Buch 2, Kapitel VI: „Otto V. der Faule (1346 – 15. November 1379)“


Otto der Faule“, trug einen wenig schmeichelhaften Namenszusatz, der einen stigmatisierenden Schatten auf den dritten Wittelsbacher an der Spitze Brandenburgs wirft. Eines Kaisersohnes, regierenden Markgrafen und Kurfürsten des Reichs in hohem Maße unwürdig. Wir werden sehen wie viel Wahrheit sich dahinter versteckt, ob es das Ergebnis boshafter Schmähungen war oder andere Ursachen hatte.

Er wurde 1346 als vorletztes Kind des kaiserlichen Paares geboren. Bruder Ludwig, der im Jahre 1347 zur Welt kam, es war dies bereits der dritte Sohn des Kaisers der diesen Namen trug, verstarb schon im darauffolgenden Jahr, so dass Otto das jüngste Kind blieb. Seine Mutter war Margarethe von Holland. Wir haben ausführlich über sie im Kapitel über Ottos ältesten Bruder Ludwig, der den Beinamen „der Römer“ trug, berichtet. Zum exakten Geburtsdatum wie auch zum Geburtsort können wir nichts verbindliches sagen, wir wollen aber versuchen Ort und Zeitraum durch Ausschlussverfahren näher einzugrenzen.

Aus dem vorgenannten Kapitel wissen wir, dass Margarethe von Holland, sie war seit 1324 Gattin Kaiser Ludwigs IV., aufgrund des vorzeitigen Todes von Wilhelm IV. im Jahre 1345, er war ihr einziger Bruder, die reichen Besitzungen der Familie in den Niederlanden erbte. Erben ist an der Stelle nicht richtig, wenn dann erbte sie nur den Allodialbesitz und doch gelangte der ganze väterliche Besitz, nach dem Tod des Bruders in ihre Hand. Werfen wir einen kurzen Blick auf die allgemeinen, lokalen Verhältnisse. Die Grafschaft Hennegau war eigentlich ein Lehen des Bischofs von Lüttich. Noch war es fraglich wen dieser belehnen würde, doch standen die Aussichten für die Kaiserin immerhin gut. Durch einen geschickten Winkelzug ihres Mannes, der verfügte dass die Grafschaft nicht von den sonstigen vakanten Grafschaften getrennt werden sollte, war die Belehnung damit abhängig vom weiteren Verbleib der territorialen Hinterlassenschaft des Bruders. Was dies betraf, war die Sachlage einfacher, denn diese Ländereien fielen als erledigtes Lehen an das Reich zurück und damit in die Verfügungsgewalt des Kaisers. Ludwig IV. belehnte kurzerhand die eigene Frau mit den Grafschaften in Friesland, Holland und Seeland, womit auch die Vergabe des Lehen Hennegau vorgezeichnet war. Das diesbezügliches Motiv hinter dieser Entscheidung lag auf der Hand, es ging um die weitere Vergrößerung der eigenen Hausmacht. Der unerwartet frühe Tod des Schwagers, welcher unverheiratet und somit kinderlos blieb, brachte dem Wittelsbacher die einmalige Gelegenheit den territorialen Besitz signifikant zu erweitern und dabei wichtige Vorposten im stellenweise der Krone entfremdeten norddeutschen Raum zu schaffen.

Die Entscheidung wurde dem Kaiser im Reich übel genommen. Nachdem er die 1320 erledigte Mark Brandenburg im Jahre 1323 bereits an seine Familie brachte und damals seinen noch unmündigen, erstgeborenen Sohn damit belehnte, später dieser gleiche Sohn rund 20 Jahre danach, in einer skandalösen Heirat zusätzlich die Erbin der Grafschaft Tirol heimbrachte, wollte man den Wittelsbachern nicht noch mehr Macht zugestehen. Wir haben verschiedentlich über die feine Machtbalance im Reich gesprochen, zumindest über den dahingehenden Anspruch der Reichsfürsten eine zu einseitige Machterweiterung wenn möglich zu begrenzen. Auch haben wir über die Verwerfungen, die durch eine zu starke Verschiebung der Kräfteverhältnisse immer wieder entstanden, an dessen Spitze immer wieder Erbfolgekriege und Thronfolgekriege standen, gesprochen.

Was hat das alles mit dem Geburtsort, vielleicht sogar mit dem Geburtstag des späteren Markgrafen Otto von Brandenburg zu tun? Nun, der Kaiser belehnte seine Frau anlässlich des Nürnberger Hoftags vom 15. Januar 1346 mit den vorerwähnten Gebieten. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihren jüngsten Sohn in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres geboren hätte und in den härtesten Winterwochen die Reise ins, wenn auch nicht übermäßig weit entfernte Nürnberg gemacht hätte. Bereits am 14. März empfängt Margarethe in Mons, in der Grafschaft Hennegau, den Huldigungseid der dort versammelten Stände. Auch hier glauben wir ausschließen zu können, dass Otto während der zwei vorangehenden Monate geboren wurde und die Mutter mit einem Säugling die Reise quer durch das Reich in den Westen angetreten hätte. Obwohl die Zeit damals drängte, denn auch der englische König, der mit einer jüngeren Schwester der Kaiserin verheiratete Edward III., wollte seiner Frau einen Anteil des Erbes verschaffen. Noch war er aber in seit Jahren erbittert geführten Krieg mit dem König von Frankreich verwickelt und plante eine massive Militärintervention auf dem französischen Festland. Einen offenen Konflikt zum Kaiser konnte und wollte er unter diesen Voraussetzungen nicht wagen.

Die bisherigen Annahmen werfen die Frage auf, in welchem Schwangerschaftsmonat sich die Kaiserin befunden haben könnte? Die Ereignisse der folgenden fünf Monate lässt zumindest die Vermutung zu, dass sie zu Beginn noch nicht hochschwanger war. In den Frühlings- und Sommermonaten reiste die Kaiserin durch ihre Grafschaften und nahm die Huldigungen der Stände entgegen und bestätigte die Privilegien des Adels und der Städte. Der Reiseliste nach hatte sie ein straffes Programm und in dieser Zeit kam es wohl eher nicht zur Niederkunft. Die Reisestrapazen für eine frisch entbundene Mutter, deren Leben unter diesen Voraussetzungen für die Dynastie besonders wichtig war aber auch für einen Säugling, wären sicher vermieden worden. In der zweiten Septemberhälfte kehrte sie wieder nach Mons zurück. Mittlerweile ist es wahrscheinlich, dass die angehende Mutter sehr nahe oder zumindest nicht mehr fern der Entbindung stand. Im Oktober sehen wir die Kaiserin bereits wieder auf Reisen. In Ypern traf sie ihre Schwester Philippa zu Absprachen bezüglich eines Bündnisses des Kaisers mit dem englischen König. Es scheint so, als ob König Edward von England, der im Hochsommer 1346 bei Crecy seinen überragenden Sieg gegen Philipp VI. von Frankreich erstritt, vermeiden wollte, dass sich eine Annäherung des französischen Königs an den Kaiser entwickeln könnte. Immerhin kämpfte schon die mächtige Luxemburger Familie an dessen Seite.

