Buch 1, Prolog: „Region zwischen den Strömen

 


Der kurmärkische Adler

Der schwebende, nach rechts blickende rote Adler mit goldenen Fängen und geöffneten Schwingen ist seit den frühen askanischen Tagen das Staatswappen Brandenburgs.  Im Laufe der Zeit kamen jene Insignien hinzu, die die lange und hervorragende Stellung der Mark als Kurfürstentum symbolisierten. Der Kurhut, das Schild eines Erzkämmerers des Heiligen Römischen Reichs mit dem Abbild des Reichszepters auf der Brust und schließlich das Markgrafenschwert und das Reichszepter in je einer Klaue. Während der Umwälzungen die das napoleonische Regime zu Beginn des 19. Jahrhunderts über den Festlandteil Europas brachten, ging das Alte Reich nach tausend Jahren ermattet, innerlich zerrissen und ausgehöhlt zu Ende. Unter dem überwältigenden militärischen Druck Napoleons dankte der Habsburger Franz II. als letzter gewählter römisch-deutsche Kaiser am 6. August 1806 ab. Die kurmärkischen Reichsinsignien hatten damit ihre Sinnhaftigkeit und Symbolkraft verloren und doch verschwanden sie nicht aus dem Wappen. Der rote brandenburgische Adler hatte zu diesem Zeitpunkt längst als zentrales Symbol des Gesamtstaates an Bedeutung verloren, ein anderes Wappen war seit hundert Jahren in Gebrauch gekommen und  seither in den Vordergrund gerückt. Im frühen 17. Jahrhundert, am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, waren durch die Verbindung Johann Sigismunds mit Anna von Preußen umfangreiche Gebiete im Westen des Reichs und im Baltikum in den Lehnsbesitz der brandenburgischen Hohenzollern gekommen. Neben ihren brandenburgischen Kernlanden, herrschten die Hohenzollern nun auch am Niederrhein und im außerhalb des Reichs liegenden Ostpreußen, dem territorialen Überbleibsel des vormaligen Ordensstaat. Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, der in der Kurmark verheerende Spuren hinterlassen und gut die Hälfte der Bevölkerung dahingerafft hatte, kamen gemäß den Vereinbarungen des Westfälischen Friedens weitere Gebiete unter ihre Herrschaft. Wenn die ursprünglichen Kurlande zwar auch jetzt noch der politische Mittelpunkt eines dynastisch zusammengehaltenen, weit ausgedehnten und nicht durchgängig miteinander verbundenen  Ländergeflechts waren, so zeigten die Gegensätze der Regionen und der darin lebenden Landsmannschaften, dass von einem gemeinsamen Staat und von einem Gemeinschaftssinn nicht die Rede sein konnte. Nur der jeweilige Landesherr bildete die Klammer, dem alle gleichermaßen den Treueid schworen. Kurfürst Friedrich Wilhelm, seit der Schlacht von Fehrbellin (1675) der Große Kurfürst genannt, erkannte früh die Schwierigkeiten die sich aus den zerstreuten Landschaften, mit ihren unterschiedlichen Entwicklungsständen zwangsläufig ergaben. Wenngleich er außenpolitisch und auf dem Gebiet der Verwaltung bemerkenswerte Erfolge erzielte, vermochte er in Bezug auf die staatliche Einheit wegen der unterschiedlich gewachsenen Strukturen, die rechts der Elbe teils noch mittelalterlich ständisch waren, in Ostpreußen sogar noch einmal mehr und am Niederrhein fast schon republikanisch, keinen homogenen Staat zu formen. Einer Einigung unter brandenburgischer Vorherrschaft widerstrebten die Regionalautonomie gewohnten Gebiete. In Kleve, Minden, Magdeburg, Stolp oder Königsberg betrachte man sich nicht als Brandenburger sondern nur als Untertan eines Lehnsherren, der zugleich brandenburgischer Markgraf und Kurfürst des Reichs war. Es brauchte eine gemeinsame Grundlage. Diese zu entweder zu schaffen oder an den Gegensätzen der Regionen zu scheitern, oblag den Nachfolgern. Markgraf Friedrich III., Sohn des Großen Kurfürsten, erbte 1688 einen Flickenteppich von Gebieten, die sich vom Niederrhein bis an die Memel zogen und aus kleineren und größeren, nicht miteinander verbundenen Territorien bestand. Nach Überwinden innerfamiliärer Auseinandersetzungen im Rahmen der Erbfolge, widmete sich der jetzt unangefochtene Landesherr im Schlussjahrzehnt des 17. Jahrhunderts einer Idee, die damals bei fast allen Ratgebern auf Skepsis stieß und selbst bei seiner geistreichen Gattin förmlichen Hohn auslöste. Die Schaffung eines Königtums sollte die Initialzündung zur Einheit aller Landesteile sein. Der Vater hatte in einer Serie von Feldzügen zunächst mit, dann gegen Schweden, die volle staatliche Souveränität Ostpreußens erstritten und damit die Basis zu einem Schritt geschaffen, der die deutsche und europäische Geschichte wesentlich prägte. In diesem jetzt souveränen baltischen Territorium war Friedrich III. niemandes Vasall. 1701 begann mit einer prunkvollen Selbstkrönung in Königsberg die staatsschaffende Reise. Das Königreich war geboren, der schwarze preußische Adler fortan gemeinsames Staatswappen, unter dem sich die Territorien tatsächlich zu scharen begannen. Es bedurfte dennoch weiterer Jahrzehnte, bis die staatliche Einheit, trotz landsmannschaftlicher Gegensätze, so stabile Formen annahm, dass von einem gemeinsamen Staat vollen Ernstes gesprochen werden konnte. Brandenburg war fortan, mehr oder minder, zu einer preußischen Provinz degradiert, im Schatten eines ab 1740 durch militärische Expansion mächtig anwachsenden Gesamtstaats. Die schon erwähnte napoleonische Phase brachte 1806 eine schmerzliche Zäsur, sowohl für Preußen als Ganzes, wie Brandenburg im Einzelnen. Reformen in allen Bereichen erhielten den preußischen Rumpfstaat, der alle seine rheinischen und westelbischen Gebiete verloren hatte und schufen die Grundlage zu den 1813 einsetzenden Befreiungskriegen, die Preußen wieder ins Konzert der europäischen Großmächte hob. Brandenburg war jetzt nur noch Heimatprovinz der ständig an Größe und Bedeutung gewinnenden Residenz Berlin, während das Umland im ländlichen Idyll oder Tristes, ganz wie man es betrachten möchte, verharrte und kaum mehr Akzente setzte. Auch das dem Königreich den Namen gebende Ostpreußen provinzialisierte zu einer agrarisch und in vielerlei Hinsicht den Anschluss verlierenden Region, am äußersten nordöstlichen Rande des Gesamtstaats, während an Rhein und Ruhr eine rasante Industrialisierung  eine Zeitenwende mitbestimmte. Die Einigungskriege in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machten Preußen zur alleinigen Großmacht im 1871 geformten Deutschen Reich bismarckscher Architektur. Der vormalige Deutsche Bund war 1866 bei Königgrätz in Böhmen unter den Salven des preußischen Zündnadelgewehrs zugrunde gegangen, Österreich mit seinem außerdeutschen Staatenverband aus dem sich schon vage abzeichnenden Deutschen Reich blutig ausgeschlossen. Wie Brandenburg in Preußen aufging, ging nun Preußen im Deutschen Reich auf. Es verschwand nicht, es hatte nun aber im Konzert zu funktionieren, wobei es die Rolle des Konzertmeisters einnahm und dabei in mancherlei Hinsicht die anderen Instrumente mitunter unschön übertönte.

