Buch 2, Kapitel V: „Die Goldene Bulle“

Das Wahlkönigtum war die etablierte Herrschaftsform im Heiligen Römischen Reich. Dass seine Häupter gewählt wurden, reichte zwischenzeitlich fast 450 Jahre, bis auf den Franken Konrad I. (881 – 918) zurück. Er wurde nach dem Tod des letzten ostfränkischen Karolingers, Ludwig „dem Kind“ (893 – 911), im Jahre 911 von den germanischen Stammesherzögen zum König gewählt. Statt eines Karolingers aus dem Westfrankenreich, wählten sie mit Konrad einen Fürsten aus ihrer Mitte.
Auf ihn folgte 919 der Sachse Heinrich I., volkstümlich „der Vogler“ genannt. Mit seinem Tod endete das schon längst im Siechtum befindliche ostfränkische Reich endgültig. Heinrich und auch schon dessen Vorgänger Konrad, bildeten bereits die Brücke vom sterbenden fränkischen Reich, zu einem neuen Staatenkonstrukt. Der Sohn und Nachfolger Otto I. „der Große“, gilt als Begründer dieses, aus den Trümmern des ostfränkischen Reichs keimenden neuen Staats. Das „Regnum Teutonicum“, das Reich der Deutschen begann sich sachte zu formen. Mit „deutsch“, „Deutschland“ oder „Deutsches Reich“ muss an der Stelle höchst sorgsam umgegangen werden, keinesfalls sind darunter nationalstaatliche Aspekte oder moderne Staatsformen zu verstehen und selbst von einem deutschen Volk kann zu diesem frühen Zeitpunkt nur begrenzt gesprochen werden. Mit der Erlangung der Eisernen Krone der Lombardei, inkorporierte er das „Regnum Italicum“ 951 in sein Herrschaftsgebiet, womit der Reichsgedanke weiteren Auftrieb erhielt. Der Staufer Friedrich Barbarossa gab im Streit mit dem Papst, dem sich unter den Saliern zur vollen Blüte entfalteten Reich 1157 das Prädikat „sacrum“ oder „heilig“ und im Jahre 1254 erscheint dann erstmals die Bezeichnung „Heiliges Römisches Reich“ in einer Urkunde und gab dem Reich bis zu seiner Auflösung seinen Namen, der Ende des 15. Jahrhunderts um den Zusatz „Deutscher Nation“ erweitert wurde.

Die Entstehung des „Sacrum Imperium Romanum“ war auf kein singuläres Ereignis zurückzuführen oder auf eine einzelne und spezifische Amtshandlung zu reduzieren. Es war ein dauernder Gärprozess, beeinflusst von vielen wechselwirkenden Ereignissen. Zum wachsenden Reichsgebäude gehörten kleine wie große Bausteine. Einer dieser vermeintlich kleineren war die Wahl Konrads, größere wie die Wahl Heinrichs I. folgten und ganz wesentliche und tragende Elemente, wie die Wahl Ottos I. und die Schlacht auf dem Lechfeld vom 10. August 955 gaben dem Haus eine erkennbare Gestalt. Mit dem Sieg Ottos auf dem Lechfeld endeten für alle Zeiten die jährlichen Ungarnüberfälle und das sich jetzt herausbildende Reich nahm ernsthafte Formen an und begann sich zu setzen. Dem siegreichen König bescherte der Sieg das notwendige Prestige um sich über seine inneren Konkurrenten, den herzöglichen Mittelgewalten in den germanisch-deutschen Stammesgebieten, dauerhaft zu erheben und das Königtum im sich konstituierenden neuen Reich zu zementieren. Die auf die Ottonen folgenden Salier sahen das Reich in der Blüte und unter den Staufern entfaltete es seine größte Pracht und Machtvollkommenheit, wenn es auch wiederholt zu großen Konflikten kam, allen voran und immer wieder mit dem Papsttum.

Noch war die Kaiserkrone mit der Königswahl nicht automatisch verknüpft. In zahlreichen Italienzügen waren römisch-deutsche Könige bislang über die Alpen in die Ewige Stadt gezogen, um durch Diplomatie, oft jedoch unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, die höchste weltliche Krone der Christenheit zu erlangen. Manchem gelang es überhaupt nicht. Gut ein halbes Jahrtausend sollte vergehen, bis die Wahl des Königs gleichsam die Wahl des Kaisers bedeutete.

 

War es von jeher das Bestreben der Reichshäupter ihr Königtum auf einen ihrer Nachkommen, vorzugsweise auf einen der eigenen Söhne zu vererben, gelang dies vor allem in der Anfangsepoche. In der hochmittelalterlichen Zeit glückte es zuerst der reichsstiftenden Dynastie der Luodolfinger, besser als Ottonen bekannt. Unter ihnen kamen mit Heinrich I. (876 – 936), Otto I. (912 – 973), Otto II. (955 – 983) und Otto III. (980 – 1002), vier Generationen hintereinander auf den Thron. Selbst Heinrich II. (973 – 1024) gehörte noch den Luodolfingern an, wenn auch bereits aus einer Nebenlinie. Auch den unmittelbar nachfolgenden Saliern gelang es unter den Großen des Reichs genügend Autorität zu entwickeln, um mit deren Stimmen die Krone an die eigene Dynastie zu binden. Konrad II. (990 – 1039), Heinrich III. (1016 – 1056), Heinrich IV. (1050 – 1106) und Heinrich V. (1081 – 1125), wurden nacheinander von den Fürsten, oft schon im Knabenalter und zu Lebzeiten des alten Hauptes, als Mitregenten auf den Thron gewählt. Mit dem Tod Heinrich V. erloschen auch die Salier im Mannesstamme. Es folgte mit Lothar III. (1075 – 1137) erstmals ein Monarch, der ohne einen Nachfolger aus der eigenen Sippe verschied. Er versuchte zwar seinen Schwiegersohn, den Welfen Heinrich den Stolzen in Positur zu setzen, doch wurde dessen Wahl unter anderem vom nachmaligen ersten Markgrafen von Brandenburg, Albrecht dem Bären, hintertrieben.

Bei den Staufern, der dritten großen Dynastie der Anfangsepoche, kam es schon zu Sprüngen und Unterbrechungen in der Erbfolge. Auf den ersten Staufer, Konrad III. (1092 – 1153), folgte der Neffe Friedrich I. „Barbarossa“ (1122 – 1190), diesem sein Sohn Heinrich VI. (1165 – 1197), wobei die Stauferlinie, mit dessen baldigem Tod, durch den Welfen Otto IV. (1175 – 1218) vorerst unterbrochen wurde. Wir lassen die Episode um Philipp von Schwaben (1177 – 1208) an dieser Stelle unerwähnt. Nach Otto wurde mit Friedrich II. (1194 – 1250) wieder ein Staufer zum Haupte des Reichs gekürt. Er war Sohn Heinrichs VI. und Enkel Friedrich I. „Barbarossa“. Als Friedrich II. im Jahr 1250 starb, beerbte ihn Sohn Konrad IV. (1228 – 1254) als letzter Staufer auf dem Thron. Auch er, wie schon der Großvater, regierte bis zu seinem frühen Tode, nur wenige Jahre. Für die nächsten Generationen kürten die wahlberechtigten Fürsten des Reichs nun stetig wechselnde Kandidaten.
Mit dem Ende der Staufer brach über das Reich eine Periode der machtpolitischen Rezession herein. In den Jahrzehnten des Reichsinterregnums wurden zwar Häupter gekürt, doch zeichnete sich zu dieser Zeit, am Anfang des Spätmittelalters, eine spürbare Veränderung des Herrschaftsgefüges ab. Man kann es nicht Reform nennen, denn es fehlte die Programmatik und der zielgerichtete Wille zur Veränderung. Es muss mehr als eine Art Evolution, hervorgerufen durch wechselwirkende Geschehnisse verstanden werden. Der Mangel an königlicher Autorität während der Zeit des Interregnums, korrekt ist der Begriff im Grunde nicht, drückt aber das eigentliche Dilemma sehr gut aus, kein Königtum, trotz Königführte zur rapiden Autonomisierung unter den großen Reichsfürsten.

Äußere wie innere Krisen schüttelten das Reich immer wieder. Der unter den Saliern auf- und abschwellende Streit mit dem Heiligen Stuhl gipfelte unter dem Staufer Friedrich II. in einem totalen Bruch mit dem Papst. Hieraus entstehende Parteiungen zwischen Ghibellinen und Guelfen, förderten bereits vorhandene Unabhängigkeitsströmungen in weiten Teilen Reichsitaliens. Das Fehlen einer starken Zentralmacht, überhaupt der Mangel königlicher- oder kaiserlicher Macht, brachte das Reich in eine gefährliche Position der äußeren Ohnmacht und inneren Schwäche. Der Universalanspruch des Kaisers, als weltliches Oberhaupt der Christenheit, verblasste in der nachstauferschen Zeit zusehends.

Mit der Wahl des bislang eher unbedeutenden süddeutschen Grafen Rudolf von Habsburg ging das Interregnum zu Ende und der fortschreitende Zersetzungsprozess wurde einstweilen gestoppt. Er erwies sich, sicher zur Überraschung der Wahlfürsten, als ein ambitionierter, durchsetzungsstarker und auf dem Schlachtfeld erfolgreicher Monarch, der nicht zum willfährigen Instrument der Kurfürsten wurde, womit speziell die rheinischen Erzbischöfe gemeint waren. Auch erwies er sich als deutlich langlebiger als zum Zeitpunkt seiner Wahl angenommen werden konnte, immerhin war er seinerzeit längst in fortgeschrittenerem Alter. Mit seiner Wahl trat ein Makel akut zu Tage, der sich auf die Dauer noch destruktiver auswirkte, als selbst die Zeit des Interregnums. Es erschienen jetzt regelmäßig Thronprätendenten, so dass das Reich immer wieder vor oder zu Beginn eines Herrscherwechsels, mal mehr, mal weniger, in einen Zustand des latenten oder offenen Bürgerkriegs versank. Neu war das Phänomen freilich nicht. Wir wollen nicht unterschlagen, dass schon Otto I. über viele Jahre seinen Machtanspruch im erst entstehenden Reich mit Waffengewalt durchsetzen musste. Auch der Salier Heinrich IV., selbst Friedrich II., im Kampf gegen den eigenen Sohn aus erster Ehe, mussten ihren Machtanspruch verteidigen oder überhaupt erst durchsetzen, wie im Falle Ottos. Zuletzt der lange Streit während des staufischen, vielmehr nichtstaufischen Zwischeninterregnums, als der Welfe Otto von Braunschweig, der spätere Kaiser Otto IV., mit dem am Ende ermordeten Staufer Philipp von Schwaben, um die Krone rang.

Mit der Wahl Rudolfs von Habsburg flammte unmittelbar die Rivalität zum böhmischen Přemyslidenkönig Ottokar II. auf, der seinerseits die Reichskrone für sich in Anspruch nahm. Der Kampf beider Parteien erreichte ein existenziell gefährliches Ausmaß, das erst mit Ottokars Tod auf dem Schlachtfeld ein Ende fand. Nach dem Tod König Rudolfs, führten zukünftige Wahlen wegen Partikularismen unter den Wahlfürsten, zu unterschiedlichen Parteien und zu mehr als einem gewählten König, woraus wieder neue Kämpfe um die Herrschaft im Reich resultierten. Erwähnt seien die tragischen Konflikte zwischen Adolf von Nassau und Albrecht von Habsburg oder dem Wittelsbacher Ludwig „dem Bayern“ und dem Habsburger Friedrich, genannt „der Schöne“. All diese Konflikte fanden, wie schon zwischen Rudolf und Ottokar, erst in blutigen Schlachten, denen nicht selten langjährige Kriege mit schweren Verwüstungen der jeweiligen Landschaften des Kriegsgegners vorausgingen, ihre Entscheidung. Das Reich war während und oft geraume Zeit danach, im Inneren wie nach außen gelähmt. Zu den Parteiungen im deutschen Reichsteil und den Unabhängigkeitsbestrebungen in Oberitalien, gesellte sich im norddeutschen Raum eine zunehmende Teilnahmslosigkeit und wachsende Entfremdung gegenüber dem Königtum.