Zwischenzeitlich traf der Kaiser Anfang September 1346 Regelungen für den Fall dass seine Frau sterben sollte. In diesem Fall würde ihr Sohn Wilhelm die Herrschaft in den Niederlanden antreten. Wir glauben besonders aus dieser kaiserlichen Verfügung ableiten zu können, dass die Geburt unmittelbar anstand. Entweder noch im September oder spätestens Anfang Oktober. Wir meinen diese Annahme aufstellen zu können, weil Margarethe im November nach Frankfurt abreiste um dort ihren Mann zu treffen. Sie übergab vorher die Statthalterschaft ihrem Sohn Wilhelm und schloss mit ihm eine Vereinbarung hinsichtlich einer an sie zu leistenden Jahresrente. Über diese Regelung kam es später zu einem erbitterten Krieg. In diesem Zusammenhang wurde Wilhelm de facto die  Regentschaft übertragen. Teil der Übereinkunft war ferner die Anwartschaft auf die Burggrafschaft Seeland, die sie für ihren Sohn Otto vorsah, falls der jetzige Amtsträger verstarb. Otto musste zwischenzeitlich geboren sein, die Kaiserin hätte sonst schlechterdings für dessen zukünftiges Auskommen Vorkehrungen treffen können.

Wir wagen an dieser Stelle zwei Hypothesen aufstellen zu dürfen. Entweder dass sich Ottos Geburt zwischen Ende September und Mitte Oktober ereignete und er demgemäß vermutlich in Mons geboren wurde oder als zweite Möglichkeit, dass Otto nach dem Hoftag in Frankfurt geboren wurde, dann vermutlich in den bayrischen Kernlanden und dort dann höchstwahrscheinlich in der Residenz München. Die zweite Annahme halten wir für die unwahrscheinlichere, wegen der erwähnten, mit ihrem Sohn Wilhelm abgestimmten Anwartschaftsregelung der Burggrafschaft Seeland.


„Kindheit und Zeit vor der Regierungsübernahme“

Über der Kindheit Ottos wissen wird im Grunde nichts. Dies bildet bei ihm keine Ausnahme sondern die Regel. Bis auf wenige Ausnahmen, kennen wir von keinem mittelalterlichen Individuum einen Bericht aus dessen Kindheit. Für ein Kind wie Otto, das als letztes überlebendes Kind in die Familie kam, wäre es besonders ungewöhnlich, gäbe es irgendwelche Aufzeichnungen. Wenn Kindern überhaupt diesbezüglich Aufmerksamkeit von den Chronisten geschenkt wurde, dann höchstens den angehenden Thronfolgern. Auf diesen ruhte zumeist die ganze Hoffnung und Erwartung. Dass Otto, der als zwölftes Kind, davon als sechster Sohn zur Welt kam, jemals überhaupt eine Rolle spielen würde, zumal der Altersabstand beispielsweise zu seinem erstgeborenen Halbbruder Ludwig „der Brandenburger“ stolze 31 Jahre betrug, durfte als sehr unwahrscheinlich gesehen werden, somit spielte er die Rolle des Kleinkinds, Kindes und Jünglings im Schatten seiner Brüder, vor allem seines Bruders Ludwig „dem Römer“.

Da uns keine schriftlichen Aufzeichnungen vorliegen, auch keine überlieferten Anekdoten, bleibt nur aus dem historischen Kontext, aus den geschichtlichen Metadaten eine vages Bild einer Kindheit und Jugend zu konstruieren. In manchem wird dieses sehr allgemein gehaltene Skizze auf viele Fürstenkinder der Zeit zutreffen, insbesondere die männlichen unter ihnen.

Als Kaiser Ludwig IV. am 11. Oktober 1347 starb, war sein Sohn, der kleine Otto, erst rund ein Jahr alt. Zu diesem Zeitpunkt dürfte er mit der Mutter in den bayrischen Kerngebieten gewesen sein. Es war sehr wahrscheinlich dass sie mit dem Säugling Otto nach dem Frankfurter Hoftag von November 1346 in die bayrische Residenz München weiterreiste und dort verweilte. Wir dürfen weiter annehmen dass auch der Kaiser seit dem Zusammentreffen auf dem genannten Hoftag, wieder in enger Gemeinschaft mit seiner Gattin verkehrte, nachdem sie zuvor, bedingt durch die erwähnte, sehr strapaziösen Huldigungsreise durch die Niederlande, monatelang getrennt waren.

Mit dem Tod Ludwigs, ergaben sich für die Witwe wie auch für die minderjährigen Kinder die üblichen, durchaus einschneidenden Veränderungen. Dies traf auf die Hinterbliebenen Frauen nahezu aller fürstlichen Häuser zu. Mit dem Tod setzte die Erbfolge auf die männlichen Nachkommen ein. Die Frauen waren in Erbangelegenheiten durch das salfränkische Erbfolgerecht, sofern ein männlicher Spross vorhanden war, massiv benachteiligt. Dennoch war die Absicherung der Witwe, das wirtschaftliche Auskommen, für gewöhnlich gut geregelt und je wohlhabender und einflussreicher der Dahingeschiedene war, je besser. Üblicherweise waren dergleichen Dinge Gegenstand der Eheverhandlungen zwischen den Eltern angehender Brautleute. Die Übereinkunft wurde dann urkundlich fixiert und mit der Zeit eher verbessert als geschmälert. Das Wittum nahm Margarethe in ihrer Grafschaft in Hennegau. Wir erinnern uns, dass sie mit ihrem Sohn Wilhelm darüber hinaus eine Rentenvereinbarung getroffen hatte die ihr jährlich 10.000 Gulden einbringen sollten. Es entzündete sich daran ein langjähriger Streit und Krieg mit dem eigenen Sohn. Darüber berichteten wir im Kapitel ihres ältesten Sohnes Ludwig dem Römer. Wir wollen diese unerfreuliche Episode innerfamiliärer Auseinandersetzungen an dieser Stelle nicht neu aufrollen sondern schenken wieder unserem eigentlichen Protagonisten dieses Kapitels die Aufmerksamkeit.