 

IN ARBEIT

Mit dem Ende der Monarchie im November 1918 einher. Deutschland wurde Republik und Großberlin am 27. April 1920 aus der Provinz Brandenburg ausgegliedert. 1933 erhielten die Nationalsozialisten bei der Wahl zum Provinziallandtag die absolute Mehrheit und Brandenburg, wie ganze Deutschland, sank in einen zwölfjährigen Alptraum unter dem Hakenkreuz. Mit der militärischen Niederlage des Deutschen Reichs im Mai 1945 ging zuerst Preußen, wenige Jahre danach Brandenburg dem Ende entgegen. Am 25. Februar 1947 wurde zunächst der Freistaat Preußen mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 46  durch die vier Siegermächte offiziell aufgelöst, sein Staatsgebiet verteilt. Brandenburg trat für kurze Zeit aus der preußischen Konkursmasse heraus, hatte dabei aber bereits seine Gebiete jenseits der Oder verloren. Obwohl mit Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1949 das Land wiedererschienen war, verlor Brandenburg schnell an Bedeutung und wurde schließlich mit dem Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik am 23. Juli 1952 zur Selbstauflösung aufgefordert, was bereits zwei Tage später erfolge. Als Provinz mit eigener Provinzialregierung hörte Brandenburg auf zu existieren. Seine 22 vormaligen Kreise gingen in den drei Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam auf. Vier Jahrzehnte später, mit der unverhofften Wiedervereinigung beider deutschen Staaten, erlebte Brandenburg am 3. Oktober 1990 eine Wiedergeburt. Die alte Kreisstruktur und die Wiedererschaffung des Landes Brandenburg als eigenständiger Föderalstaat     im Bund deutscher Staaten wurde wieder hergestellt. Seit Neugründung ziert auch der rote Adler wieder das Wappen des Landes zwischen den Strömen.

Die Erinnerung an die ebenso lange, wie ereignisreiche, wechselvolle und besondere Geschichte Brandenburgs gab Anreiz zu vorliegendem Buch. Das historische Brandenburg war über Jahrhunderte eines der größten Flächenterritorien im Alten Reich. Als Grenzfürstentum, Grenzmark, wurde es oft verkürzt einfach nur die Mark genannt. Entstanden ist Brandenburg in der zweiten Hälfte des Hochmittelalters aus dem territorialen Erbe der vormaligen Nordmark, einem Relikt aus Ottonischer Zeit, das im zwölften Jahrhundert hauptsächlich nur noch dem Namen nach existiert hatte. Brandenburg war eines von zahlreichen reichsunmittelbaren Gebieten des Heiligen Römischen Reichs. Seinen Namen erhielt die Mark von einer an der Havel gelegenen slawischen Wehranlage, die als Brandenburg oder niederdeutsch Brannenborg, in der Frühgeschichte des Landes eine bedeutende Rolle spielte. Brandenburgs eigentümliche Entstehungsgeschichte und die schon bald herausgehobene Stellung im Konzert weniger weiterer Fürstentümer, rechtfertigt neben anderen Gründen eine ausführliche Darlegung der märkischen Geschichte.