An vielen der Zustände trugen die Großen des Reichs, gemeint sind die Wahlfürsten, die Hauptverantwortung. Seit Generationen hatte sich aus dem ursprünglichen Wahlrecht aller Vornehmen und Freien, ein gewohnheitsmäßiges Wahlrecht nur noch weniger, ganz konkret von nur noch sieben prominenten Reichsfürsten entwickelt. Dass es dazu kommen konnte, hatte wesentlich rein ökonomische Gründe. Dauerhaft war es den Kleinadligen oder den Freien, damit sind Bauern die keinem Lehnsherren unterstanden oder städtisches Bürgertum gemeint, wirtschaftlich kaum möglich zu den großen Hoftagen in regelmäßiger Folge zu erscheinen. Es zeigte sich bald, dass eine kleiner und kleiner werdende Gruppe von Adelsfamilien regelmäßiger als andere teilnehmen konnten. Besonders profitierten davon die rheinischen Fürsten, und Erzbischöfe, die geografisch den Reichsmetropolen am nächsten wohnten. Sie und einige wenige andere, verstanden geschickt ihre ureigenen Interessen nach Kräften zu thematisieren und im Laufe der Zeit stellenweise durchzusetzen. Die Kluft im Machtgefüge zwischen Ihnen und dem Rest des Reichs wurde größer. Bald konnten sie ihre Stellung auf Grundlage von Gewohnheitsrechten zum unbestrittenen Vorrecht ausbauen. Schon während des Interregnums war Zahl und Zusammensetzung soweit gefestigt dass allenfalls noch ein einzelner Platz vakant war und der eine kurze Weile zwischen Bayern und Böhmen strittig blieb. Spätestens seit der Regentschaft Kaiser Ludwigs IV. traten diese Fürsten in offener und selbstbewusster Weise als die eigentlichen Wahrer der Reichsinteressen auf und sahen im Reichsoberhaupt kaum mehr als das Repräsentationsinstrument des Reichs aber nicht mehr dessen eigentliche Gewalt. Dem Papst sprachen sie jedes Recht auf Einflussnahme in die inneren Angelegenheiten, besonders in Bezug auf die Königswahl ab. Weil das Reich über keinerlei zentrale Exekutionskräfte und noch weniger über ein Reichsheer verfügte, hierzu auch weder die Mittel vorhanden waren, noch die notwendigen Strukturen bestanden, blieb es ein frommer Wunsch, waren doch die Kurfürsten selbst weder gewillt noch in der Lage, militärisch die außenpolitischen Interessen des Reichs im Bedarfsfall durchzusetzen.

Die Strategie der Kurfürsten, zur Wahrung der eigenen Machtstellung bei Wahlen bewusst auf Fürsten mit geringer Hausmacht zurückzugreifen, worauf eine Serie sogenannter Grafenkönige gekürt wurden, erwies sich als ein gefährliches Spiel und war nur zu gut geeignet, die weitere Schwächung und Unterhöhlung des Reichskörpers zu fördern. Jedoch traten unter den Gewählten einige ambitionierte wie befähigte Monarchen hervor. Wie geschildert, vermochte Rudolf I. von Habsburg der weiteren Erodierung von Reichslanden, besonders im Westen, Einhalt zu gebieten und gleichzeitig im Inneren verlorene Reichsgüter wieder an die Krone zu bringen. Dem Luxemburger Heinrich VII. gelang es darüber hinaus, übrigens erstmals seit vielen Generationen wieder, genau genommen seit dem Welfen Otto IV., die Kaiserwürde zu erlangen. Die Wahl des Wittelsbachers Ludwig IV. fällt schwer einzuordnen. Während ein Teil der Wahlfürsten der alten Strategie folgte, erkannten andere in dem den Zerfall fördernden Modus die Ursache der Reichsschwäche und strebten die Wahl eines starken Monarchen an, zumal eines Hauptes der den bedeutend gewordenen Häusern Habsburg und Luxemburg ein Gegengewicht sein konnte. Interessanterweise wurde Ludwig gewählt, weil er von den einen als ausreichend schwach, von den anderen als ausreichend stark betrachtet wurde. Vielleicht stellt die Wahl des Wittelsbachers schon einen neuerlichen, zaghaften Paradigmenwechsel in der bisherigen Wahlpolitik dar und leitete damit eine neue Epoche ein. Unter Kaiser Ludwig wurden die schriftliche Dokumentation administrativer Aktivitäten des Reichs in erheblichem Maße gesteigert. Dem Schriftwesen wurde jetzt stark vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt.

Zum Ende der Regenschaft Ludwigs formierte sich, stark betrieben vom Papst, eine Opposition rund um den Luxemburger Karl, dem ältesten Sohn des illustren Königs Johann von Böhmen. Doch nicht nur politisch sondern ganz allgemein zeichnete sich seit Anfang des 14. Jahrhunderts eine grundsätzliche Zeitenwende ab. Klimatische Veränderungen, mit äußerst starken, oft über Wochen, vereinzelt sogar über Monate anhaltende Regenfälle, ruinierten die Ernten und Böden. Überregionale Hungersnöte traten gehäuft in  Europa auf. Gab es bessere Jahre, folgten im kommenden, spätestens im übernächsten Jahr noch schlimmere Bedingungen als die bereits erlebten. Eine Teuerung der Getreidepreise führte zu einer zuerst schleichenden, bald rascher werdenden Verarmung auf dem Land. Eine steigende Anzahl freier Bauern geriet in wirtschaftliche Abhängigkeit örtlicher Feudalherren oder sogar in die Leibeigenschaft, so dass der freie Bauernstand fast verschwand. Beim Tod des alten Kaisers, dauerten diese Zustände schon mehrere Jahrzehnte an. Der schwunghaft florierende Handel, in Nordeuropa dominiert von der Hanse und in Italien von den Venezianern und Genuesen, konnte einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Rezession kraftvoll gegensteuern ohne aber die dramatische Wohlstandsverschiebung  zu verhindern. Waren die Städte bereits zuvor durch ihre Handwerks-, Handels- und Marktprivilegien, dem platten Land ökonomisch entschieden überlegen, führte der zusätzliche Geldstrom aus den Handelsgeschäften, zu einer kritischen Schieflage, die nicht nur schwere makroökonomische Verwerfungen mit sich brachte, sondern auch weitreichende politische Implikationen. Das sich schnell verschlechternde Verhältnis vieler nach Autonomie strebenden Städte zu umliegenden Territorialfürsten, ließ zahlreiche Städtebünde entstehen. Als Gegenreaktion fassten sich die Lokalfürsten in entsprechenden Fürstenbünden zusammen.

Auf die oben erwähnte, mittelalterliche Sintflut, folgte die Pest. Hungerperioden und Verarmung auf dem Land folgte jetzt der millionenfache Tod, ganz besonders drastisch in den Städten. Bald nachdem Karl im Reich, nach dem Tod Kaiser Ludwigs, unangefochten regierte, brach das im letzten Kapitel beschriebene Jahrtausendereignis herein. Der Schwarze Tod wurde nach Europa eingeschleppt und warf für mehrere Jahre das Gefüge des Kontinents von Grund auf durcheinander. Die Menschen glaubten fest an den bevorstehenden Untergang der Welt. Die mittelalterliche Gesellschaft begann sich aufzulösen, Handwerk und Handel drohten völlig zu kollabieren.

Als die Pest 1350/51 endlich abklang und in den Folgejahren eine Rückkehr, trotz aller Widrigkeiten, in ein normales Leben gelang, wuchs bei den Menschen auch schnell wieder die Zuversicht. Der Verlust so vieler Menschenleben, der sich nicht zuletzt auf den Arbeitsmarkt auswirkte, ermöglichte es manchen aus der Gruppe der in den Hungerjahrzehnten Verarmten, den Weg zurück in ein wirtschaftlich besseres Leben. In dieser allgemeinen Aufbruchstimmung, gelang es Karl IV. Reformen auf den Weg zu bringen ohne bei den bisherigen Gegnern einer Stärkung der Zentralmacht, im wesentlichen sind die Kurfürsten damit gemeint, auf unüberwindliche Hindernisse zu stoßen. Gestützt wurden seine Pläne durch eine in Böhmen, das von der Pest weitestgehend verschont blieb, stabilen Lage, was ihm den notwendigen wirtschaftlichen, mehr noch aber politischen Rückhalt gab. Seine vorteilhaften Beziehungen zur Kurie und zum französischen Hof, erlaubten ihm das Reich nach außen abzusichern, wenngleich er hierzu umfangreiche Privilegien im Westen zu Gunsten der französischen Krone und Burgunds aufgab und auch in Reichsitalien seine Ambitionen zügelte. Die bereits unter dem verblichenen Kaiser Ludwig stark betriebene schriftliche Dokumentation der Reichsgeschäfte, steigerte sich unter Karls Regentschaft nochmals erheblich und nahm jetzt regelmäßige Formen an.

Im Januar 1356, nachdem Karl im Februar des Vorjahres in Mailand die Eiserne Krone der Langobarten erlangte und damit symbolisch König von Italiens und zu Ostern, am 5. April des selben Jahres, in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, verkündete er beim ersten kaiserlichen Hoftag zu Nürnberg jenes Verfassungswerk, das zum bedeutsamsten des römisch-deutschen Mittelalters wurde und als solches, das wichtigstes Grundgesetz des Heiligen Römischen Reichs repräsentiert.

Zu seinen Lebzeiten von ihm selbst „unser kaiserliches Gesetzbuch“ genannt, wurde es in späteren Zeiten, erstmals im Jahre 1400, als die „Goldene Bulle“ bekannt. Ein in Urkundenform gehaltenes Gesetzbuch, in lateinischer Sprache, gültig für alle Reichsteile. Die spätere Bezeichnung leitete sich aus dem prägnanten, in Gold gehaltenen Prachtsiegel (Bulle) ab.

Wachsbullen wie auch die seltenere Goldbulle

Üblicherweise wurden Urkunden mit einem Wachsiegel versehen. Für wichtigere Dokumente griff man auf Metallsiegel aus Blei zurück. Nur bei den allerwichtigsten Urkunden wurde Gold verwendet, womit man der feierlichen Wichtigkeit besonderer Ausdruck verlieh, die den Auftraggeber aber auch eine entsprechende Summe kostete, weswegen Variante selten blieb.


Vorgeschichte

Die Goldene Bulle, auf die Inhalte gehen wir später detailliert ein, war keine revolutionäre Neuerung. In ihr kamen kaum neue Gesetze zum Ausdruck. Vielmehr finden wir die meisten Gebote in gleicher oder ähnlicher Weise in bereits existierenden schriftlichen Gesetzeswerken des Reichs. Die hierbei bekanntesten waren der Sachsen- sowie Schwabenspiegel. In ihnen war altüberliefertes, rechtliches Brauchtum sowie kanonisches- und römisches Recht kodifiziert. Die „Bulla Aurea“, die Goldene Bulle war in seiner Form, Umfang und Inhalt erstmals unmittelbar vom kaiserlichen Hof, in enger Abstimmung mit den Kurfürsten verfasst und publiziert worden, womit ihr Inhalt einen hochoffiziellen, für das ganze Reich gültigen Charakter erhielt. Es mag dies heute wundern, warum das Oberhaupt des Reiches hinsichtlich der Gesetzgebung bisher so wenig Einfluss nahm. Es entsprach nicht der herkömmlichen Auffassung dass der Kaiser neue Gesetze erließ. Des Hauptes Aufgabe bestand   vielmehr darin, die von alters her gebräuchlichen und über die Jahrhunderte sich verfeinernden Regeln als Schirmherr des Reichs zu bewahren und die Einhaltung zu überwachen.

Das wesentliche Hauptaugenmerk der Goldene Bulle lag auf der ausführlichen Festlegung der Wahlhandlung zum römisch-deutschen Königs, sowie in der Festsetzung der besonderen Rechte und Pflichten der Kurfürsten. Daneben waren weitere Teilaspekte beinhaltet. Sie darf nicht als ein allumfassendes Rechtswerk gesehen werden, wohl aber in seiner gegebenen Form als Blaupause für zukünftige Erweiterungen.