Otto, der an der Seite seiner Mutter in die Grafschaft Hennegau folgte, war zu diesem Zeitpunkt kaum aus dem Säuglingsalter entwachsen und im frühen Kleinkindalter. Die Nähe zur Mutter oder einer Amme war unerlässlich. Es gibt keine Überlieferungen ob die Mutter sich persönlich intensiv um den eigenen Nachwuchs kümmerte oder tatsächlich eine bzw. mehrere Ammen die Rolle einer Ersatzmutter spielten. Vergessen wir an der Stelle nicht, das der schon erwähnte jüngere Bruder Ludwig mittlerweile sicherlich geboren war. Ob ihn der gleichnamige Vater, der mittlerweile verstorbene Kaiser, noch erlebte oder ob dieser dritte Knabe mit dem Namen Ludwig, nach dessen Tod erst geboren wurde, ist nicht verbrieft, zumindest uns nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich wird das Ereignis  tatsächlich erst nach dessen Tod erfolgt sein und möglicherweise war die Namensgebung als posthume, letzte Ehrerbietung von der kaiserlichen Witwe so verfügt worden.
Wie dem auch sei, das weitere Schicksal des kleinkindlichen Ottos war vorausbestimmt. Sein ältester Bruder, der erstgeborene Sohn Margarethes, Ludwig der Römer, war nach dem Gesetz der Vormund Ottos, dem jetzt nur noch eine kurze Frist in der direkten Umgebung seiner Mutter blieb, bis mit dem Abschluss des dritten Lebensjahrs, der männliche Vormund eine zunehmende Rolle spielte.

Zeitlich fällt es in etwa mit dem Landsberger Vertrag vom 12. September 1349 zusammen. Es waren seit dem Tod des Vaters weniger als zwei Jahre vergangen und weniger als zwei Jahre regierten die sechs Söhne des vormaligen Kaisers die Wittelsbacher Landschaften gemeinschaftlich. Im Landsberger Vertrag teilten sie, im Widerspruch zum väterlichen Wunsch, die Gebiete in zwei Territorialzonen auf, wobei Otto zusammen mit seinem Bruder Ludwig dem Römer und dem erstgeborenen Sohn aus der ersten Ehe des Vaters, dem Halbbruder Ludwig dem Brandenburger, die Gebiete Oberbayern, Tirol und Brandenburg zukam.

Vergessen wir nicht, Otto war noch ein Kleinkind, um die drei Jahre zu diesem Zeitpunkt, er war somit als Unmündiger nichts weiter als ein zukünftiger Mitregent. Das Sagen in den Gebieten hatte der mehr als 30 Jahre ältere Ludwig der Brandenburger, Herzog von Oberbayern, Graf von Tirol und Markgraf von Brandenburg. Otto selbst stand jetzt, wir rissen es an, unter der Vormundschaft des Bruders Ludwig, jenem Ludwig dem man den Namenszusatz „der Römer“ gabum ihn vom älteren Ludwig, „dem Brandenburger“ oder auch „dem Älteren“, unterscheiden zu können. Immerhin hatte er die Aussicht als ein Mitregent einen Teil der Erbschaft zu erhalten. Wie sehr die Dominanz des signifikant älteren Halbbruders und des immerhin gut 18 Jahre älteren, brüderlichen Vormunds ihm für die Zukunft einen wirklichen Landesteil überließen, musste sich erst noch erweisen. Ludwig „der Römer“ hielt sich seit dem Landsberger Vertrag in der engen Umgebung seines gleichnamigen Halbruders auf. Wir wissen nicht ob auch Otto in seinen noch zarten Jahren jetzt schon bei einem brüderlichen Vormund war oder ob er noch am mütterlichen Hof verweilte. Denkbar ist in der Tat beides oder eine Kombination davon.

Ein Jahr vor dem Landsberger Vertrag, trat in der Mark der später als Scharlatan entlarvte falsche Waldemar auf. Für den regierenden Markgrafen, Ludwig den Brandenburger, der gleichzeitig gegen Karl IV., das neue Reichsoberhaupt, in Opposition stand und dessen Wahl nicht anerkannte, diesem auch die Reichsinsignien die sein Vater so lange trug, bislang nicht aushändigte, war dieser zusätzliche Konflikt zunehmend zur Belastung geworden. Die meisten brandenburgischen Städte und nicht wenige des ohnehin widerspenstigen märkischen Adels, fielen von ihm ab, huldigten dem vermeintlich heimgekehrten, alten askanischen Markgrafen Waldemar und ließen den Großteil der Mark Brandenburg in offene Rebellion gegen ihren eigentlichen Landesherren aufstehen. Zu all diesen Ereignissen brach jetzt noch die Pest über das Reich, über den ganzen Kontinent herein.

Der ältere Ludwig resignierte und es kam im Luckauer Vertrag vom Dezember 1351 zu einer weiteren Teilung in den Wittelsbacher Gebieten. Ludwig der Älter, vormals Ludwig der Brandenburger einigte sich mit seinem Halbbruder Ludwig dem Römer auf eine Trennung. Die Mark Brandenburg fiel an Ludwig den Römer und an Otto. Selbiger war zu diesem Zeitpunkt gerade fünf Jahre alt und lebte nun mit dem brüderlichen Vormund in Brandenburg, dessen Anwartschaft nun in den realen Bereich des Möglichen rückte, da dem älteren Bruder bislang noch kein eigener Erbe geboren wurde.

Die Pest war mittlerweile in Europa zwar nicht ausgemerzt aber sie hatte ihre pandemische Verbreitung verloren und langsam stellte ein wirtschaftlichen wie gesellschaftliche Erholung ein. Auch der falsche Waldemar verlor zunehmend seine Anhängerschaft in Brandenburg und das landesherrliche Regiment begann wieder an Kraft zu gewinnen, allerdings auf ökonomisch sehr schwachem Niveau. Die markgräflichen Landeseinkünfte waren kaum ausreichend die Hofhaltungskosten und sonstige Ausgaben zu decken. Man darf daraus nicht ableiten, das Land wäre arm, was, um der Wahrheit genüge zu tun, stellenweise trotzdem zutraf, vielmehr waren viele Domänen, Rechte und Pfründe verpfändet so dass der Landesherr über kaum mehr eigene Einnahmequellen verfügte. Die Situation sollte sich noch von größtem Nachteil erweisen. Beim Streit der Mutter gegen Sohn Wilhelm, stand Ludwig der Römer auf deren Seite und damit gegen den Bruder, er konnte aber nicht ausreichend unterstützen, da die Mittel zur Ausrüstung eines schlagkräftigen Heeres nicht vorhanden waren, worauf sich Wilhelm dauerhaft durchsetzen konnte.

