, war seit längerem mit den heidnischen Prußen an seiner Nordgrenze in Kämpfe verwickelt, konnte aber in den Bestrebungen sein Gebiet zu erweitern, derer nicht Herr werden. In der zweitägigen Schlacht bei Drewenz (polnisch Drwęca) wurden seine Truppen vernichtend geschlagen. Unterstützt wurde er vom Orden der Brüder von Dobrin, einem kleinen polnisch-deutschen Ritterorden, dessen Reste später in den Deutschen Orden inkorporiert wurden.

Goldene Bulle von Rimini

Konrads Hilferuf und die Art seines Angebots hatte einige Parallelen zu jenem aus Ungarn, 15 Jahre zuvor. Der Deutsche Orden, gewarnt durch die damaligen Vorkommnisse, war vorsichtiger geworden und holte sich diesmal von Papst und Kaiser Rückversicherungen ein. Alle Gebiete die den heidnischen Prußen abgenommen würden, sollten dem Orden zugesprochen werden. In der kaiserlichen Bulle von Rimini (1226) und der päpstlichen Bulle von Rieti (1234), garantierten Reich und Papst dem Orden alle zukünftigen Erwerbungen als souveränen Besitz. Mit diesen Zusicherungen im Gepäck machten sich die Deutschritter mit einem Aufgebot auf den Weg an die mittlere Weichsel bei Thorn, im Kulmerland.

Im Vertrag von Kruschwitz vom 16. Juni 1230, sprach Herzog Konrad I. von Masowien ferner dem Orden das Kulmerland zu. Weiter erkannte er darin die Unabhängigkeit des Ordens an und verpflichtete sich, alle zukünftig vom Orden außerhalb Polens erworbenen Gebiete anzuerkennen. Der 16. Juni 1230 gilt damit als offizielle Geburtsstunde des Ordensstaats unter der Leitung des Deutschen Ordens. Die große Vision von Hochmeister Hermann von Salza begann dieses Mal erfolgreich Gestalt anzunehmen. Das Datum kann gleichzeitig als Beginn der deutschen Besiedlung Preußens, dem Land zwischen Weichsel und Memel angesehen werden.

1231 begann Hermann von Balk, seit 1230 erster Landmeister von Preußen, mit dem Bau einer Ordensfestung in Thorn an der Weichsel. Wenn auch die Rolle des Landmeisters von Preußen innerhalb der Ordenshierarchie nicht unmittelbar  unterhalb des Hochmeisters angesiedelt war, so kam diesem dennoch ein sehr  hoher Stellenwert zu. Hermann von Balk, gelegentlich auch nur Hermann Balk in Publikationen, erwies sich als charismatischer Organisator der nun kraftvoll einsetzenden Expansion. Thorn wurde unter ihm zum Ausgangspunkt der Rückeroberung des nördlichen Kulmerlandes und der Unterwerfung der Prußen in Pomesanien und dem Ermland.