Vorderseite der Goldbulle.
Zu sehen, Kaiser Karl IV.,
zur Rechten der Reichsadler,
zur Linken der böhmische Löwe
als Symbole seiner kaiserlichen
und königlichen Gewalt

Der amtierende Kaiser bezweckte vor allem dem Unwesen, rund um bislang entstandene Verwicklungen im Rahmen eines Thronwechsels, ein Ende zu setzen. Die Zeit um eine Königswahl, besonders die unmittelbare Zeit danach, führte wieder und wieder zu Kriegen unter den Thronkontrahenten. Zahlreiche Beispiele der Vergangenheit, bewiesen, dass ausgebrochene Thronstreitigkeiten die Reichspolitik auf Jahre lähmten und dem Zerfall des Reichs nach außen wie innen Vorschub leisteten. Dem französischen Druck auf seine Westgrenzen vermochte es in diesen Zeiten ebenso wenig zu begegnen, wie dem schleichenden Abfall Reichsitaliens oder Burgunds. Wenn das Reich in seiner Ausdehnung und seinem Einfluss tatsächlich nicht noch mehr beschnitten wurde, war das weniger auf die eigene Reststärke und mehr auf spezifische Faktoren bei den Konkurrenten zurückzuführen. So war Frankreich in seinem Krieg gegen England seit gut 20 Jahren, mit einzelnen Unterbrechungen, mehr oder weniger selbst gelähmt. Die oberitalienischen Separatisten blockierten und stachen sich untereinander aus, so dass ein echter Abfall bislang nicht erfolgte. Neben diesen beklagenswerten Verhältnissen, gab es darüber hinaus zusätzliche Entfremdungen uralter Reichsgebiete, darunter in zunehmendem Maße die Regionen der heutigen Schweiz. Der Mangel einer allgemein anerkannten Zentralgewalt öffnete dem territorialen Abfall an den Rändern des Reichs Tür und Tor.

Eine innere Reform war dringend erforderlich geworden um durch Stärkung des Königtums, die Stärkung des Reichs als Ganzes zu bewirken. Karls Vorstoß war nicht das Ergebnis einer kühnen Vision eines erstmals vorausschauenden Kaisers, denn schon verschiedene Vorgänger strebten immer wieder ein renovatio imperii, eine Restauration oder Reform des Reichs an. Die Ambitionen seines Großvaters, Kaiser Heinrich VII., der in besonderem den italienischen Verhältnissen seine verstärkte Aufmerksamkeit schenkte, mag als Beispiel der jüngeren Vergangenheit genügen. Es standen bisher durchgreifenden Reformen stets Widrigkeiten hemmend entgegen, so dass reformatorische Teilfortschritte nicht mit dem Abbröckeln imperialer Macht Schritt halten konnten.

Die Strategie Karls IV. fußte wesentlich auf Konfrontationsvermeidung. Im Gegensatz zu seinem das Ritterliche und die persönliche Ehre als obersten Grundsatz in den Vordergrund stellenden Vater, war Karl, man ist geneigt zu sagen, mehr ein Realpolitiker. Freilich ist der Vergleich für die Zeit unpassend, drückt allerdings wesentliche Charakterzüge Karls recht gut aus. Zur Erreichung gesteckter Ziele, ging er selten den geraden, offenen und direkten Weg, sondern er bediente sich diplomatischer Winkelzüge vielfältiger Natur um das Angestrebte zu erreichen. Sein unter den Zeitgenossen zu wohlgefällig empfundenes Verhältnis gegenüber Papst und Kirche, gab ihm noch zu Lebzeiten den Ruf eines „Pfaffenkönigs“. Nach dem völlig zerrütteten Verhältnis Kaiser Ludwigs zum Heiligen Stuhl, das eine mittlerweile fast schon lange kaiserliche Tradition darstellte, wirkten die veränderten Beziehungen zur Kurie als scharfer Kontrast, war doch die langläufige Wahrnehmung im Reich und nicht nur dort, dass das geistige Oberhaupt der Christenheit, der Papst und das weltliche Oberhaupt, der Kaiser, per Definition Antipoden sein mussten. Der durch Zugeständnisse im Westen erkaufte Friede mit Frankreich und die defacto Entlassung Burgunds in die Reichsunabhängigkeit, trübte zunächst das Prestige des Monarchen, verschaffte aber die benötigte Atempause um die für das Reich geplanten Reformen auf den Weg zu bringen ohne durch äußere Bedrohungen von seinem Vorhaben abgelenkt zu werden. Die beiden großen Dynastien und Mitbewerber um die Macht, die Habsburger und sogar die verfeindeten Wittelsbacher, vermochte Karl zu neutralisieren. Alles zielte darauf ab eine innenpolitische Konsolidierung des deutschen Reichsteils, im Verband mit Böhmen, den Erblanden Karls, zu erzielen. Zur Not unter Vernachlässigung der außerdeutschen Gebiete.

Die Zeichen dazu standen gut. Es erwies sich, dass erstmals seit langer Zeit, die Kurfürsten in dieser Angelegenheit eng mit dem amtierenden Reichsoberhaupt kooperierten. Wesentlich hatte bei dieser Kursänderung der mittlerweile verstorbene Onkel Karls, der ehemalige Erzbischof Balduin von Trier einen Anteil. Erzbischof Balduin übte während seiner langen Amtszeit einen starken Einfluss auf das Kurfürstenkollegium aus und betrieb intensive Reichspolitik. Die klare Abgrenzung des Reichs als ein vom Papsttum unabhängiges Konstrukt war wesentlicher Inhalt seiner Politik und gipfelte im Rhenser Kurverein von Juli 1338. Sein Parteiwechsel von der Seite des alternden Kaisers Ludwig zu seinem Neffen Karl, brachte seinerzeit die Ereignisse ins Rollen die zur Wahl Karls zum Gegenkönig führte. Der unerwartete Tod des Kaisers bewahrte das Reich vor einem neuerlichen dynastischen Krieg.

Im Dezember 1355 begannen die Verhandlungen mit den Kurfürsten in Nürnberg, wohin der Kaiser zum Hoftag geladen hatte. Das erklärte Ziel des frisch gekrönten Kaisers war die Kodifizierung des Wahlaktes. Es galt für die Zukunft den Auswüchsen im Zuge der Königswahlen entschieden einen Riegel vorzuschieben. Die vorerwähnten Thronfolgekriege mussten durch ein eindeutiges Wahlstatut, das Doppelwahlen vermied und den Konsens im Wahlkollegium förderte, ausgeschlossen werden. Das Werk hatte zwei große Hauptteile die in „Nürnberger Gesetzbuch“ und „Metzer Gesetzbuch“ unterschieden werden.


Das Nürnberger Gesetzbuch

Am 10. Januar 1356 wurde das 23 Kapitel umfassende „Nürnberger Gesetzbuch“ proklamiert. Die Kurfürsten und der Kaiser unterhandelten in Nürnberg nicht, wie man vielleicht erwartet hätte, in der Reichsburg, auch nicht in der vorgelagerten „Grafenburg“ des Nürnberger Burggrafen Johann II. von Hohenzollern, der als kaiserlicher Hofmeister dem Nürnberger Hoftag vorstand, sondern im Gasthof „Zum güldenen Schild“. Es mag dies ein Indiz sein, dass die Lebensqualität auf der äußerlich imposanten Burganlage, nicht mehr den gewohnten Standards der prominenten Fürsten und des Kaisers entsprachen. Von den Nürnberger Burggrafen war bekannt, dass sie selbst die eigene Grafenburg zunehmend selten selbst bewohnten, meist außerhalb der Stadt lebten und nach Erwerb der Cadolzburg nach dorthin ihre Residenz verlegten.

Das Nürnberger Gesetz, jener erste Teil der Goldenen Bulle, regelte in detaillierter Weise das Wahlverfahren, daneben die besonderen Rechte der Kurfürsten. Ein wichtiger Punkt war die Unteilbarkeit der Kurfürstentümer. Ein nur für die weltlichen Kurfürsten relevanter Passus, mit dem die Primogenitur in Böhmen, Kurpfalz, Sachsen und Brandenburg verfassungsmäßig festgesetzt wurde und damit dem typischerweise im Reich angewandten fränkischen Erbrecht erstmalig eine offizielle Absage erteilte, zumindest hinsichtlich der kurfürstlichen Kernlande, nicht aber bezüglich sonstigem Alodialbesitz der Kurfürsten. Rechtsnachfolger war stets der erstgeborene, männliche Nachfolger des dahingeschiedenen Amtsträgers. Ihm wurde die Kurwürde und das mit der Kur verknüpfte Herrschaftsgebiet zuteil, samt der mit der Kur verbundenen, besonderen Regalien, wie das Münz-, Zoll- oder Gerichtswesen. Hinsichtlich der Regalien verfügten die Kurfürsten ohnehin schon lange über weitreichende Rechte, so zum Beispiel das Recht Flusszölle zu erheben oder eigene Münzen zu schlagen und auch in ihren Landen als oberster Gerichtsherr zu wirken. Mit den Bestimmungen der Goldenen Bulle wurden ihnen diese Regalien kraft ihres besonderen Fürstenstandes erstmals als allgemeines, kaiserlich verbrieftes Grundrecht zuerkannt, das automatisch an ihr kurfürstliches Territorium gebunden war. Hier fiel ein entscheidendes Stichwort. Das Kurrecht war gebunden an ein Reichsterritorium und nicht an ein Fürstenhaus per se. Die regierende Fürstenfamilie war selbstverständlich das ausführende Organ. Hierin findet sich die Erklärung, weswegen die bayrischen Wittelsbacher, trotz der 1329 im Hausvertrag von Pavia, festgelegten wechselseitigen Ausübung des Kurrechts, zwischen der älteren Pfälzer Linie und der jüngeren bayrischen Linie, in der Goldenen Bulle nicht berücksichtigt wurden. Das Kurrecht war schon zuvor, durch Gewohnheitsrecht, an die Pfalzgrafschaft zu Rhein gebunden gewesen. Wir müssen an der Stelle transparent sein. Es lag unter keinen Umständen im Interesse des amtierenden Kaisers, dass sein großer Rivale, der erstgeborene Sohn des dahingeschiedenen alten Kaisers, Ludwig V., Herzog von Oberbayern und Graf von Tirol, das wechselseitige Kurrecht gemäß dem Wittelsbacher Hausvertrag von Pavia erlangte. Dass es den Wittelsbacher Vettern der pfälzischen Linie am Rhein ungeteilt zukam, entsprach den persönlichen Wünschen und politischen Kalkül des Kaisers.

Für Herzog Ludwig V., vormals Markgraf Ludwig I. von Brandenburg, sollte es nicht bei dieser einen diplomatischen Schlappe bleiben. Ein gleichartiger Fall, ausgetragen dieses Mal zwischen ihm und seinem Halbbruder, Ludwig II. „der Römer“, ging um die brandenburgische Kurstimme. Erstgenannter wollte trotz der im Luckauer Vertrag besiegelten Aufgabe der Markgrafschaft Brandenburg, das Kurrecht von seinen Ländern in Bayern und Tirol aus wahrnehmen. Der seit 1351 in der Mark regierende Halbbruder machte ihm dies streitig. Die über Jahre enge Beziehung beider Söhne des verstorbenen Kaisers, war über diesen Streit zerbrochen. Karl IV. entschied auch hier, in konsequenter Wahrung der langen Kurrechte die mit der Mark verknüpft waren, dass das Recht zur Königswahl bei Brandenburg verblieb und damit beim brandenburgischen Zweig der Wittelsbacher. Ludwig II. wurde zum Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs und nicht sein älterer Halbbruder und ehemalige brandenburgische Markgraf. Für Karl IV. spielte auch hier der persönliche Wunsch federführende Rolle. Hält man sich nochmals vor Augen, dass mit der Kurwürde die schon beschriebenen Regalien und besonderen Rechte verbunden waren, war es für Herzog Ludwig V. ein empfindlicher Verlust nicht nur an Prestige sondern auch in wirtschaftlicher Weise. Die kaiserlicherseits getroffene Entscheidung, dem alten Gewohnheitsrecht Brandenburgs Rechnung zu tragen, wäre zu Recht nicht anfechtbar gewesen. Und selbst wenn, wer im Reich hätte dies mit Aussicht auf Erfolg tun können, zumal es im Konsens mit den anderen Kurfürsten entschieden wurde? Für Markgraf Ludwig II. sollte es der wichtigste politische Sieg seiner Regentschaft in Brandenburg bleiben.