Als 1356 in der Goldenen Bulle der Mark Brandenburg die siebte und letzte Kurstimme des Reichs und einhergehend die Erzkämmererwürde zuerkannt wurde, verzichtete der regierende Markgraf aus finanziellen Gründen auf die Ausfertigung einer eigenen Abschrift der bedeutenden Urkunde. Otto feierte im Jahr der Proklamation dieses wichtigsten Verfassungswerk des alten Reichs, seinen zwischenzeitlich zehnten Geburtstag und wurde von seinem Bruder, Mentor und Vormund, gemäß der Bräuche mit wachsender Intensität ausgebildet. Auch jetzt, fünf Jahre nachdem Ludwig der Römer zum Markgrafen von Brandenburg wurde, hatte sich noch kein Nachwuchs bei ihm eingestellt. Noch war Ludwig in den besten Jahren und konnte einen eigenen Erbe hoffen.

1357 stirbt die Frau des regierenden Markgrafen Ludwig, die Schwägerin Ottos. Erst drei Jahre später heiratete der Bruder ein weiteres mal. Wir hatten es schon im Kapitel über ihn erwähnt, für einen bislang erbenlosen Regenten erscheint diese lange Zeit sehr ungewöhnlich. Kann man aus dem Heiratsunwillen des Markgrafen eine allgemeine Resignation bezüglich der eigenen Hoffnung auf einen Erben herauslesen. Es ist uns nicht Bekanntes über eine etwaige Zeugungsunfähigkeit dokumentiert, von daher wollen wir uns nicht zu weit auf das Glatteis gefährlicher Spekulationen wagen.
Mittlerweile war Otto um die 14 Jahre alt und nun an der Regentschaft in der Mark beteiligt.

1363 kam es erneut zum innerfamiliären Streit bei den Wittelsbachern. Vorweg ging diesem stillen Erbfolgekrieg der Tod von Herzog Ludwig V. von Oberbayern, dem vormaligen Markgrafen Ludwig I. von Brandenburg. Dieser hatte mit Meinhard einen Sohn, der beiläufig erwähnt sogar älter war als des Vaters Halbbruder Otto, dem dieses Kapitel gilt. Besagter Meinhard war zwar alleiniger Erbe von Oberbayern und Tirol, doch machte Herzog Stephan II. von Niederbayern dieses Erbe durch sofortige Intervention streitig. Meinhard floh nach Tirol, wo er schon Januar 1363 verstarb und die Linie des Vaters damit erlosch. Gemäß dem Landsberger Vertrag von 1351 würde Oberbayern nun an die beiden brandenburgischen Brüder Ludwig dem Römer und Otto fallen, doch blieb Oberbayern von Herzog Stephan besetzt. Den brandenburgischen Wittelsbachern blieb nur eine militärische Antwort um ihre Erbrecht zur Geltung zu bringen. Diese musste aber wegen der desaströsen Finanzlage ausbleiben, womit das Erbe letztendlich verloren ging. Es war dies ein vielsagendes Beispiel der schwierigen Rechtslage im Reich. Durch den Mangel jeglicher, ständiger Exekutionskräfte, musste jeder sein Recht mit eigener Kraft oder dem Beistand einer befreundeten Macht oder Koalition durchsetzen. Kaiser Karl IV. griff an keiner Stelle in diesen Erbstreit ein, profitierte er doch maßgeblich von den Zerwürfnissen im Hause Wittelsbach. Auch die benachbarten Habsburger intervenierten nicht, denn auch sie waren am Ende Profiteure des Streits. Mit dem Tod Meinhards, fiel Tirol erneut an die Mutter zurück, über die Tirol überhaupt erst an die bayrischen Wittelsbacher kam. Margarethe von Tirol wollte unter allen Umständen vermeiden, dass Tirol ebenfalls an Herzog Stephan fällt und überschrieb die Grafschaft den Habsburgern, was zu kurzfristigen Spannungen mit dem Kaiser führte, der Sorge hatte dass sein eigenes Projekt dadurch gefährdet werden könnte.
Ludwig und Otto, die beiden brandenburgischen Markgrafen hatten niemanden der sie darin unterstützte ihr rechtmäßiges Erbe aus dem Griff Stephans II. zu reißen. Die eigenen Kräfte reichten dazu nicht aus, die brandenburgischen Städte und der Adel verweigerten die Unterstützung.

Beim eigentlich regierenden Markgrafen Ludwig führte diese Episode und das Gefühl der völligen Ohnmacht zu einem drastischen Schritt. Er enterbte seine bayrisch-niederländischen Verwandten und setzt seinen Bruder Otto als Universalerben ein. Er selbst schien keine Hoffnung mehr auf einen eigenen Nachfolger zu haben. Weiter ging er einen noch folgenschwereren Schritt. Mit Kaiser Karl IV. schloss er am 18. März 1363 eine Erbverbindung. Für den Fall dass er und auch sein Bruder Otto ohne eigene Nachkommen sterben würden, fiele Brandenburg an den Kaiser und zwar nicht als erledigtes Reichslehen, sondern an ihn bzw. seine Familie direkt. Es war eine der vielen Erbverbindungen die Karl IV. im laufe der Zeit einging. Wir werden noch davon hören. Es beschreibt deutliche Züge seines Charakters. Die Brandenburger gingen sehenden Auges, noch dazu freiwillig, in das Netz Karls.

Markgraf Ludwig starb nur wenige Jahre nach dem Abkommen als verbitterter Mann und Otto trat die Herrschaft in Brandenburg an.