Als Quellen dieses Buches dienten primär die überlieferten Regesten des akanischen Hauses und des Alten Reichs. Für die Zeit vor der überelbischen Landnahme bis 1142, wurden wesentlich die Reichschronik des Analista Saxo und die Magdeburger Bischofschronik als Informationsgrundlage herangezogen. Als unbezahlbare Hilfsmittel erwiesen sich die Arbeiten Adolph Riedels, Otto von Heinemanns oder Georg Sellos, nebst anderen. Einen Anspruch revolutionäre Neuerkenntnisse zutage zu fördern, erhebt dieses Buch nicht, wohl aber den Wunsch eine große, ganzheitliche Chronik Brandenburgs und seiner Herrscher zu versuchen, eingebettet in den jeweiligen zeitlichen Kontext der politischen Ereignisse des Alten Reichs und der angrenzenden Staaten. Als solches ist dieses Buch das erste einer Reihe und widmet sich dem Geschlecht der Askanier, die als brandenburgische Gründerdynastie am Anfang der Mark Brandenburg stehen. Zeitlich beschreibt es hauptsächlich einen Abschnitt von 1100 bis 1320, geht stellenweise aber auch wiederholt weiter zurück.


Landschaftliche Charakteristiken

Die Landschaften der Mark sind für den nordostdeutschen Raum typischerweise flach und waren lange Zeit dicht bewaldet urtümlich. Die Niederungen sind bis heute durchzogen von zahlreichen Wasserläufen, Seen und bisweilen auch noch Sümpfen, wenngleich im Rahmen gezielter Landgewinnung die meisten Sumpfgebiete längst verschwanden. Die Oberflächenstruktur wurde von wiederholten Vorstößen des skandinavischen Inlandeises während der Eiszeit geprägt, woraus sich ein breites Bodenspektrum ergab. Die Zusammensetzung reicht von außerordentlich nährstoffarm und unfruchtbar, bis hin zu sehr fruchtbar. Es überwiegen, vor allem im mittleren und südlichen Brandenburg, nährstoffarme Sandböden, die dem Land seine sprichwörtliche Charakteristik gaben. Der Märkische Sand wurde für lange Zeit geradezu zum Synonym des alten Brandenburgs, der Streusandbüchse des Reichs.
Politisch ist Brandenburg das Ergebnis gezielter Kolonisation unter Assimilation vorhandener Bevölkerungsgruppen. Leicht hatten es die ankommenden Siedler, wie die Bestandsbevölkerung nicht. Zu Beginn der sächsisch-deutschen Besiedlung im zwölften Jahrhundert, waren die sumpfigen Niederungen der Urstromtäler für Ackerbau vielerorts vorerst ungeeignet, während gleichzeitig die eiszeitlichen Ablagerungsfelder an den Rändern wegen ihrer Nährstoffarmut nur mäßigen Ertrag brachten. Fisch- und Wildbestand war dagegen reichlich. Rinder und Schafe gediehen gut und bildeten einen anfänglichen Schwerpunkt, bis durch Urbarmachung des Landes schließlich auch die Getreidewirtschaft nachziehen konnte. Bodenschätzen in Form von ergiebigen Gold- oder Silbervorkommen fehlten dem Lande gänzlich. Auch andere Erzvorkommen gab es wenig und wurden, soweit vorhanden, erst spät erschlossen. Die Ökonomie Brandenburgs blieb über Jahrhunderte hauptsächlich von Erzeugnissen der Landwirtschaft bestimmt. Agrar- und Forstwirtschaft, sowie Viehzucht bildeten das wirtschaftliche Rückgrat des Landes. Die unerhörte Größe des bis ins frühe 14. Jahrhundert immer weiter nach Osten expandierenden Landes gab einer durch Zuzug und Geburtenüberschuss wachsenden Bevölkerung großzügig Siedlungsraum. Metropolen nicht einmal besonders dicht besiedelte Ballungszentren bildeten sich nicht, denn die größtenteils bäuerliche Bevölkerung verteilte sich überwiegend auf der Landesfläche. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde Berlin im Zuge von Industrialisierung und einsetzender Landflucht, sowie der gewachsenen politischen Bedeutung im Rahmen der 1871 vollzogenen Reichsgründung, zu einer echten Metropole und Millionenstadt von europäischer Dimension.
In den Anfängen des zielgerichteten Besiedlungswerks entstanden vielerorts entlang der größeren und kleineren Wasserläufe Siedlungen, aus denen zunächst Marktflecken, schließlich um die Wende zum Spätmittelalter Städte wurden. Wenn sich wie erwähnt auch keine Ballungszentren entwickelten, hatte Brandenburg ab dem frühen Spätmittelalter ein dichtes Netz an Städten. Flüsse wie die Elbe im Westen, die Havel, Nuthe und Spree im Zentrum und die Oder im Osten, dazu die riesige Zahl Seen, wurden zur Lebensader für den sich zum Ende des Hochmittelalters großräumig ausbreitenden Handel, wovon die Mark ökonomisch erheblich profitierte und den bald entstehenden Städten einen ersten bescheidenen Aufschwung und Wohlstand brachte. Gleich mehrere brandenburgische Städte gehörten dem weitverzweigten Geflecht der Hanse an und wurden zu wohlhabenden Kaufmannsstädten, darunter die Doppelstadt Berlin-Cölln, Frankfurt an der Oder, Stendal, Tangermünde, Brandenburg an der Havel oder Havelberg.