 Kurfürstentümer und Kurfürsten

Es wurde schon erwähnt, die Goldene Bulle führte kein völlig neues Recht ein, es wurde vielmehr kraft kaiserlicher Macht traditionelles Recht von Reichs wegen verbrieft. Die Zahl und die das Kurrecht ausübenden Fürstentümer, hatten sich seit Generationen längst herausgebildet. Mit der Goldbulle Kaiser Karls IV. wurde aus einem angeeigneten Gewohnheitsrecht, festgeschriebenes kaiserliches Grundrecht.

Die Kurfürstentümer des Reiches waren:

Das Erzbistum Mainz
Das Erzbistum Köln
Das Erzbistum Trier
Das Königreich Böhmen
Die Pfalzgrafschaft bei Rhein
Das Herzogtum Sachsen
Die Markgrafschaft Brandenburg

Alle Kurlande waren als kaiserliche Lehen an einen Fürsten des Reichs gebunden. Wobei die vier weltlichen Kurfürstentümer als unteilbare, erbliche Reichslehen von einer Generation zur nächsten übergingen, was sich bei den geistlichen, katholischen Fürsten durch das Zölibat naturgemäß ausschloss. Mit dem Titel eines Kurfürsten war jedem der ausübenden Fürsten auch ein zeremonielles Amt zugewiesen. Den drei geistlichen Fürsten kam das besondere Amt eines jeweiligen Reichserzkanzlers zu. Der Kurfürst von Mainz für den deutschen Reichsteil, jener von Köln für den italienischen Teil und Trier für die burgundischen Reichsteile. Unter diesen dreien, überhaupt unter allen Kurfürsten, war der Erzbischof von Mainz der Vornehmste und Höchstrangige. Ihm oblagen nach dem Tod des Reichshaupts im Zusammenhang mit den Königswahlen, besondere Aufgaben. Bei offiziellen und öffentlichen Versammlungen oder an der Tafel, stand dem Mainzer Erzbischof der privilegierte Platz zur Rechten des Monarchen zu, außer bei Versammlungen innerhalb des Kölner Erzbistums, wo dann die Ehre dem Kölner zukam. Sonst saß dieser zur linken Seite und dem Kaiser unmittelbar gegenüber, nahm der Erzbischof von Trier seinen Platz ein. Die weltlichen Kurfürsten schlossen sich jeweils rechts und links an die Erzbischöfe von Mainz und Köln an. Unter diesen kam dem König von Böhmen die höchste Ehre zu, gefolgt vom Pfalzgrafen bei Rhein und dem Herzog von Sachsen. Den Abschluss machte der Markgraf von Brandenburg.

Zur Zeit der Proklamation des „kaiserlichen Gesetzbuchs“, waren nachfolgende Reichsfürsten, gelistet nach ihrer Stellung im Kurfürstenkollegium, in Amt und Würden:

  • Gerlach von Nassau (1322 – 1371), Erzbischof von Mainz (ab 1346), Reichserzkanzler des deutschen Reichsteils – „Archicancellarius per Germaniam“
  • Wilhelm von Gennep (? – 1362), Erzbischof von Köln (ab 1349), Reichserzkanzler des italienischen Reichsteils –Archicancellarius per Italiam
  • Boemund II. von Saarbrücken (? – 1367), Erzbischof von Trier (1354 – 1362), Reichserzkanzler des burgundischen Reichsteils – Archicancellarius per Galliam
  • Karl IV. von Luxemburg (1316 – 1378), römisch-deutscher König (ab 1346), König von Böhmen (ab 1347), König von Italien (ab 1355), römisch-deutscher Kaiser (ab 1355), Erzmundschenk – Archicamerarius
  • Ruprecht I. von Wittelsbach „der Rote“ (1209 – 1390), Pfalzgraf bei Rhein (ab 1329), Erztruchsess – Archidapifer
  • Rudolf I. von Askanien (1284 -1356)Herzog von Sachsen-Wittenberg (ab 1298), Erzmarschall – Archimareschallus
  • Ludwig II. von Wittelsbach (1328 – 1365), Markgraf von Brandenburg (ab 1351), Erzkämmerer – Archicamerarius

Die 23 Kapitel des Nürnberger Teils als Zusammenfassung

Die 23 Kapitel des Nürnberger Teils in voller Länge hier auszubreiten, würde den gegebenen Rahmen sprengen und die Geduld der Leserschaft auf eine zu harte Probe stellen. Um einen Hinweis auf den Umfang zu geben sei nur erwähnt, dass schon alleine das erste Kapitel nicht 26 Paragraphen beinhaltet.

Wir fassen alle wesentlichen Inhalte pro Kapitel nach bestem Vermögen zusammen und hoffen keine wichtigen Aspekte unerwähnt zu lassen, noch mehr hoffen wir, dass uns keine groben Fehlinterpretationen unterlaufen sind. Die jeweilige lateinische Kapitelüberschrift entspricht dem Original und ist in der ursprünglichen römischen Nummerierung wiedergegeben. Mit einer deutschsprachigen Überschrift wird versucht in sehr groben Stichpunkten die Kerninhalte des Kapitels vorzustellen. Den 23 Kapiteln des Nürnberger Gesetzbuchs geht eine Einleitung voraus die wir zum besseren Lesen, so gut es uns möglich war, aus der früneuhochdeutschen Fassung von 1515, ins heutige Neuhochdeutsche übersetzten und in voller Länge wiedergeben möchten.

Wir Karl IV., durch göttliche Gunst und Milde Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs und König von Böhmen, zu ewigem Gedenken.
Ein jedes Reich, das der Zwietracht verfällt, wird in sich zusammenbrechen, weil seine Fürsten sich zu Gefährten von Räubern und Dieben gemacht haben. Gott der Herr hat sie mit dem Geist der Finsternis erfüllt, so daß sie am hellen Tage dahin schreiten wie in dunkler Nacht, und ihnen das Licht genommen, auf daß sie Blinde sind und Führer von Blinden; denn wer da wandelt in der Finsternis, taumelt von Stein zu Stein, und wer blinden Geistes ist, tut Böses in Zwietracht und Streit. Sprich du Hochmut, wie wolltest du in der Art des Luzifer geherrscht haben, wenn du die Zwietracht nicht zum Gehilfen gehabt hättest? Sprich du hässlicher Satan, wie wolltest du den Adam aus dem Paradies vertrieben haben, wenn du ihn nicht zum Ungehorsam verleitet hättest? Sprich du Zorn, wie hättest du das Römische Gemeinwesen ins Verderben gestürzt, wenn du Pompeius und Julius nicht mit grimmigen Schwertern zu innerlichen schweren Kriegen erweckt hättest? Sprich du Unkeuschheit, wie hättest du die Stadt Troja zerstört, wenn du Helena nicht von ihrem Mann entfremdet hättest? Auch du Neid und Hass, hast das christliche Kaisertum, obwohl von Gott und der Heiligen unteilbaren Dreifaltigkeit mit den göttlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und Liebe gestärkt, auf dessen Grundfesten das Reich und die Macht beruhen, mit Gift verunreinigt, das du als Schlange in den Zweigen des Heiligen Reichs böswillig ausgegossen hast, damit die Säulen zerschlagen werden und der ganze Bau zum Einsturz gebracht wird. Gleichermaßen hast du zwischen den sieben Kurfürsten des Heiligen Reiches, durch die als sieben Leuchten das Heilige Reich in Einigkeit des siebenförmigen Geistes erleuchtet werden sollte, mancherlei Zerstörung angerichtet.
Da Wir nun kraft Unseres Amtes, das Wir mit Unserer Kaiserlichen Würde auf Uns genommen haben, die Verpflichtung in Uns fühlen, künftigen Ursachen von Streit und Zwietracht unter den Kurfürsten, zu denen Wir als König von Böhmen, wie allen bekannt, auch gehören, Einhalt zu gebieten, haben Wir, sowohl wegen Unseres hohen Kaiserlichen Amtes als auch wegen der uns auferlegten Wahl, um die Eintracht unter den Kurfürsten zu fördern und die Einmütigkeit der Königswahl zu sichern, ferner um den vorerwähnten schmählichen Zwistigkeiten und den mannigfachen, aus ihnen erwachsenen Gefahren ein Ende zu bereiten, auf Unserem feierlichen Reichstag in Nürnberg in Gegenwart aller geistlichen und weltlichen Kurfürsten und einer großen Zahl von Fürsten, Grafen, Herren, Adligen und Städten, auf dem Throne sitzend, angetan mit den Kaiserlichen Insignien und der Krone nach vorheriger, sorgfältiger Beratung die nachfolgend geschriebenen Gesetze mit Kaiserlicher Gewalt zu erlassen, auszufertigen und zu bestätigen geruht im Jahr des Herrn 1356, dem neunten Tag des Monats Januar, im zehnten Jahr Unserer Regierung als König und im ersten Unseres Kaisertums.

1. Geleitsrecht der Kurfürsten, Wahlaufruf, Wahlort, Größe der Begleitung
I. Qualis esse debeat conductus electorum et a quibus

Das erste Kapitel regelt in 26 Paragraphen sehr detailliert die unanfechtbare Reisefreiheit und Immunität der Kurfürsten anlässlich der Anreise zum Wahlakt und der anschließenden Abreise. Wer für welchen Kurfürst das Geleit zu leisten hat und unter welchen Bedingungen. Weiter wird der Wahlaufruf, Wahlort, der Schutz am Wahlort, selbst die Zahl der Begleiter festgesetzt.

Die wichtigsten Punkte in zusammengefasster Form:

  •  Bei Androhung des Verlusts aller Rechte und Lehen wird jedem Reichsfürsten, Vasallen, jeder Stadt oder geistlichen Institution auferlegt, den Kurfürsten freie und ungehinderte Durchreise durch das jeweilige Territorium zu gewährleisten, ferner alle notwendige Unterstützung zu leisten. Selbst für den Fall dass ein Wahlfürst durch ein verfeindetes Reichsfürstentum zieht.
    Auch bei Kurfürsten die untereinander Krieg führen, müssen alle Feindseligkeiten ruhen
    .
  • Die zur Wahl aufgerufenen Kurfürsten haben sich während einer Frist von drei Monaten am Wahlort persönlich oder in Form eines autorisierten Botschafters einzufinden.
  • Der Kurfürst zu Mainz, als Erzkanzler des Deutschen Reichsgebiets, hat nach Bekanntwerden des Ablebens des Monarchen innerhalb eines Monats die Kurfürsten über den Tag der Königswahl zu informieren.
  • Als Wahlort auf alle Zeit wird die Reichsstadt Frankfurt bestimmt.
  • Den Bürgern Frankfurts obliegt der Schutz der Kurfürsten und ihrer Begleitung.
  • Kein Kurfürst darf mehr als zweihundert Reiter, davon höchstens 50 Mann unter Waffen, in die Stadt führen.

2. Die Wahl des Römischen Königs
II. De electione Romanorum Regis

Das zweite Kapitel regelt in fünf Paragraphen den eigentlichen Wahlhergang.