In den folgenden rund 70 Jahren, bis 1300, unterwarf der Deutsche Orden alle baltischen Stämme und ihre Gebiete. Der etappenweise Vorstoß ging zuerst entlang der unteren Weichsel bis zur Ostsee und schließlich in allgemein östlicher Richtung, wobei Pogesanien zunächst ausgespart und stattdessen über das Kurische Haffe ins Ermland übergesetzt wurde. In wenigen Jahrzehnten entwickelte sich der Orden zu einer einflussreichen Ostseemachtdie weitreichende Verbindungen im gesamten Reich und ausserhalb pflegte. Ausgestattet mit einem straffen und effizienten Verwaltungssystem, erblühte der Ordensstaat. Die Eroberungswellen gegen die wehrhaften Ureinwohner ging meist nach gleichem Prinzip vonstatten. Zunächst wurde ein Streifen entlang des bisher kontrollierten Gebiets bis zu einer gewissen Tiefe militärisch unterworfen. Es war nicht Ziel die einheimische Bevölkerung auszuradieren, sondern zu missionieren und einzugliedern. Losgelöst von den guten Vorsätzen, verloren trotzdem viele bei den harten Kämpfen ihr Leben. Das eroberte Gebiet wurde als nächstes bezüglich seiner Einwohner durch Trennung und Umsiedlung ausgedünnt, wobei man allgemeine auch im Baltikum, ähnlich wie in Brandenburg der Kolonialzeit, von einer sehr geringen Bevölkerungsdichte ausgehen muss. Nicht wenige waren ohnehin vor den einfallenden Reitergruppen ins Hinterland geflüchtet. Unter den Gebliebenen wurde sofort mit der Missionierung begonnen. Wer sich bekehrte und taufen ließ, konnte  üblicherweise bleiben, die anderen wurden verschleppt, zumeist in Gebiete, die bereits seit einiger Zeit vom Orden kontrolliert und mittlerweile in fester Hand waren. Hier wurden sie zu allerlei Arbeiten herangezogen. Ob man es regelrecht als Sklavenhaltung betrachten darf, ist schwer zu beurteilen, geht wahrscheinlich auch zu weit, wenngleich ihre Rechte außerordentlich beschnitten waren. Wo die Deutschherren zugegen waren, darf man davon ausgehen, dass die Fortgeführten überwiegend anständig behandelt wurden, immer im Bestreben sie alsbald zu christianisieren.  Wo sie allerdings unter überwiegend ins Land geholten deutschen Siedlern lebten, kam es durchaus zu sklavenähnlicher Ausbeutung. Ob durch Zureden der Missionare oder unter dem Druck der harten Lebensumstände, mit der Zeit bekannten sich praktisch alle zum christlichen Glauben, legten ihre alten Bräuche und Sitten ab und so verschwanden die Prußen allmählich durch Unterordnung und Vermischung, so dass heute nichts mehr von ihnen übrig ist als die Erinnerung und die wenigen archäologischen Funde. In den neueroberten Gebieten wurden an strategisch wichtigen Stellen Burgen errichtet, zur Grenzsicherung und als Rückzugsort der neu ins eroberte Land geholten Siedler. Burgenbau wurde zu einem der Markzeichen des Deutschen Ordens. Sie dienten als Bollwerk und Ausgangspunkt das Land ringsum mit der Zeit besiedelten. Da sich in den dichten Wäldern und unwegsamen Sümpfen  prußische Bevölkerungsteile jeweils geraume Zeit halten konnten, kam es noch viele Jahre immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen mit zugezogenen Kolonisten, gefolgt von blutigen Vergeltungsmaßnahmen der Deutschritter und ihrer Söldnertruppen.

Karte Preußens mit seinen zwölf prußischen Stammesgebieten

Weiter nordöstlich existierte ein weiterer Orden. Dieser war 1202 auf Anregung von Bischof Albrecht I. von Riga als Missionarsorden unter der Leitung von Theoderich von Treiden gegründet worden. Die feindselige Stimmung der heidnischen Schemaiten und Litauer erforderte noch im gleichen Jahr die Umwandlung in einen bewaffneten Ritterorden, welcher von Papst Innozenz III. 1204 offiziell bestätigt wurde. Damit war dieser Orden zwar jünger als der Deutsche Orden, war dafür aber bereits im Baltikum ansässig, dort sogar beheimatet. Würde es zwischen beiden Missionsorden ähnliche Rivalität geben, wie zwischen Templern und Johannitern im Heiligen Land?