„Markgraf Otto V. von Brandenburg“

Otto wird in der Liste der brandenburgischen Herrscher als der V. Markgraf diesen Namens geführt und dies obwohl es mit dem Askanier Otto V. „dem Langen“ bereits einen Markgrafen gab.  Da dieser vermeintlich nur als Mitregent neben dem dominierenden Otto IV., mehr Teilhaber der Macht als eigentlicher Regent war, ist das wohl die einzige plausible Erklärung hierzu. Otto V. von Brandenburg trat Anfang 1365 mit 19 Jahren die Nachfolge in der Mark an. Unter besseren Voraussetzungen hätte er sofort tatkräftig das Regiment zum Wohle des Landes führen können. Er geriet jedoch aus unterschiedlichen Gründen augenblicklich in den Einflussbereich Kaiser Karls. Zur Verwandtschaft in Bayern und den niederländischen Grafschaften blieb auch Otto vorerst reserviert und behielt die vom Bruder eingeleitete völlige Abgrenzung bei. Karl IV., der in der schon vorerwähnten Erbverbrüderung die Mark für seinen ältesten Sohn Wenzel vorgesehen hatte, falls auch der letzte Wittelsbacher in Brandenburg ohne männlichen Nachkommen stürbe, suchte den unerfahrenen, jungen Markgrafen sofort in Beschlag zu nehmen. Wir wissen nicht was Brandenburg seinerzeit als vertragliche Gegenleistung angeboten wurde. Schaut man sich vergleichbare Vereinbarungen Karls an, so ist man fast dazu geneigt zum Schluss zu kommen, dass es nicht viel gewesen sein kann. Wahrscheinlich bot er Brandenburg Schutz gegen äußere Aggressoren an ohne sich übrigens später daran zu halten. Keinesfalls war es Geld oder irgendwelche Verpfändungen, die es Otto ermöglicht hätten auf die Füße zu kommen, denn auch Karl litt immerwieder unter Geldknappheit, hauptsächlich lag es ihm aber fern den brandenburgischen Markgrafen aus seiner Abhängigkeit zu ihm zu befreien.

Akuter Finanzmangel blieb für den neuen Markgrafen die alles bestimmende Konstante. Neben der Regentschaft erbte Otto die landesherrliche Finanzmisere vom Bruder. In den zurückliegenden Jahren hatte sich die Situation nicht gebessert gebessert. Vorhandene Schuldenlast fraß die geringen Einkünfte auf. Vor diesem Hintergrund war das jetzt vom Kaiser tatkräftig betriebene Hochzeitsbündnis zwischen Otto und des Kaisers Tochter junger Elisabeth eine für Otto sehr willkommene Möglichkeit um durch eine hoffentlich reiche Mitgift die ärgsten Finanznöte zu dämpfen und dadurch erhofterweise wenigstens rudimentären Handlungsspielraum in Brandenburg zu erhalten.


„Prager Doppelhochzeit“

Eine Vermählung war für den neuen Markgrafen, der im Laufe des Jahres seinen 20. Geburtstag beging, zur dringenden Angelegenheit geworden. Nach den Verwicklungen um das oberbayrische Erbe und der darauffolgenden Enterbung der bayrisch-niederländischen Wittelsbacher, war Otto der letzte männliche Spross des ehemaligen Kaisers, der noch in Brandenburg lebte und ein Anrecht darauf geltend machen konnte. Sollte er ohne einen eigenen Erben vergehen, würde die Mark laut der geschlossenen Erbverbrüderung an Karl den IV. fallen, den gleichzeitig amtierenden Kaiser und König des an Brandenburg angrenzenden Böhmens.

Es war von Beginn Karl IV. der den Stein ins Rollen brachte. Schon vor dem Tod des vorherigen Markgrafen, wurde das Heiratsprojekt von ihm eingefädelt. Um die Jahreswende 1363/64 kam es in Nürnberg zur Verlobung zwischen dem späteren Otto V. von Witteslbach-Brandenburg und Elisabeth von Luxemburg-Böhmen (1358 – 1373). Elisabeth war die dritte Tochter des Kaisers und entstammte der dritten Ehe Karl mit Anna von Schweidnitz. Aus dieser Verbindung stammte auch der designierte Erbe Karls, der spätere Wenzel IV. (1361 – 1419). Die Braut war bei der Verlobung erst fünf Jahre alt. Wir thematisierten es schon verschiedentlich, politische Heiraten waren das zentrale diplomatische Mittel um langfristige Allianzen zu knüpfen oder Interessenssphären abzugrenzen. Fürstenkinder waren hierbei die Verhandlungsmasse und wurden gelegentlich schon ins Gespräch gebracht, bevor sie überhaupt geboren waren. Unter den bekanntesten Protagonisten mittelalterlicher Heiratspolitik muss hierbei ganz vorne Karl IV. genannt werden. Niemand wandte dieses Mittel mit größerem Selbstverständnis, größerem Erfolg und man möchte fast sagen mit größerer Ruchlosigkeit an, als dieser Herrscher. Er scheute sich selbst nicht solche potenziellen Nachkommen als mögliche Heiratskandidaten ins Spiel zu bringen die vielleicht in Zukunft geboren würden.

Wenn wir in diesem Zusammenhang von ruchlos sprechen, so ist der auffallende Mangel an Vereinbarungstreue bei solchen Angelegenheiten gemeint. Kam es durch Zufälle oder einfach wegen politischer Entwicklungen zu Dynamiken die den Wert eine Vereinbarung dahinschmelzen ließ, kannte Karl keinerlei Skrupel und löste Verlobungen einseitig auf um neue, für den Moment günstigere Arrangements zu vereinbaren. So kam es schon 1366 zur Auflösung der Verlobung, da Karl seine Felle in einer ungarischen Heiratsangelegenheit davonschwimmen sah. Da aber die Mark für die dynastischen und territorialen Erwägungen des Kaisers wichtig blieb, wurde dem geprellten Otto, mittlerweile regierender Markgraf von Brandenburg, alternativ seine zweitälteste, seit Juli 1365 verwitwete Tochter Katharina von Luxemburg-Böhmen (1342 – 1395) zur Braut gegeben. Katharina stammte aus der ersten Ehe Karls mit Blanche von Valois (1316 – 1348) die aus einem Nebenzweig der französischen Königslinie kam.
Die vier Jahre ältere Katharina war von der Vermählung nicht begeistert, wir kennen die Hintergründe dazu nicht, können damit auch nicht beurteilen ob der zukünftige Bräutigam Grund des mangelnden Enthusiasmus gewesen sein könnte. Möglicherweise dachte sie, nachdem sie bereits einmal Spielball der väterlichen Politik war, sie hätte ihren Dienst getan, falls solch ein auf die eigenen Wünsche ausgelegter Gedankengang überhaupt im Bereich des möglich war. Wenn dem so gewesen wäre, hatte sie dabei aber die Rechnung ohne den Vater gemacht, der die Kinder komplett den Bedürfnissen seiner Politik opferte und dies auch, wie im Falle Katharinas, mehrfach, wenn es sich nur ermöglichte.