Die wichtigsten Punkte in zusammengefasster Form:

  • Am Tag der Wahl finden sich die Kurfürsten oder ihre bevollmächtigten Botschafter am Morgen, bei Sonnenaufgang zur heiligen Messe in der Bartholomäus Kirche ein, um für die Führung und Leitung durch den Heiligen Geist in Gesang und Gebet zu bitten.
  • Nach dem Schwur in deutscher Sprache auf das Johannes Evangelium Kapitel 1, einen rechten und gerechten Kandidaten zum Haupt des Reichs zu wählen, schreiten sie direkt zur Königswahl, die nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen entschieden wird.
  • Kommen die Kurfürsten innerhalb von 30 Tagen ab der vorgenannten Eidesleistung zu keiner Entscheidung, werden sie bis zur Findung eines Königs auf Wasser und Brot gesetzt. In all der Zeit dürfen sie die Stadt nicht verlassen.
    (Anm.: Als Vorbild diente hier das Dekret Ubi perculum von Papst Gregor X., der anlässlich des 1274 abgehaltenen Zweiten Konzils von Lyon das zukünftige Verfahren der Papstwahl in Form des Konklave festlegte)
  • Sobald eine Mehrheit zustande kam, können die Kurfürsten, die bislang noch nicht abstimmten, ihre Stimme dem Mehrheitskandidaten geben oder aber ihre Stimme wird symbolisch so angesehen, als ob das zukünftige Reichsoberhaupt einvernehmlich gewählt wurde.
  • Geben drei Kurfürsten für einen Kandidaten aus der eigenen Mitte ihre Stimme ab, so darf ein Kurfürst für sich selbst stimmen und so die Mehrheitsentscheidung bringen. (Anm.: Es entsprach nicht der Sitte, dass einer der Wahlfürsten bis dahin seine Stimme sich selbst gab)
  • Direkt nach der Wahl soll der neugewählte König den Kurfürsten alle ihre angestammten Rechte, Freiheiten und Privilegien mündlich bestätigen, erneuern und alsbald urkundlich besiegeln.

3. Die Sitzordnung der Erzbischöfe
III. De sessione Treverensis, Coloniensis et Maguntini archiepiscoporum

Kapitel drei regelt die Sitzordnung der Erzbischöfe anlässlich offizieller Anlässe unter Beisein des Reichsoberhaupts.

  • Dem Erzbischof von Mainz gebührt als vornehmsten aller Kurfürsten der Platz zur Rechten des Reichsoberhaupts. Die gilt sowohl in seiner Diözese als auch im sonstigen Reichsteil, außer im Gebiet des Erzbischofs von Köln. An des Hauptes linker Seite nimmt der Erzbischof von Köln platz, es sei denn der Hoftag findet auf Kölner Gebiet, in Reichsitalien oder Reichsburgund statt, dann gebührt dem Kölner Erzbischof der Platz zur rechten Seite des Kaisers. Dem Monarchen gegenüber ist der Platz des Erzbischofs von Trier.

4. Sitzordnung der sonstigen Kurfürsten, Reihenfolge der Stimmabgabe
IV. De principibus electoribus in communi

Kapitel vier regelt in fünf Paragraphen die Sitzordnung der weltlichen Kurfürsten. Weiter wird noch einmal, wie schon in Kapitel eins, die Aufgabe des Mainzer Erzbischofs zur Wahl schriftlich die Kurfürsten einzuberufen, erwähnt. Die Reihenfolge der Stimmabgabe und die zeremoniellen Ämter der weltlichen Kurfürsten werden festgelegt.

  • Findet ein Hoftag oder eine sonstige Versammlung unter Teilnahme des Kaiser und der Kurfürsten statt und liegt der Austragungsort im Kirchengebiet des Erzbischofs von Köln, so gebührt diesem der Platz zur Rechten des Monarchen.
  • Die weitere Sitzregelung sieht den König von Böhmen rechts neben dem Erzbischof zur Rechten des Kaisers, gefolgt vom Pfalzgrafen bei Rhein. Der Herzog von Sachsen sowie der Markgraf von Brandenburg schließen sich dementsprechend links des zur Linken des Kaisers nächst sitzenden Erzbischofs an.
  • Ist das Reich verwaist, bestellt der Erzbischof von Mainz zur Wahl eines neuen Hauptes die Kurfürsten ein.
    Er ruft dann in offener Wahl die Kurfürsten zur Abgabe ihrer Stimme in vorgegebener Reihenfolge auf:

Erzbischof von Trier
Erzbischof von Köln
König von Böhmen
Pfalzgraf bei Rhein
Herzog von Sachsen
Markgraf von Brandenburg

Als letzter gibt der Erzbischof von Mainz seine Stimme ab. Im Falle einer Pattsituation war es an ihm die Entscheidung zu bringen.

  • Abschließend regelt das Kapitel IV die Erzämterämter und die zeremoniellen Aufgaben der weltlichen Kurfürsten anlässlich bedeutsamer Zusammenkünfte mit dem Monarchen. Das symbolisch wichtigstes Zeremonienamt übt der Erzbischof von Köln aus, der das zukünftige Haupt des Reichs krönt.

5. Das Recht des Pfalzgrafen und auch des Herzogs von Sachsen
V. De iure comitis palatini et eciam Saxonie ducis

Das fünfte Kapitel regelt in drei Paragraphen die besonderen Privilegien des Pfalzgrafen bei Rhein und des Herzogs von Sachsen während der Thronvakanz.

  • Der Pfalzgraf übt in den Zeiten in denen das Reich über kein Haupt verfügt, die Regentschaft in allen Reichsteilen aus, die nach schwäbischen Recht gerichtet werden.
  • Die gleiche Funktion obliegt dem Herzog von Sachsen für alle Gebiete des Reichs die nach sächsischem Recht gerichtet werden.
  • Der Pfalzgraf bei Rhein hat das Recht gegen den amtierenden Monarchen rechtliche Schritte einzuleiten. Das Reichsoberhaupt kann nur im Rahmen eines Hoftags angeklagt und gegebenenfalls gerichtet werden.


6. Vergleich der Kurfürsten mit den anderen gewöhnlichen Fürsten
VI. De comparatione principum electorum ad alios principes communes

Das sechste Kapitel hebt in einem Paragraphen die bevorzugte Stellung über allen anderen Fürsten des Reichs hervor.

  • Die Kurfürsten stehen in Rang, Würden und Privilegien über allen sonstigen Reichsfürsten. Auf allen Hoftagen oder während der Wahlhandlungen, gebührt ihnen der Vortritt vor allen anderen Fürsten des Reichs. 
  • Dem König von Böhmen gebührt vor allen anderen Königen der Vorrang und Vortritt bei Hoftagen und allen sonstigen zeremoniellen Ereignissen des Kaisers, inklusive während der Wahlhandlungen.

7. Die Erbfolge der Kurfürsten
VII. De successione principum

Das siebte Kapitel ordnet in fünf Paragraphen die Unteilbarkeit der Kurfürstentümer an. Es wird darin der über lange Zeit herrschenden Problematik rund um die Ausübung der Kurstimme innerhalb eines Familienzweigs gedacht. Im Einzelnen regelt es weiter die Erbfolge weltlicher Kurfürstentümer und die Vormundschaft im Falle eines noch unmündigen Erben.

  • Land, Befugnisse und Stimme gehen auf den erstgeborenen, ehelichen Sohn über, sofern er nicht ein geistliches Amt inne hat.
  • Stirbt der Sohn, gehen seine Rechte automatisch auf dessen Sohn über
  • Hat ein verstorbener Sohn keine eigenen männlichen Nachkommen, tritt der älteste Bruder des ursprünglichen Kurfürsten das Erbe an.
  • Ist ein Sohn zum Zeitpunkt des Erbes noch nicht 18 Jahre, übernimmt der älteste Bruder des verstorbenen Kurfürsten die Vormundschaft und übt derweil das Stimmrecht aus und wirkt als Verweser des Kurfürstentums.
  • Sollte ein Kurfürstentum in männlichen Linie erlöschen, steht es dem Reichsoberhaupt als erledigtes Lehen zu neuerlicher Belehnung zur Disposition.
  • Ausgenommen davon das Königreich Böhmen. Im Falle des Aussterbens des Königshauses im männlichen Stamm, wählt sich das böhmische Volk einen neuen König.

8. Die Gerichtsfreiheit des Königs von Böhmen und der Einwohner Böhmens
VIII. De regis Boemie et regnicolarum eius immunitate

Das Kapitel acht bestimmt in zwei Paragraphen die Gerichtsfreiheit den böhmischen Königs wie auch seiner Untertanen.

  • Privilegium de non evocando: Kein Bewohner des Königreichs Böhmen, unabhängig seines Standes, darf vor einem außerböhmischen Gericht rechtskräftig verurteilt noch zu einer Verhandlung gegen ihn geladen werden.
  • Privilegium de non appellando: Den Einwohnern Böhmens ist die Appelation an ein anderes Gericht außerhalb Böhmens untersagt. Etwaige Urteile haben keine Gültigkeit.


9. Gold-, Silber- und andere Bergwerke, das Judenregal, Zollrecht
IX. De auri, argenti et aliarum specierum mineris

Kapitel neun beschreibt in einem Paragraphen die Bergwerks- und Schürfrechte der Kurfürsten in ihren Territorien sowie das Judenregal und Zollrechte.

  • Den Kurfürsten wird das uneingeschränkte Recht auf alle Gold-, Silber-, Kupferbergwerke wie auch auf alle sonstigen Metalle in ihrem Fürstentum verbrieft. Dies beinhaltet ebenso alle Salzvorkommen.
  • Den Kurfürsten ist gestattet nach eigenem Ermessen Juden in ihrem Land anzusiedeln und die entsprechenden Schutzabgaben und sonstigen Erhebungen zu beziehen.
  • Den Kurfürsten haben das Privileg in ihren Landen Zölle und Abgaben zu erheben.

 

10. Das Münzregal
X. De Monetis

Das Kapitel zehn verbrieft in zwei Paragraphen das Münzrecht und das Recht zum Landerwerb.

  • Den Kurfürsten ist es erlaubt innerhalb ihrer Territorien Gold- und Silbermünzen schlagen zu lassen.
  • Es ist ihnen erlaubt durch Kauf oder sonstige Weise ihre Gebiete zu erweitern nach den geltenden Reglements des Privatbesitzes oder Lehnsrechts.

 

11. Die Gerichtsfreiheit der Kurfürsten
XI. De immunitate principum electorum

Kapitel 11 beschreibt analog zur böhmischen Gerichtsfreiheit die gleichen Rechte für die sonstigen Kurfürsten. Insgesamt werden dieses Mal fünf aufgewandt, statt nur zwei Paragraphen, wie im Fall Böhmens. Wir gehen auf die Feinheiten in einem zusätzlichen Kommentar gleich näher ein. Zuvor die Kurzzusammenfassung.

  • Allen geistlichen Kurfürsten wird die Gerichtshoheit verbürgt.
  • Privilegium de non evocando: Kein Untertan vorgenannter Kurfürsten kann vor einem anderen Gericht angeklagt oder verurteilt werden. Etwaig verhängte Urteile sind rechtsungültig.
  • Privilegium de non appellando: Kein Bewohner der vorgenannten Lande kann vor einem anderen Gericht appellieren und seinen Rechtsstreit statt in seinem Heimatterritorium in einem anderen Reichsland austragen.
  • Für den Fall dass das kurfürstliche Gericht einem Kläger nicht zu seinem Recht verhilft, darf dieser an das kaiserliche Hofgericht appelieren, an kein anderes.
  • Alle vorgenannten Rechte gelten auch für die weltlichen Kurfürsten.

Bemerkenswert ist, dass die Vorrechte der geistlichen Kurfürsten gleich in Paragraph eins verbrieft werden, den restlichen drei weltlichen Kurfürsten erst in Paragraph fünf. Weiter erwähnenswert, dass die entsprechenden Vorrechte des Königs von Böhmen schon in Kapitel neun aufgeführt wurden und damit zum einen getrennt von den restlichen Kurfürsten, zum anderen in der Liste früher. In diesem Zusammenhang scheint es erstaunlich, dass im diesbezüglichen Kapitel 9 den böhmischen Untertanen kein explizites Appellationsrecht an das kaiserliche Hofgericht ausgewiesen wurde, wie es scheint, selbst dann nicht, wenn dem Untertan im böhmischen Gerichtskreis keine Gerechtigkeit widerfahren ist, soll heißen ein Fall dort nicht vor Gericht kam.

12. Die Zusammenkunft der Kurfürsten
XII. De congregatione principum

Kapitel zwölf bestimmt in drei Paragraphen turnusmäßige Zusammenkünfte des Kurfürstenkollegiums.