Zu Beginn ging es sich gut an, der Orden unter dem Namen Fratres miliciae Christi de Livonia, zu deutsch Brüder der Ritterschaft Christi von Livland, expandierte schnell. Wie der Templerorden oder der Deutsche Orden, trugen auch sie einen weißen Mantel worauf zur Unterscheidung ein rotes Schwertkreuz zu sehen war. Das anfänglich einvernehmliche Verhältnis zwischen dem Schwertbrüderorden, wie er wegen des Schildwappen auch noch genannt wurde, und dem Rigaer Bischof, trübte sich ein. Hintergrund war ein mit Dänemark geschlossenes Bündnis gegen den Bischof. Dänemark setzte seine Interessen durch, während die Schwertbrüder wenig aus dem Konflikt für sich mitnehmen konnten. Bald geriet der Orden in wirtschaftliche Bedrängnis, wodurch seine militärische Schlagkraft litt. Schauen wir uns zur näheren Erläuterung die Zusammensetzung des Ordens an, der hierin vergleichbar mit dem Deutschen Orden war. Selbst zu den besten Zeiten dienten nur wenige hundert Ritterbrüder in den Ordensreihen. Im Kriegsfall waren die Masse gekaufte Kriegsknechte oder sonstige Hilfstruppen, sie zwar das Gelübde abgelegt hatten, aber nicht im Rang eines Ritters waren. Den Ritterorden erging es wenig anders als den Fürsten, die bei kriegerischen Auseinandersetzungen ebenfalls auf nur eine zahlenmäßig überschaubare Gruppe vortrefflich bewaffneter, militärisch gut ausgebildeter Adelsvasallen zurückgreifen konnten, von denen jeder wiederum bestenfalls ein oder zwei Hände voll eigene Berittene  mitführte. Gute Fußtruppen wurden, wollte man nicht auf einfache Bauern zurückgreifen, überwiegend gegen teuer Geld eingekauft und versorgt. Gingen die Mittel aus, liefen die angeworbenen Truppen auseinander, schlimmstenfalls holten sie sich, worauf sie glaubten ein Anrecht zu haben. Da neben dem Handgeld, meist nur Proviant gestellt wurde, dieser oft unregelmäßig kam, darüber hinaus meistens knapp bemessen, kam es als Kompensation zu schlimmen Übergriffen und Plünderungen auf verfeindetem Gebiet. Plündern eines gegnerischen Territoriums wurde Kernbestandteil der Kriegsführung und Teil der Löhnung der Söldner. Im Falle des heidnischen Baltikums kam noch die Komponente hinzu, dass der Feind kein christlicher Gegner war, anerkannte Rechte oder Schonung der Bevölkerung damit faktisch nicht vorhanden waren.

Der ökonomisch angeschlagene Schwertorden suchte mit einem Streifzug ins Gebiet der heidnischen Schemaiten und Litauer, unterstützt von einem Kontingent holsteinischer Ritter, die eigene Lage aufzubessern. Allein finanzielle Aspekte waren nicht primärer Fokus des Zugs ins Heidengebiet, jedoch für die unterstützenden Holsteiner ein Hauptaspekt, woraus sich bald Komplikationen entwickelten. Nach erfolgreichem Überfall einiger Siedlungen, zog man sich mit der gemachten Beute, darunter zahlreiche Gefangene, nach Norden zurück, wurde allerdings an einer Flussfurt von gegnerischen Kriegern gestellt. Wegen des ungünstigen, sumpfigen Geländes, weswegen die Reiterei nicht effizient eingesetzt werden konnte, ging man nicht zum Kampf über, sondern bereitete das Nachtlager vor. In den Morgenstunden des 22. September 1236 griffen Schemaiten und Litauer die lagernden Ritter an. Die leichten Truppen, überwiegend schlecht bewaffnete Bauern, flohen.  Die schwer gerüsteten Ritter des Ordens, nahmen gemeinsam mit den Kreuzfahrern aus Holstein den Kampf zu Fuß auf, doch waren sie der Übermacht und Beweglichkeit der Angreifer nicht gewachsen. Praktisch alle wurden getötet, die Niederlage war vernichtend. Da die Litauer das Ordensgebiet, selbst Riga bedrohten, suchten die Schwertbrüder  Anschluss an den seit wenigen Jahren im Südwesten sehr erfolgreich expandierenden Deutschen Orden, worauf es im Jahre 1237 zu einem Anschluss der noch existierenden Schwertbrüder kam. Als Livländer Orden kam es zu einer Union mit dem Deutschen Orden.


Das Verhältnis zu Polen

Die anfänglich gute Beziehung zu Polen bzw. den polnischen Herzogtümern an der südlichen Periphere, hauptsächlich Masowien und Kujawien, kehrte sich langfristig ins Gegenteil. Polen erstarkte indem es seine innere Teilung überwand, hierdurch seine Kraft bündelte und an Einfluss und Stärke ganz erheblich hinzugewann, wenngleich es wiederholt zu Rückschlägen kam wobei der Gegensatz zu Böhmen eine wichtige Rolle spielte.