Das Hochmittelalter zwischen Elbe und Oder

Im 12. Jahrhundert, in jener Zeit, in der das schwäbische Geschlecht der Staufer mit Konrad III. (1093 – 1152) erstmals die römisch-deutsche Krone an sich brachte und unter seinem Neffen und Nachfolger Friedrich I. (1122 – 1190) schließlich auch die Kaiserkrone, machte sich im prosperierenden Reich eine spürbare Aufbruchstimmung bemerkbar. Die Zeit war unter anderem geprägt von Ortsgründungen, wie sie seit der fränkischen Landnahme an Zahl und Umfang nicht gesehen wurde. Viele Städte erlebten einen bislang unerreichten wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Während sich in Reichsitalien zeitgleich regelrechte Stadtrepubliken bildeten, die sich als kaiserliche Ghibellinen oder oppositionelle Guelfen gegenseitig die Waage hielten, emanzipierten sich auch im deutschen Reichsteil nördlich der Alpen zahlreiche Städte auf ihre Weise, sagten sich von den bisherigen Herren, meist Bischöfen, sukzessive los und traten unmittelbar als Freie- und Reichsstädte unter die Herrschaft des römisch-deutschen Königs. Handwerk und Handel weiteten sich stark aus und besonders der lukrative, wenn auch riskante Fernhandel machte viele Städte rund um Rhein und Elbe, später entlang der Seeküsten, zu wohlhabenden und politisch einflussreichen Zentren. Im 13. Jahrhundert bildeten sich daraus frühe Formen der Hanse, die in der Folgezeit lange den nordeuropäischen Handel zur See und stellenweise auch zu Lande dominierte. Zeitlich fällt die Stauferzeit mit der Entstehung der Mark Brandenburg zusammen ohne in unmittelbarem Zusammenhang zu stehen. Bevor unser Blick sich hierauf konzentriert, schauen wir uns zuerst noch die Verhältnisse in jener Region davor an.


Die Zeit vor Entstehung der Mark Brandenburg.