  • Der Kaiser erkennt die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit regelmäßiger Zusammenkünfte der Kurfürsten die als Fundament und Säulen des Reichs gesehen werden. 
  • Jedes Jahr, vier Wochen nach Ostern sollen sich die Kurfürsten in einer Stadt des Reichs treffen. Weiter soll es noch im laufenden Jahre (1356) ein weiteres Treffen in der Reichsstadt Metz geben. Während der Zeit der Zusammenkünfte, der An- und Abreise, stehen die Kurfürsten unter dem besonderen Schutz des Kaisers.
  • Während der kurfürstlichen Treffen ist keinem Reichsfürst gestattet weitere Zusammenkünfte abzuhalten. Ausnahmen gelten für besonders wichtige, die dann das Kurfürstentreffen nicht jedoch beeinträchtigen dürfen.

13. Der Widerruf von Privilegien
XIII. De revocatione privilegiorum

Kapitel 13 beschreibt in einem Kapitel das Widerrufsrecht für erteilte Rechte und Freiheiten.

  • Ein erteiltes kaiserliches Recht, egal an welchen Stand verliehen, darf nicht eines der Rechte eines Kurfürsten beeinflussen.
  • Widerspricht ein erteiltes Privilegium einem der Rechte eines Kurfürsten, gilt es als ungültig und widerrufen.

14. Entzug von Lehen wegen Unwürdigkeit des Lehnsnehmers
XIV. De hiss, quibus ut indignais auferuntur bona feudalia

Kapitel 14 untersagt in einem recht umfangreichen Paragraphen die böswillige Aufkündigung von Lehen von Lehnsmannen und definiert die Folgen.

  • Ein Lehnsmann darf seinem Lehnsherren kein Lehen in feindseliger Absicht aufkündigen um es sich anschließend im Rahmen einer ausgesprochenen Fehde wieder zu erlangen.
  • Ein aufgekündigtes Lehen geht wider an den ursprünglichen Lehnsherren zurück. Der ehemalige Lehnsmann darf weder selbst noch vertreten durch eine andere Person sich das Lehen wieder aneignen, noch anderen hierzu Ratschlag geben. 
  • Ein Lehnsmann der gegen dieses Gebot verstößt, fällt unter den Reichsbann. Ihm wird das Recht auf zukünftige Belehnungen von Rechten, Freiheiten oder Ländereien entzogen.
  • Wer gegen dieses Gesetz verstößt wird soll bestraft werden (ohne Angabe konkreter Strafmaßnahmen)

Kapitel 14 stärkt die Rechte aller Lehnsherren im Reich, nicht nur der Kurfürsten oder des Hochadels sondern bis hinunter auf die unterste Ebene. Jeder Freie der über genug Besitz und Vermögen verfügt und der einen Lehnsmann oder Pächter  verpflichtet, ist in seinen Besitzrechten bestätigt und abgesichert.

15. Über Verschwörungen
XV. De consbirationibus

Kapitel 15 untersagt Städten und Personen Bündnisse wider den Landfrieden zu schließen und definiert das Strafmaß bei Zuwiderhandlungen. Zwei Paragraphen  sind in diesem Kapitel festgehalten.

  • Jeder Stadt, oder Städten, einer Person , gleich welchen Standes sie immer sei und einer Stadt oder Personen untereinander, egal welchen Standes, ist es untersagt ein Bündnis zu schließen dass dazu geeignet ist den Landfrieden im Reich zu stören.
  • Verstößt eine Person gegen dieses Gebot, wird eine Strafe von 10 Pfund in Gold gegen sie erhoben. Eine Stadt oder Gemeinde muss 100 Pfund in Gold als Strafe entrichten. Die Hälfte des Betrags geht zu Gunsten der kaiserlichen Kasse, die andere Hälfte bekommen die jeweiligen Landesfürsten.

16. Über die Pfahlbürger
XVI. De Pfalburgeriis

Als Erläuterung vorweg, ein Pfahlbürger war im ausgehenden Hochmittelalter und früher Spätmittelalter eine Person die sich die Rechte eines Stadtbürgers aneignete, selbst aber nicht innerhalb der Stadt wohnte und selten entsprechende Abgaben an die Stadt entrichtete oder übliche Dienste leistete.
Pfahlbürger lebten oft in ihren ursprünglichen Gegenden auf dem platten Land, verhielten sich gegenüber den Verwaltungsmännern des Landesherren in der Weise eines Stadtbürgers, die über eigene Freiheiten verfügten. Ein Pfahlbürger konnte somit theoretisch als freier Bauer einen Hof bewirtschaften, war damit zu keinen Hand- und Spanndiensten einem Lehnsherren verpflichtet und konnte gleichzeitig noch städtischen Privilegien gemäß ein Handwerk betreiben, wenn auch nicht außerhalb des städtischen Gebiets. Sowohl für die Städte als auch den Feudaladel bis hoch zu den Landesfürsten, stellte dieser bislang legale „Missbrauch“ ein ärgerliches Problem dar, entgingen ihnen doch dadurch Abgaben und Dienstleistungen.

Kapitel 16 regelt das Pfahlbürgertum, es untersagt vielmehr den bisherigen Missbrauch in zwei Paragraphen.

  • Ein Untertan der die Rechte eines städtischen Bürgers genießt muss zukünftig mit all seiner Habe innerhalb einer Stadt wohnen. Bei Verstoß gegen das kaiserliche Gesetz, verliert er seine bürgerlichen Rechte 
  • Wer Untertanen bei ihrem Missbrauch unterstützt, in dem er sie beispielsweise beschäftigt und innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht entlässt, wird mit einer Strafe von 100 Mark Gold belegt. Zu entrichten je zur Hälfte an die kaiserliche Kasse und an die Geschädigten (somit nicht explizit nur an die Landesherren).

Man könnte hinter Kapitel 16 eine Art frühes Anti-Korruptionsgesetz bzw. Anti-Steuerhinterziehungsgesetz sehen.

17. Das Fehdewesen
XVII. De diffidationibus

Das Fehdewesen war ein Grundrecht des Adels. Ehrenstreits unter den Adelshäusern waren längst reichsweit dazu missbraucht mittels Plünderungen in den befehdeten Gebieten die eigenen, versiegenden Einkünfte aufzubessern.

Kapitel 17 sollte mit drei Paragraphen das ausufernde Fehderecht regulieren. An der Formulierung wird man ablesen können, dass es bei einem ersten Versuch blieb. Noch mehr als 200 Jahre wird das Unwesen im Reich anhalten und Land aus Land ab unermessliche Schäden und Zerstörungen anrichten.

  • Eine nach Recht und Gesetz ausgesprochene Fehde darf nicht abseits eines Ortes verkündet werden an denen ein Fehdegegner diese nicht mitbekommen kann. 
  • Fehdeansagen dürfen nicht dem Zweck von Raub und Brandschatzung dienen.
  • Die Fehde muss am Wohnort des Fehdegegners ausgesprochen werden im Beisein von glaubhaften, unbescholtenen Zeugen.
  • Zwischen Fehdeansage und dem Beginn der Feindseligkeiten müssen mindestens drei Tage liegen. 
  • Eine Fehde darf nicht gegen jemanden ausgesprochen werden in dessen guter Gemeinschaft man lange lebte, die zu den guten Freunden gehörte oder in dessen Dienste man stand.
  • Alle Fehden die nicht nach Recht und Gesetz ausgesprochen und durchgeführt werden sind unter Verlust der Ehre und richterliche Strafe verboten.

18. Beispiel eines Einladungsbrief zur Königswahl
XVIII. Littera intimationis

In Kapitel 18 ist ein Formbrief hinterlegt wie ihn alle Kurfürsten als Einladung zur Königswahl erhalten. Das hinterlegte in der Bulle hinterlegte Beispieldokument, ist auf den Kurfürsten von Brandenburg ausgestellt. Abgesehen von der Ansprache, die jeweils auf den geladenen Fürsten angepasst wird, ist der weitere Teil für alle Geladenen verbindlich gleich. Ob der Erzbischof von Mainz, der stets einladender Absender war, pro forma ein eigenes Exemplar bekam, ist nicht belegt.

Nachfolgend die ungekürzte Version wie sie in der Goldenen Bulle festgelegt wurde:

Dem Hochgeborenen Fürsten, Herren N. Markgrafen von Brandenburg, Erzkämmerer des Heiligen Reiches, Unserem Mitkurfürsten und liebsten Freund, teilen wir hiermit die Notwendigkeit der Wahl eines Römischen Königs mit und fordern Euch pflichtgemäß auf, zu dieser Wahl wie vorgeschrieben innerhalb von drei Monaten, von dem Tag dieser Verkündigung an gerechnet, persönlich oder vertreten durch einen oder mehrere, mit genügender Vollmacht ausgestatteten Botschafter oder Anwälte in der ausgewählten Stadt zu erscheinen, gemäß den Vorschriften der einschlägigen Gesetze zu wirken, mit den weiteren Kurfürsten zu beratschlagen und gemeinsam mit ihnen über die Wahl eines Römischen Königs und künftigen Kaisers zu verhandeln und bereit zu sein, dort bis zum Ende dieser Wahl zu bleiben und sich so zu verhalten, wie es in den heiligen Gesetzen sorgfältig niedergeschrieben ist. Im Falle Eures Nichterscheinens würden Wir und Unsere Mitkurfürsten abschließend so verfahren, wie es in den Gesetzen vorgesehen ist.

 

19. Kurfürstliches Bevollmächtigungsformular zur Königswahl
XIX. Forma procuratorii mittendi per eum principem electorem, qui nuncios suos ad eletionem faciendam duxerit destinandum

Das 19 Kapitel gibt in einem Paragraphen das Bevollmächtigtenformular in der Form wieder, wie es von einem Kurfürsten auszustellen ist, für den Fall dass er selbst nicht an der Königswahl persönlich teilnehmen kann. Er kann hierzu eine oder mehrere autorisierte Personen namentlich benennen, die dann in seinem Namen die Stimme abgeben.

 

20. Über die Unteilbarkeit der Kurlande und der damit verknüpften Rechte
XX. De unione principatuum electorum et iurium eis connexorum

Kapitel 20 regelt in einem längeren Paragraphen die Unteilbarkeit des kurfürstlichen Territoriums und der verliehenen kaiserlichen Rechte.

  • Die mit dem Kurrecht unverbrüchlich verbundenen kaiserlichen Privilegien dürfen nicht veräußert oder getrennt von einander ausgeübt werden. 
  • Territorium und Rechte bilden eine unteilbare Einheit

 

21. Rangordnung der Erzbischöfe bei feierlichen Prozessionen
XXI. De ordine processionis inter archiepiscopos

In drei Paragraphen bestimmt Kapitel 21 die Prozessionsordnung im Beisein des Kaisers.

  • Der Erzbischof von Trier geht bei allen offiziellen Aufzügen, Prozessionen, dem Kaiser voraus. 
  • Werden während des Aufzugs die Reichskleinodien mitgeführt, gehen zwischen dem Erzbischof von Trier und dem Kaiser, die Träger der Reichsinsignien, womit die mit einem Erzamt versehenen Kurfürsten gemeint sind.
  • Die weitere Reihenfolge welcher Erzbischof rechts oder links des Kaisers einherschreitet, verhält sich gemäß den Regeln der Sitzordnung aus Kapitel drei.

 

22. Prozessionsordnung der weltlichen Kurfürsten und Insignienträger
XXII. De ordine processionis principum electorum, et per quos insignia deportentur

Kapitel 22 regelt in logischer Folge die Reihenfolge in der die weltlichen Kurfürsten bei offiziellen Anlässen einschreiten sollen. Hierzu wurde ein Paragraph aufgewendet.

  • Werden die Reichsinsignien mitgeführt, so trägt der Kurfürst von Sachsen als Erzmarschall das Reichsschwert und geht zwischen dem Erzbischof von Trier und dem Kaiser.
  • Der Pfalzgraf bei Rhein trägt an der rechten Seite des Erzmarschall gehend, als Erztruchsess den Reichsapfel.
  • Der Markgraf von Brandenburg geht zur Linken des Erzmarschalls und führt als Erzkämmerer das Reichszepter mit sich.
  • Sofern die Insignien des Reiches mitgeführt werden, geht der König von Böhmen direkt hinter dem Kaiser.