Am 19. März 1366 fand in Prag die Trauung zwischen Otto V. von Brandenburg, aus dem Hause Wittelsbach und Katharina von Böhmen, aus dem Hause Luxemburg statt. Wie zum Hohn fand noch am gleichen Tag die Vermählung von Ottos ehemaliger Braut statt. Elisabeth, die Halbschwester von Katharina heiratete an ihrem achten Geburtstag Albrecht III. von Habsburg, dessen vorangehende Verlobung mit der ungarischen Erbnichte Karl zuvor hintertrieb um sich diese für einen seiner eigenen Söhne zu sichern. Wir wollen an der Stelle keinen weiteren Kommentar geben, es lässt einen mit Kopfschütteln zurück, wendet man heutige Maßstäbe bei der Beurteilung an.
Ob die Doppelhochzeit zeitgleich oder hintereinander stattfand wissen wir nicht genau zu sagen, es muss aber eine für die Brautleute eher traurige Prozedur gewesen sein. Bei der Braut Ottos aber auch bei der Braut Albrechts, lebten beide Mütter schon nicht mehr, Kaiser Karl war mittlerweile in vierter Ehe mit Elisabeth von Pommern verheiratet, einer Person der nachgesagt wird, sie hätte Hufeisen verbiegen können. Bei Otto sah es noch trauriger aus. Durch den Bruch mit den Brüdern war sicherlich niemand von diesen zugegen. Seine Mutter war vor fast zehn Jahren gestorben und der Vater ohnehin schon seit nahezu 20 Jahren.


„Die Mark unter der Regentschaft Ottos“

Mit der Heirat einer Tochter des Kaisers stieg der Markgraf gesellschaftlich in die höchsten Kreise auf. Dass rein politisch die Verbindung eine enorme Stärkung der eigenen Position bedeutete, steht außer Zweifel, doch blieb eine der Hauptmotivationen hinter der Ehe eines regierenden Fürsten, für gewöhnlich der Nachwuchs. Ein männlicher Erbe war für jede Adelsdynastie von buchstäblich existenzieller Bedeutung und deswegen muss man sich fragen, weswegen Otto eine Braut akzeptierte, die in sieben Ehejahren, bis zum Tod ihres ersten Mannes, der gleichzeitig der Erstgeborene seiner Familie war, bisher  keine Kinder gebahr. Natürlich muss dies nicht an ihr gelegen haben aber immerhin hätte Otto an dieser Stelle zumindest hellhörig werden müssen. Dass er die Absichten Karls nicht deutlicher, in der ganzen Tragweite als gefährlich wahrnahm, kann nur verwundern . Glaubte er das Spiel mitspielen und am Ende womöglich siegreich für sich entscheiden zu können? Wir wissen es nicht, allenfalls haben wir eine leise Vorahnung, ein vages Bauchgefühl.

Wie bestritt Otto seine ersten Jahre an der Spitze der Markgrafschaft? Mit knappen Worten, überhaupt nicht. Fast unmittelbar nach seinem Regierungsantritt, spätestens mit seiner Hochzeit, übertrug Otto die Verwaltung an den Kaiser, der daraufhin Verwalter und Räte ins Land schickte die die Verhältnisse ordnen sollten. Otto selbst lebte in dieser Zeit fast überwiegend in Prag bei seiner Frau und am schwiegerväterlichen Hof. Seine Frau Katharina betrat bis zu ihrem Lebensende nie brandenburgisches Gebiet.

Im direkten Zugriff des Kaisers und damit ständigen, einseitigem Zureden ausgesetzt, entschied sich Otto dazu die Niederlausitz an den Schwiegervater zu verpfänden. Die Landschaft war schon zuvor den wettinischen Markgrafen von Meißen verpfändet gewesen und war den brandenburgischen Kernlanden zunehmend entfremdet worden.

Im Jahre 1368 rückte der polnische König Kasmir III. „der Große“ in das   ostbrandenburgische Grenzgebiet der nordöstlichen- und östlichen Neumark ein und besetzte Deutsch-Krone, Tempelburg im Distrikt Dramburg sowie Zantoch, Driesen und Landsberg an der Warthe. Otto setzte der Aggression keinen nennenswerten Widerstand entgegen. Auch der Kaiser tat nichts, er sorgte nur dafür dass seine schlesischen Ländereien dauerhaft vor dem Zugriff des expansiven Polenkönigs gedeckt blieben. Sollte er sich ruhig an einigen brandenburgischen Landstrichen gütlich tun und dadurch seine böhmischen Kronlande verschonen. Am Ende war er gezwungen einen Streifen Land, mit den Städten Deutsch-Krone und Tempelburg, an der Grenze zum Deutschen Orden, dem übermächtigen Polen zu überlassen. Die Verluste hielten sich noch Grenzen, zeigten aber überdeutlich welch schwache Position der junge Markfgraf von Brandenburg hatte. Die ausgebliebene Hilfe des Schwiegervaters ließ den am Prager Hof lebenden Otto langsam zu dämmern welches Spiel der Kaiser mit ihm spielte. Ein Funken der die Flamme des Zweifels, vielleicht schon der Erkenntnis entzündete, war das fortwährende Ausbleiben eigenen Nachwuchses. Otto bezichtigte jetzt ganz offen den Schwiegervater ihm bewusst eine unfruchtbare Tochter zur Braut gegeben zu haben um dadurch, auf Basis des 1663 geschlossenen Erbvertrags den noch sein Bruder ratifizierte, die Mark an die Luxemburger Familie. Ob Karl wirklich in Kenntnis oder in Unkenntnis über die Fruchtbarkeit seiner Tochter war und ob dieses Wissen eine zusätzliche Rolle spielte, kann abschliessend nicht beantwortet werden, sicher ist, Karl taktierte in der festen Absicht, die Mark an seine Familie zu bringen. Er konnte selbst nicht die Regentschaft als Markgraf antreten, da er als König von Böhmen die mit dem Land verbundene Kurstimme trug und nach der Goldenen Bulle keine zwei Kurstimmen auf einem einzigen Haupt vereint sein durften. Ohnehin hatte Karl die Markgrafschaft und die Kurstimme für seinen Sohn Wenzel vorgesehen.

Otto erschien jetzt öfter in der Mark und knüpfte Kontakte zu den Städten, die dem Kaiser teilweise mit Ressentiments gegenübertraten, vor allem die Doppelstadt Berlin-Cölln. Mit diesem Schritt suchte er sich von seinem Schwiegervater zu emanzipieren und Anhänger im eigenen Land zu gewinnen. Gegen Ende der sechsjährigen Verwaltung durch die Mannen Karls war Otto gewillt das Ruder nun selbst in die Hand zu nehmen. Karl warf nun endgültig die Maske ab und enthüllte seine Absichten.