Die Reichsgrenze im Osten bildete zu Beginn des 12. Jahrhunderts die mittlere Elbe. Der Einfluss und die Oberherrschaft über die östlich davon lebenden westslawischen Stämme, die sich vor einigen Jahrhunderten in Etappen  beiderseits von Elbe und Oder sowie dazwischen angesiedelt hatten und unter Heinrich I. (876 – 936) sowie später unter dessen Sohn Otto I. dem Großen (912 – 973) tributpflichtige Vasallen wurden, nahm schon unter Enkel Otto II. (955 – 983) dramatisch ab. Die Unterwerfung des rechtselbischen Raums unter den Ottonen, ähnlich wie schon einmal in der Ära Karls des Großen (747 – 814), ging während des großen Slawenaufstandes Sommer 983 nahezu restlos verloren. Mit dem Tod Kaiser Ottos II. im Dezember des selben Jahres, folgte sein erst dreijähriger Sohn als Otto III. auf den Thron. Die Regentschaft wurde in den Jahren seiner Unmündigkeit de facto von zwei mächtigen, sich teilweise rivalisierend gegenüberstehenden Frauen ausgeübt. Zum einen war dies seine Großmutter, die Kaiserinwitwe Adelheid von Burgund, zweite Gemahlin Ottos I., zum anderem seine Mutter, die aus Byzanz stammende Kaiserinwitwe Theophanu (um 957 – 991), Gattin des erst kürzlich verstorbenen Kaisers Otto II., Schwiegertochter erwähnter Adelheid. Das Verhältnis beider willensstarker Frauen war angespannt und immer wieder von grundlegenden politischen Meinungsverschiedenheiten beeinträchtigt. Formell war Theophanu als Witwe des verstorbenen Kaisers und Mutter des zukünftigen Regenten am längeren Hebel, wenn man es so ausdrücken darf. Sie stand dem Thron näher als ihre Schwiegermutter. Eine wirksame Einmischung Adelheids in die unmittelbare Regierung konnte nur indirekt erfolgen, doch die kluge und befehlsgewohnte Frau wusste sich einzubringen. Adelheid verfügte über umfangreiche Güter im Rahmen ihres Wittums, ihres Witwenbesitzes, über die sie frei verfügte und die erst mit ihrem Tod an Otto III. zurückfielen. Sie nutzte maßgebliche Teile ihres Vermögens, um im Reich die Partei ihres minderjährigen Enkels zu stärken. Dass ein Knabe den Thron Karls des Großen innehatte, wurde von den Mächtigen des Reichs dauerhaft nicht anstandslos hingenommen. Es war notwendig einer wachsenden Opposition politisch entgegenzuwirken. Theophanu sah in den scheinbar verschwenderischen Zuwendungen ihrer Schwiegermutter eine Minderung des zukünftigen Erbes ihres Sohnes, und kritisierte Adelheids Vorgehensweise wiederholt scharf. Wenn man ihre Sorge hinsichtlich der Minderung des zukünftigen Besitzes ihres Sohnes auch verstehen kann, bewies das Vorgehen Adelheids doch die entschieden größere politische Weitsicht.
Wie auch immer, die Bemühungen den Thronanspruch Ottos III. zu stärken, in wesentlichen Dingen der Politik aber weitestgehend machtlos auf dessen Mündigkeit zu warten, führte innen- besonders aber außenpolitisch zu einer spürbaren Lähmung, wovon unter anderem die unruhigen elbslawischen Gebiete rechts der Elbe profitierten, die ihre erkämpfte Autonomie in dieser Zeit weiter festigten. Versuche des heranwachsenden Ottos die elbslawischen Stämme wieder dauerhaft zu unterwerfen, waren nur kurzfristig von Erfolg gekrönt und scheiterten dauerhaft ganz. Die Gebiete ostwärts der Elbe blieben dem Reich entfremdet. Die unter der Regentschaft Ottos I. gegründeten Bistümer Havelberg und Brandenburg existierten für Generationen im Grunde nur noch dem Titel nach. Mit dem frühen Tod Ottos III. und dem kinderlosen Zwischenintermezzo einer bayrischen Nebenlinie in Person Heinrichs II. (973 –1024), folgte dem sächsischen Geschlecht der Ottonen (Liudolfinger) jenes der rheinfränkischen Salier. Zu Beginn konzentrierten sich die ersten Vertreter dieses Hauses auf die Festigung ihres Herrschaftsanspruchs und die Konsolidierung des machtpolitisch erodierten Reichs. Wenn auch Konrad II. und seine unmittelbaren Nachfolger die unerloschenen Ansprüche auf die rechtselbischen Gebiete wiederholt geltend zu machen suchten, traten dann unter den späten Saliern existenzielle innere und äußere Spannungen zu Tage, die eine neuerliche Ausweitung des Reichseinflusses auf die Slawengebiete unmöglich machte. Der große Gegensatz zum Papsttum, der unter Heinrich IV. als der sogenannte Investiturstreit in die Geschichte einging, erlebte einen Höhepunkt. Bis weit hinein ins folgende Spätmittelalter, bestimmte der Gegensatz zwischen Kaiser und Papst die Reichspolitik und drückte ihr den Stempel auf. Der Streit des weltlichen Kaisers, als Schutzherr der Christen, mit dem geistlichen Oberhaupt der Christenheit, dem Papst, wird Generationen von römisch-deutschen Königen und Kaisern belasten. Es sollte hierbei in den seltensten Fällen um echte Themen von religiöser Tragweite gehen, wenn dies  kirchlicherseits auch immer ins Feld geworfen wurde. Machtpolitisch gegensätzliche Positionen waren eigentliche Triebfeder und Brennstoff des Dauerkonflikts. Zu den ernsten Verwicklungen mit dem Stuhle Petri traten im Reich vor allem im sächsischen Raum Auseinandersetzungen mit rebellierenden Territorialfürsten hinzu, die zunehmend selbstbewusst die Zentralgewalt des römisch-deutschen Königs oder Kaisers herausforderten. An die Stelle der wenigen aber mächtigen ehemaligen Stammesherzöge, hatten sich aufstrebende Grafendynastien gestellt, die auf verschiedentliche Weise ihren Einfluss und ihren Machtbereich erweitern konnten. Die salischen Kaiser waren unter den Eindrücken dieser außenpolitischen, wie innenpolitischen Herausforderungen fast vollauf beschäftigt, vor allem die kaiserliche Autorität zu wahren. In der logischen Folge blieben Unternehmungen gegen die Slawengebiete vereinzelt und ohne dauerhafte Wirkung. Der Raum zwischen Elbe und Oder blieb selbstständig und ließ sich nicht unterwerfen.


Weiter zurück in die Vergangenheit

Der fränkisch-karolingische Großkönig Karl, genannt der der Große, war am Weihnachtstag des Jahres 800 von Papst Leo III. in Rom zum Kaiser gekrönt worden. Karl war nach einer Vakanz von 300 Jahren, seit dem Zusammenbruch des weströmischen Reichs, wieder der erste Kaiser nach römischer Tradition. Viel hatte sein Kaisertum mit dem antiken Rom der Cäsaren nicht zu tun, doch berief er sich darauf und wurde darin von der römischen Kirche unterstützt, dem letzten Überbleibsel des vergangenen Reichs der Römer. Die Reichskirche  war schon vor den Karolingern Steigbügelhalter der Macht für die vorangegangenen Merowinger und wusste in deren Fahrwasser die eigene Machtposition kontinuierlich auszubauen. Unter Karls Regentschaft, der lange vor seiner Kaiserkrönung rechts des Rheins aggressive Unterwerfungspolitik betrieb, wurde das Land östlich der Elbe mit seiner slawischen Bevölkerung erstmals unterworfen und in ein loses Vasallenverhältnis gezwungen. Westlich, entlang der unteren Elbe, lebten sächsische Stämme. Deren östliches Siedlungsgebiet reichte bis ins Harzvorland, wo sich südlich anschließend restsuebische Gruppen und Thüringer anschlossen. Die Sachsen waren unter der Leitung ihres Herzogs Widukind lange erfolgreiche Widersacher der Franken gewesen und boten Karls Hegemonialpolitik fast ein Jahrzehnt energisch die Stirn. 785 wurden sie schließlich in einer abschließenden Kraftanstrengung brutal unterworfen. Karl ließ tausende sächsische Familien in fränkisches Gebiet umsiedeln und stattdessen Slawen von östlich der Elbe im angestammtem sächsischen Raum ansiedeln. Die Sachsen waren im Rahmen der fränkischen Unterwerfung brutal zum christlichen Glauben gezwungen worden. Im Gegensatz zu den Franken, die seit mittlerweile über 300 Jahren der römischen Kirche anhingen, waren sie selbst Heiden geblieben und verharrten gemeinsam mit Teilen der Friesen, als letzter großgermanischer Stamm in ihrem Glauben an eine alte mystische Götterwelt. Mit den fränkischen Siegern kamen drakonische Bestimmungen für den Fall, dass sich die Sachsen der Christianisierung widersetzten.