Kapitel 22 beschreibt nur die Reihenfolge für den Fall dass die Reichskleinodien mitgeführt werden. Es erwähnt nicht explizit die Reihenfolge wenn keine der Reichsinsignien bei einem festlichen Aufzug mitgetragen werden. Wir können unter Berücksichtigung der bisherigen Regelungen von Kapitel drei und Kapitel 21 davon ausgehen, dass die Reihenfolge in der Gestalt realisiert wurde, dass der Erzbischof von Trier allen vorangeht, gefolgt vom Kaiser, gefolgt von einem der beiden Erzbischof aus Mainz oder Köln, je nach dem Austragungsort. Diesen folgen dann der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und den Schluss bildet der Markgraf von Brandenburg.

 

23. Segnungen der Erzbischöfe im Beisein des Kaisers
XXIII. De benedictionibus archiepiscoporum in presentia imperatoris

Das Kapitel 23 beschließt das Nürnberger Gesetzbuch und somit den ersten Teil der Goldenen Bulle. Mit zwei abschließenden Paragraphen wird die Reihenfolge der segensspendenden Erzbischöfe bestimmt.

  • Die Reihenfolge welcher Erzbischof am ersten, am zweiten Tag usw. während der Messen oder zu den Mahlzeiten den Segen ausspricht richtet sich nach der Dauer der jeweiligen Amtszeit. Der Erzbischof der am längsten im Amt war, führt den ersten Tag, gefolgt vom zweiten Erzbischof der Reihe und dem dritten. 

 

Noch war die Goldene Bulle von 1356, im Vergleich zu modernen Gesetzeswerken holprig und ungleichförmig. Die Paragraphen variieren in Zahl und Größe stark von Kapitel zu Kapitel. Vereinzelt werden zahlreiche Positionen in nur einem Paragraphen zusammengefasst und ein anderes Mal trivialere Sachverhalte oder beschreibende bzw. einleitende Umstände in einem eigenen Paragraphen beschrieben.


„Das Metzer Gesetzbuch“

Der zweite Teil der Goldenen Bulle, das sogenannte Metzer Gesetzbuch, wurde am 25. Dezember 1356 zum kaiserlichen Hoftag in der Reichsstadt Metz bekanntgegeben. Es beinhaltete acht weitere Kapitel.

Nachfolgend fassen wir diese wieder in der vorhergehenden Form zusammen und versehen sie von Fall zu Fall mit einem kurzen Kommentar.

24. Über den Verrat wider Kurfürsten
XXIV. Kein offizieller Titel im Original vergeben 

Das erst Kapitel des Metzer Gesetzbuchs, in der laufenden Liste das Kapitel 24, wurde erstmals ohne einen eigenen Titel versehen. Die von uns verwendete deutsche Überschrift dient nur der besseren Übersicht. Inhaltlich behandelt das Kapitel den Passus Hochverrat gegen die Kurfürsten. In nicht weniger als 13 Paragraphen, die bislang höchste Zahl von Einzelparagraphen innerhalb eines Kapitels, werden die zur Verantwortung zu ziehenden Personen und Personenkreise beschrieben sowie deren Bestrafung. Noch vor dem ersten Paragraphen wird einleitend das Strafmaß für den oder die Hauptverantwortlichen definiert.

  • Wer boshafte Taten gegen die Kurfürsten, welche als Teil des Reichskörpers betrachtet werden, begeht, plant oder sich auch nur verpflichtet daran teilzunehmen, gleich ob er Fürst, Ritter, Freier oder ein sonstiger Gemeiner ist, wird mit dem Schwert hingerichtet. Der gesamte Besitz fällt an das Reich 
  • Selbst die Kinder, gemeint sind im vorliegenden Fall die männlichen Nachkommen, werden wegen ihrer Blutes als eigentlich schuldig gesprochen und nur aufgrund kaiserlicher Güte nicht mit dem Tode bestraft. Sie werden hinsichtlich jeglichen Erbanspruchs gegenüber der Mutter, Großeltern, Verwandten oder wem auch immer, vollständig enterbt und als ehrlose Person betrachtet. 
  • Wer Fürbitte oder Fürsprache leistet, wird betrachtet wie einer der vorgenannten.
  • Töchter der Verräter werden weniger hart bestraft, erhalten von ihrem gesetzlichen Erbanspruch immerhin noch den vierten Teil und gelten auch nicht als ehrlos.
  • Die Ehefrauen behalten zunächst die ihnen vom Mann zugekommen Zuwendungen so lange sie lebt. Nach ihrem Tod, geht oben genannten Viertel an die Töchter, der Rest fällt an das Reich.
  • Vorgenannte Strafen und Verfügungen können selbst dann zur Anwendung kommen, wenn der oder die Missetäter zwischenzeitlich verstorben sind. Bezüglich ihrer Hinterbliebenen, ja selbst bezüglich ihrer Diener und Knechte, wird das jeweilige Strafmaß angewandt.

Das erste Kapitel des Metzer Gesetzbuchs drückt nochmals deutlich die hervorragende Stellung der Kurfürsten aus. Ein Verbrechen gegen einen Kurfürsten entspricht einem Majestätsverbrechen und wird mit größter Härter bestraft. Schlussendlicher Nutznießer ist im vorliegenden Fall das Reich selbst, an den Güter und Besitzungen eines Verschwörers oder einer Verschwörungsgruppe fallen.

Die angewandte Form mit einer einleitenden Erläuterung gefolgt von einer Serie Einzelparagraphen welche bestimmte Sachverhalte bedient, entspricht im Stil bereits modernen Gesetzesformen.

25. Über die Unteilbarkeit der Kurfürstentümer
XXV. Kein offizieller Titel im Original vergeben 

Kapitel 25 regelt in zwei Paragraphen die territoriale Integrität der weltlichen Kurlande.

  • Der erstgeborene Sohne des amtierenden Kurfürsten ist der rechtmäßige und alleinige Erbe aller Territorien, Rechte und Privilegien. Ihm folgte der nächstgeborene Bruder oder sonstige, nichtgeistliche nächste Verwandte aus der väterlichen Linie. Der Nachfolger wird auferlegt in bürgerlicher Liebe seinen Brüdern und Schwestern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Besonders für die weltlichen Kurfürstentümer war das Kapitel 25 von großer Wichtigkeit. Verbunden mit der in Kapitel sieben de jure festgelegten Primogenitur für weltliche Kurlande, war dies ein wesentlicher Faktor zukünftiger, weitestgehender Territorialdominanz über die sonstigen reichsunmittelbaren Mitfürsten.

In der Form weicht man wieder vom vorangehenden Kapitel ab, verzichtet auf eine einleitende Formel bzw. fasst diese im ersten Paragraphen zusammen.

 

26. Über die Umsetzung kaiserlicher Hoffeierlichkeiten
XXVI. Kein offizieller Titel im Original vergeben 

Kapitel 26 beschreibt in insgesamt fünf Paragraphen das Reglement das bei einem festlichen Besuch, beispielsweise einer Stadt zur Anwendung kam. Es bedient sich hier im Wesentlichen der in Kapitel 21 und 22 bereits vordefinierten und beschriebenen Verhaltensformen.

  • An Neuerungen zu den oben beschriebenen Kapiteln 21 und 22 kommt der Passus, dass die Kurfürsten am Tage der Feierlichkeit, um ein Uhr am Mittag vor dem Wohnhaus des Kaisers erscheinen sollen um das Reichsoberhaupt abzuholen.
  • Er wird auf einem Pferde sitzend von den Kurfürsten gemäß der vorbestimmten Reihenfolge zu Fuß geleitet wird.
  • Die Krone des Reichs, gefolgt von der langobardischen Krone Reichsitaliens, die sogenannte Eiserne Krone, wird dem Prozessionszug von zwei Fürsten, die das Haupt zuvor auserwählte und nicht zu den Kurfürsten gehören, vorweg getragen.

Nachdem die Kapitel 24 und 25 in teilweise drastischer Weise die besonderen Privilegien der Kurfürsten herausstellten, wirken die zeremoniellen Anweisungen in Kapitel 26 fast ein wenig albern, zumal bereits das Nürnberger Gesetzbuch auf die Formalismen bezüglich Sitzordnungen und Prozessionsfolge ausführlich einging. Wir müssen uns zum ermessen der Wichtigkeit dieser Dinge, in die Sichtweise der Zeit hineinversetzen. Allem Zeremoniellen wurde die allerhöchste Aufmerksamkeit geschenkt.

 

27. Über die Dienste der Kurfürsten bei Hoffeierlichkeiten
XXVII. De officiis principum electorum in solempnibus curiis impertorum vel regum Romanorum

In logischer Folge beschreibt Kapitel 27 in sechs Paragraphen sehr ausführlich die zeremoniellen Ämter die von den Kurfürsten anlässlich kaiserlicher Festivitäten durchgeführt werden. Die beschrieben Handlungen reichten weit in die Frühgeschichte des Reichs und darüber hinaus zurück.

  • Die Reihe zeremonieller Handlungen eröffnet der Erzmarschall des Reiches, der Herzog von Sachsen eröffnet. Seine Aufgabe besteht in die symbolische Versorgung des kaiserlichen Pferdes.
  • Ihm folgt, abhängig davon in welcher Erzdiözese der feierliche Austragungsort war, einer der drei Erzbischöfe.
  • Auf die Handlungen der geistlichen Erzbischöfe folgte der Erzkämmerer des Reichs, Markgraf von Brandenburg. Er reichte dem Kaiser eine Schüssel mit klarem Wasser so dass dieser sich vor dem Mahl die Hände reinigte.
  • Der Erztruchsess in Person des Pfalzgrafen bei Rhein reicht dem König während des Mahls die Speise.
  • Den Abschluss der Kurfürsten bildet der Erzschenk des Reichs, der König von Böhmen. Er reicht dem König den Kelch mit dem ersten Trunk.
  • Damit die Kurfürsten selbst am kaiserlichen Festakt teilnehmen konnten, übergaben sie alsbald ihre silbernen Zeremoniengegenstände an eine festgesetzte Gruppe von Personen, die die weiteren Aufgaben vornehmen. Auch diese Gruppe von niedrigerem reichsunmittelbarem Adel, reichte , gleich ihr erbliches Amt an den erstgeborenen Sohn weiter, wie es bei den Kurfürsten der Fall war.

 

28. Über die Zubereitung der kaiserlichen Tafel
XXVIII. Kein offizieller Titel im Original vergeben

Kapitel 28 ordnet in sechs Paragraphen weitere Formalitäten rund um die Tischordnung und reiht sich ein in die Serie von Anweisungen für das höfische Zeremoniell.

  • Der Tisch des Kaisers soll sechs Fuß höher stehen als alle sonstigen, normal Tische im Saal. An ihm soll darf neben dem Kaiser keine weitere Person sitzen.
  • Der Tisch der Kaiserin soll am Rand des Saals aufgebaut werden und drei Fuß niedriger als jener des kaiserlichen Gemahls sein. 
  • Neben dem Kaiser sollen die Tische der Kurfürsten vorbereitet werden. Gemäß Kapitel drei aus dem Nürnberger Gesetzbuch, drei zur Rechten und drei zur Linken des Kaisers und wie im dortigen Kapitel bestimmt, der Erzbischof von Trier dem Kaiser genau gegenüber.
  • Solange nicht alle Kurfürsten ihre zeremoniellen Aufgaben abgeschlossen haben, warten die anderen stehend an ihren zugewiesenen Tischen.
  • Sofern einer der Kurfürsten verhindert ist, darf er Beauftragte bestimmen die an seiner statt die zeremoniellen Symbolhandlungen durchführen. Ihnen ist allerdings der Sitz an der kurfürstlichen Tafel, nach Verrichtung ihrer Aufgeben, untersagt.

 

29. Wahlort, Ort der Krönung und Ort des ersten Hoftags
XXIX. Kein offizieller Titel im Original vergeben

Kapitel 29 legt Wahl- und Krönungsort fest sowie den Ort des ersten kaiserlichen Hoftags.

  • Als Wahlort wurde die Reichsstadt Frankfurt am Main bestimmt
  • Ort der Krönung ist die Reichsstadt Aachen
  • Der erste Hoftag eines neu gekürten Kaisers soll stets die Reichsstadt Nürnberg sein.