Jetzt regte sich der Widerstandsgeist in Otto und er begann mit Rüstungen. Besonders die Städte unterstützten ihn mit Geld und Truppen und auch Teile des Adels wurden aufgeboten. Niemand hatte ein Interesse daran unter das geordnete aber strenge Regiment der Luxemburger zu geraten, deren ganzes Streben sich nun auch reichsweit abzuzeichnen begann, wenngleich noch keine Opposition erstand. Für Otto rächte sich, dass er in seinen Prager Jahren nicht früh genug den Ausgleich mit seiner Familie suchte. Ihm war dies zwischenzeitlich klar geworden und er suchte jetzt den Kontakt, vor allem zu seinem Halbbruder Herzog Stephan II., der seit dem Tod Herzog Ludwigs V.  und auch dessen Sohn Meinhard III., außer einem kleinen Landstreifen um Straubing, fast über ganz Bayern regierte. Otto machte dessen zweiten Sohn Friedrich (um 1339 – 1393), genannt „der Weise“, der nur knapp 6 Jahre jünger war als er selbst, zu seinem Erben und Nachfolger. Die Bayernherzöge sandten im Frühjahr 1371 ein Heer in die Mark. Am 17. April 1371 kündigte Otto die 1363 in Nürnberg geschlossene Erbverbrüderung mit Karl. Im Juni ließ er in Stendal ein Anklageschreiben aufsetzen in dem er die vielen Vergehen Karls gegen ihn und die Mark anprangerte. Im gleichen Monat fiel der Kaiser mit einem starken Heer, unterstützt von den Herzögen aus Pommern-Stettin, Sachsen-Lauenburg und Mecklenburg, in Brandenburg ein. Es kam jedoch zu keiner Schlacht sondern schon im Oktober zu einem eineinhalbjährigen Waffenstillstand. Hintergrund dieser überraschenden Wende war ein Bündnis Ottos und seines bayrischen Halbbruders mit König Ludwig von Ungarn und Polen. Karl, der nicht dafür bekannt war die Dinge bevorzugt mit Waffen sondern eher mit der Diplomatie zu regeln, wurde die Situation zu gefährlich.
Ganz seinem gerissenen und staatsmännischen Kalkül entsprechend, nutzte er die Waffenruhe um das Bündnis durch einen geradezu genialen, neuerlichen Hochzeitscoup zu sprengen. Er ließ für seinen zweiten Sohn Sigismund um die Hand der Tochter des Königs ersuchen, was den großen Ungarnkönig zur Abrüstung bewegte, jedoch nicht zum Bruch des Bündnisses.

Pfingsten 1373 erschien Karl mit einer großer Streitmacht erneut in Brandenburg und auch die drei Herzöge des Feldzugs von 1371 unterstützten ihn erneut. Hinzu kamen zusätzlich der Erzbischof von Magdeburg und der Markgraf von Meißen. Der Kaiser belagerte Frankfurt an der Oder, vermochte es jedoch nicht zu nehmen, dafür aber die Stadt Lebus, die er verheeren ließ und damit ein Zeichen für alle brandenburgischen Städte setzte. Pommern fiel in die Neumark ein, besetzte sie, plünderte und brandschatzte. Der Widerstand des brandenburgisch-bayrischen Heeres begann zusammenzubrechen vor der Übermacht des Gegners. Nach wenigen Wochen war der Zauber aus. Otto rettete zwar seine Ehre, indem er sich dem Aggressor nicht völlig kampflos unterwarf aber was half es?


“Fürstenwalder Vertrag“

 

Karl IV. stand vor seinem Ziel, Markgraf Otto gab den Widerstand auf, nicht nur den hoffnungslosen, militärischen Kampf, vor allem den Widerstand und Widerspruch gegen die Pläne ja gegen das nun verhängte Diktat des Kaisers. Er ersuchte den bei Fürstenwalde im Heerlager anwesenden Kaiser um Unterhandlungen. Karl empfing den Fürsten in allen Ehren, man kann ihm nicht unterstellen er hätte ihn demütigen wollen, doch gab er rücksichtslos die Friedensbedingungen vor. Er musste allerdings große Sorge tragen, den Bogen nicht zu überspannen. Seine Ambitionen waren längst offensichtlich im Reich und auch jenseits der Grenzen geworden. Er strebte eine hegemoniale Dynastie der Luxemburger an, mit dem schlussendlichen Ziel einer Erbmonarchie im Reich, getragen zu Beginn von einem schwachen, idealerweise käuflichen, mindestens aber abhängigen Kurkollegium, das zum reinen Marionettendasein herabgewürdigt würde. Für den Moment galt es den sich regenden Unmut im zu besänftigen, er konnte den entmachteten und de facto entrechteten brandenburgischen Markgrafen nicht einfach ohne eine anscheinend ausreichend  großzügige Entschädigung davonjagen.

Am 18. August 1373 kam es im Vertrag von Fürstenwalde zu einer Einigung. Karl IV. bot die enorme Geldsumme von 500.000 Gulden auf, weiter erhielt Otto im Nordgau ein kleines Refugium und auch Herzog Stephan II. von Bayern, der Halbbruder Ottos, bekam als Augenwischerei einige Reichsstädte in seinen Gebieten als Pfandbesitz. Offiziell behielt Otto bis zu seinem Lebensende den Titel eines Markgrafen von Brandenburg sowie die Kurwürde.

Karl IV. war auf dem Zenit seiner Macht und die Wittelsbacher verloren nach Tirol nun auch die Mark Brandenburg als Territorium. Schon schlossen langsam aber stetig mit den Hohenzollern und Wettiner zwei neue Häuser auf. Das eine Hause in konsequenter Anlehnung, seit Generationen, an das jeweilige Königshaus, die anderen durch territorialen und wirtschaftlichen Machtzuwachs. Spätestens mit dem Verlust der Mark traten die Wittelsbacher aus dem Spitzentrio des Reichs endgültig aus und die Habsburger und Luxemburger waren die mächtigsten Familien, mit der größten Hausmacht.

Der Vertrag von Fürstenwalde beendete nach drei Generationen und nicht ganz einem halben Jahrhundert, das Wittelsbacher Intermezzo in der Mark Brandenburg. Das von Kaiser Ludwig IV. seinerzeit Erreichte, wurde von seinen Söhnen, hauptsächlich durch ihren Partikularismus wieder zunichte gemacht.