In die Zeit der Sachsenkriege fiel in etwa auch die Unterwerfung des rechtselbischen Raums. Die nur spärlich bewohnten Gebiete zwischen Elbe und Oder boten zwar weitreichenden Raum, doch ergaben sich keine erwähnenswerten Kolonisationsversuche. Die Politik Karls, überhaupt die Politik der karolingischen Frankenherrscher, beruhte nicht auf nationalen oder ethnischen Prinzipien. Dergleichen kannte das gesamte europäische Mittelalter im Ganzen kaum. Die großen Dynasten der Zeit strebten zwar eine mehr oder minder strenge Unterwerfung der in den eroberten Gebieten lebenden Völker an, doch nur um sie dem eigenen Lehnsverband anzugliedern. Tributzahlungen und Heerfolge waren Ziel der Unterwerfungspolitik. Karl folgte darin dem römischen Vorbild der Antike. Auch dort ging es nicht um ethnische Verdrängung, sondern um Konsens auf Basis römischer Herrschaftsregeln.

Für Karl blieben die Slawengebiete Nebenschauplatz. Die Herrschaft über den rechtselbischen Raum verkümmerte nach dem Zusammenbruch des fränkischen Großreichs und der Dreiteilung unter Karls Enkeln. Das daraufhin rechts des Rheins entstandene ostfränkische Reich Ludwigs des Deutschen war mit der Wahrung des eigenen Machtanspruchs ausreichend beschäftigt. Dem fränkischen Erbfolgerecht war das Teilungsprinzip inhärent, und so zerbrach die fränkische Machtsphäre mit jeder Generation in immer kleinere Einheiten. Gewisse gegenläufige Umstände verhinderten ein gänzliches zersplittern.
Rechts der Elbe erlebten die dort siedelnden Slawen in der spätkarolingischen Zeit wachsende Autonomie. Mit dem Aussterben der ostfränkischen Karolinger zu Beginn des zehnten Jahrhunderts, kam nach dem Intermezzo Konrads I., er war noch einmal ein Franke, aber schon kein Karolinger mehr, der Sachse Heinrich I. auf den Thron. Mit ihm erhielt das erlahmte ostfränkische Reich, das schwer unter wiederholten ungarischen Reiterüberfällen litt, neuen Auftrieb und eine Form von Zentralgewalt. Möchte man die Herrschaftspraxis Heinrichs bewerten, muss man vom Begriff Zentralgewalt im Grunde Abstand nehmen und stattdessen von einer Art frühföderalem System sprechen. Intensiv ausgehandelte Freundschaftsbündnisse mit den Stammesherzögen des lose verbundenen Reichs waren Kern von Heinrichs Innenpolitik. Aus den auseinandertriftenden Teilen des ostfränkischen Reichs begann sich die vage Gestalt eines neuen Reichs zu formen, das unter Otto I., nach einer Phase großer Unruhen, konkrete Formen annahm. Dieser schuf, im Inneren gesichert und fest auf dem Thron Karls des Großen sitzend, in den vom Vater heimgesuchten Slawengebieten ostwärts der Elbe das System der Marken und gründete die bereits erwähnten Bistümer Havelberg und Brandenburg. Hierin folgte der Sachse Otto, dessen eigene Vorfahren noch vor zweihundert Jahren selbst Heiden waren, dem Beispiel Karls des Großen. Auch dieser setzte auf die Kirche als regulierenden und administrativen Faktor in den unterworfenen Gebieten.
Mit den Missionaren Ottos, setzte ein bescheidener Zuzug Siedler ein, der aber abseits der Bistumsmittelpunkte nie eine Rolle spielte. Mit dem Slawenaufstand von 983 und dem Tod Kaiser Ottos II., brach dieses zaghafte Siedlungswerk völlig zusammen und die elbslawischen Gebiete konnten sich, nur jeweils kurz von mehreren sächsischen Heerzügen unterbrochen, für gut 150 Jahre jedem Einfluss des Reichs entziehen.