 

30. Gebührenordnung bei kaiserlichen Belehnungen an Kurfürsten oder sonstige Fürsten
XXX. De iuribus officialium, dum principes feuda sua ab imperatore vel rege Romanorum recipiunt.

Das vorletzte Kapitel bestimmt in drei Paragraphen die zu entrichtenden gebühren anlässlich kaiserlicher Belehnungen.

  • Die Kurfürsten sind von der Gebührenordnung freigestellt. Sie müssen für die Ausstellung einer Belehnungsurkunde den damit beschäftigten Beamten keine Entlohnung entrichten, es sei denn sie tun dies freiwillig.
  • Alle sonstigen Fürsten müssen 63 und ein Viertel Mark Silber als Gebühr für die Ausstellung der kaiserlichen Urkunde entrichten. Weiter wurde der Verteilungsmodus beschrieben.

 

31. Bestimmung über Fremdsprachenfertigkeiten der kurfürstlichen Nachfolger
XXXI. Kein offizieller Titel im Original vergeben

Das letzte Kapitel des Metzer Gesetzbuchs, das gleichzeitig das letzte Kapitel der Goldenen Bulle darstellt, ordnet in drei abschließenden Paragraphen für die späteren kurfürstlichen Nachfolger gewisse Sprachkenntnisse an.

  • Den weltlichen Kurfürsten wird nahe gelegt dass ihre designierten Nachfolgern ab dem siebten Lebensjahr, neben ihrer Muttersprache deutsch, des Weiteren in Latein, italienisch und böhmisch unterrichtet zu werden und dies bis zum vierzehnten Lebensjahr abgeschlossen sein soll. 

Das letzte Kapitel sticht geradezu als ein Novum heraus. Von Karl IV. selbst war bekannt, dass er ein sprachliches Multitalent und überhaupt für seine Zeit außerordentlich gebildet war. Neben seiner Muttersprache böhmisch, sprach er selbstverständlich deutsch, das einer zweiten Muttersprache gleichkam, weiter französisch, er wuchs weitestgehend am französischen Hof auf sowie Latein das er fließend beherrschte, schlussendlich noch italienisch. Nach seinem Selbstverständnis, war es für Kurfürsten, die als die Säulen des Reichs galten, nicht nur opportun sondern geradezu eine unverzichtbare Notwendigkeit, die im Reich gängigen Sprachen in Wort und Schrift zu beherrschen. Noch war es unüblich dass regierende Fürsten über eine umfangreiche Bildung verfügten, auch wenn Karl IV und bereits dessen Vorgänger, Ludwig IV., dahingehend schon so etwas wie eine Wende einleiteten. Kapitel 31 muss wohl als die früheste staatliche Bildungsverordnung im Heiligen Römischen Reich gesehen werden und schon alleine deswegen verdiente es die Goldene Bulle besonders erwähnt zu werden.


Abschließende Gedanken, Vergleich & Verbreitungsformen

Das Metzer Gesetzbuch hatte nach unserer Auffassung vier größere Themenblöcke.

Zum ersten war es unerlässlich die Art und Weise der Wahlhandlung zum römisch-deutschen König in einer staatsrechtlichen Form verbindlich niederzulegen. Dies fiel nicht übermäßig schwer, da sich längst ein Modus Vivendi etablierte, dem es nun galt den letzten Interpretationsspielraum zu nehmen und unmissverständlich zu regeln. Ziel war es vor allem dem Unwesen von Doppelwahlen und Gegenkönigen ein Ende zu setzen und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Wahl des Reichsoberhaupts gegenüber dem Papst herauszustellen, ohne dass dies explizit erwähnt wird. Der Kontext machte es dennoch offensichtlich unterließ aber eine förmliche Brüskierung des Heiligen Stuhls.

Zum zweiten wurde stärkstes Augenmerk auf protokollarische Aspekte gelegt. Sakral anmutende, zeremonielle Handlungen der leitenden Fürstenschicht, war wichtiges Ausdrucksmittel des als „heilig“ hochstilisierten Reichs. Auch wenn es im Vergleich zu heutigen Gesetzeswerken zweifellos anachronistisch wirkt, war es seinerzeit nur konsequent diese althergebrachten Amtshandlungen im kaiserlichen Gesetzbuch, der Goldenen Bulle, zu kodifizieren und ausreichend gebührenden Raum zu geben.

Als drittes wurden die außerordentlichen Privilegien der Kurfürsten untermauert. Spezielle, bisher ausschließlich kaiserliche Regalien, gleichwohl die meisten davon aufgrund erteilter Sonderprivilegien mit der Zeit von den Kurfürsten ohnehin schon in Anspruch genommen wurden, gehörten jetzt zu den verbrieften, unverbrüchlichen Grundrechten der Kurfürsten. Neben diesen ökonomischen Vorrechten, kamen Regelungen der Erbfolge für die weltlichen Kurfürsten wie auch territoriale Anweisungen hinzu.

Ein vierter Themenblock waren verschiedene Bereiche wie die Regelung des Pfahlbürgertums und andere Punkte. Streng genommen hatten sie mittelbar mit den drei vorgenannten Blöcken zu tun und möglicherweise kann man sie daher nicht selbstständig betrachten.

Da die Goldene Bulle noch keiner festen Ordnung und, wie wir gesehen haben, keiner einheitlich geordneten Themenliste folgt, bleibt es im Auge des Betrachters ob man drei, vier oder noch mehr Themenbereiche herauslesen möchte.

Das Stichwort ist gefallen, kommen wir zur Bewertung der Gliederung. Ein klarer roter Faden springt einem noch nicht zweifelsfrei ins Auge. Trotzdem sind strukturelle Merkmale zu erkennen die einer modernen, nach heutigen Maßstäben geordneten Gesetzessammlung gerecht wird. Der Metzer Teil zeigt dabei bereits deutlich geordnetere Formen als noch der Nürnberger Teil, wo teilweise sehr lange Paragraphen verschiedene Teilaspekte in einem einzigen Block zusammenfassen, worunter die thematische Übersichtlichkeit stark leidet. Gleichzeitig und das mag überraschen, erhielten die meisten Kapitel im Metzer Teil, ganz im Gegensatz zum Nürnberger Teil, keine eigene Überschrift, was wiederum einer inhaltlichen Zuordnung abträglich war.

Vor dem Hintergrund bisheriger Gesetzeswerke des Reichs, war die Goldene Bulle ein wichtiger Meilenstein hin zu einer einheitlichen Reichsverfassung und als solche eine entscheidende Innovation um nicht zu sagen ein Novum. Die, wenn auch noch nicht optimale Form, war als Blaupause für Erweiterungen bestens geeignet und als solches bleibt die Goldene Bulle das mit weitem Abstand wichtigste Verfassungswerk des römisch-deutschen Mittelalters und darüber hinaus. Seine Gültigkeit bis ins Jahr 1806, dem Ende des Heiligen Römischen Reich (Deutscher Nation), ist einer der augenscheinlichen Indikatoren für die Wichtigkeit.

Die Wahrnehmung der Zeitgenossen war zunächst noch gering. Vielleicht war es auch gut so, denn die jetzt verfassungsmäßig überragende Stellung der Kurfürsten, weit über alle anderen Fürsten des Reichs, müsste zwangsläufig Gegenstand heftiger Reaktionen sein. Dass eine wirkliche Opposition dagegen ausblieb, war wohl im wesentlichen dem sehr einfache Umstand geschuldet, dass das Lesen und Schreiben schlicht und ergreifend noch nicht verbreitet war unter den hohen Herrschaften. Vielleicht war der Mangel an Bildung im vorliegenden Fall ein Segen, ersparte es dem Reich doch eine vermutlich lange innere Auseinandersetzung, gab ihm aber gleichzeitig seine Struktur. Bewerten ob diese Struktur gut oder schlecht war, möchten wir uns hier nicht anmaßen. Die föderale Form, die dem Wesen des Reichs schon seit den Zeiten der germanischen Stammesherzogtümer in die Wiege gelegt war, wurde spätestens jetzt gesetzlich verankert und ist bis heute zentrale, innere Staatsstruktur Deutschlands.

Erst mit der Zeit bekam die Goldene Bulle jenen wichtigen Verfassungscharakter. Wir erwähnten es auch bereits, selbst ihren bezeichnenden Namen erhielt sie erst gut 50 Jahre später.

Prunkvoll verzierte und illustrierte Abschrift König Wenzels

Es existierten zunächst sieben mehr oder weniger Originale. Jene Exemplare für die Kurfürsten aus Mainz, Köln, Trier, Böhmen und der Kurpfalz sowie zwei, für den diplomatischen Gebrauch gedachte Dokumente der Reichsstädte Frankfurt und Nürnberg. Die Nürnberger Version erhielt nur ein Wachssiegel und war eine Abschrift des böhmischen Stücks. Alle sieben Originale sind noch heute erhalten und in unterschiedlichen Archiven Deutschlands und Österreichs bewahrt. Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche Abschriften angefertigt und in den Archiven der allermeisten europäischen Höfe zu finden.

Am optisch bemerkenswertesten ist jene Abschrift die auf Geheiß König Wenzels in dessen böhmischer Kanzlei im Jahre 1400 angefertigt wurde.


Bedeutung für die Mark Brandenburg

Es wurde vom Leser einiges an Geduld und Lesedisziplin abgefordert. Alle Verordnungen der 31 Kapitel der Goldenen Bulle durchzuarbeiten, selbst in zusammengefasster Form, ist eine immerhin beachtliche Leistung.

Vielleicht noch vorweg, der Kurfürst von Brandenburg ließ sich kein eigenes Exemplar der Goldenen Bulle anfertigen. Der notorisch unter Geldmangel leidende Markgraf Ludwig II. schien die Kosten für das aufwendig und wertvoll versiegelte Libellus (Urkunde in Buchform) zu scheuen. Für die spätere Geschichte des Landes ein äußerst bedauernswerter Umstand.

Für die Mark Brandenburg bedeutete die verbriefte Bestätigung ein Teil der „sieben Säulen des Reichs“ zu sein, den endgültigen Aufstieg in die leitenden Fürstenkreise. Die geistlichen Kurfürsten aus Mainz, Köln und Trier hatten wohl die prestigeträchtigeren Ämter aber die weltlichen Kurfürsten konnten durch die Weitergabe ihrer Landschaften, Rechte und Privilegien innerhalb der Familie von Generation zu Generation an dynastischem Einfluss zulegen. Führt man sich weiter vor Augen, dass bei der Wahl eines Erzbischofs, zur Überzeugung des entsprechenden Domkapitels oft große Geldsummen flossen, um sich dadurch eine Partei zu schaffen und letztendliche eine Mehrheit gefällig, kann man erahnen welche Investitionen mit der Erlangung eines solchen Amtes zunächst verbunden waren. Selbst nach erfolgreiche Wahl war der designierte Würdenträger noch nicht am Ziel, die Bestätigung durch den Papst galt es ebenfalls zu erlangen und auch hier mussten meist finanzielle Aufwendungen erwogen werden. Es wird deutlich, der Übergang von einem weltlichen Kurfürsten auf seinen erstgeborenen Sohn verlief für gewöhnlich ohne schwerwiegende finanzielle Hypotheken, ganz im Gegensatz zu den vorerwähnten geistlichen Kurfürsten, die ihr Amt in aller Regel mit einer schweren Schuldenlast begangen und dann die eigenen Landschaften zur Tilgung der Schulden, schwer zur Ader ließen. Als Resultat stagnierten die geistlichen Kurfürstentümer in Ausdehnung und Einfluss oder verschmälerten sich sogar. Umgekehrt expandierten die weltlichen Kurfürsten und gewannen an realer Macht fortlaufend hinzu, zumindest standen die Vorzeichen dazu wesentlich besser.

Für Brandenburg waren die kaiserlichen Verfügungen, die im Konsens mit dem Kurfürstenkollegium getroffen wurden, ein wahrer Segen und Grundvoraussetzung für seinen weiteren Aufstieg im Reich. Doch bis dahin sollte noch viel passieren und manch Krise und existenzieller Rückschlag erschütterte die Mark.


 

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