Der Deutsche Orden wurde weniger und weniger als Verbündeter gesehen, der die widerstandsfähigen Prußen von den polnisch-masowischen Grenzen abhielt und im Baltikum den christlichen Glauben verbreitet, er wurde zum Rivalen, der Polen vom wichtigen Zugang zur Ostsee abschnitt.

Bis Anfang des 14. Jahrhunderts blieb Polen uneins, gespalten in piastische Teilherzogtümer, die nur der Theorie nach unter der Regie eines Seniorherzogs geführt wurden, in der Realität aber in unterschiedlicher Ausprägung rivalisierten. Die schlesischen Piasten sagten sich nacheinander vom polnischen Familienzweig los und schlossen sich mit der Unterwerfung unter die Krone Böhmens, dem Reich an. All diese Gegensätze hemmten die Entfaltungsmöglichkeiten Polens im 13. Jahrhundert erheblich, wodurch der Orden im Norden Polens, entlang der baltischen Küste, seine erstaunliche Expansion vornahm, so dass von der Weichsel bis weit über Riga hinaus ein Ordensstaat entstand, der im nördlichen Teil dem Geltungsbereich des Livländischen Ordens unterstand und im südlichen, fast ausschließlich deutschgeprägten Teil, dem Deutschen Orden mit zwischenzeitlichem Hauptsitz in Marienburg an der Nogat.

Die Ausbreitung des Deutschen Ordens, seine Machtstellung im Baltikum, war nicht alleine auf die Kraft und Mittel des Deutschen Ordens gegründet. Trotz weiter wachsender Zweige im ganzen Reich und darüber hinaus, hätten diese hauptsächlich wirtschaftlich förderlichen Niederlassungen, nicht jenen Siegeslauf im Baltikum ermöglicht, der vor allem auf kriegerischer Eroberung und nachhaltig militärischer Absicherung beruhte. Ohne Frage war die straffe Führung, wodurch eine Art moderner Beamtenstaat entstand, eine wichtige Erfolgsfacette, doch ohne den jährlichen Zuzug ritterlicher Kreuzfahrer aus fast allen Teilen Europas, hätte der Deutsche Orden die Prußen nicht in solcher Geschwindigkeit unterwerfen können. Und auch gegenüber den polnischen Nachbarn wäre es fraglich gewesen, ob der Ordensstaat seine Souveränität in jener Weise hätte durchsetzen können. Die weitreichende Verknüpfung des Deutschen Ordens mit einem breiten Netzwerk vieler europäischer, zuvorderst deutscher Adelsfamilien, die Nähe zum Reich und die Struktur des von Hochmeister Hermann von Salza gegründeten Staatswesens, gab dem Deutschen Staat bis ins 15. Jahrhundert eine Machtstellung, die militärisch von niemandem in Frage gestellt wurde, wenngleich es in dieser Zeit auch zu einer Reihe  Niederlagen teils schwere Natur gekommen war. Kraft seiner Mittel und effizienten Verwaltung, konnte der Ordensstaat sich von solch zeitweisen Niederlagen aber schnell erholen.

Mit Verschwinden der letzten heidnischen europäischen Volksgruppen, versiegte der Zuzug europäischer Kreuzzfahrer, die Zeit der Kreuzzüge ging im Abendland zu Ende. Polen war unter den Jagiellonen eine Union mit Litauen eingegangen und avancierte zur Großmacht, die offenen den Konflikt mit dem Deutschen Orden suchte, welcher zwar mächtig aber zunehmend vom Reich isoliert, aus eigener Kraft die heraufziehende Bedrohung meistern musste.


Ende im Heiligen Land

Zum Abschluss kehren wir ins Heilige Land zurück, wo der Orden seine Wurzeln hatte. Mit Tod Kaiser Friedrichs II., verloren die Deutschherren in Palästina den politischen Rückhalt. Die Orden der Templer und Johanniter verdrängten zu Beginn der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts den Deutschen Orden zunehmend. Gleichzeitig erstarkte das Mamelucken Reich, übernahm die Vormachtstellung in der Region und beendete bis zum Ende des Jahrhunderts die Epoche der Kreuzfahrerstaaten.