Es entstanden spätestens jetzt zwischen Elbe und Oder kleinere und größere Zentren slawischer Stammesfürstentümer, die sich in der Herrschaftsstruktur nicht so sehr von jenen der umliegenden Fürstentümer unterschieden, mit einem herausragenden Unterschied, dem fehlenden Einfluss der Kirche. In heutiger Zeit spielt die Kirche im Leben der Menschen eine immer geringer werdende Rolle und es fällt zunehmend schwer, ihren damaligen Einfluss zu verstehen. Zur Zeit der Wende ins neue Jahrtausend bestimmte sie jedoch in den christlichen Teilen Europas praktisch alle Aspekte des täglichen Lebens und dahingehend ebenso die Politik. Wir werden in den kommenden Kapiteln manches darüber lesen.
Analog den Germanen, spalteten sich die Slawen, in unserm konkreten Betrachtungsfalls die Elbslawen, in zahlreiche Sippen und Stämme auf.   Sprevanen, Heveller, Riacianen, Uckerer, Linonen, Abodriten, Wilzen, Sorben und andere mehr. Im großen Lutizenbund schlossen sich einzelne, überwiegend in Gebieten des heutigen Mecklenburg-Vorpommern sowie Nordbrandenburg siedelnde Stämme zusammen, und boten eine ernstzunehmende Macht in diesem Raum auf. Es war dieser Bund, der als führende Kraft während des erfolgreichen Slawenaufstands, auch Wendenaufstand genannt, die sächsische Oberhoheit brach, und das noch aus der Zeit Ottos I. stammende System der Grenzmarken zum Einsturz brachte. Vereint waren die Elbslawen in ihrem nichtchristlichen Glauben an eine Art dreigestaltige Naturgottheit mit Namen Radegast oder Svarožić. Ihr Hauptheiligtum war der große Tempel von Rethra, der später zerstört wurde. Die genaue Lage des einstmaligen Tempels ist bis heute nicht lokalisierbar.
Im ausgehenden elften Jahrhundert begannen innere Auseinandersetzungen die Integrität  des Lutizenbunds auszuhöhlen. Es kam immer häufiger zu Konflikten zwischen den vier Hauptstämmen und letztlich zu offenen Kämpfen. Die Konfliktparteien suchten zur Durchsetzung ihrer Interessen nach Alliierten und knüpften Kontakte zu benachbarten Fürstentümern. Sowohl Dänen, wie sächsisch-deutsche und polnische Parteigänger mischten nun aktiv mit. Die autonome Zeit der heidnischen Elbslawen, überhaupt der Westslawen, ging zu Ende und eine sukzessive, diesmal endgültige Unterwerfung der Region östlich der Elbe setzte ein.


Der Weg nach Osten

Das im zwölften Jahrhundert in seiner Bevölkerung stark gewachsene Sacrum Imperium, wie es von Friedrich I. Barbarossa (1122 – 1190) selbstbewusst und in Opposition zum Papst genannt wurde, strebte zum zweiten Mal den Weg über die Elbe nach Osten an. Ambitionierte Fürsten stellten sich diesem Werk voran. Es wurde deutlich, dass das eigentliche Ziel dieser Fürsten die Erweiterung des eigenen Einflussbereichs war. Primär für sich und weniger dem Reich, sollten die heidnischen Landschaften jenseits der Elbe erschlossen werden, was nichts weniger bedeutete, als dass mit dem Schwert, gab es keinen anderen Weg, die eigenen Territorialinteressen durchgesetzt wurden.
Ein auf Reichsebene bislang relativ unbedeutende Grafenlinie aus der Familie der Askanier trat mit Albrecht I. (1100 – 1170) später der Bär genannt, deutlich hervor. Dieser Albrecht erlangte das Vertrauen und die Freundschaft eines der slawischen Herrscher. Mit dem früh zum Christentum kvertierten Pribislaw-Heinrich (1075 – 1150), dem Herrn auf der Brennaburg, der Brandenburg, entwickelte sich aus dieser Freundschaft ein intensives Bündnis und Erbschaftsverbrüderung, die ihm später das ganze Havelland einbrachte. Die Uneinigkeit der Slawen hatte längst den Punkt überschritten, wo eine Gegenreaktion auf die von allen Seiten auftretenden Übergriffe noch Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Die Zeit der Stärke, getragen vom vereinten Kampf gegen die christlichen Invasoren aus dem Westen, aber auch aus dem christlich gewordenen polnischen Osten, war den inneren Machtkämpfen um die Vorherrschaft im elbslawischen Raum gewichen. Bündnisse mit den vormaligen Feinden wurden Bündnisse mit den eigenen Kulturverwandten vorgezogen. Der sich unter den Slawen verbreitende christliche Glaube stand vielerorts trennend zwischen den Anhängern des alten Naturglaubens und jenen des neuen Glaubens. Vermutlich war es gerade dieser Glaubensgegensatz, der am nachhaltigsten spaltend den bisherigen Zusammenhalt untergrub.


Die Zeit vor den Slawen

Den Slawen kann nicht das Prädikat einer Ureinwohnerschaft in den Landschaften der späteren Mark zugesprochen werden, womit wir zu noch älteren, archäologisch eindeutig nachweisbaren Siedlungsspuren kommen. Ähnlich den sächsischen Kolonisten, waren auch die Slawen eingewandert, wenn auch nicht als Eroberer. Sie drangen in ein Gebiet vor, das von den vorherigen Bewohnern geraume Zeit zuvor größtenteils verlassen wurden. Zwischen dem ersten vorchristlichen Jahrhundert, bis etwa gegen das Ende des dritten Jahrhunderts, lebten zwischen Elbe und Oder, sowie stellenweise darüber hinaus, verschiedene westgermanische Stämme, darunter hauptsächlich die Semnonen. Zahlreiche archäologische Funde im heutigen Brandenburg und Polen weisen ihre Existenz nach. Zu Beginn des vierten Jahrhunderts, wahrscheinlich mittelbar durch die Westexpansion der Hunnen und der hierdurch losgetretenen großen Völkerwanderung ausgelöst, zogen wesentliche Teile des Stammes gemeinsam mit anderen größtenteils an den Oberrhein, wo sie sich mit anderen germanischen Volksgruppen vermischten und in letztlich den Alemannen aufgingen. Es blieben Reste in den bisherigen Siedlungsgebieten zurück, denn auch für die Zeit nach der Massenabwanderung sind noch ihre Spuren eine Weile nachweisbar, bis sie zwischen dem siebten und achten Jahrhundert schließlich verschwanden. Von Südosten kommend wanderten um das sechste Jahrhundert slawische Gruppen ein. Es lässt sich noch nicht ergründen, ob es zu einer Vermischung der eingesessenen Bewohner mit den Neuankömmlingen kam oder zu einer allmählichen Verdrängung. Einiges spricht für die erste Annahme. Im Land zwischen den Flüssen begann die slawische Ära.