„Ottos Wirken in Bayern und sein Tod“

Nach den Vereinbarungen Von Fürstenwalde, konnte Otto unbehelligt abziehen und nahm seine Residenz auf Burg Wolfstein bei Landshut. Seine Frau begleitete ihn nicht sondern blieb in Prag zurück, die Ehe blieb zeitlebens so unglücklich, wie sie begann.
Nach dem Tod von Herzog Stephan II. regierte Otto gemeinsam mit seinen drei Neffen das Herzogtum Bayern gemeinsam. Das Herzogtum Bayern wurde 1392 ein weiteres Mal geteilt und es entstanden mit Bayern-Landshut, Bayern-München und Bayern-Ingolstadt drei neue bayrische Herzogtümer, neben denen das ältere bayrische Teilherzogtum Straubing-Holland noch existierte.

All das erlebte Otto V. nicht mehr, er starb viele Jahre vorher, am 15. November 1379 in seiner Residenzburg Wolfstein an der Isar. Er wurde nur etwa 35 Jahre alt und starb wie schon sein Bruder noch vor der Zeit. Er fand im Zisterzienserinnenkolster Seligenthal bei Landshut seine letzte Ruhestätte.

Um auf die einleitende Frage des Kapitels einzugehen, wonach wir über seinen Namenszusatz „der Faule“ am Ende urteilen wollen, hierzu unsere Schlussgedanken.

Otto V. war eine traurig-tragische Gestalt. Spät geboren, mit zahlreichen vor ihm geborenen Geschwistern und Halbgeschwistern , die teilweise Jahrzehnte älter waren, so dass vereinzelt selbst deren Kinder älter waren, wuchs er als förmliches Anhängsel auf. Als der kaiserliche Vater starb, war Otto erst rund ein Jahr alt. Mit Tod des Vaters, verlagerten sich die Machtverhältnisse nicht nur im Reich, auch in den Wittelsbacher Landen kam es zu drastischen Veränderungen. Zunächst zog er mit seiner Mutter in deren niederländische Heimat, in die Grafschaft Hennegau, wo er die ersten Lebensjahre verbrachte. Das Gesetz sah vor, dass sein ältester Bruder Ludwig, genannt „der Römer“ sein Vormund wird. Dieser nahm seine Aufgabe mit dem notwendigen Ernst wahr, konnte wohl aber dem Kind kaum jene wichtigen sozialen Bindungen leisten, die der gesunden emotionalen Entwicklung eines Kindes zuträglich sind. Otto musste, wie überhaupt die meisten Fürstenkinder, schnell erwachsen werden. Das traf bei ihm in besonderem Maße zu, da durch vielerlei familiäre Verwicklungen und wegen der Kinderlosigkeit des im vorstehenden Bruders, bald auf ihm, als brandenburgischem Erbe, großes Augenmerk lag. Mit dem vorzeitigen Tod des Bruders, ging die letzte enge, emotionale Bezugsperson für Otto verloren, die Mutter war zuvor bereits verstorben. Er stand als noch junger Mann und jetzt regierender Markgraf von Brandenburg völlig alleine, der Kontakt zu den bayrischen und niederländischen Brüdern war zu seinem Amtsantritt unverändert unterbrochen. Der mächtige und gerissene römisch-deutsche Kaiser und gleichzeitig böhmische König Karl IV., verstand die Isolation des unerfahrenen Regenten für seine eigenen Pläne zu missbrauchen. Es existierte seit den Zerwürfnissen mit den bayrischen Verwandtschaft, eine Erbverbrüderung mit Karl und diese flankierte der Kaiser jetzt zusätzlich mit einer politisch motivierten Heirat, man möchte fast sagen Possenheirat. Otto geriet dadurch komplett unter den Einfluss Karls, lebte auch die allermeiste Zeit am Hof in Prag und überließ, vertraglich fixiert, in den ersten sechs Jahren die Verwaltung der Mark ganz den bestellten Verwaltern des Kaisers. Spät, zu spät durchschaute Otto das falsche Spiel, bäumte sich dagegen auf, auch militärisch, musste aber bald einsehen, dass Widerstand zwecklos war. Im Vertrag von Fürstenwalde ließ er sich finanziell und mit bescheidenen Landzuweisungen im Nordgau abfinden und trat die Mark Brandenburg auf alle Zeiten an den Luxemburger ab. In den bayrischen Landen waren ihm noch einige wenige, unbeschwerte Jahre vergönnt. Seine Frau blieb ihm auch hier fern und lebte weiterhin in Prag. Einer Anekdote nach hatte Otto ein Liebesverhältnis mit einer Müllerin. Vielleicht war ihm mit diesem Menschen doch noch so etwas wie echte menschliche Zuneigung vergönnt, wir wissen es nicht.

Otto war von frühesten Kindesbeinen an ein entwurzelter Mensch über den von oben verfügt wurde. Eigene Entschlusskraft konnte er im Schatten seiner deutlich älteren Brüder und einer resoluten Mutter zu deren Lebzeiten kaum entwickeln. Nachdem Otto durch das schrittweise Wegsterben in Brandenburg zur Regentschaft kam, übernahm nahtlos der kaiserliche Schwiegervater, Karl IV. die Rolle des Bevormunders. Der noch unerfahrene Otto war diesem in nahezu allen Belangen unterlegen und Karl nutzte sein Überlegenheit skrupellos für die eigenen Zwecke und sein langfristig angelegte Territorialpolitik aus.

Otto war kein Lethargiker im eigentlichen Sinne, er gab sich in seinen jungen Jahren weder dem exzessivem Luxus noch nachweislichem Müßiggang hin, hierzu fehlten in der Zeit der Mark alle notwendigen finanziellen Mittel und auch am Prager Hofe, kam ihm wohl kaum mehr materielle Zuwendung zu als es gebührend war. Otto war ein entscheidungsarmer Mensch, jemand der es erst zu lernen hatte Entscheidungen zu treffen und Initiativen zu ergreifen. Was man über Otto mit Bestimmtheit sagen kann, er war ein einsamer Mensch, vom gängigen Schicksal eines spät in eine kinder- und damit erbenreichen Familie geborenen Fürstenkindes in besonderem Maße geprägt ohne die Kraft zu besitzen aus eigenem Antrieb einen formenden Einfluss zu nehmen. Mit dem Zusatz „der Faule“ belegt ihn die Geschichtsschreibung mit einem in dieser Schärfe unangebrachten Namensmakel, tut ihm dadurch unrecht und rückt ihn in ein tendenziöses Licht.

Otto V. “der Einsame“, war der letzte Wittelsbacher Markgraf in Brandenburg. Ein weiteres mal wird die Mark Brandenburg zum Spielball eines Kaisers.


 

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