Für den Deutschen Orden war das Heilige Land spätestens seit den 1240’er Jahren nicht mehr von strategischer Bedeutung. Wenn es auch Geburtsland des Ordens war und seine Sicherung für das Selbstverständnis der Christenheit von sakraler  Bedeutung blieb, sah der Orden in der Errichtung eines eigenen Staates fortan den Schwerpunkt aller weiteren Anstrengungen. Mit dem Erwerb des Kulmerlandes als Ausgangspunkt für eine Expansion in den baltischen Raum, waren die Besitzverluste in Palästina nur noch von symbolischer Wirkung. Das Missionierungswerk der baltischen Heiden wurde zur geistlichen Hauptaufgabe des Ordens, der Ordensstaat notwendiges Mittel und gleichsam Ziel in einem.

Die Erschließung und Besiedlung der neuerworbenen Gebiete ähnelte ganz dem Verfahren in der Mark Brandenburg, mit dem wesentlichen Unterschied, dass hier kein weltlicher Landesfürst regierte, sondern eine streng hierarchisch organisierte Gruppe von Ordensrittern, mit einem Landmeister an der Spitze, über dem der Großmeister als oberster Führer des Ordens stand.

Im Wesen unterschied sich der Deutsche Orden nicht grundsätzlich von anderen Ritterorden der Zeit. Ein Unterscheidungsmerkmal bestand dennoch. Waren die Templer und Johanniter multikulturell und multinational zusammengesetzt, wenngleich sich sprachliche und kulturelle Schwerpunkt auch dort zeigten, setzte sich der Deutsche Orden fast nur aus Mitgliedern des deutschen Kulturkreises zusammen. Zu betonen ist, dass der Orden dennoch keine deutsche Politik in nationalem Sinne betrieb. Die Ziele des Ordens waren klerikaler Natur und auf das Missionswerk, später auf den Ordensstaat ausgerichtet. Die Erwerbung eines eigenen Territoriums war Ausdruck des Wunsches nach einem christlichen Gottesstaat, deren führende Mitglieder sich durch Enthaltung und Barmherzigkeit in christlicher Demut übten und den weltlichen Sitten und Gebräuchen entsagten. Die strenge Hierarchie und damit verbunden eine zentralistische Politik des Ordens, förderte ein modernes Staatswesen, was zum großen Erfolg des Ordensstaats beitrug. Das spezifische Missionierungswesen, mit Wort und Schwert, stilisierte den Orden durch die Jahrhunderte hinweg, bis in die heutige Zeit hinein, zu einer Gemeinschaft von kämpfenden Mönchen. Nationalistisch gefärbte polnische Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts unterstrich die Sichtweise auf den Deutschen Orden als eine expansionistische Kriegerkaste. Die Sicht war geprägt vom deutsch-polnischen Gegensatz der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Deutscherseits war eine nicht weniger nationalistische Färbung betrieben worden. Mittlerweile weicht es einer rationalen, wissenschaftlichen Sicht und in der Neubewertung des Ordens treten dessen herausragenden Leistungen auf den Gebieten der Staatsorganisation und des Landausbau in den Vordergrund.

Wir schließen an dieser Stelle. Der Bericht konnte nur oberflächlich ausfallen, der Themenkomplex ist selbstverständlich viel umfangreicher. Es genügt zu wissen, dass neben der deutschen Kolonisierung der Gebiete zwischen Elbe und Oder, sowie jenseits davon, ab den 1230’er Jahren parallel eine starke, ebenfalls deutsch geprägte Besiedlung des Baltikums einsetzte. Es entwickelten sich entlang der gesamten Südküste des Mare Baltikum, deutsche, weiter nördlich auch dänische Handelsniederlassungen und Städte, die stark vom weitreichenden Handelsnetz der späteren Hanse beflügelt wurden.


 

Ein Gedanke zu „Buch 1, Kapitel X: Intermezzo – „Klöster, Orden, Ordensstaat““

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