Die Siedlungsorte  der Elbslawen unterschieden sich nicht wesentlich von den vormals germanischen.  Die Siedlungen lagen entweder auf natürlichen, stellenweise auch gezielt gerodeten Lichtungen der dichten, für die Gegend markanten Wälder, oder an günstigen Stellen der wasserreichen Landschaften. Fischerei war eine der wesentlichen Nahrungsquellen, gefolgt von der Viehzucht. Landwirtschaft war weniger ausgeprägt als im Westen oder Osten, was mitunter auf die teilweise schwierigen Bodenverhältnisse zurückzuführen war. Dorfgemeinschaften lebten größtenteils als selbstversorgender Kleinverband. Vereinzelt gab es größere Ansiedlungen, die für gewöhnlich Sitz eines regionalen Stammesführers war. Diese größeren Orte, ob man von Zentren sprechen darf, sei dahingestellt, lagen zum Schutz oft an strategisch günstigen Flussstellen oder in den wenigen fruchtbaren Regionen. Rundburgen, in den allermeisten Fällen durch Wassergräben oder natürliche Wasserläufe geschützt, übernahmen die Sicherung der Region und waren Sitz der Lokalfürsten.
Trotz fehlender Urbanisierung darf man nicht von einer primitiven Lebensweise ausgehen. Die Unzugänglichkeit der urtümlichen Landschaften bestimmte im Wesentlichen die Ortsbildungen und entsprechend die Verbindung untereinander. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland teilweise nationalistisch gefärbt wiedergegebene und stark verallgemeinernde Sicht der Slawen, die ein Bild unterentwickelter Halbnomaden zeichnete, entsprach nicht der Realität oder spiegelte pauschalisierend den wachsenden technologischen Niveauunterschied seit dem frühen Hochmittelalter wider. Slawische Sprache, Musik und Kleidung hatten ihre eigene spezifische Prägung. Sie waren geschickte Handwerker, Fischer und Viehbauern. Landwirtschaft und der großflächige Anbau von Getreide sowie anderer Feldfrüchte, war deutlich weniger entwickelt und erhielt erst mit den ankommenden deutschen Siedlern neue Impulse. Die im Westen weiter fortgeschrittenen Agrartechniken fanden erst jetzt Einzug. Eisenverarbeitung kam ebenfalls erst spät zur Anwendung. Bis dahin wurden Eisenwerkzeuge und Waffen für gewöhnlich durch Handel erworben. Die regional sumpfigen Gebiete der späteren Mark wurden erwähnt. Um effizienten Ackerbau zu betreiben, musste das unzureichende Land mit seinen sauren, zumeist bewaldeten Gebieten, erst urbar gemacht werden. Besonders die großen Sumpfgebiete in den Niederungen blieben oft noch viele Generationen unerschlossen, womit die Landschaften lange Zeit ihren natürlichen und urtümlichen Charakter behielten.

Mit der sächsisch-deutschen Besiedlung ging eine Christianisierungswelle einher. Schon die frühen Ottonen erkannten, dass eine dauerhafte Bindung der Elbslawen ans Reich am ehesten durch Bruch mit ihrem heidnischen Erbe glücken konnte. Das eingeleitete Missionswerk ging verhältnismäßig maßvoll vonstatten, nicht in jener brutalen Weise, wie noch die Sachsen selbst von den militärisch siegreichen Franken vor mehr dreihundert Jahren bekehrt wurden. Anklang fand das Christentum unter den Elbslawen deswegen aber noch lange nicht überall, auch wenn bereits manch höhergestellte Familie von sich aus Christen geworden waren. Viele hielten an ihren heidnischen, an die Natur angelehnten Traditionen und Riten fest, besonders diejenigen abseits der wenigen Siedlungschwerpunkte. In den ersten Jahrzehnten des Predigtwerks ließ noch mancher Missionar sein Leben. Hierin unterschieden sich Slawen wenig bis überhaupt nicht von Germanen, die vor einem halben Jahrtausend beginnend stammweise ihren bisherigen Glauben abzulegen begannen, nicht ohne regional drastischen Widerstand zu leisten. Mit der Zeit erlosch auch bei den Elbslawen deren alter Glaube. Die restituierten Bistümer Brandenburg und Havelberg spielten beim Missionarswerk eine zentrale Rolle, ebenso wie die Stiftung diverser Klöster, auf die im Folgenden eingegangen wird.


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